1930 / 149 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Mon, 30 Jun 1930 18:00:01 GMT) scan diff

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und Staatsanzeiger Nr. 149 vom 30. Juni 1930. S. 3.

Reichs⸗ Reichs⸗

und Staatsanzeiger Nr.

schaft und besonders für die Interessen der Arbeiter wäre diesem Augenblick, da die Konjunkturbelebung wesentti dem Einfluß psychologischer Faktoren abhängt, Wirtschaftskampf geradezu katastrophal.

(Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Die zweite Möglichkeit, von der ich sprach, war die Verhin lichkeitserklärung. Ich bin der festen Ueberzeugung, daß ich 8. unter den Möglichkeiten, die mir gegeben waren, das Richtige, troffen habe, sowohl im Interesse der deutschen Gefamtwirtsce wie auch im Interesse der Arbeiter der Eisenindustrie von Non west. Die Arbeiter in ihrer Mehrheit haben sich im Hinbe darauf, daß der Geschäftsgang sehr schlecht war, daß die Kapazit

zaß in Deutschland etwa 46 Milliarden Löhne und Gehä b nilich: vhlt werden, und davon sind nach meiner Schätzung g- -ein greh Milliarden in Form von Beamtengehältern und Tarifvertrags⸗ au loynen gebunden. (Hört, hört! im Zentrum.) In Zeinem Lande gibt es soviel nationale und Bezirkstarife wie in Deutschland und diese Errungenschaften lassen sich meines Erachtens, wie ge⸗ sagt, nur halten, wenn in schweren Depressionsperibden sie etwas clastisch gehandhabt werden. (Zurufe links.) Auf die Kartelle komme ich, nachher auch noch!

In Deutschland ist man weitgehend geneigt, in Extremen zu denken und zu handeln. (Sehr richtig! im Zentrum.) Im vorigen Herbst hielt man die Steuersenkung für den einzig rettenden Weg

4 Arbeitslosenversicherung!“ Nachdem ein ganzes Jahr lang um diese These und Antithese gekämpft worden ist, und eine An⸗ näherung der beiderseitigen Se— nicht hat erzielt werden können, hat es schließlich in der gegenwärtigen Stunde keinen Zweck, wieder da anzufangen, wo wir mit dem Beginn der Sach⸗ verständigenkonferenz vom Sommer letzten Jahres begonnen haben. (Sehr wahr! im Zentrum.) Ich sagte kürzlich vor der deutschen Presse, die Reichsregierung wolle versuchen, das Arbeits⸗ losenproblem mit normalen parlamentarischen Mitteln und nicht etwa mit Mitteln der Diktatur zu meistern. Weiterhin sagte ich vor der Presse, daß die Reichsregierung wegen der Frage der Sanierung der Arbeitslosenversicherung eine Reichstagsauflösung

Gesamtwirtschaftsverfassung bestimmt nicht günstiger als die deutsche. (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.) Wo Schatten⸗ seiten im deutschen Schlichtungswesen und in der Lohnpolitik vor⸗ handen find, werden sie in weiten Arbeitgeberkreisen zu stark auf⸗ Man berücksichtigt dabei zu wenig die Tatsache, daß das Gros der deutschen Arbeiter zu den fleißigsten, leistungsfähigsten und auch leistungswilligsten Arbeitern Europas gehört. (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.) Es kommt nicht bloß darauf an, was man den deutschen Arbeitern an Löhnen, was man für sie an Sozialabgaben entrichtet, es kommt auch darauf an, was für die Löhne und die Soziallasten geleistet wird. (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.)

bin ich aber in den letzten Wochen, wo wir ja ein verstärktes Wohnungsbauprogramm herausgeben wollen, den Dingen nach⸗ gegangen und habe folgendes festgestellt. Die Herstellungskosten einer Durchschnittswohnung in Deutschland in Stadt und Land in Berlin ist sie teuper, auf dem Lande werden Wohnungen teilweise zum halben Preis hergestellt kann man gegenwärtig wohl mit 7500 Mark annehmen. Davon sind rund 40 vH ich habe genaue Berechnungen mit 32 vH und auch solche mit 45 vH, ich nehme also den Durchschnitt der einzelnen Bau⸗ gruppen —, ich sage, von den 7500 Reichsmark, die eine Wohnung kostet, sind etwa 40 vH oder 3000 Reichsmark Bauarbeiterlöhne. Senkt man diese Bauarbeiterlöhne um 5 vH, so macht das

Situation in Deutschland die Tätigkeit des Reichsarbeitsministers stark im Mittelpunkt der Erörterungen und auch im Mittelpunkt der Angriffe steht, ist eine Selbstverständlichkeit. Die deutsche Depression hat ihre mannigfaltigsten Ursachen. Der Krieg und

die Inflation haben in Deutschland eine gewaltige Kapital⸗

verwüstung und Kapitalverschiebung gebracht. Von 1925 bis 1928 sind jährlich 2 *6 bis 3 Milliarden Mark fremdes Kapital nach Deutfchland geflossen, womit 750 000 bis eine Million Menschen Arbeit und Brot verschafft werden konnte. Dieser Kapitalzustrom

hat im letzten Jahr im großen und ganzen aufgehört. Das

Gegenteil trat ein: 1929 find im Hinblick auf die unübersichtlichen

getragen.

weltpolitischen Dawes⸗Planes

bedeutsamste chaf arbeitete ferner in den letzten Jahren mit Unterbilanz; sie ist

deutschen Staatsführung und zur öffentlichen Verwaltung stark

1

ist ohne Hauszinssteuer, die ebenfalls öffentliche Mittel sind.

gesagt, die öffentliche

Ertatsjahrs zum 1.

gewerbes.

zogen werden müßten. Reichskanzler Dr. Luther hatte die feste Absicht, ist aber durch

allein auf weiter Flur. Beamtenbesoldungsreform von 1927 habe ich mich, wie allgemein

mag zusammengesetzt sein, wie sie immer will, kein einzelner Minister ein populäres Sonderdasein führen.

