Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 241 vom 15. Oktober 1931.
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an unser Volk und an unsere Zukunft, von ihnen in Erbpacht ge⸗ nommen sei. (Sehr richtig! im Zentrum.) Als ob es außer ihnen teins nationalen Männer, keine nationalen Frauen und leine ugend gäabe! Es gibt Millionen im Lande, die allerdings nicht
3 Fee⸗ (nach rechts) lärmende Sprache führen, die aber geduldig das tragen, was das Land und was die Regierung fordert und was der einzige Weg sein kankk in eins neue Zukunft. Wir haben eine ZJugend, die auch ihre Führer besthe. Im übrigen möchte ich gern die Millionen deutscher Jugend sehen, die Gut und Blut hingeben für manche von den Führern, die sich in den letzten Tagen in Harz⸗ burg produziert haben! Wenn man dort den Gedanken der Volks⸗ EE akzeptierte, dann darf man nicht im selben Augen⸗ lick diese Volksgemeinschaft wieder sprengen, indem man national
„ qhur die einen nennt und die anderen Internationalisten. Sie,
Herr Oberfohren, können nur den Anschein erwecken, daß Sie kommandieren können, damit beweisen Sie aber noch nicht, daß Sie regieren können. Dr. Oberfohren hat sich vergeblich bemüht, die Schuld auf Dr. Brüning zu wälzen. Wenn er von einem Rausch der kurzfristigen Kredite sprach, so trifft dieser Vorwurf nicht die Regierung Brüning, sondern große Teile der Privatwirtschaf: Sehr richtig! in der Mitte.) Wenn einer gegen die Pumpwirt⸗ schaft frühzeitig angegangen ist, so war es Reichskanzler Brüning. Die Regierung hat auch vorausgesehen, was vorausgesehen werden konnte. Es gibt allerdings Leute, die Dinge voraussehen, und sie, wenn sie davon sprechen, gerade dadurch bewirken. Deutlicher will ich nicht werden. Die Regierung Brüning hat weiter gesehen als manche der Regierungen, die uns als Beispiele hingestellt werden. Sie hat in der Außenpolitit entscheidende Wandlungen eingeleitet. Es ist traurig für eine nationale Bewegung, daß sie einem solchen Kanzler, statt ihn zu unterstützen, in den Rücken fällt. (Sehr wahr! im Zentrum.) Im Innern hat er die rechten Mittel ergriffen, die einzig gegebenen, und wir haben heute von Dr. Oberfohren gehört, daß auch die Rechte keine anderen Mittel hat. Endlich wagt man uns zu sagen, daß auch Sie (nach rechts) kein Mittel gegen die Arbeitslosigkeit wissen. (Abg. Hergt [D. Nat.)]: Wir haben doch die Mittel genannt!) Welches denn? Ich habe sie nicht gehört! TDr. Brünings gestrige Rede ist im Lande verstanden worden. Das deutsche Vo hat noch Männer und Frauen genug, die dem Mut zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit den Vorzug geben vor dem trauigen Mut der Phrase. Wenn ich das Programm der Regierung überschaue, sehe ich außenpolitisch ihren zähen Willen, das zu erreichen, was jeder Deutsche will. Und wenn die nationale Opposition hier in der neuen Sprache von Harzburg von den Gleich⸗ berechtigung der Völker redet, so muß ich fragen: Ist das denn wirklich etwas Neues? Gibt es denn einen Deutschen, der anderes will? Ich bin mit den Kollegen von der Linken in den letzten Tagen auf der interparlamentarischen Konferenz in Bukarest gewesen und habe von ihnen auch nur die Begründung der Forderung gehört: Gleichen Rechtes wollen wir sein, gleiche Pflichten wollen wir haben unter den Völkern der Erde. Auch die Regierung will das und tzt alles daran, es zu erreichen. Wir stehen in einem Wettrennen zwischen den Erschütterungen des internationalen Kreditsystems auf der einen und der Einsicht und Tatkraft der Staatsmänner, die zur notwendigen Kooperation kommen müssen, auf der anderen Seite. Der gedämpfte Trommelklang zur Verständigungspolitik in Harzburg beweist, daß die Rechte sich auf einem neuen Wege befindet. Welchen Punkt sie erreicht hat, ist noch nicht klar, den des Nachdenkens, den der Nachahmung oder den er vollen Erfah⸗ rung. (Heiterkeit.) Heute werfen Sie leider mit der einen Hand noch immer wieder um, was Sie mit der anderen aufrichten. Wir haben eine Regierung, die kein vages Experiment macht. Es kommt nicht darauf an, neue Parolen zu sinden, wir haben genug, neue Haßreden zu halten oder Weltwenden zu verkünden. Die Welt wendet sich nur unter den Händen derjenigen, die zugreifen und schaffen, nicht derjenigen, die Proklamationen fabrizieren. Die Regierung will kein neues System, aber sie will eine neue Anwen⸗ dung der Wirtschaftsweise, die eine große Blüte auch in Deutschland herbeigeführt hat. Was an dem heutigen Wirtschaftssystem fehlt und was wir beklagen, seine großen Auswüchse, sagen mir nur, daß das System gar nicht mehr folgerichtig angewandt wird, sondern daß man die Chancen des Wirtschaftslebens privatisierte, um leider das Risiko gleichzeitig zu kollektivieren. (Sehr richtig! im Zentrum). Diese beiden Dinge müssen wieder in Uebereinstimmung gebracht werden. Der überwiegende Teil des selbständigen Unternehmer⸗ tums ist auf allen Gebieten noch gesund und in der Praxis auch anständig. Dieser Teil des Unternehmertums muß einen schweren Kampf um seine Selbstbehauptung ausfechten. Wenn wir ihn unterstützen, unterstützen wir auch die deutsche Wirtschaft und damit die deutschen Arbeiter. Der andere Teil ist nicht der ent⸗ scheidende. Auch die Stützung der Banken steht durchaus im Dienste der Allgemeinheit. Die Regierung ist konfequent, indem sie neue Grundlagen zu gewinnen sucht. Darum wehrt sie sich gegen den Kampf der Nassen und auch der Klassen, gegen den Konfessions⸗ streit und die Zuspitzung des politischen Kampfes. Die Aktionen der Regierung nach innen sind konsequent; sie sucht neue Grundlagen zu gewinnen, um den Zusammenhalt im Volke hochzuhalten. Darum wehrt sie sich gegen den Kampf der Rassen und der Klassen sowie gegen den Konfessionsstreit und die Zu⸗ spitzungen im Lohnwesen. Meine Herren der Mitte! Der Kanzler hat schwere Anforderungen auch an die Arbeiterschaft gestellt. Es gibt viele, die diese Opfer als unerträglich ansehen. Soll er darum Mißtrauen verdienen? Gibt es in diesem Volke welche, die die Schutzdämme einreißen wollen? Gibt es welche, die nicht die Freiheit wollen, sondern die