1931 / 55 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Fri, 06 Mar 1931 18:00:01 GMT) scan diff

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Reichs⸗ und Staatsanzetger Nr. 55 vom 6. März 1931.

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Dinge denn doch nicht, Herr Abgeordneter Schmid, wie Sie sie dargestellt haben. Es freut mich, daß Sie dem Herrn Reichs⸗ kanzler das Prädikat des Klaren und Aufrichtigen gegeben haben. Der Reichskanzler bestimmt nach der Verfassung die Richtlinien der Politik. Ich bin dem Herrn Schmid (Düsseldorf) dankbar für jeden Hinweis auf diese Richtlinien. Auch mir als dem Ver⸗ assungs⸗ und Beamtenminister liegt es ob, diese Richtlinien des Kanzlers loyal einzuhalten. Ich vin Ihnen, Herr Schmid, sehr dankbar, daß Sie die von mir geübte Loyalität besonders an⸗ erkannt haben. Sie sehen allerdings das Vorgehen gegen Thüringen oder einen thüringischen Minister mit anderen Augen an als Herr von Kardorff. Das Wort von der Zwangsehe in Thüringen stammt von Herrn von Kardorff. Das Wort stammt von Herrn von Kardorff, daß es ihm, unserem verehrten Bizepräsidenten, in der Seele wehtue, wenn er seine politischen Freunde in Thüringen in der Gesellschaft sähe. Es soll zwar auch bei anderen Parteien vorkommen, daß in gewissen Fragen verschiedene Meinungen vor⸗ handen sind. Aber so war der Hergang, betreffend Thüringen, gar nicht, wie er soeben geschildert worden ist. Richtig ist, daß wir, ent⸗

sprechend der von der heutigen Reichsregterung begonnenen Politik der Verständigung, unter schweren Angriffen von der Linken,

Polizeigeldersperre Minister Severing verfügt hatte.

aufgehoben haben, die der vormalige Ich bin ob dieses Vorgehens

Thüringen nach der politischen wie nach der finanziellen Seite hin geschildert. Er hat mir gegenüber die volle Gewähr übernommen ich betone und unterstreiche das aus einem besonderen Anlaß: die volle Gewähr —, daß er, der Herr Staatsminister Baum, hin⸗ sichtlich der thüringischen Polizei das entscheidende Wort mitzu⸗ sprechen habe. Nun, wenn der Minister eines Landes zu mir kommt und mir eine derartige Erklärung abgibt (Zurufe links) ich komme darauf gleich zu sprechen —, so habe ich als loyaler Reichsminister des Innern dem Wort meines Kollegen aus dem Lande Glauben zu schenken. Danach habe ich gehandelt, und ich werde in jedem ähnlichen Fall wieder so handeln. Ich habe aber heute keine Veranlassung, den ganzen hüringischen Streit noch einmal aufzurollen. Lesen Sie bitte den

Herr Baum hat im Namen des Thüringischen Staatsministeriums die Verhandlungen geführt in dem Vergleich ausdrücklich fest⸗

Die Parteien sind einig, daß hiermit eine grundsätzliche Ab⸗ lehnung der Einstellung von Sozialdemokraten ebenso unver⸗ einbar ist wie eine Weitergabe von Bewerberlisten an eine Parteiorganisation zwecks Feststellung der Parteizugehörigkeit. Die Gewähr für die Einhaltung dieser Verpflichtungen über⸗ nimmt das Thüringische Staatsministerium in seiner Ge⸗ samtheit. Das ist der Sinn des Vergleichs. Es ist ein loyaler Vergleich. Es liegt nun an der Gegenseite, diesen Vergleich loyal zu halten. Auf den Vergleich hin ist die Sperre selbstverständlich aufgehoben worden. Hätten wir die späteren Schwierigkeiten mit Thüringen, die dem Worte des Herrn Baum widersprachen, nicht gehabt, so äre es zu diesem Prozeß vor dem Leipziger Staatsgerichtshof icht gekommen. Ich stelle also fest, meine Herren von der Volkspartei, daß es bei Ihren politischen Freunden in Thüringen iegt, daß Ihnen mindestens eine Mitverantwortung gegeben ist, ob dieser Vergleich loyal durchgehalten wird. Aber so einfach liegen die Dinge in Thüringen trotzdem nicht. Vor mir liegt eine Zeitung, die „Deutsche Zeitung“, in der eine Rede des Herrn Dr. Frick wiedergegeben ist. Ich will darauf mit einigen Worten eingehen nicht, um einen neuen Streit u entfachen, nein, um irgendeiner umgehenden, man muß schon agen, die ökonomische Krise unseres Bolkes ganz bedenklich ver⸗ chärfenden politischen Krisenstimmung zu begegnen.

Das Gerede von einem Bürgerkrieg ich habe das im Hauptausschuß schon gesagt ist sinnlos. (Sehr wahr! in der Mitte und rechts.) Wo ist denn momentan in irgendeinem Gebiet unseres Landes, ich will einmal sagen, auch nur die Möglichkeit, zu einem Bürgerkrieg auszuholen? (Sehr gut! in der Mitte.) Ich habe ein viel zu großes Vertrauen zu den Ministern der Länder, als daß ich annehmen könnte, sie würden nicht rechtzeitig einen solchen Versuch im Keime ersticken. (Zuruf von den Kom⸗ munisten: Es ist ja Bürgerkrieg, was Sie treiben! Der Krieg gegen das Proletariat, Ihr Bürgerkrieg!) Na, erlauben Sie, die Faschingszeit liegt schon hinter uns. Ich sage: man soll mit diesem Wort nicht immer in unserem Lande umgehen. (Sehr wahr!) Wohin soll es denn führen, wenn zu den großen Schwierig⸗ keiten, in die uns die ökonomische Krise der Welt und auch die partielle Krise Europas bringen, immer noch mit dem Gedanken eines Bürgerkriegs gespielt wird. (Sehr wahr! im Zentrum und rechts.) n,Zeine Herren, wenn nun ein Minister eines Landes, nachdem seine Partei aus diesem Hause ausgezogen ist, nachdem sie wohl nach aller Auffassung die Flucht aus der Politik voll⸗ zogen hat (sehr wahr! im Zentrum), denn von diesem Hause wegzugehen, heißt einfach, die Flucht aus der Politik voll⸗ ziehen (Zuruf im Zentrum: Feigheit!) Ich will mich ganz mäßig ausdrücken: Flucht aus der Politik. Das kann jeder tun. Es kann jeder Privatmann werden, wenn er das politische Getriebe satt hat. Mancher hat sich schon aus diesem Hause ent⸗ fernt und hat sich verärgert aus der Politik zurückgezogen. Daß aber politische Parteien sich ins Privatleben zurückziehen, daß das also schon kollektiv geschieht, das ist allerdings für die Welt eine Neuigkeit, die nur in unserem Volke, in dem Volk der Dichter und Denker, vorkommt. (Sehr gut! im Zentrum.)

