Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 72 vom 26. März
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1931. 2.
der Verwertung ihrer Erzeugnisse gelitten haben und leiden; 2. daß die Rationalisierung und Technisierung in der Land⸗ wirtschaft für das Lohneinkommen der Landarbeiterschaft bereits einen Abbau von mehr als 10 vH bedeute (starke Forderung der Saisonarbeit und eine bisher nie dagewesene Arbeitslosigkeit; August 1930 37 790 und Januar/Februar 1931 mehr als 240 000 amtlich gezählte arbeitslose Land⸗ arbeiter); 3. daß die Landarbeiterlöhne die Lohnaufstiegs⸗ kurve der Industriearbeiterlöhne zu keiner Zeit mitgemacht haben, sondern im Verhältnis auch zu den schon gesenkten Warenpreisen völlig unzulänglich geblieben sind; 4. daß zahlreiche landwirtschaftliche Arbeitgeber einen Abbau der Tariflöhne ablehnen; 5. daß die steigenden Getreidepreise eine Senkung der Landarbeiterlöhne nicht rechtfertigen; 6. daß ein Abbau der Landarbeiterlöhne sich als ein Zweifel an der Wirksamkeit der Landwirtschafts⸗ und der Osthilfe dar⸗ tellt. Der Gesetzentwurf gegen den Waffen mißbrauch wird in der Schlußabstimmung gegen die Kommunisten an⸗ genommen.
Es folgen die Abstimmungen zum Etat. Der kommunistische Mißtrauensantrag gegen das Gesamtkabinett wird mit 284 gegen 65 Stimmen der Kommunisten bei 15 Enthaltungen abgelehnt.
Angenommen wird folgende Entschließung aller Parteien, die der Abg. Rauch (Bayer. 82 begründet hatte: Die Reichsregierung wird ersucht, die Bestimmungen über Vorbildung, Zugang und Tätigkeit der höheren Ver⸗ waltungsbeamten im Reichsdienst einschließlich der deutschen Reichspost und der deutschen Reichsbahn neu zu regeln. Diese Regelung muß grundsätzlich jeden Akademiker mit ab⸗ geschlossener Hochschulbildung den Eintritt in die höhere Ver⸗ waltungslaufbahn des Reiches und die Erreichung aller Rangstufen dieses Dienstes ermöglichen. Insbesondere sollen die fachtechnisch vorgebildeten höheren Beamten in gleicher Weise wie die juristisch vorgebildeten zur selbständigen feder⸗ führenden Bearbeitung von Verwaltungsangelegenheiten und zur Leitung von Aemtern und Fachabteilungen zugelassen werden. Es können auch andere Personen, die durch besondere Leistungen ihre Eignung nachgewiesen haben, zum höheren Verwaltungsdienst zugelassen werden.
Die Anträge des Zentrums und der Sozialdemokraten über Aenderungen im Stellenplan des Finanzministeriums werden angenommen.
Mit den Stimmen der Sozialdemokraten werden kom⸗ munistische Entschließungen angenommen, die die Reichs⸗ regierung auffordern, den Verkauf von einzelnen Zigaretten wieder zuzulassen und die erhöhte Umsatzsteuer der Konsum⸗ vereine und Warenhäuser mit sofortiger Wirkung aufzuheben.
Die Etats des Finanzministeriums, der Finanzverwaltung und der Kriegslasten werden erledigt, letzterer unter Einsetzung der gesetzlichen Mittel für die Osthilfemaßnahmen.
In einer Entschließung zum Kriegslastenhaushalt wird verlangt, daß aus den Mitteln für Eisenbahnbauten im Rahmen der Osthilfe schon im Fafür 1931 eine erste Rate für die im Westen links des Rheins vorgesehenen Bahnbauten bestritten wird.
Sozialdemokraten, Zentrum und Bayerische Volkspartei beantragen beim Haushalt des Arbeitsministeriums für die EntschädigungdergewerbsmäßigenStellen⸗ vermittler 1,8 Millionen in den Etat einzusetzen und die Deckung durch Kürzung der Mittel für die Förderung des Wohnungsbaues um 500 000 Mark, der Mittel für Notstands⸗ beihilfen der Beamten um 600 000 Mark und durch Erhöhung des Einnahmen aus den Vorzugsaktien der Reichsbahn zu
üuͤchen. glbg. Torgler (Komm.) erklärt, daß Deckungsvorschlägen nicht zustimmen könne.
Abg. Morath (D. Vp.) schließt sich dem an.
Der Antrag wird darauf mit den Deckungsvorschlägen angenommen.
Weiter wird eine sozialdemokratische Entschließung an⸗ genommen, wonach die Arbeitszeit der jugend⸗ lichen Arbeitnehmer unter 18 Jahren ein⸗ schließlich der Zeit für Berufsschulpflicht usw. höchstens vierzig Stunden wöchentlich nicht darf. Auf sozialdemokratischen Antrag wird auch beschlossen, aus dem Aufkommen der erhöhten Aufsichtsratssteuer 5 Millionen Reichsmark der Knappschaftsversicherung zu überweisen.
Beim Haushalt des Innenministeriums wird eine kommunistische Entschließung über die Auf⸗ hebung aller Demonstrationsverbote für den 1. Mai mit 299 gegen 65 Stimmen abgelehnt.
Zum Marinehaushalt haben die Kommunisten erneut die Streichung der Panzerschiffbauten be⸗ antragt. Zunächst wird die Streichung der Vorbemerkungen über den Ersatzbauplan mit 284 gegen 65 Stimmen abgelehnt. Die Streichung der 4. Rate für das Panzerschiff A wird mit 176 gegen 74 Stimmen der Kommunisten und einiger Sozial⸗ demokraten abgelehnt. Ebenso wird bei gleicher Abstimmung der Parteien die Streichung der 1. Rate für das Panzer⸗ schiff B mit 176 gegen 73 Stimmen bei 106 Enthaltungen abgelehnt.