Jahren nicht nur in der Priwatwirtschaft, sondern auch in der

müssen Reich und Gemeinden mitten in einer Depressionsperiode

öffentlichen Körperschaften die Bauaufträge stark drosseln, wenn

der schlechten Lage unserer Bauwirtschaft schuld. Heute erhalten die Länder und Gemeinden nahezu die Hälfte ihrer Ausgaben

Prediger in der Wüste gewesen bin.

Situation der Arbeitsminister, ganz gleich, wer er sei, nicht all den Wünschen Rechnung tragen kann, die an ihn herangetragen

Finanz⸗ und Wirtschaftspolitik eines Landes losgelöst ist und für

vielfach in Illusionen gelebt, daß wir Schein für Wirklichkeit

Verhältnisse, die mit der Umgestaltung des zusammenhängen, und aus anderen Gründen große Mengen deutschen Kapitals ins Ausland geflossen. Der deutsche Wirtschaftszweig, die Landwirtschaft,

somit für die deutschen gewerblichen und andustriellen Erzeugnisse nicht ausreichend kaufkräftig. Schließlich haben wir in den letzten öffentlichen Wirtschaft über unsere Verhältnisse gelebt. Jetzt mehr als drei Milliarden kurzfristige Schulden teilweise tilgen

und zum anderen Teil in langfristige Schulden umwandeln. Durch diese Finanzpolitik ist naturgemäß das Vertrauen zur

erschüttert worden. Neben der Landwirtschaft nimmt das Baugewerbe eine der bedeutsamsten Schlüsselstellungen in der deutschen Volkswirtschaft Hauptauftraggeber des Baugewerbes ist in Deutschland schon seit Jahren die öffentliche Hand. Wenn in der öffentlichen Hand die Finanzen nicht in Ordnung sind, wenn infolgedessen die

ie, anstatt Geld für erststellige Hypotheken zum Wohnungsbau geben zu können, verstärkt direkt und indirekt zur Konsolidierung der vorhandenen kurzfristigen Schulden beitragen müssen, dann ist ganz naturgemäß, daß die Arbeitslosigkeit im Baugewerbe tark steigen muß. (Sehr richtig! im Zentrum.) Die an⸗ gedeuteten, zwischen öffentlicher Finanzwirtschaft und Bauwirt⸗ chaft bestehenden Zusammenhänge bedingen, daß gegenwärtig im Baugewerbe allein 500 000 bis 600 000 Arbeiter weniger be⸗ chäftigt sind als um die gleiche Zeit des Vorjahrs. (Hört, hört! m Zentrum.) Unsere Etatswirtschaft ist zum großen Teil an

vom Reich zugewiesen. Damit versorgen sich die Länder zunächst elbst, dann erst kommen die Gemeinden. Dazu kommt, daß der Wohnungsbau bei der heutigen Zinspolitik so gut wie unmöglich

Auftraggeber, wie Hand ist, ist unter den veränderten Vergleich zu früher der Beginn des April ohnehin schon sehr ungünstig. Wenn aber die Etats des Reichs, der Länder und Gemeinden auch noch sehr viel später als zum 1. April verabschiedet werden, dann wirkt das im Hinblick auf das, was ich bis jetzt gesagt habe, jeradezu katastrophal für die frühzeitige Ingangsetzung des Bau⸗ (Sehr richtig! im Zentrum.) Für unsere öffentliche Finanzpolitik und infolgedessen für einen großen Teil der aus hr resultierenden Wirtschaftspolitik in den letzten Jahren über⸗ aupt muß ich persönlich jedwede Verantwortung ablehnen, und war deswegen, weil ich seit fünf Jahren in diesen Fragen stets 1925, als die drakonischen Steuern, die 1923 zur Markstabilisierung eingeführt werden nußten, um 2 Milliarden Mark gesenkt wurden, habe ich ge⸗ ordert, daß daraus starke wirtschaftspolitische Folgerungen ge⸗ Das ist nicht geschehen. Der damalige

Für das Baugewerbe, dessen stärkster

Verhältnissen im

ine ganze Anzahl Strömungen aus dem Hause hier daran ge⸗ hindert worden. Der Steuersenkungsaktion von 1926 habe ich cich auf das nachdrücklichste widersetzt; ich stand zum Schluß Auch der Art und dem Ausmaß der ekannt ist, widersetzt. Seit dem Abbruch des passiven Wider⸗ ir jedenfalls keine Regierung mehr, die wirtschafts⸗ und finanz⸗ olitisch so viele Trümmerhaufen wegzuräumen hatte als die egenwärtige. (Sehr richtig! im Zentrum.) Daß in einer solchen

werden, ist eine Selbstverständlichkeit. (Zustimmung im Zentrum.) Kein Mensch, der politisch zu denken versteht, glaubt daran, daß man auf die Dauer eine Sozialpolitik machen kann, die von der

siich allein betrachtet wird. (Sehr richtig! im Zentrum.) Wirt⸗ chafts⸗, Finanz⸗, Steuer⸗ und Sozialpolitik müssen vielmehr im usammenhang gesehen werden. (Sehr gut! im Zentrum.) Auch as war in den letzten Jahren vielfach nicht der Fall. So stehen wir jetzt, nachdem der Neue Plan angenommen ist, or der furchtbaren Wirklichkeit, daß wir in den letzten Jahren

gehalten, daß wir infolgedessen in unserer ganzen Politik ein

roßes Maß von Vertrauen verwirtschaftet haben, das wir in nächster Zeit wieder erarbeiten müssen. (Sehr gut! im Zentrum.) In einer solchen Situation kann innerhalb einer Regierung, sie