Nun gibt es tatsächlich bei uns Phantasten, die mit dem Ge⸗ danken spielen, man könnte in Weimar eine Art Parlament der nationalen Opposition berufen. (Lachen. Zuruf von den Kommunisten: Das Theater haben sie dazu!)

Herr Dr. Frick sagt, nach der „Deutschen Zeitung“, der Ge⸗ danke eines Parlaments der nationalen Opposition in Weimar werde in die Tat umgesetzt, wenn es die Führer der nationalen Opposition für richtig hielten. Meine Herren, ich habe nichts da⸗

gegen, wenn die Herren der nationalen Opposition sich in Weimar versammeln wollen oder an jedem Ort Deutschlands. Sie brauchen gar nicht so weit zu gehen. Sie können ja ebenso gut im Saal 12 zu⸗ sammentreten, ganz nach Belieben. (Heiterkeit. Zuruf von den Sozialdemokraten: Oder im „Rheingold“, wie damals!) Das Haus des Volkes steht allen offen, warum nicht auch den Herren der Opposition.

Aber, meine Herren, etwas anderes ist es, wenn ein Ver⸗ fassungsinnenminister eines Landes vor die Jugend hintritt und mit diesem, man muß schon sagen, nicht mißzuverstehenden Begriff eines Parlaments in Weimar spielt. Das wäre, meine Herren, eine revolutionäre Tat. (Sehr wahr! Zuruf von den Kommu⸗ nisten: Und was unternehmen Sie dagegen?) Und gegen diese revolutionäre Tat, auch wenn sie wirklich angekündigt würde, (erneuter Zuruf von den Kommunisten: Sie ist ja angekündigt!), würde und müßte das angesetzt werden, was als Reichsexekutive in der Reichsverfassung vorgesehen ist. (Zuruf von den Kommu⸗ nisten: Sie kleiner Schäker! Glocke des Präsidenten.) Ach, solche Zwischenrufe müssen Sie machen?! Warten Sie, bis ich nachher auf Ihr Hauptthema komme! Sie haben ja gestern Herrn Torgler vorgeschickt. Er hat mit so viel Stimmkraft polemisiert, daß es mit dem Schäker wohl nicht ganz so weit her sein muß, wie Sie es soeben gesagt haben. Sie bekommen aber vorläufig keine Antwort mehr, Sie können Zwischenrufe machen, soviel Sie wollen. Ihnen ist es nämlich nur zu tun um eine Revolutio⸗ nierung Deutschlands, um dann Ihre Macht aufrichten zu können. Uns aber ist es darum zu tun, die Ordnung in diesem Volk und in diesem Deutschland aufrechtzuerhalten. (Bravo! in der Mitte. Zuruf von den Kommunisten.) Ich sage also; wenn man mit einem solchen Gedanken spielt, so möge man ja vorsichtig sein, auch in Thüringen, um die Grenze des Zulässigen nicht zu über⸗ schreiten. Es wird vielleicht ganz gut sein, wenn zur Belehrung über diese Dinge Herr Staatssekretär Schmid (Düsseldorf) und unser verehrter Herr Vizepräsident von Kardorff bald eine Expedition zu ihren Freunden nach Weimar unternehmen, um sie über diese Dinge aufzuklären. (Heiterkeit.)