Zum Versorgungshaushalt wird eine Ent⸗ schließung angenommen, die die Reichsregierung um Vorlage eines .“ 2ach⸗ nach dem das Wehrmachtsversor⸗ gungsgesetz und die Anstellungsgrundsätze in der Richtung zu ändern sind, daß die Versorgungsanwärter verpflichtet werden, den Einberufungen auf ihnen vorbehaltene Beamtenstellen Folge zu leisten.
Zum Schluß wird über das Haushaltsgesetz ab⸗ gestimmt. Hierzu wird der beantragte Paragraph über die Sparermächtigung, die der Regierung Brüning für den Fall von Einnahmeausfällen oder Mehrausgaben erteilt wird, mit 290 gegen 65 Stimmen der Kommunisten angenommen.
Weiter wird eine sozialdemokratische Entschließung ein⸗ stimmig angenommen, die die Reichsregierung ersucht, darauf hinzuwirken, daß umgehend die Bezüge der Mit⸗ glieder des Reichsbankdirektoriums und der leitenden Beamten der Deutschen Reichs⸗ bahn⸗Gesellschaft den Gehältern der entsprechenden Reichsbeamten angeglichen werden. Hierbei ist besonders Gewicht darauf zu legen, daß der ruhegehaltsfähige Teil der Gehaltsbezüge dem ruhegehaltsfähigen Teil der Gehalts⸗ bezüge von Reichsbeamten der ms bech enczen Besoldungs⸗ gruppe nicht übersteigt.
seine Partei den
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Darauf wird der Gesamtetat in der Schluß⸗ abstimmung mit 277 gegen 64 Stimmen der Kommunisten bei 14 Enthaltungen der Wirtschaftspartei angenommen.
Zum Schenker⸗Vertrag wird die Ausschußent⸗ schließung auf Anrufung des Reichsbahngerichts angenommen, ebenso der Antrag verschiedener Parteien, der die Reichs⸗ regierung ersucht, mit der Deutschen Reichsbahn⸗Gesellschaft unverzüglich Verhandlungen aufzunehmen, mit dem Ziel unter Aufhebung des zur Zeit abgeschlossenen Bahnspeditions⸗ vertrages mit der Firma Schenker u. Co. einen entsprechenden Vertrag mit den beteiligten Wirtschaftsorganisationen und den Spitzenorganisationen des deutschen Speditions⸗ und Fuhrgewerbes einerseits und der Deutschen Reichsbahn⸗Ge⸗ sellschaft anderseits, unter maßgebender Beteiligung des Reichsverkehrsministers an den Verhandlungen, zum Ab⸗ schluß zu bringen.
Zahlreiche verbundene Anträge werden der Ausschuß⸗ beratung überwiesen, darunter auch die kommunistischen An⸗ träge auf Beseitigung des § 218 des Strafgesetzbuchs und Haftentlassung der Aerztin Dr. Kienle. Dagegen wird ein sozialdemokratischer Antrag mit den Stimmen der Sozial⸗ demokraten, Kommunisten und der Staatspartei mit Ausnahme des Abg. Dr. Külz angenommen, der die Reichsregierung ersucht, auf das Württembergische Justizministerium einzu⸗ wirken, daß der zuständige Staatsanwalt schleunigst den An⸗ trag auf Aufhebung des Haftbefehls stellt.
Anträge von Sozialdemokraten und Kommunisten, den 1. Mai und den 11. August zu gesetzlichen Feiertagen zu erklären, werden auf Antrag des Zen⸗ trums mit 294 gegen 65 kommunistische Stimmen der Aus⸗ schußberatung überwiesen. ““
Es folgt die 2. Beratung der Zollvorlage. 8
Toni Sender (Soz.): Wir müssen eine Teuerung verhüten, deshalb unterstreichen wir die Erklärungen des Reichs⸗ arbeitsministers, daß eine Minderung des Reallohns vermieden werden 18. und die Erklärung der Regierung, daß sie eine Preissenkung herbeiführen werde. Unser Export fordert die Aufrechterhaltung guter Beziehungen zum Ausland. In ver⸗ schiedenen deutschen Städten droht eine Brotpreiserhöhung. Ist es der Regierung bekannt, daß Brotpreiserhöhungen in Halle, Köln, Frankfurt a. M. vorgenommen worden sind? Wenn man den ohnehin hungernden Menschen das wichtigste Nahrungsmittel, das Brot, verteuert, treibt man sie zur Verzweiflung. Was ge⸗ denkt die Regierung zu tun, damit Vroiprelserhohungen ver⸗ mieden und bereits vorgenommene rückgängig gemacht werden? Aus diesem Grunde unterstützen wir auch die im Ausschuß vor⸗ genommene Aenderung der Zollvorlage, die in der infügung einer Brotpreisklausel und einer Ernährungsindexklausel bestehl Die Preisschere zwischen Erzeuder⸗ und Verbraucherpreisen läßt sich schließen auch ohne Ermäßigung der Erzeugerpreise. Der Bauer ist auf den Arbeiter als Konsument angewiesen. Deshalb sollte man sich hüten, Haß gegen die Arbeiterschaft in die Kreise der Landwirtschaft zu tragen. Die Zollvollmacht für die Re⸗ gierung darf zeitlich nicht unbeschränkt sein, sie darf nur eine Atempause für die Selbsthilfe der Landwirtschaft sein. Unsere Zustimmung zu dieser Zollermächtigung ist abhängig von der Annahme der Sicherungen . die Verbraucher, die Ermächti⸗ gung darf auch nur für diese Regierung Brüning. gelten. (Bei⸗
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fall bei den Sozialdemokraten.)
Reichsernährungsminister Schiele beantwortet die Anfrage. Der Worklaut seiner Entgegnung wird nach Ein⸗ gang des Stenogramms mitgeteilt werden.