Willkür? Noch haben wir den Staat in Ordnung, das Volk zusammen und noch eine Wirtschaft zu Dreiviertel in Funktion. (Zuruf von rechts: Nicht übertreiben!) Das deutsche Volk, das noch spielt mit Regierungs⸗ stürzen, kann mehr verlieren, als es heute noch hat. Ich wehre mich gegen die Geschmacklosigkeiten in den Blättern, die von einer Vorherrschaft der katholischen Kirche sprechen. Wenn das Zen⸗ trum die Regierung mitbilde, so geht es nicht ums Herrschen, son⸗ dern ums Dienen. Der Kanzler hat gestern erklärt, er würde in einer entsprechenden Regierungsfront das geringste Amt über⸗ nehmen. Er will kein Cäsar sein, aber für die Zukunft des Volkes will er das Aeußerste tun, wozu auch die Bereitschaft und Entschlossenheit gehört, denen, die nur Haß und Zersetzung predigen, das Handwerk zu legen. Wir können nur denken, daß in der Bauhütte des Dritten Reiches Herrn Dingeldey eine subalterne Rolle zugemutet werden könnte, die in keiner Weise dem Nachfolger des Herrn Stresemann gemäß wäre. Glauben Sie nicht, daß wir so subaltern fühlen, denen die Tore zu öffnen, damit diese Bauhütte errichtet wird. Ich habe das Manifest von Harzburg sehr genau gelesen und sehr ruhig, denn ich bin gar nicht der Meinung, daß es sich hier um ein Gespenst, um ein Brockengespenst handelt, sondern eher um eine Brockensammlung. (Heiterkeit.) Aber das Brockengespenst kann doch symbolisch ge⸗ nannt werden. Das Brockengespenst entsteht, wenn auf Nebel⸗ massen, also etwa auf das nationalsozialistische Programm (Heiterkeit), bei Sonnenschein Schattenbilder geworfen werden. (Erneute große Heiterkeit.) Das wäre Harzburg äußerlich sym⸗ bolisch gesehen. Was wir in Harzburg erlebt haben, ist keine Einheitsfront. Wir wissen nicht, ob Hugenbergs National⸗ kapitalismus oder Reventlows Nationalsozialismus gilt. Wir wissen nicht, ob dort das Eigentum heilig ist oder als Diebstahl aufgefaßt werden soll. Ueberhaupt ist es auffällig, den Führer Hugenberg immer vom internationalen Kapitalismus sprechen zu hören. Wir möchten einmal ein kleines Zeichen von Konsequenz solcher Worte sehen, etwa bei der Ufa. Was wir über die Wirt⸗ schaft von morgen gehört haben haben wir bei Rathenau viel besser gelesen. Und Hitler hat eine politisch⸗moralische Betrachtung geboten, mit der absolut nichts getan ist. Wenn es um den Kampf um die Seele des Volkes geht, gut, wir wollen ihn kämpfen, aber nicht mit Stuhl⸗ beinen und Aufmärschen. (Zuruf rechts: Gummiknüppel.) Das ist kein Kampf um die Seele des Volkes, auch nicht, wenn man diese Seele vergiftet und verdirbt, indem man die Not von
Es sei ferne von mir, irgendeinem Nitglied des Volkes abzusprechen, daß er sich bemüht, die Wünsche und Nöte des Volts zu kennen. Aber das muß bewiesen werden, und Sie können uns nicht beweisen, da ugenberg, itler, Seldte und die anderen mehr davon wissen, als die, die das Schick al mit diesen Massen geteilt haben. Wir haben in den Reden von Harzburg nach der Löfung geforscht. Wir sehen letzt⸗ lich nur eine Lösung, wenn diese gewollt wäre. Ich freue mi über jedes Wort, das gegen eine Inflation gesprochen wird. J. frage mich aber nach einer Lösun „ und ich weiß, 8 es Leute gibt, die die Löfung suchen in der Inflarion Die Inflation war noch immer die letzte Rettung leichtfertiger Schuldner. (Lebhafte — Inflation war noch immer Verderben für ein olk. Wir haben dem Kanzler immer und immer zugerufen: Legen Sie uns die härtesten Maßnahmen auf, aber lassen Sie das nicht tun. Wenn es Leute gegeben hat, die achselzuckend meinen, der kleine Sparer solle wieder von vorn anfangen, dann sage sch: das sind die Vorbereiter einer 8526b des Bolkes. Denn Bolschewisierung fängt mit der Zerstörung des Vertrauens an. Es gibt keinen Ausstieg zu nationaler Größe, es sei denn, daß unser Volk wieder zum äußersten Sparsinn kommt. Die Harzer Roller, die am Sonntag ihr Liedchen pfiffen, sind schon in der Mauser. (Heiterkeit.) Ich sah gestern ein Plakat: Brüning regiert, Hitler marschiert! Wir haben nie gezweifelt, daß diese es se in den Beinen hatten, aber immer, ob sie es auch
—— mißbraucht. (Beifall.)
im Kopfe hatten. (Heiterkeit.) Es kommt heute nicht aufs marschieren, sondern aufs regieren an. Es gibt nur eine Alter⸗ native: entweder finden wir die Kräfte in innerer Verständigung, in der —, einige Monate auszuhalten, bis eine internationale Verständigung dem Kredit die Pforten wieder Fivnr. und die Spannungen beseitigt, die von Versailles und der
schkriegszeit her bestehen, oder wir machen bewußt eine Katastrophe aus einem Gemütsausbruch heraus, der sich zwar national nennt, aber darum das größte Unglück für die Nation bringen muß. Es gibt Zustände und Schwierigkeiten, die man nicht verhindern kann, sondern nur mit zäher Ausdauer über⸗ winden kann. Mit dem Sturz der Regierung würde das Schick⸗ sal von Millionen und das Schicksal des Reichs in unmittelbare Lebensgefahr gebracht. Regierung stürzen ist heute Harakiri für Landwirtschaft und Mittelstand. das Harzburger Manifest schlage ich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, folgende Fassung vor: „Die nationale Front, einig in ihren Phrasen, uneinig in ihren Parteien, Bünden und Gruppen, von dem Willen beseelt, nordnung und Umsturz zu fördern, und unfähig, auf Trümmern ein neues Deutschland zu bauen füct allen Deklamationen keine neue hinzu, sondern begnügt fi damit, sie zu wiederholen.“ (Heiterkeit und Beifall.) Es heißt in dem Manifest, man stoße keine Hand zurück. Es steht aber auch darin, daß die nationale Opposition bei Unruhen nur Leben und Eigentum derjenigen verteidigen werde, die sich zu ihr bekennen. Diese unmi verständ⸗ liche Drohung möge allen zeigen, welcher Art diese Notverord⸗ nungen sein müssen. Sie lehnt es ab, die Regierung und diesen Staat mit dem Einsatz ihres Blutes zu schützen. Gut, dieser Staat und dieses Volk werden sich selbst zu schützen wissen. Wir glauben an den gesunden Sinn des deutschen Volkes, der sich immer wieder aus Wirrungen emporgearbeitet hat. Unsere Auf⸗ abe is zu verhindern, daß aus einer historischen Stunde eine hostert che wird. (Beifall im Zentrum.)