Im übrigen ist die Sache mit dem Nationaltheater in Weimar ganz interessant; denn Herr Dr. Frick sagte wörtlich: gegenüber der Drohung des Herrn Reichsinnenministers mit der Reichs⸗ exekution erkläre er, daß nicht Herr Wirth, sondern er Herr Frick über das Deutsche Nationaltheater zu bestimmen habe. (Heiterkeit und Zurufe.) Ja, das ist sehr schön gesagt. (Abgeord⸗ neter Torgler: Theaterdirektor Frick! Heiterkeit.) Aber auf der anderen Seite möchten die Herren aus Thüringen auch gern einen Beitrag für das Nationaltheater haben. Ich nehme an, daß zur Aufstellung einer solchen Farce in Weimar Reichsgelder wohl keine Verwendung finden dürfen. (Zurufe links.) Wenn man aus der Gruppierung der Regierungsparteien heraus starke Kritik an⸗ setzt, wenn auch mit einem gewissen Wohlwollen, wie es zum Bei⸗ spiel Herr Staatssekretär Schmidt getan hat, so muß ich doch daran erinnern, daß es eine Anzahl von Fragen gibt, die man sehr wohl auch im kleinen Kreise ordnen kann. Ich habe mich nie gesperrt, auch Dinge schwieriger Natur, wie die von Ihnen berührte Frage des passiven Luftschutzes, im kleinen Kreise zu er⸗ örtern. Diese Frage ist tatsächlich in Deutschland in weiten Kreisen diskutiert worden und wird diskutiert. Sie dürfen über⸗ zeugt sein, Herr Abgeordneter Schmid (Düsseldorf), daß nach dieser Seite hin, vor allem bei der Beunruhigung des ganzen deutschen Ostens, von uns dasjenige getan worden ist, was getan werden mußte. Es hat sich auch ein Verein gebildet, um diese Frage zu studieren. Wenn Sie die englischen und französischen Stimmen nachlesen, so finden Sie, daß alle Völker in einer gewissen inneren Unruhe über die Frage des passiven Luftschutzes in ihrem Gebiet sich befinden. Auch wir haben uns mit dieser Frage nicht erst seit gestern, sondern seit längerer Zeit beschäftigt, und Sie werden Gelegenheit haben, einmal im Ausschuß in diese Dinge Einblick zu bekommen. Mir ist es lieber, wenn statt von privaten Vereini⸗ gungen, die mitunter Unruhe in das Volk bringen, derart not⸗ wendige Dinge im Staate vom Staate selbst aus pfleglich be⸗ handelt werden. (Sehr richtig!) Das ist mir lieber, als wenn etwa Mittel in sinnloser Weise für eine solche Sache verpulvert werden. (Zustimmung.) Wir haben die Frage geprüft. Die Herren meines Amts und auch andere Aemter, die sich pflicht⸗ mäßig damit zu befassen haben, haben unter Berücksichtigung der Literatur anderer Länder diese Frage einer gebührenden Nach⸗ prüfung unterzogen. Die Ergebnisse können Ihnen alle zu ge⸗ gebener Stunde unterbreitet werden.

Ferner ist mir die Frage vorgelegt worden, wie es denn mit Braunschweig stehe. Ich habe von den Braunschweiger Vorkomm⸗ nissen genau wie Sie aus der Presse Kenntnis bekommen, und ich habe pflichtmäßig, wie es meinem Amt zusteht, an die braun⸗ schweigische Regierung einen Brief mit der Bitte um Aufklärung gerichtet. Auf die Antwort warten wir. Sie werden ja Gelegen⸗ heit haben, auch in diese Sache Einblick zu nehmen. (Zurufe und Unruhe links.) Meine Damen und Herren! Sie glauben, daß in solchen Dingen der Reichsinnenminister mit Kompetenzen aus⸗ gestattet sei, um ohne weiteres in die innere Verwaltung eines Landes einzugreifen. Das ist aber gar nicht möglich. Auf der† einen Seite sprechen Sie über Reichsreform wie der Herr Abgeord⸗ nete Schmid (Düsseldorf) und wollen uns vorwärtsdrängen auf einem Gebiet, auf dem man gewiß Großes schaffen könnte. Auf der anderen Seite ist man aber gerade in den Kreisen der Mittel⸗ parteien sehr ängstlich, wenn in Kompetenzen der Länder einge⸗ griffen wird. Wenn ich Dinge zu besprechen habe, die hernach in der Diskussion eine Rolle spielen werden, die von der kommunisti⸗ schen Seite aufgegriffen werden, so habe ich als Reichsminister des Innern die Möglichkeit, mich entweder brieflich oder mündlich mit dem Herrn preußischen Innenminister in Verbindung zu setzen. Der Herr Kollege Severing, den ich vor mir sehe, wird mir be⸗ stätigen, daß wir uns in allen kritischen Augenblicken der letzten Monate zusammengesetzt haben, um die Lage zu besprechen. (Zu⸗ ruf von den Kommunisten: Jawohl, ein Herz und eine Seele!) Warten Sie nur! Wir werden vielleicht Gelegenheit haben, bald über die Dinge zu sprechen, die ich mir erlaube, hernach noch hier vorzubringen. Es sind eine Reihe von Diegen da, über die wir uns allerdings sehr gründlich mit dem Herrn preußischen Minister des Innern auseinandersetzen. Darauf können Sie sich verlassen! Im übrigen verlasse ich mich aber auf das, was der Herr preußische Minister des Innern getan hat eias immer ꝛun

wird, wenn eine große Gefahr für unser Vaterland aufzusteigga droht. (Zurufe von den Kommunisten.)

Ich sage also: wenn man uns auf dem Wege der Reiche reform vorandrängen will, so darf ich auch im Namen des Hern Reichskanzlers sagen, daß über die Beratungen, die in dem a kannten Ausschuß im letzten Jahr gepflogen worden sind un deren Ergebnisse feststehen, in unserem Ministerium eifrig ge. arbeitet worden ist, um zu schauen, ob das schon Erreichte einer gesetzgeberischen Vorlage genügt. Herren, Sie sehen es doch alle selbst: wer von uns kann, ohmn Gefahr zu laufen, einen großen Kampf zu beginnen, in diesen hohen Hause mit seinen inneren schwierigen Gegensätzen, mit den Auszug und der Flucht der sogenannten nationalen Opposition glauben, jetzt in rascher Folge große gesetzgeberische Arbeiten vel⸗ ziehen zu können? (Zustimmung.) Ich denke an Reichsrefom Schulfragen, die soeben erwähnten anderen Fragen, Wahlrefom und ähnliches mehr.