Abg. Putz SSries. bezeichnet alle durch die Sozialdemo⸗ kratie gestern in die Vorlage hineingekommenen angeblichen Ver⸗ besserungen als ein Scheinmanöver, um den Massen über den Verrat der Sozialdemokratie Sand in die Augen zu streuen. Ausgerechnet dem Hungerkabinett Brüning gebe man ein solches Belerma, gesgaan e8 in die Hände. Die Zollerhöhungen würden nur den Großagrarieren zugute kommen. Das Schlag⸗ wort von dem „freien Bauern auf freier Scholle“ entstamme einer längst veralteten Rüstkammer: der kleine Bauer sei heute nur noch der Sklave des internationalen Finanzkapitals. Der Mähdrescher werde die billigen Weltmarktgetreidepreise in Zu⸗ kunft bestimmen.
Reichsernährungsminister Schiele nimmt nochmals das Wort. Seine Ausführungen werden nach dem Steno⸗ gramm mitgeteilt werden.
Abg. Hepp (D. Landvolk): Wir verzichten heute auf eine eingehende Stellungnahme, weil wir morgen bei der dritten Lesung noch die Möglichkeit haben, auf die einzelnen Paragraphen einzugehen. Entsprechend unserer Haltung im Ausschuß und bei der ersten Lesung werden wir für die Zollermächtigung stimmen, aber die Berücksichtigung des Ernährungsindex ab⸗ lehnen. Soweit ich unterrichtet bin, 58 die Absicht, zur dritten Lesung einen ees Seris ze. Pise⸗ zum Index einzubringen. Unsere endgültige Stellungnahme wird von dem Inhalt und Schicksal dieses Antrages abhängen.
Darauf wird die Zollvorlage in der Fassung des handelspolitischen Ausschusses gegen die Stimmen der Kom⸗ munisten, die Indexklausel gegen die Stimmen der Kom⸗ munisten, des Landvolks und der Wirtschaftspartei an⸗ genommen.
Damit ist die Tagesordnung erledigt. Präsident Löbe schlägt vor, am Donnerstag um 10 Uhr die 3. Lesung der Osthilfe und der Zollvorlage und die Be⸗ ratung der Anträge auf Ausdehnung der Entschädigung für das Tabakgewerbe, au Genehmigung von Strafverfolgungen von Reichstagsabgeordneten und Anträge über die Er⸗ gänzungsprüfung der Beamten vorzunehmen.
Abg. Torgler (Komm.) beantragt, auch die Fragen des zollfreien Gefrierfleischkontingents und der Aenderung des Brot⸗ gesetzes, gegen die der Reichstag Einspruch erhoben hat, morgen in Verbindung mit der Zollvorlage auf die Tagesordnung zu bringen.
Präsident Löbe erwidert, daß der Reichsrat die ihm zu⸗ tehende Begründung für seinen Beschluß vorlegen wolle, diese
egründung aber noch n eingegangen sei. (Ahay! bei den Kommunisten.) Er habe selbst angeregt, diese Frage auf die 1 zu setzen, es bestehe aber keine geschäflsordnungs⸗ mäßige Möglichkeit.
Abg. Torgler (Komm.) fragt, was denn nach der Ver⸗ tagung des Reichstags inzwischen wegen des Gefrierfleisch⸗ kontingents geschehen solle. Er müsse noch eine Reichstags⸗ sitzung in der nächsten Woche verlangen, weil die Erledigung dieser Fragen unbedingt notwendig sei. (Zustimmung bei den Kommunisten.)
Präsident Löbe bemerkt nochmals, 2 % die Begründung des Reichsrats abgewartet werden müsse. er Reichstag könnte morgen doch nur eine Ueberweisung an einen Ausschuß beschließen.
Es bleibt somit bei dem Vorschlag der Präsidenten. Schluß 8 ¾¼ Uhr. “
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Preußischer Landtag. 224. Sitzung vom 24. März 1931. 3 Nachtrag. Die Rede, die der Minister des Innern Severi im Laufe der fortgesetzten 2. Beratung des Etatz 2 Innenministeriums gehalten hat, lautet nach dem vorlieg Stenogramm wie folgt:
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Lindner hat den Appell an mich gerichtet, gerade in dieser Zeit nicht 8 empfindlich zu sein. Ich möchte ihm den Beweis dafür antret, daß ich es nicht bin. Selbst auf die Gefahr hin, ihn und Herne Abgeordneten Müller (Isernhagen) zu kompromittieren, möcht mit meiner Anerkennung über die Reden dieser beiden Kollege nicht zurückhalten. Ich kann nur dem Wunsche Ausdruck geben daß alle Männer der nationalen Opposition so sachlich reden und wirken möchten wie die Kollegen Lindner und Müller (Jen⸗ hagen) es in ihren heutigen Ausführungen getan haben. der würde nicht allein den Ton hier im Hause wieder zu einem ür. ständigen machen, das würde nicht allein eine gute Wirkm draußen erzielen — denn das Parlament ist ja doch an sae Tage eine Art Anschauungsunterricht für die politischen Sittn im Lande —, sondern das würde auch die Freude am anständigen politischen Kampfe draußen im Volke wieder beleben. (Sehr richtig!) Dabei verlange ich gerade von den Männern und Franer der nationalen Opposition kein hundertprozentiges Bertrauen m
meiner Ausführung. Das stelle ich mir nicht einmal selbst aus.†
Und wenn Ausstellungen zu machen sind, bitte ich um diese Ans⸗ stellungen, ich bin für jede sachliche Kritik dankbar.
Ich bin nicht in der Lage, heute auf alle Anregungen unmd Beanstandungen, die im Laufe der Debatte vorgetragen worden sind, einzugehen. Einige möchte ich aber doch erörtern, und ich möchte dabei beginnen bei den Bemängelungen, die Herr Kollege⸗ Lindner eben vorgetragen hat.