Abg. Baltrusch (Volksnational) nennt es eine geradezu ungeheuerliche Beleidigung, wenn man die deutschen Männer und Frauen, die sich parteipolitisch nicht zu den Harzburger Gruppen, als minder national oder überhaupt nicht national kennzeichnet. Dagegen protestiere die jungdeutsche Bewegung. Diese stehe wie immer zum christlichen deutschen Gedanken, aus dem der wahr⸗ haft nationale Gedanke erwächst. Aus der Rede Oberfohrens habe wenig Nationales geklungen. Wohin solle Deutschland kommen, wenn diese Haßgesänge so weiter gehen. Wir treten mit der ganzen Kraft unserer Ueberzeugung für ehrliche, wahre Volks⸗ gemeinschaft und für eine Verständigung der einzelnen Berufs⸗ stände ein. Darum haben wir das Recht, vom Staat zu ver⸗ langen, daß er jeden Bürger schützt. Wir hoffen, daß die Re⸗ gierung und der Herr Reichspräsident einen Bürgerkrieg werden verhindern können. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob Herr Hugenberg den jetzigen Reichskanzler ablöst oder ob die jetzige Regierung, die man wirklich nicht antinational nennen kann, am Ruder bleibt; auch jede nachfolgende Regierung wird mit Wasser kochen müssen. Lebensgefährlich für Land und Volk würde es sein, wenn eine oder mehrere ; politische Gruppen versuchen sollten, ohne oder gegen die Arbeiterschaft zu regieren oder die Berufsorganisationen, Tarif⸗ und Schlichtungswesen zu zerschlagen. An der Arbeitslosigkeit sind weniger innerpolitische Gründe als internationale Ursachen schuld, vor allem die wirt⸗ schaftliche Abschnürung der einzelnen Länder und die Gold⸗ anhäufung in Amerika und Frankreich. Die Regierung wird in ihrer Außenpolitik darauf ausgehen müssen, die internationalen Ursachen der Arbeitslosigkeit zu beseitigen. „Die erste Voraus⸗ setzung für die Wiederkehr des Vertrauens in unsere Wirtschaft ist die Beseitigung der politischen Beunruhigung und des Bürger⸗ krieges. Der Schutz für die heimische Industrie darf nicht er⸗ schüttert werden. Der Steuerdruck muß erleichtert und die Selbst⸗ verantwortung der Wirtschaft, gekräftigt werden. Für den frei⸗ willigen Arbeitsdienst sind stärkere Mittel zu verwenden. Der Siedlungsfrage muß stärkste Beachtung gewidmet werden. Die Wirtschafts⸗ und Agrarpolitik muß sich stärker als bisher auf die bäuerliche Veredelungspolitik einstellen. Die weitere Besteuerung des Massenkonsums müßte unterbleiben. Durch Abschluß ordent⸗ licher Handelsverträge kann der heimische Arbeitsmarkt ent⸗ lastet werden. Der Tariffriede ist für das soziale und wirtschaft⸗ liche Leben Deutschlands von größter Bedeutung. Die Arbeit⸗ nehmerschaft ist an dem Fuktionieren des Schlichtungssystems ebenso interessiert wie die Arbeitgeberschaft. Die Grundlagen der deutschen Sozialversicherung dürfen nicht verlassen werden. Eine weitere Kürzung der Unterstützungssätze ist nicht mehr möglich. Die berechtigten Forderungen der Klein⸗ rentner sollten von der Regierung berücksichtigt werden.
Reichsfinanzminister Dietrich nimmt hierauf das Wort. Seine Rede wird nach Eingang des Stenogramms veröffentlicht werden.
Darauf wird die Weiterberatung auf Donnerstag 1 Uhr vertagt. —
8 Preußischer Landtag. 250. Sitzung am 14. Oktober 1931, 12,15 Uhr. (Bericht d Nachrichtenbüros d. Vereins deutscher Zeitungsverleger.)
In der heutigen Plenarsitzung des Landtags beschließt das Haus zunächst auf Antrag Werdes (D. Frakt.) ohne Aussprache, einen Antrag der Deutschen Fraktion in die Ausschußberatung zu überweisen, der denjenigen Gemeinden, die zwangsweise eingemeindet wurden, ermöglichen will, auf ihren Antrag wieder ausgemeindet zu werden.
Zustimmung findet auch ein Antrag Kas per Komm.) auf debattelose Ausschußüberweisung kommunisti⸗ scer Anträge, die u. a. einen Gesetzentwurf zum Schutze der Sparer bei Beamtenbanken erstreben.
Bei der folgenden Wahl des dritten Vize⸗ präsidenten als Ersatz für den bisherigen deutsch⸗volks⸗ parteilichen Landtagsabgeordneten von Eynern schlägt Abg. Stendel (D. Vp.) den Abg. Dr. Boehm (D. Vp.), Abg. Schwenk (Komm.) den Abg. Kasper (Komm.) vor
Die Wahl wird 9% Namensaufruf durchgeführt. Ge⸗ wählt wird mit 280 Stimmen der Abg. Dr. Boehm (D. Vp.). Für den Abg. Kasper werden 39 kommunistische Stimmen abgegeben. Dr. Boehm nimmt die Wahl an. Außerdem erhält Dr. Heimann⸗Köln (D. Vp.) 9 Stim⸗ men, der Abg. Kaufhold (D. Nat.) 2 Stimmen sowie die Abgg. Waentig (bisher Soz.) und Lange⸗Dittersbach (Zentr.) je eine Stimme. 9 Zettel sind unbeschrieben.
Hierauf beginnt die politische Aussprache über die Mißtrauens⸗ und die übrigen Anträge und Anfragen zur Politik der Regierung Braun. Auf dem Platz des Ministerpräsidenten ist Innen⸗ minister Severing erschienen.