In bezug auf die Wahlreform haben wir einen Schritt go macht, dessen Tendenz in der Richtung liegt, zunächst einmal R. Wahlkreise zu verkleinern, um aus dem sogenannten toten Meche. nismus des Wahlapparates herausschreiten zu können. Daß dam die Gruppen in diesem Hause nachrechnen, wie sie dabei fahre ja, meine Damen und Herren, das nehme ich Ihnen als Lei⸗ tragende nicht übel. (Heiterkeit.) Aber wenn jede Gruppe dien Hauses nachrechnen will, wie sie bei einer solchen Wahlrefom

fahren wird, dann wird niemals in diesem Hause eine Wazht

reform zustande kommen. (Sehr richtig!) Und denken Sie gat an das englische Wahlrecht! Ich habe mich darüber wiederhelt auch schriftlich geäußert, auch in Berichten der interparlamen tarischen Union darüber ausgelassen. Das englische Wahlve fahren sichert gewiß die Möglichkeit der Aufrichtung einer zien

bewußten, auf längere Sicht gestellten Regierung. (Zurufe.) Abape

Sie wissen auch: die Dinge liegen in England nicht mehr so ein⸗ fach, wie sie vor einem Jahrzehnt gelegen haben, und die Kriß des englischen Parlamentarismus, die ein Teil der europäische Krisenerscheinung als Ganzes ist, ist auch dort auf die Parteie übergesprungen. (Zustimmung.) Keine der englischen Parteien be finden sich zur Zeit in einer angenehmen Lage, auch die Labonu Party nicht, die, von den Liberalen toleriert, außergewöhnlit große schwierige Augenblicke überwunden hat durch die Toleran der englischen liberalen Partei, und auch der englische Liberalit mus selbst ebenso wie die englischen Konservativen, die ich mi nennen darf, sind in einer schweren inneren kritischen Entwic lung. Es ist also ganz begreiflich, wenn man in England auf die Frage der Wahlreform diskutiert.

Aber das Wahlrecht und seine mechanische proportionele Ausgestaltung ist nicht das Entscheidende im Staatsleben. (Sehr richtig! in der Mitte und links.) Man muß fragen: kann auf demokratischer Grundlage überhaupt eine Willensbildung i einem Saate und in einem Volke erzielt werden? (Sehr wahr links.) Vor dieser Frage standen wir letztes Jahr. Ach, es wän so interessant, jetzt einmal auf die Rede einzugehen, Herr von Kardorff, die ich im letzten Sommer hier gehalten habe. Darik sprach ich zur Krise des Parlaments und zur Krise der Parteien⸗

und ich beschwor einen Teil dieses hohen Hauses geradezu, nichet

dem Radikalismus die Tore zu öffnen und doch Dinge hinzu⸗ nehmen, die aus Staatsnotwendigkeit gemacht werden müßten. Meine Worte verhallten. In der Zwischenzeit kamen die Wahlen⸗ und die kritischen Aufgaben des letzten Sommers haben sich noch viel schärfer herausgestellt, als wir sie damals dargestellt haben. (Zustimmung in der Mitte und rechts.) Es gehört ich muifß das offen sagen ein hohes Maß von positiver Einstellung allen Parteien dazu, um gus einer Krise des Parlaments, aus den 158 Abgeordnete ausgezogen sind, nicht eine Staatskrise herauf⸗ dämmern zu lassen. (Zurufe von den Sozialdemokraten.)

Das ist ja schließlich auch das politische Ziel der Herren von der äußersten Rechten und auch der Deutschnationalen, die aus⸗ gezogen sind, das sie entweder nicht merken oder, wenn sie d. merken, es bewußt erstreben, daß man eine Art Staatskrise her⸗ aufbeschwören will, um dann in einem allgemeinen Wirrwan die Macht übernehmen zu können. So einfach liegt es ja aber gar nicht! Wir wissen doch, daß ein politisches System nicht von heute auf morgen, wenn es nicht innerlich schwach, wenn es nicht willensuntüchtig geworden ist, ausgewischt werden kann. (Seht richtig! im Zentrum.)

Wir halten die Vergeudung politischer Kräfte gerade von seiten der konservativen Elemente unseres Staates nicht nur füt

ein Vergehen, sondern für eine sinnlose Vergeudung von Volls⸗

kraft. (Lebhafte Zustimmung in der Mitte und rechts.) Aber d liegt ja nicht in unserer Hand, das zu ändern. Wir wünschen &. ich habe es in zahlreichen Versammlungen immer wieder ge⸗ sagt, und die nachfolgenden Redner werden darauf bei anderen Dingen auch eingehen, bei den Fragen der Schule, bei den Fragen der radikalen Bewegungen in unserem Volke —, wir wünsche daß eine konservative Schicht unseres Volkes stärker in die politisch Aktivität und Verantwortung eintreten möchte, als es bisher der Fall gewesen ist. Aber die wir gerufen haben, sind nicht nue zum Teil nicht gekommen, sondern sie sind ausgezogen, sie haben sich aus der Verantwortung herausgedrückt. (Sehr richtig! in de Mitte und rechts. Zuruf von den Kommunisten: Haben Sit Adolf Hitler gerufen, Herr Minister?) Ich habe Ihnen gesaßt daß Sie vorläufig keine Antwort bekommen. Sie kommen zumn Wort, wenn die Versammlung hier geschlossen ist!

In diesem Zusammenhange möchte ich auf Dinge eingehen die hier berührt worden sind, die uns allen am Herzen liegen Es ist die Frage des Rundfunks berührt worden, es ist die Frag, berührt worden, inwiefern es zeitgemäß sei beziehungsweise nic zeitgemäß sei den Rundfunk zu politisieren. Auch in bezug aln den Rundfunk, genau so wie in bezug auf die Filmzensur sin mir außergewöhnliche Schwierigkeiten erwachsen. Wenn de Reichsinnenminister diese Dinge selbst in der Hand hätte, wemn er aus eigenem Ermessen und aus seiner politischen und kultu rellen Einstellung entscheiden könnte, wäre meine Lage besfe als wenn ich die Dinge handhaben muß, wie sie nach den ge gebenen Bestimmungen zu handhaben sind. (Sehr richtig! in Zentrum.) Ich gebe zu, daß man bezüglich der Ueberwachungs ausschüsse Ergänzungen treffen könnte, daß wir über diese Frag. ich wiederhole es in Verhandlungen eintreten könntel Aber, meine Herren, am Rundfunk werden heute, und zwe 2