Er warf mir oder doch meiner Verwaltung vor, daß wir in
der Behandlung der extremen Gruppen von rechtst
und links nicht ganz die Parität wahrten, daß wir den Komm⸗
nisten gegenüber eine Toleranz an den Tag legten (Zuruf bei denß
Kommunisten), die Herr Kollege Lindner und seine politischen Freunde nicht verstehen. — Auf diesen Zwischenruf war ich gefaßt, und ich glaube, daß die Herren von der Kommunistischen Parti die zuverlässigsten Zeugen dafür sind, ob sie von der preußischen Polizei nicht besonders tolerant behandelt werden. Soweit es sich um die Propagierung der kommunistischen Weltanschaunng handelt, müssen wir auch den Kommunisten gegenüber tolerant sein. Auch die kommunistische Lehre ist frei und ihre Ausbreitung darf nicht unterbunden werden, wenn wir den Verfassungsbestim⸗ mungen treu bleiben wollen. (Zuruf bei den Kommunisten: Wer lacht da!) Aber Ausschreitungen der Kommunistischen Partei und ihrer Parteigänger tolerieren wir nicht, und die Be⸗ schimpfungen der „Roten Fahne“, die mir täglich nahegebracht werden, und die entsprechenden Beschimpfungen anderer komm⸗ nistischer Blätter sind für mich ein Beweis dafür, daß sich de Kommunisten über eine allzu große Toleranz der preußischen Polizei gegenüber ihren Ausschreitungen nicht zu beklagen haben.
Wenn der Herr Kollege Lindner seine Behauptung mit dem bedauernswerten Vorfall auf dem kirchlichen Fried⸗ hof in Pankow⸗Schönhausen zu belegen versuchte, so ist das, was er darüber anführte, nicht etwa ein „Ausschnitt aus dem System“, wie so gern draußen gesagt wird, sondern ein bedauer⸗ liches Einzelvorkommnis. Der betreffende Schutzpolizeioffizier st bereits vom Polizeipräsidenten gerügt worden. Ich stehe gar nicht an, zu erklären, daß ich von den Polizeibeamten Preußens in solchen Situationen eine größere Entschlußkraft und eine geringere Versteifung auf gegebene Vorschriften wünsche, die für andere Situationen gegeben sind und passen. Die Vorschrift lautete so. Der Polizeibeamte hatte gefragt: Wenn ein Lied gespielt werden sollte — er hatte mit der Möglichkeit gerechnet —, was kann dann gestattet werden? Da ist ihm von der vorgesetzten Behörde gesagt worden: Lieder etwa wie: Ich hatt' einen Kameraden, können unbedenklich gestattet werden. Dem Beamten war dann nicht nut das Lied Uhlands vom guten Kameraden vorgelegt, sondern 8s war gesagt worden, es sollen auch Choräle gespielt werden. Weil der Beamte nun glaubte, es wäre ausdrückliche Vorschrift, nur ein Lied wie „Ich hatt' einen Kameraden“ spielen zu lassen, hat er das Spielen von Chorälen verboten. [Hermsdorf]: Dann ist er geistig arm und eignet sich nicht für den Posten!) — Ich habe noch nicht gesagt, daß der Polizeioffizier st hervorragend gerade zu derartigen Dienstobliegenheiten eignet. Sie wollen aber aus diesen Ausführungen und der bereits erteilten
Rüge durch den Herrn Polizeipräsidenten ersehen, daß dos
„System“ mit diesem Vorfall rein gar nichts zu tun hat, und daß es jedenfalls, Herr Kollege Lindner, nicht in Ihre Beweisführung hineinpaßt, die darauf ausgeht, daß wir den Kommnnisten gegen⸗ über in anderen Dingen zu tolerant seien.
Auf dem gleichen Brett liegt Ihre Behauptung von der B⸗ handlung des Polizeibeamten in Halle, der das Lied von dem Blauäuglein gespielt habe und dieses Verbrechens wegen zur Ent⸗ lassung bestimmt worden sei. Ich habe dem Ihnen gegebenen Versprechen nachkommend mich persönlich für diese Dinge inter⸗ essiert, noch einmal Rundfrage in Halle gehalten und auch die Akten des Vorgangs neu studiert. Ich bin nicht zu dem Ergebnis gekommen, daß es sich um eine einmalige Entgleisung des Mannes gehandelt hat, ich habe vielmehr feststellen müssen, daß die Dinge als Demonstration aufzufassen waren, daß eine bestimmte Absict vorlag. Beamtenausschuß und Polizeipräsident hatten sich mit 5 Entlassung des betreffenden Beamten einverstanden erklärt. Unter diesen Umständen konnte ich nichts anderes tun, als die Ent⸗ lassungsverfügung der zuständigen Stelle zu bestätigen.
Wenn Sie in diesem Zusammenhang davon gesprochen 8 Herr Kollege Lindner, daß dieser Vorgang geeignet sei, der Nat 8 nalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei neue Anhänger 1 führen, und wenn Sie aus dieser Möglichkeit folgernd mir in Aussicht gestellt haben, daß ich einmal zum Ehrenmitglied 2 genannten Partei ernannt werden könnte, so möchte ich Ihn . folgendermaßen antworten: Das würde ich als eine Schmach -. finden und sehr bedauern. Aber wenn ich schon in Gefahr 1s die Ehrenmitgliedschaft einer gegnerischen Partei zu erwerren
1“ 11“ 8 1 8
(Abgeordneter Meyerp
Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 72 vom 26. März 1931. ES. 3.