Damit komme ich zu den akuten Fragen der Sozialpolitik, en konkreten Aufgaben des Arbeitsministeriums. Ich will mich heute in der Hauptsache an das halten, was in dieser Stunde zur rörterung steht. Mit am stärksten umkämpft ist gegenwärtig das Schlichtungs⸗ esen. In weiten Arbeitgeberkreisen sieht man in dem Schlichtungs⸗ wesen und der Sozialversicherung die Hauptursache unseres gegen⸗ wärtigen Elends. Diese Auffassung halte ich für falsch. England at nicht das ausgebaute deutsche Schlichtungswesen. England hat viel größere Bewegungs⸗ und Expansionsmöglichkeit in der Welt ls wir. England hat nicht so wie wir mit der langfristigen

Im ganzen muß man sich freilich darüber klar sein, daß der amtliche deutsche Schlichtungsapparat nicht ständig in dem Tempo und in dem Ausmaß arbeiten kann, wie das nach der Staats⸗ umwälzung und in den ersten Jahren nach der Inflation möglich und notwendig war. Schon am Schlusse der Amtszeit des Herrn Dr. Brauns und während der Tätigkeit meines Herrn Amts⸗ vorgängers Dr. Wissell ist die Zahl der für rechtsverbindlich er⸗ klärten Schiedssprüche stark zurückgegangen. Auch in nächster Zeit wird sparsam mit Verbindlichkeitserklärungen verfahren werden müssen, wenn es sich um Vorgänge von weittragender wirtschaftlicher Bedeutung und um prinzipielle Fragen handelt. (Sehr wahr! bei der Wirtschaftspartei.)

Der Schiedsspruch von Oeynhausen hat in Deutschland große Beachtung gefunden. Dazu die folgenden Bemerkungen: Der letzte Konflikt in der Eisenindustrie des Westens spielte sich im November/ Dezember 1928 ab. Er wurde nach großen Irrungen und Wirrungen vom Herrn Kollegen Severing dadurch beigelegt, daß Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorher sich verpflichtet hatten, sich einem Schiedsspruch des Herrn Kollegen Severing zu unter⸗ werfen. Dieser Schiedsspruch enthielt eine Akkordschutzklausel dahin, daß Kürzungen an den Akkordlöhnen nur bei organisatorischen und technischen Veränderungen zulässig seien. Dadurch war es in den letzten 11½ Jahren möglich, daß ein sehr großer Teil der Ar⸗ beiter im Alkkord bedeutend über die Tariflöhne hinaus verdiente. Nach der Kündigung des Manteltarifs wiesen die Unternehmer bei den Verhandlungen auf den bedeutenden Rückgang in der Erzeugung hin. Im Rheinland und Westfalen hatten wir eine Gesamteisengewinnung im Mai 1929 von 946 000 Tonnen die Hunderter lasse ich weg —, im Mai 1930 von 686 000 Tonnen. In Deutschland insgesamt hatten wir im Mai 1929 eine Gesamt⸗ eisengewinnung von 1 151 000 Tonnen, im Mai 1930 von 859 000 Tonnen. (Hört, hört! im Zentrum.) Arbeitstäglich pro⸗ duzierten wir im Jahre 1929 37 129 Tonnen, im Jahre 1930 27 791 Tonnen. Im Betrieb befindliche Hochöfen waren im Mai 1929 104, im Mai 1930 86 vorhanden. Dazu kommt, daß bei einem großen Teil der Tarife in der Eisenindustrie die Akkord⸗ schutzklausel nicht besteht, die für Rheinland und Westfalen vor⸗ handen war. In anderen Tarifen besteht die Akkordschutzklausel sehr abgeschwächt. In dem Tarif der Großstadt⸗Metallindustrie Bayerns lautet die Akkordschutzklausel:

„Stücklöhne, welche ausprobiert und festgelegt sind, sollen bei gleichbleibendem Geschäftsgang und bei gleichbleibender Arbeitsverrichtung nicht geändert werden.“

Die Unternehmer brachten daher vor, daß die Leistungskapazität der einzelnen Betriebe infolge der wirtschaftlichen Krise immer weniger ausgenutzt werden könnte; je mehr die Bestellungen zurückgingen, desto größer sei der Leerlauf und desto geringer sei die Rentabilität. Und diese Produktionsvorgänge berücksichtige offenbar die Akkordschutzklausel nicht genügend. Gerade solche Vorgänge seien aber für die Rentabilität oder vielmehr für die Unrentabilität der Hüttenwerke viel wesentlicher als technische oder organisatorische Verbesserungen, bei denen auch nach der Akkordschutzklausel Veränderungen in den Akkordlöhnen zulässig seien. Dazu kommt, daß in allen eisenschaffenden Ländern Europas mit Ausnahme von England, so in Belgien, Luxem⸗ burg, Frankreich, Tschechoslowakei, Polen, sehr viel niedrigere Löhne gezahlt werden als in Deutschland. England ist insofern Deutschland voraus, als es sehr viel Eisen und Stahl für seine Kriegs⸗ und Handelsflotte benötigt und als es weiterhin Jahr für Jahr große Eisenbahnbauten mit englischem Material in Indien durchführt.