Abg Dr. von Kries (D. Nat.) führt u. a. aus: Der bis⸗ herige Finanzminister Dr. Höpker Aschoff hat Vorschläge zur Reichsreform gemacht, die einen glatten Verfassungsbruch dar⸗ stellen. Und wenn man auch sagt, er habe diese Vorschläge als Privatmann gemacht, so sei doch die preußische Regierung für diese Pläne mit verantwortlich. Die Vorgänge der letzten Wochen veranlassen uns, Klage vor dem deutschen Volk zu erheben, daß weder die gegenwärtige Staatsregierung noch die Koalitionsparteien die von ihnen selbst geschaffene Verfassung dem Sinn und Wortlaut nack beachten. (Sehr wahr! bei den Deutschnationalen.) Es widerspricht dem Sinn der Verfassung, daß man es ablehnte, den Landtag vor einigen Wochen ein⸗ zuberufen, obwohl das nach der Verfassung erforderliche Fünftel der Abgeordneten es verlangte. (Hört, hört! rechts.) Die gesuchte Auslegung, daß der Landtag selbst sich auf den 13. Oktober ver⸗ tagt hätte, würde es theoretisch auch der Regierung unmöglich machen, das Parlament während der Sommerpause zusammen⸗ zuberufen. Man hat diese Auslegung erst im Frühjahr im Reichstag 13 Ich bedaure, daß im Reichstag auch die Teutsche Vo kspartei sich für diese Auffassung eingesetzt hat. (Hört, hört! rechts.) Weiter hat die Auslegungskunst der Re⸗ gierungsparteien gegen den Artikel 57 der preußischen Verfassung verstoßen, der klar bestimmt, daß über Mißtrauensanträge inner⸗ halb von vierzehn Tagen entschieden werden muß. (Zuruf links: „Aber nur, wenn der Landtag beisammen ist!“) Daß die Ver⸗ assungsbestimmung ganz klar ist, ergibt sich daraus, daß der ührer der Sozialdemokraten im Preußischen Landtag einmal selbst an die Oppositionsparteien mit der Frage herangetreten ist, ob sie geneigt wären, mit dafür zu stimmen, daß die Vier⸗ zehntagefrist gestrichen werde. (Lebhaftes Hört, hört! rechts.) Die preußischen Notverordnungen sind verfassungswidrig. Wir aben deshalb gegen diese Verordnung Klage beim Staats⸗ gerichtshof erhoben. Wenn die preußische Regierung sich auf Ermächtigungen durch das Reich stuͤtzt, so gilt demgegenüber, daß das Reich nicht berechtigt ist, in die Verfassungen der Länder einzugreifen. (Sehr wahr! rechts.) Auch daraus ergibt sich die Verfassungswidrigkeit der Reichsnotverordnungen. Und wo das Reich seine verfassungsmäßigen Befugnisse überschreitet, wie es auch bei den Eingriffen in die Beamtenrechte usw. nach der Juni⸗ verordnung der Fall ist, endet die Gehorsamspflicht der Länder. (Sehr wahr! rechts.) Besonders verfassungswidrig ist die preußische Notverordnung über die Aenderung des Wahlrechts. Denn im Wege der Notverordnung dürfen keine Neuregelungen für die Dauer getroffen werden, sonst könnte man ja durch Not⸗ verordnungen die Länder überhaupt beseitigen. Interessant ist, daß im Staatsrat alle Parteien, auch die Sozialdemokraten, die stärkste preußische Regierungspartei, die Notverordnungen als verfassungswidrig bezeichnet haben. (Lebhaftes Hört, hört! rechts.) — Zum Nachweis dafür verliest der Redner die Aus⸗ führungen des sozialdemokratischen Sprechers im Staatsrat, Oberbürgermeister Brauer, Altona. Brauer habe da u. a. gesagt, mit einer so leichten Hinwegsetzung über die Verfassung könne man jeden Staatsstreich begehen. (Stürmisches Hört, hört! rechts.) Der Redner wendet sich noch gegen den sogenannten „Luther⸗Plan“, wonach G im Interesse der Rationalisie⸗ rung der Staatsverwaltung seine Selbständigkeit aufgeben solle. Geradezu verbrecherisch sei das Gerede von der Schaffung selb⸗ ständiger Ruhr⸗ und Rheinstaaten, dem durch eine eindeutige Er⸗ klärung von Zentrumsseite die Spitze abgebrochen werden sollte. (Sehr wahr! rechts.) Preußen habe sich immer als starke Klammer gezeigt, die das Deutsche Reich zusammenhält, und müsse daher bestehen bleiben. Die Deutschnationalen erstrebten die Wiederherstellung der Bismarckschen Verfassung. Beifall rechts.) Das Abgehen von der Bismarckschen Verfassung in Weimar habe erst die jetzigen Uebelstände heraufgeführt. (Sehr wahr! rechts. — Lärm und Zurufe links.)