öbe ich keinen sehnlichereren Wunsch, als daß man mir diese nung anträgt, weil ich meine Pflicht gegenüber dem Staat habe (lebhafter Beifall links), nicht aber, weil ich in der ing dieser Pflicht säumig gewesen bin. Es kommt in dieser wauf an — das kann ich gar nicht oft genug wiederholen —, ffentlichkeit zu zeigen, daß die Schutzpolizei keinen Raum gehörige derjenigen Parteien oder Gruppen bietet, die den samen Umsturz der bestehenden Staatsordnung auf ihr imm geschrieben haben. (Lebhafte Zustimmung links. — dneter Ponfick: Ausgezeichnet Altpreußen!) — Was von ten Preußen gut war, übernehmen wir! (Bravo! bei der demokratischen Partei. — Abgeordneter Steuer: Das ist das, was Sie früher kritisiert haben!) — Nein, Herr Ab⸗ eter Steuer, das habe ich nie kritisiert! Wenn ein Staat, aatswesen auf seine Selbsterhaltung bedacht ist und seine entsprechende Maßnahmen treffen, habe ich das nie kriti⸗ In diesen Zeitläuften — eine gewisse ernste Situation hat h der Herr Kollege Lindner anerkannt — kommt es nicht grauf an, in den Regierungsstellen nicht überempfindlich zu ondern es kommt vor allem darauf an, besonders wachsam u. Wenn Maßnahmen — auch harte Maßnahmen — zur zung des Staates — und das ist jetzt gleichbedeutend mit der ang des Volkes — durchgeführt werden müssen, dann werde znen Augenblick zögern, das zu tun. Daß ich dabei nicht ch vorgehe, wollen Sie daraus ersehen, daß ein anderer ter, der zwar mitgesungen hatte, aber angetrunken gewesen m man also die Absicht einer politischen Demonstration nicht eisen konnte, wieder eingestellt worden ist. (Abgeordneter el: Den Besoffenen stellen Sie also wieder ein, während den Nüchternen entlassen! — Große Heiterkeit.) — Seien vorsichtig, Herr Kollege! Sie haben ja die „vorgerückte de und die animierte Stimmung“ selbst als mildernden Um⸗ hn für Ihre Klienten in Anspruch genommen. sun, meine Herren, zur Besetzung des Postens des Ober⸗ germeisters in Solingen! Die Verhältnisse lagen zolingen sehr verwirrt, das hat ja der Herr Kollege Lindner z geschildert. Es war absolut erforderlich, der Stadtver⸗ ing recht bald eine feste Führung zu geben. Nachdem die datur des Kollegen Meyer, auf die Herr Lindner angespielt sch zerschlagen hatte, ist nun nicht etwa Herr Brisch plötzlich geholt und zum Oberbürgermeister bestimmt worden, son⸗ Herr Brisch, der damals Oberregierungsrat war, ist von dem digen Regierungspräsidenten in Düsseldorf mit der kom⸗ riscen Verwaltung der Stadt Solingen beauftragt worden. der Zeit seiner kommissarischen Verwaltung hat er die Zu⸗ nheit vieler — ich will nicht sagen: aller — Parteien er⸗ en, so daß man mit seiner Ernennung als mit einer Selbst⸗ indlichkeit gerechnet hat; in den letzten Monaten des ver⸗ enen Jahres hat man sogar bei uns darum petitioniert. Herr hist kein Mann, dem man einen „Posten verschaffen“ wollte. st ein Mann, der schon vor 11 Jahren — schade, daß Herr Rohr nicht hier ist — bei den oberschlesischen Abstimmungs⸗ fen — und nicht nur dabei! — seinen Mann gestanden hat. Brisch ist ein Mann, der in ganz Oberschlesien geachtet ist, sih auch in späteren Amtsstellungen die Anerkennung seiner ggetzten erworben und in Solingen bewiesen hat, daß er auch astande ist, in schwierige kommunale Verhältnisse Ordnung zu igen. (Zurufe bei den Kommunisten. — Gegenrufe bei der ldemokratischen Partei.) — Wenn die Ernennung des Herrn hiich gewisse Pläne der Kommunisten zerstört haben sollte, dann e ich Ihnen, meine Herren von der Kommunistischen Partei, ndes sagen: solange Sie im Landtag von dieser Stelle aus er wieder versichern, daß Sie den heutigen Staat und mit seine Zellen draußen im Lande zerstören wollen, so lange imen Sie keinen Anspruch darauf erheben, daß man Ihre An⸗ girigen mit leitenden Stellen in diesem Staate betraut! (Leb⸗ Zustimmung bei den Regierungsparteien. — Abgeordneter Loulz [Neukölln): Sie reden wie Puttkammer!) — Dann hat ja her von Puttkammer auch einmal etwas Vernünftiges gesagt! terkeit. — Zurufe bei den Kommunisten.) — Ich wollte Ihnen den Kommunisten) auch einmal ein Kompliment machen. (Ab⸗ dneter Schulz [Neukölln]: Ich verzichte darauf!) — Ihnen auch Herr Schulz, Sie sind über diesen Verdacht erhaben, aber nem anderen Mitglied Ihrer Partei. (Zurufe bei den Kommu⸗ gsten.) Ich wollte sagen: wenn die Herren von der Kommu⸗
tischen Partei sich mit der Aufmerksamkeit, mit der Sorge und