Aber, meine Damen ungl⸗

z seit meiner Amtsführung, sondern lange vorher, auch unter nservativen Ministern, politischen Weltanschauungsgruppen bglchkeiten gegeben, an Feiertagen, sei es an christlichen Feier⸗ ten oder an anderen Feierstunden, weltanschanungsgemäß den undfunk zu benutzen. Das erfordert großen Takt, und mehr einmal sind hier Schwierigkeiten entstanden. Die Handhabung ir aber ich darf das betonen —, soweit ich jetzt zurückblicken 2₰ es ist bald ein Jahr, eine sehr liberale. Wir haben den rren der Augsburger Konsession die Möglichkeit gegeben, zum nzen deutschen Bolke zu sprechen. Wir haben linksgerichteten ruppen die Möglichkeit gegeben, auch Feiern geschlossener Art tzutragen. Wenn aber eine Freidenkergruppe eine Feier ab⸗ sten will, die von der Ueberwachungsstelle als annehmbar ge⸗ sten wird, dann muß diese Gruppe aber vor allem eine solche

Aawolle Haltung bewahren, daß der Vortrag im Rundfunk nicht,

enn auch nur angedeutet, mit einer Aufforderung zum Austritt z der Kirche schließt. Hier müssen wir und das liegt im nteresse aller Gruppen dieses Hauses die Möglichkeit schaffen, ß geschlossene Gruppen sich zeigen können; aber das, was sie nn zu bieten haben, muß vom Geist der Toleranz gegenüber nderen Weltanschauungsgruppen unseres Volkes erfüllt sein. ebhafte Zustimmung.)

Wenn Sie auf das hin, was ich gesagt habe, die Schulfrage zrtern wollen, so bin ich zu einer Erörterung selbstverständlich in bereit. Aber, meine Herren, noch einmal ein Schulgesetz ein⸗ ingen, um lediglich die weltanschauungsmäßig getrennten ruppen gegeneinanderzuführen ich weiß nicht, was aus einer schen Sache herauskommen kann! (Sehr richtig! im Zentrum.) nd, meine Herren, verfassungspolitisch ist es mir ganz klar, daß r Kampf gegen die weltliche Schule falsch geführt worden ist.

ist die Frage, auch der weltlichen Schule die gesetzliche Unter⸗ ge zu verschaffen. (Abgeordneter Rippel: Das wollen wir auch! gazu sind wir bereit!) Gut! Sehen Sie, wenn wir einen schen Boden gefunden haben, dann können wir in diesen Dingen hrangehen. Ich bitte also alle Gruppen, die an dem Zustande⸗ unmen eines Schulgesetzes tätigen Anteil nehmen, sich der Ver⸗ wortung in dieser Sache sehr wohl bewußt zu sein. Ich bin

ir klar, daß ein neues Reichsschulgesetz, das vorzulegen ich mich

vhr freuen würde, selbstverständlich auch eine starke Betonung znationalen Kulturguts unseres deutschen Volkes für alle tuppen, die auf eine Schule Anspruch erheben, geben wird. ravo! bei der Deutschen Volkspartei.) Wann der Augenblick mmen wird, das wissen wir nicht.

Aber, meine Herren und insbesondere Herr Abgeordneter chmid, Ihre Ausführungen und Ihre Polemik gegenüber den ationalsozialisten waren doch etwas sehr kurz geraten. (Heiter⸗ iI.) Ich verstehe, daß man gegen Herren, die nicht anwesend dd, persönlich nicht polemisiert. (Zuruf: Außergewöhnlich höflich! Abgeordneter Lemmer: Wenn sie anwesend gewesen wären, äre er noch höflicher gewesen! Heiterkeit.) Aber ich glaube, eine Herren, alle Gruppen dieses hohen Hauses hätten Anlaß, h einmal zu überlegen, was sich hier an Neuem regt. Wer als eichsinnenminister gezwungen ist, das Schrifttum durchzusehen, ßt doch auf eigenartige Erscheinungen, auch solche eigenartiger istiger Prägungen (Zuruf von den Sozialdemokraten: Geistiger? a! Nan), die vielleicht viele von uns, die wir im letzten Jahr⸗ undert unsere Erziehung und Bildung genossen haben, nicht für öglich gehalten hätten. (Sehr wahr! links.) Nicht daß Sie einen, meine Herren und auch meine Herren von der Volks⸗ rtei, es dreht sich nur um eine Einstellung etwa gegen Ge⸗ unkengänge, wie sie dem Katholizismus eigen sind, ach nein, ich nicht etwa evangelischen Gruppen und dem Protestantismus. ier geht viel mehr vor. Ich will Ihnen nur an einem kleinen eispiel zeigen, wieweit hier eine sogenannte Revolutionierung zbesondere der jungen Leute gehen soll. Ich habe hier einen cken Wälzer des bekannten Herrn Rosenberg. (Heiterkeit.)

Jha, das muß man durcharbeiten. Darf ich Ihnen einmal

agen, wie hier die Idee der Nation vergötzt und übersteigert hird? Wer die Nation ehrt und sie pflegt, wer insbesondere ationale Ehre und Würde auf das höchste verehrt, muß sich mer klar sein, daß es neben der nationalen Wertidee in der kangordnung der Werte der geistigen Welt eben auch andere Perte gibt. Man kann die einen bejahen und wird damit die nderen nicht ausschließen. Man kann von einer Rangordnung r Werte und Güter sprechen, und die in der kritischen bhilosophie erzogen sind, wissen, daß durchaus eine Aussprache ber die Dinge nicht nur in Deutschland möglich ist, sondern seit en Tagen der großen deutschen kritischen Philosophen Gemein⸗ t des ganzen deutschen Volks hätte werden sollen, aber leider icht geworden ist. Hier finde ich bei Rosenberg nun den Satz: Die Idee der Ehre der Nationalehre wird für uns An⸗ fang und Ende unseres ganzen Denkens und Handelns. Sie (verträgt kein gleichwertiges Kraftzentrum, gleich welcher Art, neben sich, weder die christliche Liebe 1“ hört, hört! rechts und im Zentrutm) 1

noch die freimaurische Humanität, noch die römische P

dört, hört! rechts und im Zentrum.) Meine Herren, wenn Sie n solches Buch einmal durchgehen und durcharbeiten und wenn ie sehen, wie die an den Universitäten bei uns lebhaft erregt swordene Jugend sich in derartige Dinge einführen läßt, ich nuß schon sagen, ihr Herz diesen Dingen öffnet, so wird hier der