In Berücksichtigung dieser Gesamtlage stand ich bezüglich der Eisenindustrie von Nordwest vor folgenden zwei Möglichkeiten. Erstens: man läßt die Sache laufen, man schafft einen tariflosen Zustand. Das hätte in vielen Werken zu 20 vH., 25 und mehr vH Lohnabzug geführt, wie es auch in den übrigen Bezirken der Fall ist. Heute redet man so heftig von der Notwendigkeit von Lohnkürzungen. Aber schon seit drei Vierteljahren sind in Deutschland die Akkordlohnkürzungen auf der ganzen Linie in einem sehr starken Maße durchgeführt. Davon spricht man aber in der Oeffentlichkeit gar nicht. Auch in der Metallindustrie sind in einer ganzen Reihe von Bezirken und Werken in den letzten drei Vierteljahren Akkordlohnabzüge von 20, 25 und mehr vH erfolgt. Diese Dinge wären für Nordwest ganz bestimmt eben⸗ falls eingetreten, und dadurch hätten wir in Deutschland auch in Nordwest vor einem größeren Arbeitskampf gestanden, den wir im Hinblick auf unsere Gesamtlage in der gegenwärtigen Stunde nicht ertragen können, und der weiterhin bestimmt für die Ar⸗ beiter nicht erfolgreich verlaufen wäre. (Sehr richtig! im Zentrum.) Das Schlußergebnis wäre gewesen, daß ein großer Teil der Hüttenarbeiter entlassen, und das Heer der Arbeitslosen vermehrt

eine

derung starke Gründe vorbringen. Behandelt

regierung in einer so schwierigen Situation

Bezug auf den Schiedsspruch: „Ohne Zweifel wäre

worden wäre. (Zustimmung in der Mitte und rechts.) Dazu kommt noch ein zweites. Die Unternehmer konnten für ihre For⸗ Reichs⸗

starke Gründe, ganz gleich, von welcher Seite sie vorgebracht werden, als Luft, nimmt sie in einer Stunde, in der die Mutlosigkeit und der Pessimismus der deutschen Wirtschaft größer sind, als sie je seit dem Jahre 1923 anzutreffen waren, auf diese Beobachtungen keine Rücksicht, dann schafft man gewaltsam und mutwillig neue Arbeitslosigkeit. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.) Der „Deutsche Volkswirt“ von Stolper schrieb denn auch unter

ein Teil der Unternehmer recht froh, wenn sie durch Stillegung der Betriebe die Möglichkeit

der Hochöfen nicht ausgenutzt ist selbst wenn heute noch 30 Fr zent der Hochöfen stillgelegt würden, würde deswegen kein einzig Kilo Eisen in Deutschland weniger erzeugt, da ja die Kapazität en sach auf andere Hochöfen übertragen werden kann; wir stehe gegenwärtig vor der Situation, daß die Hochofenkapazität wed in Deutschland noch in Europa voll ausgenutzt wird, sondern da die Ausnutzung höchstens 60 Prozent beträgt; wir könnten; Europa nahezu das Doppelte mit den vorhandenen Hochöfen Eisen und Stahl herstellen, als es gegenwärtig der Fall ist

also die Arbeiter haben sich im Hinblick darauf, daß sie im Akton in großer Zahl weit über dem Tariflohn verdienten, und daß aus die jetzige Regelung vorsieht, daß die Lohngrenze beim Akton mindestens 15 Prozent über dem Tariflohn liegen muß, mit e Politik, die ich gegenüber der Eisenindustrie von Nordwest trieben habe, und die nach meiner Ueberzeugung sachlich durchan richtig war, einverstanden erklärt. Die Akkordschutzklausel ließ s in der bisherigen Fassung bei der gegenwärtigen Lage nicht an rechterhalten. Und ohne diese Klausel wäre in vielen Betriebe bestimmt eine Lohnkürzung um mehr als 20. Prozent, und zwe ein Abzug von den Spitzenakkordlöhnen erfolgt. Die Arbeitged wollten ursprünglich einen durchschnittlichen Abzug von 10 Proze den ich dann auf 7 ¼ Prozent zurückgedrängt habe. Was F zustande gekommen ist, ist nicht etwa nach dem Willen der intn sigenten Arbeitgeber des Ruhrgebiets geschehen. Nein, diese intre sigenten Arbeitgeber wollten ein zweites Mansfeld; sie wollte keinen Schiedsspruch; sie wollten ebenfalls einen Kampf und sagte „Jetzt wollen wir einmal die freien Kräfte spielen lassen!“

genau wie bei den Auseinandersetzungen zwischen Unternehme und Gewerkschaften, wo man eine Basis zur Gesundung der Wir schaft suchte. Dabei hatte auch ursprünglich der intransigente 1 der Arbeitgeber erklärt, daß sie in der gegenwärtigen Stunde,

sie die Starken seien, keine Veranlassung hätten, sich mit den G werkschaften zusammenzusetzen. Auch der intransigente vel Arbeitgeber in Nordwest stand auf demselben Standpunkt. 2

dann die Intransigenz zurückgedrängt worden ist, daran istd chuldig. (Bravo! im Zentrum.)