Abg. Haas⸗Köln (Soz.) tritt zunächst den Ausführungen des Abg. Steinhoff (D. Nat.) vom Vortage entgegen. Er habe eine „hochpolitische“ Rede vorgelesen. Man müsse feststellen, daß der Ton dieser Rede sehr in Gegensatz stand zu der in vor⸗ nehmer Form gehaltenen Rede des Abg. von Kries. Verwunder⸗ lich sei, daß Herr von Kries geglaubt habe, die Verfassung ver⸗ teidigen zu müssen und daß er als Jurist es unternommen habe, in ein schwebendes Gerichtsverfahren einzugreifen. (Lachen rechts.) Er hätte doch hinsichtlich der Auslegung der weüfasung die Ent⸗ scheidung des Staatsgerichtshofs abwarten müssen, der ja an⸗ gerufen sei. Es sei nicht richtig, daß ein Fünftel des Landtags jederzeit die Einberufung des Landtags erzwingen könne. Das würde auf eine unhaltbare Majorisierung des Landtags hinaus⸗ laufen, die nicht der Sinn der Verfassung sei. Hinsichtlich des Separatismus habe Herr von Kries große Worte gelassen aus⸗ gesprochen! Die Vertreter des „alten Preußens“ könnten nicht für sich in Anspruch nehmen, daß sie Preußen und das Reich gerettet hätten nach dem verlorenen Kriege. „Versackungs⸗ politik“ hätten gerade Vextreter der Rechten getrieben! (Lebh. Zu⸗ ruse rechs: Das sagen Sie wohl dem Zentrum?) Wenn auch beim Zentrum separatistische Neigungen vorhanden gewesen seien, so sei das ebenso abzulehnen. (Zuruf des Abg. Steuer [D. Nat.): Nennen Sie einen einzigen Deutschnationalen! — Große Unruhe im Hause. — Als der Redner erklärt, er wolle keine Namen nennen, ertönen fortgesetzt Protestrufe bei den Deutschnationalen, die den Redner anhaltend auffordern, Namen zu nennen. Als der Redner dem nicht Folge leistet, wird ihm zugerufen: Sie sind ein Verleumder! — Die Deutschnationalen, der größte Teil der Volkspartei und weitere Mitglieder der Rechten 8 unter Protestkundgebungen den Saal.) Abg. Haas erklärt, als sich die Unruhe im Hause etwas gelegt hatte, weiter, auch die vereinte Kraft von links und rechts habe am 9. August nicht vermocht, das preußische Parlament zu beseitigen. Der Volksentscheid wegen Auflösung des Landtags sei ein großes Fiasko gewesen! Die Rechte beklage sich darüber, daß die preußische Regierung gegen Beamte vorgegangen sei, die sich am Volksentscheid be⸗ teiligt haben. Offenbar hätten die Beamten, die sich beteiligten, mit bei der Partie sein wollen, wenn das Dritte Reich kommen würde. Wenn die preußische Regierung solche Beamte zur Rechenschaft ziehe, so habe sie damit nur recht getan. „Traditions⸗ mäßig“ hätten diese Beamten sicher nicht gehandelt. Besonders müsse gegen politische Beamte vorgegangen werden, die den Volksentscheid mitgemacht haben. Politische Beamte müßten Vertrauensleute der Regierung sein! Und wenn Polizeioffiziere an Polizeischulen, die Lehrer für junge Leute sein sollten, den Volksentscheid mitgemacht hätten, so seien sie eben nicht geeignet für ihr Amt. Die Polizei solle den Staat in seinem Bestande schützen; der Erziehung zu dieser Aufgabe hätten sich Offiziere, die Lehrer sein sollen, zu widmen. Die Polizei sei verpflichtet, die Republik zu verteidigen; sie müsse sich aber auch ihrer Haut wehren, wenn sie fortgesetzt von radikalen Elementen angegriffen werde. Ein Unrecht sei es auch, gerade bei den Polizeibeamten, die einen so schweren Dienst haben, Gehaltsabzüge 9 machen, wie es durch die Notverordnung geschehe, und die Reichswehr
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freizulassen. Was die übrigen Beamten angehe, so müsse man verlangen, daß, wenn Kürzungen vorgenommen würden, all⸗ gemein gekürzt werde, daß einzelne Gruppen nicht heraus⸗ genommen würden und daß insbesondere vor den hohen Ge⸗ hältern nicht Halt gemacht werde. Der Redner legt sodann die Stellung seiner Fraktion dar zu den Anträgen über Redeverbote und Versammlungsverbote und erklärt, in der Provinz Hessen⸗ Nassau hätten gegenüber den anderxen Parteien die staatsfeind⸗ lichen außerordentlich viele Versammlungen abgehalten; es sei nur ein kleiner Teil verboten oder aufgelöst worden (Lachen und Widerspruch bei den Kommunisten.). Die Versammlungsfreiheit, die eute gewährt werde, würde die Kommunisten und National⸗ henteeshen niemals ihren politischen Gegnern zugestehen. (Lär⸗ mende Unterbrechungen bei den Kommunisten; zwei Kommunisten werden zur Ordnung gerufen.) Die Kommunisten sollten an Rußland denken und sich nicht über Freiheitsbeschränkungen be⸗ klagen. Auch im alten Preußen sei ja von Preß⸗ und Versamm⸗ lungsfreiheit für politisch Andersdenkende keine Rede gewesen! Die Gegner des heutigen Regimes aber wollten die arbeitenden Massen nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich entrechten. Die Harzburger Tagung habe auch gezeigt, daß man auf eine neue Inflation hinsteuere. Eine solche Inflation würde den Zusammenbruch und den Bürgerkrieg bedeuten. Deshalb habe sich auch der Reichskanzler und der Reichsbankpräsident sehr deutlich gegen eine neue Inflation ausgesprochen, für die nur Katastrophenpolitiker zu haben seien. Heute wolle man den Marxismus und die sozialen Rechte zerschlagen! Man wolle das Tarifrecht und das Schlichtungswesen beseitigen — das sei das Ziel Hugenbergs und Hitlers. Diejenigen, die noch soziales Ge⸗ fühl haben, sollten eine Einheitsfront bilden für Republik und Arbeiterrechte! (Gelächter und Zurufe bei den Kommunisten.) Eine solche gemeinsame Front würde Volk und Staat retten! Abg. Baumhoff (Zentr.) führt aus, daß wir nicht zum ersten Male Wochen politischer Spannung und Aufregung durch leben. Wir hätten fe immer überwunden, und das gebe uns die Hoffnung, daß der heiße Brei, den man in Harzburg zubereitet habe, sich in dieser Woche noch wesentlich abkühlen würde. Das Zentrum sche der weiteren Entwicklung mit aller Ruhe entgegen. In sehr scharfer Weise setzte sich der Redner alsdann mit der nationalen Opposition auseinander. Er zeigte die oberflächliche Art, mit der man auf dieser Seite den politischen und wirtschaft⸗ lichen Wirrnissen gegenüberstehe. Sehr lebhaft war auch seine Kritik, die er an den Sünden der irtschaft, der Politik und aller Stände übte. Sehr ausführlich beschäftigte sich der Redner alsdann mit der preußischen Notverordnung. Es sei bedauerlich, daß angesichts des völligen Versagens des eichstags bzw. der im Reichstag sitzenden Harzburger Intelligenz der Staat genötigt sei, zur Abwendung schlimmster Notstände den Artikel 48 zu Hilfe nehmen zu müssen. Die Notgesetzgebung habe ihre großen