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Entwicklung der Kultur von vielen Jahrhunderten in Europa

in Ende bereitet. Auch die Idee der Humanität wird verworfen. a, meine Damen und Herren, glaubt man denn nach den türmen des Weltkriegs mit seinem unermeßlichen Leid, mit den rchtbaren Dingen, die im Osten und Westen geschehen sind senken Sie nur an die Kriegsgefangenen, ich will nachher ein eispiel von den vielen Tausenden sagen, die an der Muman⸗ ahn zugrunde gegangen sind —, glaubt man denn, in Europa

Pünd darüber hinaus in der Welt noch menschlich weiterzukommen,

benn sogar die Idee der Humanität gegenüber der Ehre der kationalität gleichsam weggeworfen wird? Ach, es stehen sehr iele Sätze darin, ich habe mir nur eine Anzahl für heute an⸗ emerkt, um sie, wenn nötig, zur Hand zu haben. Besonders die atholischen Bischöfe haben an dem, was gegenüber dem Katho⸗ zismus vorgetragen wird, ein Interesse gefunden. Das aller⸗ ings, was von Rosenberg gesagt wird, wäre kein Kulturkampf, A. wäre Sinnlofigkeit. Die christlichen Konfessionen in Leutschland haben jetzt allen Anlaß, in bezug auf Vor⸗

würfe gegenseitiger Art, die historisch sehr stark zurückzuhalten. (Sehr wahr! in der Mite.) Dieses geschundene und geplagte deutsche Volk bedarf der christlichen Barmherzigkeit (sehr gut! in der Mitte), und zwar in allen seinen Schichten. (Zurufe von den Kommunisten.) Auch Sie zu den Kommunisten) sind einer großen Dosis von

Mitleid gewiß und bedürftig. (Große Heiterkeit. Lebhafte Zu- rufe von den Komunisten. Zuruf von den Kommunisten: Diese heuchlerische Barmherzigkeit! Glocke des Präsidenten.) Meine I

Damen und Herren! Ich sage das nicht ohne Absicht; sind doch gerade in diesem Jahre und in den folgenden Jahren Möglich⸗ keiten gegeben, die deutsche Jugend an andere große Werte der Tradition zu fesseln. Wir haben in diesem Jahre den 100. Todes⸗ tag des Freiherrn von Stein. Wir haben bereits angeordnet, daß die kommende Verfassungsfeier im Zeichen des Freiherrn von Stein stehen soll. Hier können Werte seelischer und geistiger Art gehoben werden, und wenn Sie sich ein Büchlein des Frei⸗ herrn von Stein einmal zu Gemüte führen wollen, so werden Sie sehen, in welch hochinteressanter Art und Weise dieser Mann vor mehr als einem Jahrhundert zur deutschen Nation gesprochen hat. (Abgeordneter Torgler: Wenn Sie der Jugend für die Zu⸗ kunft nichts zu bieten haben, gehen Sie in die Vergangenheit, Herr Minister, das ist Ihr Ausweg! Die Jugend bedankt sich für die Vergangenheit; bieten Sie ihr eine Zukunft, Herr Minister!) Keine Jugend eines gesunden Volkes bedankt sich für die Ver⸗ gangenheit. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Eine Jugend, die die Vergangenheit und die Geschichte des eigenen Volkes nicht ehrt, ist der Zukunft überhaupt nicht wert. (Lebhafe Zustimmung in der Mitte und rechts. Lebhafte Zurufe von den Kommu⸗ nisten.) Ich zitiere ein Wort des Freiherrn von Stein, das heute über alle Rathäuser geschrieben werden müßte, wenn man sieht, wie manchmal Verzagtheit gerade in die Kreise der hohen Herren vom Rat, auch in die Bürgerausschüsse, eingezogen ist. In seinem bekannten Entwurf für den König schreibt er:

In eure eigenen Hände, Bürger der Städte, wird man euer

Gemeinwesen geben und lossprechen eure Obrigkeiten von der

beschwerlichen Vormundschaft der Kammern! Ja, meine Damen und Herren, das ist doch das Erschreckende, daß heute Teile unseres Volkes vielfach nicht mehr imstande sind, auf demokratischer Grundlage ihr Gemeinwesen zu ordnen. (Sehr wahr! in der Mitte.) Staatskommissare müssen hernach die Bürgertugend ersetzen und die Bürger von der Verantwortung ausschalten!

Ein anderer großer Tag im nächsten Jahre ist das 100 jährige Goethe⸗Jubiläum. Ich lese in dem Buche des Herrn Rosenberg, daß auch Goethe ihnen in diesen Zeitläufen nichts mehr zu sagen hat. (Heiterkeit.) Im nächsten Jahre findet das große Fest auf dem Hambacher Schloß statt mit seiner Parole: Einheit und Frei⸗ heit. Hier liegen also große Traditionswerte, die zu heben gerade in diesen Jahren Aufgabe der führenden Menschen unseres Volkes sein sollte.