Arbeitsminister nicht ganz uns Der Herr Kollege Severing hat vor 1 ½ Jahren den bed Seiten geraten, sie möchten bei Ablauf des Vertrages eini Monate vorher miteinander Fühlung nehmen. Mit mir hat Deutsche Metallarbeiterverband, der den Tarif kündigte, ri Fühlung genommen. Die sozialdemokratische Presse hat in letzten Woche mehrfach gefragt, wie ich als ehemaliger 8- schaftssekretär einen solchen Schiedsspruch habe für verbi iche klären können. Die Gründe habe ich Ihnen im einzelnen a einandergesetzt. Im ganzen sage ich aber dazu das gleiche, w vor einigen Wochen meine englische Frau Kollegin gesege. In der Pariser Sitzung des Verwaltungsrats des tier. Arbeitsamts hielt der Führer der französischen e 8 englischen Frau Arbeitsminister entgegen, sie hätte in 92 jener Frage früher einen andern beeeee in der Sitzung. Darauf gab ihm Frau Bonfield zur 88 früher habe sie an den Sitzungen als Vertreterin 89 verbandes teilgenommen, heute aber nehme sie an 8 Repräsentantin der englischen Nation teil. Sehr gut! im gh und rechts.) Als Repräsentantin der Eaee 1 sie weitergreifende Gesichtspunkte zu berücksichtigen a 8 treterin eines Berufsverbandes. (Lebhafte Zustimmung Mitte und rechts.) Aus dem Gesichtswinkel eines Berufsverbandes d man für ein Land mit sehr schwierigen wirtschaftlichen nissen nicht Politik machen. (Erneute Zustimmung.) 1— In den letzten Wochen ist vielfach gesagt 8n der Eisenpreise sei nicht ausreichend. (Sehr rich lüer 8c Sozialdemokraten.) Die Eisenindustriellen von Nor asge mir versprochen, die Eisenpreise um einen s senken, als die Senkung der Akkordlöhne 68 leng Versprechen haben sie gehalten. (Zurufe 1 vuise im Hinblick auf die ganze Weltlage und auf 8 aase Eisenmarkt die Preissenkung ausreichend ist, das ste vla andern Blatt. (Zustimmung links.) 3 Gegenwärtig Werthn mein Betreiben einige Sachverständige des in Dr ministeriums im Ruhrgebiet, um die Preisgestaltung cfer Her Stelle zu überprüfen, und sobald ich den eris E-g in Händen habe, werde ich der Oeffentlichkeit Mi 88 - (Zuruf von den Kommunisten: Die Lohnsenkung vi den Eie Wenn Sie selbst Eisenhüttenarbeiter 7 viong Vart schnell nicht urteilen. Ich habe mir auch stun 8 vlttt hin halten lassen, wie man am schnellsten in die Prei 8 vie den sehen könne. Dabei stellte sich eben heraus, 85 28 vawe Preispolitik sehr schwierig hineinzusehen ist, un 898 für weil einmal sehr langfristige Verträge mit 865 Lert Ver Eisenbezug bestehen, und weil auch sonst sehr nsse s henbe g nisse vorliegen. Da müssen tatsächlich schon sehr . 2* handlungen stattfinden, damit man richtige 99 8- Keichs Oberflächliche Zahlen hätte ich auch schon heu mitteilen können. watungswe Abschließend möchte ich zu dem Kapitel Schnin wenn sagen: Wenn wir das Schlichtungswesen u 8 ”g9 ihtm die Tarifverträge halten wollen, dann müssen . d gemi in großen wirtschaftlichen Depressionsperioden un Elastizität gehandhabt werden. (Sehr richtig! Wenn ich von Australien absehe, gibt es kein z 8 Welt mit einem ebenso staatlich derartig ausgebauts 8 wesen wie Deutschland, es gibt kein zweites fil ge dem ein so großer Bruchteil der Löhne und Gehä

Kapitalverknappung zu kämpfen. Und trotzdem ist die englische

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gewännen, die Lager zu räumen. Aber für die Gesamtwirt⸗

zhaltsausse ist wie in Deutschland. Ich sagte schon im Haush 8

gesteigert werden.

aus der deutschen Wirtschaftsmisere. Augenblicklich ist die „Lohn⸗ senkung“ allenthalben Schlagwort geworden. Dabei kommt man zu Vergleichen, die unhaltbar, die falsch sind. Zunächst sollte als selbstverständlich angesehen werden, daß zwischen 1914 und 1930 der Weltkrieg und die Staatsumwälzung liegt. Für die deutsche Arbeiterschaft ist daher nicht nur politisch, sondern auch wirtschaft⸗ lich und sozial das Jahr 1914 ein falscher Vergleichs⸗ und Aus⸗ gangspunkt. Auch Vergleiche zwischen Beamtengehältern und Arbeiterlöhnen mit dem Index von 1914 und 1930 führen in die Irre. Vor 1914 hatten wir kaum den zehnten Teil der heutigen Arbeitslosigkeit und der Kurzarbeit. Kürzlich kamen einige Berliner Maurer zu mir und sagten mir, daß die Berliner Akkordmaurerkolonnen bei gleicher Arbeitszeit heute 25 bis 30 v Steine mehr vermauern als 1914. Weiterhin sagten mir die gleichen Herrren: Gebt uns wie vor 1914 regelmäßig wieder neun Monate Arbeitsgelegenheit im Jahre mit Ausnahme der Regentage, dann wollen wir über unsere Löhne gern mit uns reden lassen! (Lebhafte Zustimmung im Zentrum.) Bei der heutigen wirtschaftlichen Gesamtsituation sind die Stundenlöhne der Arbeiter und die Jahresgehälter der Beamten nicht mitein⸗ onder vergleichbar. Ich bin mir darüber klar, daß unser heutiges Preisniveau ungesund und nicht haltbar ist. (Sehr richtig! im Zentrum.) Ich rechne auch damit, daß die jetzige sinkende Welt⸗ preistendenz keine vorübergehende Sache, sondern eine Dauer⸗ erscheinung ist. Ich lasse mich auch nicht von der steigenden Ausfuhr blenden. Ich bin vielmehr der Ueberzeugung, daß bei unserer heutigen Kartell⸗ und Konventionspolitik ein großer Teil der Ausfuhr zu Lasten unserer Inlandspreise geht (sehr richtig! im Zentrum), ein Zustand, der ungesund ist und keine Dauer⸗ erscheinung werden darf.

Wir kommen um eine baldige Preissenkung nicht herum. und darüber besteht auch weitgehende Meinungsübereinstimmung. Aber an dieser Stelle beginnt der Streit darüber, wer den Anfang machen soll. (Lebhafte Zustimmung und Heiterkeit.) Ich möchte allgemein sagen: Die Preissenkung muß vorausgehen. (Zuruf von den Kommunisten: Nicht die Lohnsenkung?) Nein, ich sage ausdrücklicht Die Preissenkung muß vorausgehen. Die Preis⸗ sentung ist auch in Nordwest vorausgegangen, einen Monat vorher. Die Preissenkung ist am 1. Juni in Kraft gesetzt worden, und die Lohnkürzung tritt am 1. Juli ein. Lohn⸗ sentungen allein führen meines Erachtens bestimmt nicht zum hs Sie sind volkswirtschaftlich falsch und auch nicht durch⸗ szuhrbar.