Mängel. Die Fraktion könne sich unmöglich mit allen Einzelbestimmungen der preußischen Notverordnung befreunden. Sie habe den Wunsch, daß sie in manchen Punkten einer Revision unterzogen würde! Nicht gegen die Summe der Opfer protestiere seine Fraktion, denn heute sei in soviel Millionen von Familien fürchterliche Not ein⸗ gelehrt, daß man von allen denen, die noch auf sicherem Boden ständen, Opfer verlangen müsse. Man müsse der Staatsregierung das Recht einräumen, in ungewöhnlichen Notzeiten auch ungewöhn liche Maßnahmen zu ergreifen. Aber ein Notrecht dürfe kein Fermalrecht, kein Dauerrecht werden. Sei der Notstand beseitigt, ann müßten auch die normalen Grundgesetze wieder ihre Gültig⸗ keit haben. Deswegen sähen seine Freunde es als einen Haupt⸗ mangel der preußischen Notverordnung an, daß ihre Maßnahmen nicht befristet sind. Erhebliche Bedenken hätte die Zentrums⸗ fraktion auch gegen die öffentlichen kulturpolitischen Tendenzen so mancher Einzelmaßnahmen. Er warnt davor, die an und für sich günstige Gelegenheit der Notgesetzgebung zu Ueberraschungen auf dem Gebiet kulturpoltischer Grundsatzfragen zu mißbrauchen. Außerordentlich groß sei die Zahl der Beschwerden, die aus den Kreisen der Beamten und der zehrerschaft an das Haus gekommen scien. Die Fraktion würde alle diese Klagen prüfen. Mit be⸗ seter Eindringlichkeit setzte sich der Redner für den schwer ge⸗ schädigten Nachwuchs (Studienassessoren, Jungle rer) ein. Ebenso erhob er Bedenken gegen die Behandlung der Professoren. Energisch forderte er ein Vorgehen gegen die wirtschaftli versorgten ver⸗ heirateten Beamtinnen. Besonders schmerzlich empfindet die Fraktion die Eingriffe in die Selbstverwaltung. Heute sei überall der Wille zur Sparsamkeit vorhanden. Es sei deswegen unnötig gewesen, der Selbstverwaltung mit Mißtrauen zu begegnen. Worte des Dankes fand er für die Polizei, und er forderte für
diese ausreichenden Schutz. Zum Schluß setzte er sich dann noch
einmal sehr lebhaft mit dem Geist von Harzburg auseinander. Mit Entrüstung wandte er sich gegen die Inflationsgedanken und gegen den Abbau der sozialen Grundrechte. Seine Rede endete mit einem Treuebekenntnis zum Reichskanzler Brüning und mit einem Appell an das Volk, in diesem harten Winter den Geist der Nächstenliebe und Barmherzigkeit lebendig sein zu lassen. Minister des Innern Dr.⸗Ing. Severing: Meine Damen und Herren! Ein parlamentarischer Minister, wie ich ihn auffasse, soll nicht nur die Wünsche und Anregungen der Parteien auf sich wirken lassen, die ihn in seiner Tätigkeit unter⸗ stützen, sondern soll auch Obacht geben auf das, was die Opposition zu sagen hat. Ich habe darum mit besonderer Auf⸗ merksamkeit den Ausführungen zugehört, die gestern der Herr Abgeordnete Steinhoff und heute der Herr Abgeordnete von Kries dem Hause vorgetragen haben. Da muß ich nun sagen: ich war sehr erstaunt darüber, daß die beiden Herren, die Vertreter einer doch immerhin sehr starken Fraktion, die auch gelegentlich davon sprachen, daß es in dieser Zeit darauf ankommt, das deutsche Volk wieder aufzurichten, von den Voraussetzungen eines Wiederauf⸗ baues so gut wie gar nichts gesagt haben. Ich habe nichts davon gehört, wie etwa dem Reich neue Mittel oder, bei den heutigen Steuerquellen, ein stärkerer Zufluß zugeführt werden könnten, damit die Steuerüberweisungen an die Länder reichlicher fließen, damit die Gemeinden besser in der Lage sind, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Ich habe nichts davon gehört, wie sich die Herren die eine große Aufgabe des nächsten Winters, die der Herr Kollege Baumhoff eben angedeutet hat, das Volk vor dem Hungern, das Volk vor dem Frieren zu schützen, zu lösen vorstellen. (Zurufe bei den Kommunisten.) Meine Damen und Herren, nach meiner Meinung kommt es, wenn wir die Ruhe und Ordnung und damit die unerläßliche Voraus⸗ setzung für die Weiterexistenz des deutschen Volkes schaffen wollen, für diejenigen, die hier im Landtage die Not der Städte zu prüfen und abzustellen haben, in der Hauptsache darauf an, die eine Frage zur Lösung zu bringen, wie wir die Wohlfahrts⸗ erwerbslosen über den nächsten Winter hinwegbringen wollen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Womit haben sich aber nun die beiden Herren Redner der deutschnationalen Fraktion be⸗ schäftigt? Mit einer Anfrage oder mit mehreren Anfragen, von denen selbst Herr Kollege von Kries heute nachmittag gesagt hat, daß sie auch nach seiner Meinung nicht gerade aktuell seien. Aber mit einem wahren Feuereifer haben sich die beiden Herren Interpellanten auf die Auslassungen gestürzt, die der Herr Kollege Höpker Aschoff vor einiger Zeit im „Deutschen Volks⸗ wirt“ veröffentlicht hat und die einige Gedanken zur Reichs⸗
reform zum Gegenstand hatten. Ich bin durchaus der Meinung, daß einige Schritte zur Reichsreform auch in diesen Tagen aktuell werden könnten, ich bin durchaus der Meinung, daß wir Mittel und Wege dazu auch an dieser Stelle und jetzt prüfen könnten, mit dem Ziel, zu einer Vereinfachung des Verwaltungsapparats im Reiche und in den Ländern zu gelangen. Positive Andeu⸗ tungen hat in dieser Richtung heute nachmittag der Herr Kollege von Kries selbst gemacht, indem er meinte, daß es darauf ankomme, das Reich davor zu bewahren, neue Spezialbehörden aufzuziehen, und daß das Land angehalten würde, von sich aus neue Einrichtungen organisatorischer Art nicht zu schaffen. Aber die Frage, ob Preußen zugunsten eines unitarischen Reiches zer schlagen werden soll, ist wirklich nicht aktuell, und deswegen empfinde ich die — man verzeihe den Ausdruck — künstliche Auf⸗ regung als eine — ich möchte fast sagen — demagogische Auf⸗ bauschung der Auslassung des Herrn Kollegen Höpker Aschoff, wenn die Dinge so dargestellt werden, als ob Herr Kollege Höpker Aschoff die Absicht gehabt habe, aus parteiegoistischen Motiven Preußen zu zerschlagen, um sich und seinen Ministerkollegen sozu⸗ sagen eine politische Heimstätte im Reich zu schaffen.
Ehe ich mich den Ausführungen darüber zuwende, gestatten Sie mir, daß ich dem scheidenden Ministerkollegen Höpker Aschoff auch von dieser Stelle aus den Dank der Staatsregierung dafür ausspreche, daß er in schweren Zeiten dazu beigetragen hat, die preußischen Finanzen in Ordnung zu halten und auch damit eine wichtige Voraussetzung für das Gedeihen des preußischen Staates zu schaffen. (Bravo! bei der Deutschen Staatspartei.)