dem Eifer der kommunalen Angelegenheiten annähmen, wie smehrfach in seinen Reden der Herr Abgeordnete Schwenk getan dann glaube ich, daß aus dem Herrn Abgeordneten Schwenk er einem anderen Herrn derselben politischen Richtung noch ein⸗ bein ganz passabler Gemeindebeamter werden kann. (Große säterkeit. — Lebhafte Zurufe bei den Kommunisten.) Zu den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Müller geenhagen) möchte ich folgendes sagen: Ich habe auf dem von in erwähnten Landgemeindetag nichts versprochen als ne Mithilfe des Staates, wenn Gemeinden und Reich in Länder gemeinsam Anstrengungen machen wollten, um in eeisenwintern über die schwere Zeit hinwegzukommen. Ich habe * nicht nur an materielle Hilfe gedacht, sondern ich habe hei auch daran gedacht, daß Reich, Länder und Gemeinden und die Exponenten in dieser Zeit nicht nur klagen sollen, sondern 1¹ sie ihre ganze Aufmerksamkeit, ihre ganzen physischen und stcjschen Kräfte darauf richten sollen, den Blick vorwärts⸗auf⸗ earts gelenkt, einen Weg zu finden, der uns aus dem trüben anter in einen erträglicheren Sommer bringt. Ich glaube, daß en auf diesem Wege doch nun schon ein Stück zurückgelegt haben, 2. daß wir uns, wenn wir jetzt rückblickend die Dinge betrachten, Fcpß im November des vergangenen Jahres doch mit großer eah angesehen haben, alle das Zeugnis ausstellen können: Es Leiwas erreicht worden (sehr wahr! bei der Sozialdemokratischen be und der Deutschen Staatspartei), es ist wider Erwarten dn gegangen. Wir nehmen in meinem Ministerium nicht etwa großes Verdienst daran in Anspruch. Ich möchte nur sagen, 8 8 gelungen ist, durch die erwähnte ideelle Hilfe, aber auch materielle Hilfe die Gemeinden bis jetzt vor dem Zusammen⸗ häl.” bewahren. Sie wollen daraus erkennen, Herr Kollege ecen (Isernhagen), daß ich meine Versprechungen wahr zu 2 gedenke, und ich könnte Ihnen gerade aus der vergangenen noch ein paar Beispiele dafür anführen, daß ich nicht nur
mit Worten helfe, sondern auch mit dem ja gerade auch in diesen Zeitläuften nicht zu verachtenden pekuniären Unterstützungen, die besonders Ihrem Stand — ich erinnere an die Abgeltung der Hochwasserschäden in Schlesien — in den Bezirken, die vom Hoch⸗ wasser besonders betroffen waren, zugute kommen. (Abgeordneter Müller [Isernhagen]: Wie ist es mit den Anträgen, die wir im Interesse der Landgemeinden gestellt haben?) — Wir können nicht allen Anträgen entsprechen, die zur finanziellen Unterstützung der Landgemeinden gestellt werden; denn die Gelddecke, die dem Reich, den Ländern und den Gemeinden zur Verfügung steht, ist zu kurz. Wir müssen deswegen versuchen, allen gerecht zu werden.
Wenn ich das hervorhebe, so möchte ich dem noch anfügen, daß wir in der Staatsregierung doch, glaube ich, vom ABC der Politik nichts verstünden, wenn wir uns darauf beschränken würden, Versprechungen zu geben, ohne bei Abgabe dieser Ver⸗ sprechungen schon von der Ueberzeugung durchdrungen zu sein, daß wir sie auch halten können. Ich stehe ja nicht erst seit gestern im politischen Leben, und ich habe aus der Erfahrung die Ueber⸗ zeugung gesammelt, daß es für den Mann des öffentlichen Lebens viel besser ist, in der Abgabe von Versprechungen vorsichtig zu sein ssehr wahr! bei der Sozialdemokratischen Partei) und lieber Zu⸗ rückhaltung zu üben, als etwas zu versprechen, was man nicht im⸗ stande ist zu erfüllen. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Partei.) Ich denke, dieser Erfahrung nicht untreu zu werden. (Zuruf rechts: Das ist sehr diplomatisch ausgedrückt!) — Nein, das ist gar nicht diplomatisch, sondern das ist einfach vorsichtig. So vorsichtig sollte auch jeder Kaufmann sein. (Zuruf: Und jeder Parlamentarier!) — Und jeder Parlamentarier erst recht.
Erfreulicherweise haben sich eine Reihe von Rednern — heute die beiden Vorredner und insbesondere Herr Abgeordneter Falk und gestern auch Herr Kollege von Eynern — gegen die Ver⸗ wilderung der politischen Sitten und gegen die Mordhetze gewandt, und Herr von Eynern hat sein Einver⸗ ständnis damit erklärt, daß dieser Mordhetze mit der größten Ent⸗ schiedenheit entgegengetreten wird. Er hat nur gemeint, daß man nicht allen meinen Maßnahmen zustimmen könne und daß man mir im Lande den Gedanken anhefte, als ob ich den Kampf für den Staat und um den Staat auch mit dem Kampf um die Sozial⸗ demokratie und für die Sozialdemokratie gleichstelle. Herr Kollege von Eynern hat sich mit dieser Auffassung nicht ausdrücklich iden⸗ tifiziert, aber er hat auch ihre Unrichtigkeit nicht dargetan, und deswegen möchte ich zu meiner Selbstverteidigung folgendes sagen: Herr Kollege von Eynern, umgekehrt wird ein Schuh daraus! Wenn die Sozialdemokratie nicht fortwährend mit dem heutigen System identifiziert, der heutige Staat nicht immer mit dem System des Marxismus und Materialismus gleichgestellt, wenn nicht Sozialdemokratie und Regierung in Preußen und im Reich in einen Topf geworfen würden, dann hätte ich gar keinen An⸗ laß, bei der Bekämpfung der gegen den Staat gerichteten Be⸗ strebungen zu gleicher Zeit auch für die Sozialdemokratische Partei zu kämpfen. Also Sie wollen mir diesen Vorwurf nicht machen, sondern vielmehr den Männern, die einen Unterschied zwischen sozialdemokratischer Parteitätigkeit und der staatlichen Tätigkeit sozialdemokratischer Parteiangehöriger nicht zu ziehen wissen. (Heiterkeit und Zurufe rechts.) — Ja, ich komme darauf; ich glaube, Sie werden mir gleich zustimmen. (Erneute Zurufe rechts.) — Ja, ich habe ein so großes Vertrauen, Herr Kollege von Eynern, zu Ihrer Objektivität, daß Sie mir nach ein paar weiteren Passagen meinernRede sagen werden: Ja, das ist richtig! (Große Heiterkeit.)