Ich habe schon mehrfach folgendes Zahlenbild im Haushalts⸗ ausschuß und auch an anderer Stelle gebraucht. Die Landwirt⸗ schaft produziert jährlich Werte von 12 bis 13 Milliarden Reichs⸗ mark, wovon sie 8 bis 9 Milliarden Reichsmark verkauft. Diese Werte können noch um einige Milliarden Reichsmark gesteigert werden (sehr vichtig; im Zentrum), um damit noch 1 bis 1 ¼ Mil⸗ lionen Menschen in Stadt und Land beschäftigen zu können. Insgesamt leben von der landwirtschaftlichen Tätigkeit im ingeren Sinne gut 15 Millionen Menschen in Deutschland. Dieser sreis von Menschen kann also noch vergrößert werden. Wir führen sodann jährlich für 13 bis 14 Milliarden Reichsmark aus, und davon leben etwa 8 bis 10 Millionen Menschen in Deutsch⸗ land. Auch diese Ausfuhr muß noch um einige Milliarden Mark Auch davon können noch einige Millionen Renschen mehr leben. Löhne und Gehälter werden in Deutsch⸗ land an 46 Milliarden Reichsmark bezahlt. Davon entfallen auf den Innenmarkt denn die Löhne und Gehälter, die bereits für lie Ausfuhr bezahlt werden, müssen abgerechnet werden —, auf Reich, Länder, Gemeinden, öffentliche Betriebe, Industrie, Handel, bewerbe und Verkehr mindestens 40 Milliarden Reichsmark, und von diesen 40 Milliarden Reichsmark leben ungefähr 40 Millionen Nenschen. Wenn man daher in Deutschland bei dieser Be⸗ bülkerungsstruktur die Löhne ohne die Preise senkt, dann ver⸗ shärft man die Krise. (Sehr richtig! im Zentrum und bei den Lozialdemokraten) Wenn man die Preise nur ebensoviel sekt wie die Löhne, dann erleichtert man zwar die Aus⸗ führ, schafft aber im Innern so gut wie gar keine ver⸗ särtee Kaufkraft (sehr richtig; im Zentrum und links), ein Zustand, durch den keine ausreichende Neubelebung der Wirt⸗ erfolgen kann. (Sehr wahr! bei den Deutschen Demokraten.) e. deutschen Wirtschafts⸗ und Bevölkerungsstruktur ist ein starker Antrieb der Wirtschaft nur möglich, wenn die Preise mehr n werden als die Löhne. (Sehr richtig! im Zentrum und bei en Sozialdemokraten.) Nur dadurch wird zusätzliche Kaufkraft he. Wenn aber die Preise gesenkt werden, dann können 8 ie Löhne der Preisentwicklung angepaßt werden. Das be⸗ eutet keine Senkung des Reallohns. (Sehr richtig! rechts, in S und bei den Sozialdemokraten.) Einer Senkung der .1 auf breiter Front müßte ich mich nachdrücklichst wider⸗ 8 weil damit bei der deutschen Bevölkerungsstruktur für die 6 sche Wirtschaft nichts gewonnen wäre. (Zustimmung.)

8.* dem Millimeter freilich bann man in der komplizierten b Volkswirtschaft nicht abmessen, ob jede einzelne Berufs⸗ 88n bei Preissenkungen über oder unter dem heutigen Real⸗ 8 2 liegt. Der Preis wird zudem nicht allein und in der Regel ee überwiegend vom Lohn bestimmt. Die Lohnquote 1l . ist heute in den meisten Fällen in Deutschland geringer 0ꝙ ; * bin gewöhnt, die Dinge, die an mich herangebracht werden, 88 oberflächlich zu prüfen. Mir paßt es beispielshalber ganz g 85 nicht, daß die öffentliche Hand in Deutschland der größte 5 Puftraggeber ist und dabei der Baukostenindex immer 20 bis nkte höher ist als der übrige Index. (Hört, hört!) Nun

150 Mark aus, und dann kostet die Wohnung anstatt 7500 Reichs mark 7350 Reichsmark. Wenn ich 2 T,as b-e diese Dinge außer Betracht lasse, so muß ich gegenwärtig bei unserer Hypothekenunordnung (sehr wahr! im Zentrum) 10 vH 18 hen Maas. hnung spare, so bringt das bei 10 vH Zinsen Wohnu Kge⸗ 1,25 Mark monatliche Ersparnis an der 8 üeene xv- benn man dagegen den deutschen Zinsendienst

Ordnung bringt, wenn man die Kapitalertragsteuer für fest⸗ verzinsliche Papiere beseitigt und auf den Pfandbrieftyp von 7 vo hinsteuert der deutsche Zinsendienst ist heute als ein großes Chaos anzusehen, denn bei einem Reichsbankdiskont von 4 vH kosten langfristige Anlagen immer noch 9 bis 10 vH Zinsen —, wenn man dahin steuert, daß auch die langfristigen Kapitalanlagen alles in allem um 2 vH gesenkt werden, dann bedeutet das für eine Wohnung von 7500 Mark eine jährliche Ersparnis von 150 Mark oder eine Mietserleichterung von 12,50 Mark im Monat. (Hört, hört! im Zentrum und links.) Daß man bei solcher Sachlage die Bauarbeiterverbände nicht dahin bringen kann, bei Preissenkungen in der Bauwirtschaft mit Lohnsenkungen den Anfang zu machen, liegt doch auf der Hand. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum und bei den Sozial⸗ demokraten.)