Was hat nun Herr Kollege Höpker Aschoff gesagt? Herr Kollege von Kries hat es heute zitiert. Er hat im wesentlichen gefordert, daß zum Zweck einer engeren Verbindung der Preußi⸗ schen Staatsregierung mit der Reichsregierung der preußische Ministerpräsident das Amt eines Vizekanzlers übernehmen möge, daß der preußische Innenminister zugleich Reichsinnenminister sein solle, und daß das preußische Ressort des Justizministers von dem Reichsjustizminister verwaltet werden sollte. Ich bin darüber unterrichtet, daß der Herr Kollege Höpker Aschoff gar nicht daran gedacht hat, die Verwirklichung dieser Vorschläge vom Artikel 48 Absatz 2 zu erwarten. Das wäre auch meines Er⸗ achtens eine unberechtigte und noch dazu ganz überflüfsige In⸗ anspruchnahme dieses ohnehin reichlich odiösen Artikels der Reichsverfassung. Der Artikel, der hier in Betracht käme, wäre der Artikel 53, in dem es heißt, daß der Herr Reichspräsident den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Reichsminister ernennt. Ich kann mir theoretisch sehr wohl denken und konstruieren, daß ohne daß irgendeine verfassungsrechtliche Bestimmung Preußens oder des Reichs verletzt wird, der Herr Reichspräsident einen amtierenden preußischen Minister zum Reichsinnenminister ernennt. Gewiß könnte dabei die Frage gestellt werden, was der betreffende Minister im Falle eines Mißtrauensvotums zu tun hätte, das er als Reichsinnenminister auf sich zöge. Ich glaube aber, die Beantwortung liegt schon in dieser Frage. Er würde von seinem Amt als Reichsinnenminister zurücktreten müssen. Ebenso würde der amtierende preußische Minister zurück⸗ treten müssen, wenn der Preußische Landtag ihm das Vertrauen
entzöge. Eine zeitweilige Duplizität, eine zeitweilige Personal⸗
union — das ist wohl der richtigere Ausdruck — wäre aber nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern vielleicht sogar — darauf lege ich auch Gewicht — in gewissen Situationen politisch durchaus zweckmäßig. Ich kann mir sehr wohl vorstellen, daß es in einer Zeit, wo es drunter und drüber geht, wo sich Unruhen nicht auf die Grenzen eines Landes beschränken, durchaus er⸗ wünscht wäre, da das Reichsheer ja bei der Unterdrückung von Unruhen zweckmäßigerweise nicht sofort eingesetzt werden soll, wenn die Verschiebung der Polizei von einem Land in das andere von einer Stelle aus dirigiert würde, wenn also die Polizei mindestens des größten Landes unter der Leitung eines Reichs⸗ ministers, der zugleich preußischer Innenminister wäre, stehen würde. Ich kann mir auch sehr wohl denken, daß in Notzeiten wie den heutigen der preußische Ministerpräsident als Vizekanzler bei den Beratungen der Reichsregierung durchaus recht am Platze wäre. Diese Erwägungen sind ja aber im Augenblick wirklich nicht aktuell. Wenn schon in der letzten Woche der Herr Reichs⸗ kanzler Brüning sich genötigt sah, das Kabinett Brüning Nr. 1 zu verändern, weil es gewissen Schichten im deutschen Volke als zu weit links gerichtet erschien, wenn er wenigstens eine Tarnung dieses Kabinetts vornehmen mußte, um den Anschein zu erwecken, als sei ein Ruck nach rechts erfolgt, dann ist in einem solchen Augenblick die Hereinnahme des heute amtierenden preußischen Innenministers, der doch links steht, wie Sie zugeben werden, ein Vorschlag, über den man allerdings theoretisch und hypo⸗ thetisch allerlei müßige Gedanken anstellen kann, der aber keiner⸗ lei praktische Bedeutung hat. Deshalb ist es meines Erachtens unangebracht, daß sich die Herren von der Deutschnationalen Volkspartei so sehr über diesen einen Aufsatz von Herrn Höpker Aschoff beschweren. Ueber die Reichsreform ist soviel geschrieben und geredet worden, daß ich es in den letzten Monaten trotz der Auffordeoung einiger Verlage abgelehnt habe, die Kannegießeret um die Reichsreform durch Beiträge von mir zu vermehren. Ich bin der Meinung, daß die Frage der Reichsreform jetzt in das Stadium getreten ist, daß sich nicht mehr in erster Linie und aus⸗ schließlich die Schriftsteller damit beschäftigen dürfen, sondern daß es darauf ankommt, aus all den vielen Vorschlägen die praktischen Folgerungen zu ziehen, und zu verwirklichen, was heute zu ver⸗ wirklichen ist. (Zurufe bei der Deutschnationalen Volkspartei.) — Auf die Notverordnungen komme ich jetzt!
Herr von Kries, gestatten Sie mir zunächst noch, daß ich der Meinung, die Sie über die Güte des heutigen Föderativsystems geäußert haben, von meinem Standpunkt aus widerspreche. Das Föderativsystem ist auch in der Zeit der Bismarckschen Reichs⸗ gründung nicht überall als etwas ganz Vorzügliches anerkannt worden. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es existiert ein Wort des damaligen Kronprinzen, daß dieser Entwurf der bundesstaatlichen Verfassung ein künstlich gefertigtes Chaos sei. Ich glaube, daß der Kronprinz Friedrich mit dieser Kennzeichnung durchaus recht gehabt hat; man hat mit diesem Föderativsystem die Probe auf das Exempel nicht machen können. Wir haben von 1871 bis 1914 wirtschaftlich und politisch sehr günstige Verhält⸗ nisse gehabt. Ich habe mir darüber ein Urteil bilden können, ich
habe auch darüber Untersuchungen angestellt, soweit ich das in meinem Amt konnte. Hätten wir im Jahre 1921 und im Jahre
1923 insbesondere nicht das eine große Band der unitarischen Steuergesetzgebung gehabt, — meine Herren, ich weiß nicht, wie
es mit den separistischen Bestrebungen im Rheinlande und in Bayern geworden wäre. Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Ich weiß nicht, ob wir dann so gut, so verhältnismäßig gut diese Jahre überstanden hätten wie heute, wo immerhin das Föderativ⸗ system von 1871 in wesentlichen Punkten geändert worden ist. 8
Ich bedauere außerordentlich, daß der Herr Kollege von Kries seine Ausführungen mit der Ankündigung seiner politischen Freunde geschlossen hat: Wir wollen das alte Preußen wieder aufrichten. Der Herr Abg. Baumhoff hat ihm eben am Schlusse seiner Ausführungen mit erfreulicher Deutlichkeit erklärt, daß es im deutschen Volke weite Schichten gibt, die sich dagegen mit aller Entschiedenheit wehren werden. (Sehr richtig!; im Zentrum und links.) Es ist besonders nach Harzburg nicht notwendig, festzu⸗ stellen, daß Ihre Absichten Ihnen nicht gelingen werden. Herr Dr. von Kries, ich habe Sie immer als einen ruhigen und ver⸗ ständigen Mann eingeschätzt (Lachen und Zuruf bei der Deutsch⸗ nationalen Volkspartei: Sehr gütig! — Heiterkeit), und weil ich der Meinung bin, daß Sie auch heute noch nicht aufgehört haben, das zu sein, möchte ich doch wohl annehmen, daß Ihre heutige An⸗ kündigung am Schluß Ihrer Rede wesentlich von Zeitungsnach⸗ richten, von der Berichterstattung über Harzburg beeinflußt ge⸗ wesen ist. Meine Herren, ich habe, als Harzburg angekündigt wurde, darauf aufmerksam gemacht, daß in der Nähe von Harz⸗ burg der Ra dau⸗Wasserfall fließt und habe gemeint, daß dieser Wasserfall durch die Tagung Konkurrenz bekommen würde, und daß dann die zweite Silbe betont werden müsse und es nun Rad au⸗Wassenfall heißen würde. (Heiterkeit.) Ich habe das vorher gesagt, und die Reden von Harzburg haben mir recht gegeben. Meine Herren, ich sage Ihnen: Sie befinden sich in einem Irrtum, wenn Sie glauben, daß die Kraftmeierei, die man in Harzburg bemerkt hat, identisch sei mit der Kraft Ihrer poli⸗ tischen Machtgruppen. Nein, so stark ist die Staatsautorität noch, daß sie den 31. Qktober und den 8. November d. J. und alle Ihre Termine überstehen wird. (Abg. Steuer: Ma hen Sie doch Neu⸗ wahlen!)