Meine Damen und Herren, die Gleichstellung der Sozialdemokratie und des Marxismus mit dem Staat ist ja nicht nur eine Unwahrheit, eine Unaufrichtigkeit den Sozialdemokraten gegenüber, sondern es werden sogar auch die Parteifreunde des Herrn Kollegen von Eynern damit ge⸗ troffen. Denn draußen im Lande ist Herr Außenminister Dr. Curtius, wenn er sich in einer bestimmten Situation be⸗ sonders temperamentvoll für eine Verständigung eingesetzt hat, der ausgemachte Marxist. (Heiterkeit.) Oder wenn jetzt Herr Minister Wirth zentrale Maßnahmen berät und ankündigt, die sich gegen die Exzesse auch der Rechtsradikalen richten sollen, dann ist auch Herr Minister Wirth draußen in der Agitation der Marxist. Was man nicht definieren kann, das sieht man als Marxismus an! (Seiterkeit.)
Und das sind ja nicht nur Agitatoren dritten und vierten, siebenten und achten Ranges — nein, auch preußische aktive Beamte beteiligen sich an einer derartigen Agitation. Ein Land⸗ rat von Bismarck hat kürzlich in einer Versammlung gesagt:
Die Uebelstände im innerpolitischen Zustande Preußens sind allein durch die sozialdemokratische Regierung herbeigeführt. Seit wann haben wir eine sozialdemokratische Regierung? (Zuruf bei der Deutschnationalen Volkspartei: Nicht ausschließlich!) — Ach, ich bin Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege Steuer: Nicht aus⸗ schließlich! Also die anderen sind beteiligt gewesen. (Große Heiterkeit und Zurufe.) — Nein, kein Beimahlungszwang. (Abgeordneter Steuer: Sie unterliegen einem schwarzen Bei⸗ mahlungszwang!) Aber ich gehe von diesem falschen Zeugnis eines aktiven preußischen Beamten — — (Zuruf bei der Deutschen Staatspartei: Aktiven?) — Ja, es handelt sich um einen aktiven Landrat. Daß dieser Landrat nach solchen Aeußerungen nicht mehr als Vertrauensmann der Regierung, nicht mehr als staat⸗ licher Exponent auf seinem Posten bleiben kann, darüber herrscht, glaube ich, in diesem Hause wohl Uebereinstimmung. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei: Er ist Reichstagsabgeordneter!) — Herr Kollege Steuer, die Einschränkung, die Sie mit Bezug auf die Immunität der Reichstagsabgeordneten machen wollen, gilt für den politischen Beamten nicht. (Lebhafte Zustimmung bei der Sozialdemokratischen Partei. — Zuruf bei dem Christlich⸗ sozialen Volksdienst.) — Das außerdem, Herr Kollege Lindner: er ist ja gar nicht da! — Aber, das nur nebenbei. Worauf ich jetzt
hinaus wollte, ist folgendes:
Wir haben gestern die Rede des Herrn Kollegen von Rohr gehört, die Sie als eine Rede bezeichnet haben, die von leiden⸗ schaftlichem Schwung getragen gewesen sei. Mit den Geschmäckern läßt sich nicht meckern. (Heiterkeit.) Ich möchte Ihnen folgendes sagen: ich habe von einem akademisch gebildeten Abgeordneten lange nicht eine solche Häufung geschichtlicher Unwahrhaftigkeiten und Unwahrheiten gehört wie in den Ausführungen des Herrn
Kollegen von Rohr. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen
Partei.) Der Herr Abgeordnete von Rohr hat die heutige preußische Regierung — also mit Beimahlungszwang, wie Sie sagen — (Heiterkeit) für die Inflation und für die Arbeitslosig⸗ keit verantwortlich gemacht. Er hat darauf hingewiesen, daß in der ersten Zeit nach dem Kriege weder ein Währungsverfall ein⸗ getreten sei, noch eine größere Arbeitslosigkeit das Land in Not gebracht habe; erst in den 12 Jahren Regierungstätigkeit in Preußen seien alle diese üblen Zustände entstanden. Nun weiß der Herr Kollege von Rohr zunächst, daß die Gesetzgebung über Währungsfragen, die Gesetzgebung über Wirtschaftsfragen gar nicht beim Preußischen Landtag, sondern beim Reich liegt, und daß in den 12 Jahren Regierungstätigkeit im Reich die Sozial⸗ demokratie sehr selten in der Reichsregierung an den entscheiden⸗ den Posten gewesen ist. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Partei. — Na, nal bei der Deutschnationalen Volkspartei.) Wenn Sie die Geschichte der Inflation schildern wollen, Herr Abgeord⸗ neter Steuer, dann erinnern Sie sich zunächst daran, daß der erste tiefe Fall unserer Mark nach dem Rathenau⸗Mord eingetreten ist. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Partei. — Abgeord⸗ neter Kloft: Unter Cuno!) — Nein, der erste tiefe Fall trat nach dem Rathenau⸗Mord ein. Dann kam der weitere, und da hat der Herr Abgeordnete Kloft meines Erachtens durchaus treffend durch einen Zuruf eben darauf aufmerksam gemacht: der weitere kata⸗ strophale Verfall trat in der Amtszeit des Reichskanzlers Cuno ein. Eehr richtig! im Zentrum und links.) Mir liegt es fern, irgendein Mitglied des Kabinetts Cuno für diese Dinge verant⸗ wortlich zu machen. Aber ich darf auf ein Politikon jener Tage aufmerksam machen: die Franzosen haben den Einmarsch ihrer Divisionen ins Ruhrgebiet — und das war die letzte Ursache des Währungsverfalls von damals — mit dem Hinweis darauf be⸗ gründet, daß wir mit der Lieferung von Telegraphenstangen und Kohlen in Verzug geraten seien. Ich will nicht sagen, daß die Verzögerung wirklich schuld daran gewesen sei. Die Verzögerung war ein gesuchter Anlaß, eine Begründung für die Maßnahme Poincarés. (Zurufe rechts.) — Vorwand, gut! Aber, meine Herren, wenn das der Vorwand war für die damals geübten Re⸗ pressalien — ich ziehe daraus die Konsequenzen für die Gegenwart und auch für die nächste Zukunft —: eine verzögerte Ablieferung von Telegraphenstangen und Kohlenmengen —, wie würden erst die Maßnahmen aussehen, wenn wir jetzt in diesen Tagen er⸗ klären würden: alle Bindungen des Versailler Vertrages, alle Bindungen des Young⸗Plans erkennen wir nicht an, wir zer⸗ reißen diese Bindungen! (Sehr richtig! bei der Sozialdemokrati⸗ schen Partei.) Ich komme vielleicht noch im Laufe meiner Aus⸗ führungen darauf, was ich zum Young⸗Plan gesagt habe. Aber ich möchte in diesem Zusammenhang erklären: ich bin nicht sicher, ob wir in diesem Jahre mit den Leistungen unserer Young⸗Ver⸗ pflichtungen noch fortfahren können, ich bin nicht sicher, ob die heute amtierende Regierung nicht schon Schritte tun muß, um eine Revision unserer heutigen Verpflichtungen einzuleiten. (Hört, hört! rechts.) Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist sicher: die Regierung hat bei den künftigen Verhand⸗ lungen den leichteren Stand, die darauf hinweisen kann, daß sie zuvor den guten Willen zur Erfüllung der Verpflichtungen gezeigt hat. (Sehr richtig! links.) Nicht aber kann eine Regierung uns Erleichterungen schaffen, die von vornherein erklärt hat: sie will nicht erfüllen, sie zerreißt alles, was an Bindungen heute vor⸗ handen ist.
Nun die Arbeitslosigkeit! Es läßt sich nicht lengnen, daß wir heute eine weitaus größere Arbeitslosigkeit, eine weitaus größere wirtschaftliche und finanzielle Not haben als vor etwa 10 oder 12 Jahren. Aber weiß Herr von Rohr nicht, daß die Be⸗ schäftigung in den ersten Jahren nach der Staatsumwälzung, be⸗ sonders die gesteigerte Beschäftigung im Kohlenbergbau, nicht zu⸗ letzt auf die Verpflichtung zurückzuführen war, Reparationskohle zu liefern? Weiß Herr von Rohr nicht, daß seit der Zeit nicht allein der Raubbau wettgemacht worden ist, der im Bergban in der Kriegszeit angerichtet wurde, sondern daß seit der Zeit im Bergbau Rationalisierungsmaßnahmen durchgeführt worden sind, die es im Gefolge gehabt haben, daß heute die Förderleistung eines deutschen Bergmanns die Förderleistung aller Bergarbeiter der Welt übersteigt? Meinen Sie, daß die Beendigung der Kohlen⸗ lieferung an Frankreich und Holland und daß Rationalisierungs⸗ methoden im Bergbau, die die Mehrförderung gezeitigt haben, den Arbeitsmarkt unbeeinflußt lassen könnten? Aber noch ein anderes. Wir haben nicht allein Reparationskohle liefern müssen, sondern in den Jahren 1919, 1920 und 1921, ehe besonders Hol⸗ land seine eigenen Kohlenschätze erschloß, war unsere deutsche Kohle auch Zahlungsmittel für die deutsche Wirtschaft. Das ist alles anders geworden; das hat alles aufgehört. Alle diese Länder haben heute eigene Kohle. (Zuruf rechts) Wer in Pommern sitzt und aus Pommern nicht herauskommt, insbesondere aus dem pommerschen Milien nicht herauskommt, braucht das alles nicht zu wissen. (Zuruf rechts.) Wer aus dem ländlichen Pommern herauskommt, der müßte auch wissen, daß der Zustand, unter dem wir heute leiden, ein allgemeiner ist! Dieser Zustand heißt Welt⸗ wirtschaftskrise (sehr gut! bei der Sozialdemokratischen Partei), und die Wirkung dieser Weltwirtschaftskrise erleben wir nicht nur in der Republik Deutschland. Wir haben sie im faschistischen Königreich Italien. Wir haben sie unter der Sowjetverfassung. (Lachen bei den Kommunisten.) Wir haben sie im großkapitalisti⸗ schen Amerika, und wir haben sie in der konstitutionellen Mon⸗ archie England. Also wir haben sie nicht nur in Preußen, und deswegen ist es eine Unverfrorenheit, gelinde gesagt, wenn Herr von Rohr alle diese Dinge der preußischen Regierung zur Last legen will. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Partei.) Ich möchte nur, daß wir die Machtvollkommenheit hätten, durch Verwaltungsmaßnahmen der Preußischen Regierung Wirtschafts⸗ gesetze vorschreiben zu können. Sie dürfen überzeugt sein, wir würden von dieser Ermächtigung den ausgiebigsten Gebrauch machen. (Sehr gut! bei der Sozialdemokratischen Partei.) Dann hat Herr von Rohr auf meine Rede verwiesen, die ich vor einigen Tagen in Beuthen gehalten habe, und hat gemeint, mit einer solchen Rede komme man nicht weiter. Ich weiß nicht 8 auf welches Wort dieses Satzes die Betonung zu legen ist. Mit einer solchen Rede kommt man nicht weiter oder mit einer solchen Rede kommt man nicht weiter oder mit einer solchen Rede kommt man nicht weiter. (Seiterkeit links.) Ich sage
as nicht ohne Absicht, denn am gleichen Tage haben in Ober⸗