1 Ich halte, wie gesagt, die sinkende Weltmarktpreistendenz nicht für eine vorübergehende, sondern für eine Dauererscheinung. Wenn dem aber so ist, dann müssen auch wir in Deutschland zu einer Senkung der Preise kommen, und dazu gibt es viele Mittel. Da nenne ich in erster Linie die Lockerung der Kartellwirtschaft. (Sehr gut! im Zentrum und bei den Sozialdemokraten.) Ich habe mich schon seit Wochen mit diesen Fragen beschäftigt. Ledig⸗ lich deswegen, weil der Herr Kollege Dietrich vier Wochen krank war, sind wir in den Dingen nicht weitergekommen. Herr Kollege Dietrich beurteilt diese Dinge ebenso wie ich. Ich sage also: erstens Lockerung der Kartellwirtschaft, zweitens Ordnung im deutschen Zinsendienst, drittens Verringerung der Preisspanne zwischen Erzeugung und Verbrauch, insbesondere bei den Agrar⸗ produkten (lebhafte Zustimmung), viertens Vereinfachung und Verbilligung der Lebensführung in allen Schichten des deutschen Volkes. (Lebhafte Zustimmung.) Wenn in allen diesen Dingen gleichzeitig vorgegangen wird, dann garantiere ich, daß ich auch das Gros der deutschen Arbeiterschaft dahinbringe, daß sich ihre Löhne der deutschen Preisentwicklung anpassen. Aber daß man bei diesem Chaos alles auf die Karte Lohnpolitik setzen kann, ist bei unserer Bevölkerungsstruktur eine Unmöglichkeit. (Lebhafte Zustimmung im Zentrum und bei den Sozialdemokraten. Zu⸗ ruf von den Kommunisten: Die Deutschnationalen sind sehr zu⸗ frieden damit!) Das ist mir gegenwärtig und Sie werden noch ernstere Worte von mir hören völlig Wurst, wo ich in diesem Hause in ernster Stunde Beifall ernte. (Heiterkeit und Zustimmung.) Unsere Lage ist gegenwärtig viel zu ernst; wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir haben seit 1923 keine so ernste Situation mehr gehabt wie gegenwärtig. (Sehr wahr!) 1923 hat das deutsche Volk die Situation gesehen, weil es die Papiermarkfetzen in der Hand gehabt hat. Heute ist unsere Lage nicht so klar erkennbar, weil unser Volk nicht wie 1923 für Papierfetzen arbeiten muß. (Lebhafte Zustimmung.)

Neben dem Schlichtungswesen und neben der Lohnpolitik ist gegenwärtig in allen Ländern mit schwierigen Wirtschafts⸗ verhältnissen am meisten die Arbeitslosenversicherung umkämpft. Ueber die Arbeitslosenversicherung habe ich mich in den letzten Wochen schon mehrfach öffentlich geäußert. Die Arbeitslosen⸗ versicherung ist 1927 so aufgebaut worden, daß mit den Bei⸗ trägen 700 000 Versicherte unterstützt werden konnten. Im vorigen Jahre rechnete man im Sachverständigenausschuß mit 1,1 Millionen Arbeitslosen für den Durchschnitt einer Konjunktur⸗ periode, während 1929 im Jahresdurchschnitt 1 275 000 Haupt⸗ unterstützungsempfänger vorhanden waren. Bei ihren Vor⸗ schlägen an den Reichstag geht die Reichsregierung für das Jahr 1930 aus von 1,6 Millionen Hauptunterstützungsempfängern und 400 000 Krisenfürsorgeberechtigten. Unter diese Ziffern darf nach Auffassung der Reichsregierung keinesfalls heruntergegangen werden, wenn wir nicht im Herbst eine große Enttäuschung er⸗ leben wollen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten und im Zentrum. Zuruf von den Deutschnationalen.) Praktisch und in Wirklichkeit wird mit höheren Ziffern gerechnet werden müssen. Dieser Annahme sucht die Reichsregierung zu begegnen durch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, mit dem sie hofft, 200 000 bis 300 000 Menschen beschäftigen zu können, und auf das ich zum Schluß meiner Darlegungen noch kurz ein⸗ gehen werde.

Was die Frage der Arbeitslosenversicherung anlangt, so stand ich bei Uebernahme des Reichsarbeitsministeriums vor der Ver⸗ einbarung der Parteien, daß der Vorstand der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung der Reichsregierung Reformvorschläge zu unterbreiten habe. Von diesen Vorschlägen geht der Gesetz⸗ entwurf, der dem hohen Hause vorliegt, im wesentlichen aus. Bei der gegenwärtigen Gesamtlage konnte ich diese Vorschläge um so weniger auf die Seite schieben, als bei ihrer Ausarbeitung wiederum nicht etwa die radikale Richtung im Arbeitgeberlager durchgedrungen ist. In den Tagen nach der Abstimmung hat auch der „Vorwärts“ anerkannt, daß die radikale Richtung im Arbeitgeberlager bei dieser Abstimmung zurückgedängt worden ist. Im Mittelpunkt des Problems der Arbeitslosenversicherung standen und stehen im letzten Jahre die These „Sanierung der Arbeitslosenversicherung ohne Leistungsabbau!“ und die Anti⸗

zu vermeiden suche, weil eine Reichstagsauflösung zur Folge hätte, daß im Herbst und Winter, auf wenige Monate zusammen⸗ gedrängt, Reichsetat und Arbeitslosenversicherung nicht mehr in Ordnung gebracht werden könnten, weil, wenn wir bis zum Herbst warten, wir sehenden Auges wieder in dieselbe Lage und Pumpwirtschaft hineinsteuerten, aus der wir uns nach großen Mühen und Anstrengungen vom Dezember 1929 bis April 1930 langsam herausgearbeitet haben.