Herr Dr. von Kries, ich habe um deswillen Ihre Rede⸗ wendung bedauert, weil die Errichtung des alten Preußens, des Preußens, wie es vor dem Jahre 1918 bestand, nichts anderes be⸗ deutet als die Wiedererrichtung von politischen und wirtschaftlichen Privelegien (sehr richtig! links), von Dingen, die sich das deutsche und das preußische Volk im Jahre 1931 und später unter keinen Umständen mehr gefallen läßt. (Sehr richtig! Sehr wahr! im Zentrum und bei den Sozialdemokraten. — Abg. Steuer: Das Volk läßt sich ja heute von Ihnen alles Mögliche gefallen!) Ab⸗ schließend darf ich sagen: Wenn die Herren von der deutsch⸗ nationalen Fraktion fragen, ob die Preußische Staatsregierung mit den Auslassungen Dr. Höpker Aschoffs einverstanden sei, dann antworte ich auf diese Frage mit einem runden Nein. Die Preußische Staatsregierung hat sich mit den einzelnen Vor⸗ schlägen des Herrn Dr. Höpker Aschoff nicht beschäftigen können, und die Preußische Staatsregierung würde es strikt ablehnen, sich mit dem Gedanken zu befreunden, daß die Delegation einiger preußischer Minister in das Reichskabinett auf dem Wege über Artikel 48 statuiert werden könne. Ich glaube, das genügt Ihnen. (SHeiterkeit.)
Meine Herren, wenn ich der Meinung war, daß schon diese Anfrage auf Aktualität keinen Anspruch erheben kann, so habe ich keinen parlamentarischen Ausdruck für die Frage unter Nr. 7560. Die Herren Abgg. Dr. von Winterfeld und Gen. fragen an, wie das Staatsministerium zu den Plänen stehe, einen Ruhrstaat zu errichten.
Die Herren fragen dann weiter: v“
Ist das Staatsministerium bereit, von derartigen separatisti⸗
schen Machenschaften abzurücken und den Urhebern dieser
Pläne mit allem Nachdruck entgegenzutreten?
Wenn man diese Anfrage und die Formulierung ernst nimmt, unterstellt man damit, datz weite Schichten des rheinischen Volkes sich jetzt mit Separationsplänen tragen konnten. Dafür ist nicht der Schatten eines Beweises zu erbringen. (Zuruf rechts. — Sehr richtig; im Zentrum.) Alle Auslassungen, die darüber in den Zeitungen gestanden haben oder in Versammlungen hervorgetreten sind, sind, um es milde auszudrücken, reinste Phantasiemeldungen. (Zuruf rechts: Warum haben Sie das „Düsseldorfer Tageblatt“ nicht gleich verboten!) — Ja, man verbietet nicht jede Fastnachts⸗ zeitung! (Große Heiterkeit und Zurufe rechts und im Zentrum.) Ich meine, es ist ein Unterschied, ob ein sensationslüsterner Re⸗ porter, ob eine in der politischen Entwicklung zurückgebliebene Redaktion (große Heiterkeit) oder ob eine ernstzunehmende und ernsthafte Fraktion einer deutschen Volksvertretung derartige An⸗ fragen stellt und derartige Ansichten unterstellt. (Sehr gut! links.)
Wenn die Rheinlande schon im Krisenjahr 1919 sich mit Er⸗ folg gegen die Umtriebe von Dorten zur Wehr gesetzt haben, wenn sie 1923, als es gefährlich war, für Deutschland und Preußen eingetreten sind, wenn damals die Angehörigen aller Parteien, insbesondere der Weimarer Parteien, Gesundheit und Leben eingesetzt haben, um die Rheinlande in der innigsten Ver⸗ bindung mit Preußen und dem Reiche zu halten, dann besteht nicht der geringste Zweifel, daß die Abwehr aller Separatisten⸗ umtriebe von der rheinischen Bevölkerung selbst vorgenommen wird (sehr gut! links und bei den Sozialdemokraten), und daß es deshalb ganz überflüssig ist, daß ich von dieser Stelle aus be⸗ tone, daß sich auch die Preußische Staatsregierung allen Abwehr⸗ bestrebungen anschließen wird. (Sehr gut! links.)
Damit kann ich wohl diese Dinge erledigen. Vielleicht noch, daß ich darauf hinweisen könnte, daß alle diese Fragen wie Reichsreform, Föderativstaat oder unitarischer Staat letzten Endes Zweckmäßigkeitsfragen und keine Grundsatzfragen sind, nicht wahr, Herr Abg. Steuer? (Abg. Steuer: Es kommt drauf an! — Große Heiterkeit.) — Das war sehr salomonisch aus⸗ gedrückt; denn wenn der föderative Charakter des Reiches ein unumstößlicher Grundsatz und ein Prinzip wäre, an dem nicht gerüttelt werden dürfte, dürften sich Ihre Parteiführer in früheren Jahren nicht zum Gedanken des unitarischen Staates bekannt haben. Ich habe in einer großen Beamtenversammlung,
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