Ich halte es auch nicht für zweckmäßieg, jetzt, wie es mir nahe⸗

gelegt worden ist, hier eine Wahlreform einzubringen, die genau

wie eine Schulreform in nichts enden würde. Ich weise es zurück, irgendwelche Teile unserer Reichsverfassung mit Artikel 48 an⸗ zurühren. (Sehr gut! in der Mitte.) Herr Kollege Schmid (Düsseldorf), ich nehme an, daß Sie das nicht wollen. (Zuruf von der Deutschen Bolkspartei.) Ich sage nur, wer hier die Hand anlegt, muß sich der Konsequenzen klar sein. Ich scheue mich nicht, zu sagen, daß ich es für eine Staats⸗ und Lebens⸗ notwendigkeit des deutschen Volkes halte, die Schulen und Univer⸗ sitäten zu entpolitisieren. (Sehr gut! in der Mitte und rechts.) Was die Jugend heue aufnimmt, das ist nicht meheiner wisten⸗ schaftlicher Geist, das ist die Pflege von Vorurteilen. Es wäre ja sonst ganz undenkbar, daß in unserem Volke Menschen wie Rosen⸗ berg und andere Eindruck machen, die gar nicht verstehen, worin eigentlich die große Kulturentwicklung des deutschen Volkes liegt. (Abgeordneter Lemmer: Er kommt ja aus Riga, Herr Minister!) Wir haben große Herren gehabt aus dem Osten, ich denke da an Herrn von Harnack und andere. Das ist nicht die Grenze menschlicher und deutscher Bildung, daß man meint, die jenseits der Grenze seien nicht berufen, hier tätig zu sein. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.) Es kamen allerdings Leute nach Deutsch⸗ land einer, der diesem hohen Hause angehört, hat gesagt: das deutsche Volk ist überhaupt unfähig zur Politik; fähig zur Politik seien nur Fürsten und ihre Diener. Wenn solche Herren an den Universitäten lehren, kann man sich wirklich nicht wundern über den Wirrwarr, der in gewissen Köpfen entstanden ist.

Aber gerade wenn wir einmal nur eine Sekunde auf Goethe exemplifizieren: das ist ja das Große, daß er die Antike und die germanische Welt miteinander in einer großen Synthese ver⸗ einigte. Das große Kulturgut der griechischen Wissenschaft seit den Tagen Sokrates, das Römertum in seiner Willensmacht, in der gewiß rationalen Struktur seines Lebens, aber in seiner eminenten Willensmächtigeit auf dem Forum Romanum wie auf dem Schlachtfeld hat den Völkern der ganzen Erde Kulturgüter mitgegeben, die zu verachten und auf die Seite zu schieben—jeden⸗ falls nicht deutsch genannt werden kann. (Sehr richtig! in der Mitte und rechts.)

Wenn ich das hier betone, so ist es verständlich, daß unser Blick gegenüber dem Radikalismus der Rechten gerade in den letzten Wochen auch in sehr starkem Maße eingestellt war und auch eingestellt bleiben wird auf den Radikalismus, wie er dem deut⸗ schen Volke von der äußersten Linken nahegebracht wird. Der Herr Abgeordnete Torgler hat sich gestern in eine fast wehmütigen Klage über meine Bemerkungen im Haushaltsausschuß ausge⸗ lassen. (Widerspruch bei den Kommunisten.) Ach, Herr Kollege Torgler, an den Klagemauern sind Sie Meister, das darf man wohl sagen. (Lebhafte Zurufe von den Kommunisten.) Aber nun wollen wir einmal ernsthaft wenn Sie mich nicht unterbrechen, sonst sind wir bald fertig die gestern von Ihnen behandelten Dinge prüfen. Ich habe Ihre Literatur und Ihre Presse gut verfolgt. (Abgeordneter Torgler: Hoffentlich mit Nutzen! Heiterkeit.) Ja, mit außergewöhnlichem Nutzen. Ich habe da gewisse Erscheinungen gefunden, und Sie selbst haben ja im Hauptausschuß anklingen lassen, daß gewisse Roheiten auch bei Ihnen nicht angenehm empfunden werden. Ich spreche nicht von dem Standpunkt aus (Abgeordneter Jadasch: Es braucht