Wenn aber die Arbeitslosenversicherung weder mit dem Artikel 48 noch mit einer Reichstagsauflösung in Ordnung ge⸗ bracht werden soll, sie vielmehr mit diesem Reichstag saniert werden muß, mit diesem Reichstag, der sich seit einem Jahr über die These und Antithese in der Arbeitslosenversicherung nicht einigen konnte, dann scheint mir in der Tat zweierlei fest⸗ zustehen. Erstens, daß ein sehr viel anderer Weg, als ihn die Reichsregierung vorschlägt, nicht gegangen werden kann (sehr richtig,k im Zentrum); zweitens, daß die Neuaufrollung des Streites in seiner ganzen Breite und Tiefe uns in der gegen⸗ wärtigen Stunde um keinen Schritt weiterbringt. (Sehr wahr! im Zentrum.) Zur Sanierung der Arbeitslosenversicherung oder zur Beschaffung der allerdringlichsten Mittel für die Krisen⸗ fürsorgeberechtigten sind mindestens 700 Millionen Mark notwendig. Wenn man den Wünschen der Gewerkschaften auf Einbeziehung aller aus der Krisenfürsorge Ausgesteuerten und den Wünschen der Gemeinden hinsichtlich der Mittelbeschaffung für die Wohl⸗ fahrtsarbeitslosen Rechnung tragen wollte, dann wäre insgesamt 1 Milliarde Mark notwendig. (Hört, hört! in der Mitte.) Diese gewährt mir aber gegenwärtig kein Finanzminister, weder der vorherige noch der jetzige, weil er erklärt, daß der Reichstag ihm erst das genehmigen müsse, was für die Stunde absolut not⸗ wendig ist; dann erst könne er über Zukunftsdinge diskutieren. Im übrigen zeige mir jemand eine Reichstagsmehrheit, die mir diese 700 Millionen Mark genehmigt ohne irgendwelche Reform der Arbeitslosenversicherung. Wenn mir jemand diese Mehrheit zeigt, dann besteht zwischen Ihnen (nach links) und mir gar keine so große Meinungsverschiedenheit. (Sehr gut! Heiterkeit.)

Im ganzen wäre es unpolitisch, die Arbeitslosenversicherung für sich allein sehen zu wollen. Das Arbeitslosenproblem ist in der nächsten Zeit vielmehr neben der rentablen Gestaltung der Landwirtschaft das Hauptproblem der deutschen Politik (sehr richtig! im Zentrum), der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik und der Steuevpolitik. Ich muß offen gestehen: ich habe in den letzten Wochen bei dem Kampf um das Notopfer das deutsche Volk nicht mehr verstanden. Wir müssen folgender Tatsache ganz käar ins Auge sehen: Steuererträgnisse, die Hunderte von Mil⸗ lionen bringen sollen, sind bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge in Deutschland aus Volk und Wirtschaft nicht mehr her⸗ auszupressen. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der Wirtschafts⸗ partei.) Das Jahr 1931 wird nicht mehr, sondern weniger Steuer bringen als das Jahr 1930, und zwar deswegen, weil die in dem Krisenjahr veranlagten Einkommensteuern im nächsten Jahr weniger Einnahmen bringen werden, und wenn das Sinken der Weltmarktpreise anhält, werden im nächsten Jahr auch die Massenverbrauchssteuern weniger bringen als in diesem Jahr. 8 Auch unsere gewaltige Arbeitslosigkeit kann nicht ganz plötz⸗ lich zurückgedrängt werden. Wenn das so einfach wäre, müßte ja die englische Labour Party⸗Regierung die unfähigste Regierung der Welt sein, die sie aber in der Tat nicht ist; denn daß die Engländer mit ihrer Kapitalkraft sich noch besser rühren können als wir, ist doch unbestritten. Wenn trotzdem in dem Jahre, in dem die englische Labour Party am Regieren ist, auch in England das Arbeitslosenproblem nicht hat gelöst werden können, dann muß man sich darüber klar sein, daß wir in Deutschland nicht von einem Tag zum anderen das Arbeitslosenproblem zurück⸗ drängen können.

In solcher Situation gibt es keine andere Rettung als Sparen auf der ganzen Linie. (Sehr richtig! im Zentrum und bei der Wirtschaftspartei. Zurufe von den Sozialdemokraten: Aber an der richtigen Stelle!) Es ist nicht ausgeschlossen, daß im Herbst noch mit viel drakonischeren Maßnahmen gearbeitet werden muß als gegenwärtig, und ich bin der festen Ueberzeugung, daß vielleicht die Stunde kommt, wo der ganze Reichstag am 31. März 1931 froh ist, wenn er mit dem, was ich heute dem Reichstag vor⸗ schlage, sich begnügen kann. So sehe ich die Situation, und ich bilde mir ein, in den letzten fünf Jahren die Gesamtsituation in Deutschland im großen von kleinen Schattierungen abgesehen nicht falsch beurteilt zu haben.

In den letzten Wochen habe ich dem deutschen Volke Deutsch⸗ lands Ausgabenwirtschaft in nackten Ziffern vorgeführt. Ich bin damit vielfach nicht verstanden worden. Ich garantiere: nach einem Jahre werde ich von jeder Regierung und von jeder Re⸗ gierungskoalition verstanden werden, ganz gleich, wer hier am Ruder ist. Wenn wir unsere Sozialversicherung nicht sparsam gestalten und ihre unsoziale Ausnutzung auch die kommt vor aufs stärkste beschneiden, so stehen wir so bestimmt, wie zwei⸗ mal zwei vier ist, in kurzer Zeit mit unserer Sozialversicherung vor derselben Katastrophe, von der wir in den letzten Monaten mit unserer Finanzpolitik gestanden haben. Davon bin ich felsen⸗ fest überzeugt, und ich mache eine andere Politik nicht mit.

Ich bin bereit, einige Schlacken in der Sozialversicherung zu beseitigen. Wie die Arbeitslosenversicherung jetzt geregelt werden soll, paßt mir in meiner persönlichen inneren Einstellung auch in manchem nicht; soweit die Krankenversicherungsreform in Frage kommt, glaube ich, daß ungefähr das Richtige getroffen wird. Aber darüber später bei dem Kapitel Sozialversicherung. Ich bin, wie

these „Keine Beitragserhöhung ohne gründliche Reform der 16

gesagt, bereit, die Schlacken an einzelnen Sozialversicherungs⸗