verständlich sind,

keinen roheren Minister zu geben, als Sie es sind! Glocke des Präsidenten.) Meine Tamen und Herren! Ich habe zunächst lediglich gewisse antireligiöse Schriften, Satiren, Gedichte, pro⸗ pagandistische Theaterstücke und ähnliches gebrandmarkt. (Zu⸗ ruf von den Kommunisten: Das liegt euch schwer im Magen, ja ) Die werden Ihnen noch schwerer im Magen liegen, das Cann ich Ihnen sagen. (Ernente Zurusfe von den Kommunisten.) Das wird Ihnen sehr schwer im Magen liegen! Wir find nicht bereit, uns diese Dinge auch nur noch einige Wochen gefallen zu lassen. (Bravol in der Mitte und rechts. Ernente lebhafte Zu⸗ rufe von den Kommunisten.) Ich sage Ihnen, für diese Dinge setze ich Amt und Würden und alles ein! Diese Roheitsausbrüche müssen so schnell wie möglich beseitigt werden. (Bravo! und Händeklatschen in der Mitte und rechts. Andauernde erregte Zurufe von den Kommunisten. Abgeordneter Frank [West⸗ salenj;: Es gibt keine roheren Menschen! Glocke des Präsi⸗- denten.) Es gibt ja kein besseres Mittel zur Erkenntnis der Lage, als die kommunistische Presse selbst zu Hilfe zu nehmen. Vor mir liegt die „Rote Fahne“. Sie kann nachher eingesehen werden. Ich will einmal daraus vorlesen, wie unrecht der Herr Abgeordnete Torgler gesprochen hat, als er mich wegen der be⸗ kannten Vorgänge im Haushaltsausschuß hier in sehr starker Werse angegriffen hat. Ich nehme ihm die Angriffe gar nicht übel; sie ehren mich. Ich stelle fest: sogar die „Rote Fahne“ schreibt, und zwar in der Nummer vom 9. Juni 19230: 3 Es ist notwendig, bei der Zusammenstellung darauf zu achten, daß Spott und Verächtlichmachung von religiösen und kirchlichen Gebräuchen und Einrichtungen allein nicht genügt, die Massen zu überzeugen, ja daß damit sogar das Gegenteil des Ge⸗ wünschten erreicht wird, bei solchen Schichten, die sich noch nicht völlig frei von der religiösen Ideologie gemacht haben. Es sollte Wert darauf gelegt werden, auch in der Darstellung religiöser Sitten und Gebräuche möglichste Echtheit walten zu lassen und sich vor allzu krasser Karikierung zu hüten, da diese Form der Darstellung manchmal geeignet ist, das Empfinden einzelner in gewissem Grade religiös beeinflußter Schichten zu verletzen und sie dadurch für unsere Agitation unempfänglich zu machen. Um so größeren Spielraum können wir der satirischen Darstellung einräumen. Meine Damen und Herren! Hier sehen Sie nicht nur die Er⸗ wähnung der Tatsache, daß in gröblichster Form Gefühle religiöser Menschen verletzt werden, sondern diese Verächtlichmachung das ganze Material liegt vor umfaßt alles, was an regiösen Werten je von großen Gestalten der Menschheitsgeschichte gegeben worden ist, sie umfaßt die religiösen Werte, das Heilige schlechthin. Und da müssen wir nun sagen: die Tatsache, daß gerade in den letzten Wochen und Monaten in steigender Weise in sosenannten Gottlosenabenden, wie es hier in Berlin tatsächlich geschehen ist, Diener der Religion, Priester im Ornat mit dem Kreuz in theatralischen Darstellungen nicht nur schmählich behandelt sind, sondern ihnen alles abgerissen worden ist, meine Damen und Herren, ich muß Ihnen leider mitteilen, daß unsere bisherigen gesetzlichen Bestimmungen ein liberales Vereinsrecht bis jetzt nicht genügen, um diesen Auswüchsen barbarischer Roheit begegnen zu können. (Lebhafte Zurufe von den Kommunisten.) Ich glaube, ich spreche auch im Namen eines großen Teils der Arbeitslosen, wenn ich sage, daß sie sich diese Art und Weise, christliches Glaubensgut und christliche Sitte beschimpfen zu lassen, nicht mehr gefallen lassen. (Lärm bei den Kommunisten. Glocke.) Niemand wird es den schwer Bedrängten übelnehmen, wenn sie sich zur Verbesserung ihrer sozialen Lage organisieren, wenn sie im Gewerkschaftskampf in jeglichen auf gesetzlicher Grundlage sich bewegenden Formen um die Hebung ihrer Existenz sich einsetzen. Das nimmt ihnen niemand übel. Auch die einzelnen . . bürgerlichen Gruppen können sie kritisieren, den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft. Da ist Kritik zu allen Zeiten und in allen Zonen geübt worden. Hier geht es um etwas anderes. Es ist nicht so, Herr Abgeordneter Torgler und die Materialien liegen hier vor wie Sie es schildern aus Rußland, daß der Kampf gegen Kirche und Religion so gleichsam demokratisch in den einzelnen Gemeinden geführt wird.

In der „Trommel“ Nr. 11/12 Dezember 1930 steht unter der Ueberschrift „Russische Pioniere gegen Pfaffen und Kulaken. Die Kirche zum Klub“.

„In Rostow am Don führten die Pioniere eine Kampagne f die Schließung der Kirche, die neben dem Palast der Arbeiter stand. Die Pioniere wiesen darauf hin, daß der Palast der Arbeit nicht neben einem Tempel der Unkultur stehen darf; dieser Tempel muß vernichtet werden. Die Kampagne der Pioniere hatte Erfolg; die Kirche wurde abgetragen.“ Was hier geschildert wird, Herr Torgler, ist etwas ganz anderes. Hier wird das Prinzip aufgestellt, daß neben dem Haus der dortigen Sowjetarbeiter ein christlicher Tempel überhaupt keinen Platz mehr habe. Dagegen wenden wir uns, und wir würden unsere Pflicht versäumen, wenn wir nicht alle Energie aufbieten würden, um diese ungeheuerliche Beschimpfung, die Sie der christlichen und jeder Religion zuteil werden lassen, von unserem Volke abzuwehren. (Laute Zurufe vonsnnmnunisten. Glocke.) Ich werde deshalb an die sämtl utschen Länder das Ersuchen richten, mit allen Mitteln der erbärmlichen Ber⸗ hetzung bei diesen Gottlosen⸗Abenden ein Ende zu bereiten. (Leb⸗ hafter Beifall im Zentrum und rechts. Lärmende Zurufe von den Kommunisten. Glocke.) Sind wir dazu nicht in der Lage, so muß (Zurufe des Abgeordneten Torgler. Glocke.) Wir werden das betreiben mit aller Energie in diesem Hause. In Deutschland ist der gesittete Teil unseres Bolkes dazu berufen, hier einzuschreiten gegenüber dieser Unkultur und dieser Barbarei.

(Lebhafte Zustimmung im Zentrum und rechts. Lärm bei den

Kommunisten. Glocke.) Wer es nicht glaubt, was hier vor⸗ geht, der lese das „Tischgebet zum Karneval“. in dem unser Heiland und Erlöser in einer Form und Weise behandelt wird, daß es mir nicht möglich ist, diese Verse hier vorzulesen. (Lachen bei den Kommunisten.) Das gehört nicht zum Emanzipations⸗ kampf der Arbeiterwelt. (Sehr richtig! im Zentrum.) Es ist etwas ganz anderes, ob wir uns hier bemühen, auch den Aermsten unseres Bolkes das Notwendige auf den Tisch zu geben: aber wir haben dafür Sorge zu tragen, daß diese gerechte Sache nicht verbunden wird mit einem barbarischen Einbruch in das Geistes⸗ leben unseres ganzen deutschen Volkes. (Abgeordneter Torgler: