1931 / 243 p. 3 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 17 Oct 1931 18:00:01 GMT) scan diff

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Löbe eine Pause bis 8 ¼ Uhr ein.

Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 243 vom 17. Oktober 1931.

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ält sich der Stimme. Mit 321 gegen 233 Stimmen bei 16 Enthaltungen wird der Antrag abgelehnt. 8 Gegen das kommunistische Mißtrauensvotum gegen Minister Schiele stimmt auch das Landvolk, o daß dieser 2 mit 337 gegen 233 Stimmen abgelehnt wird. Ebenso wird der Mißtrauensantrag gegen den Arbeits⸗ ninister Dr. Stegerwald mit 326 gegen 235 Stimmen bei 6 Enthaltungen des Landvolks abgelehnt. Präsident Löbe macht darauf aufmerksam, daß wahr⸗ scheiinlich Stimmkarten doppelt abgegeben worden seien. Das tesultat werde also später wohl richtig gestellt werden müssen.

Es folgt die namentliche Abstimmung über die von den Deutschnationalen, Nationalsozialisten und Kommunisten be⸗ antragte Auflösung des Reichstags. Für diesen

ntrag stimmen außer den Antragstellern auch das Landvolk

ind die Sozialistische Arbeiterpartei: Die Auflösung des Reichstags wird mit 320 gegen 252 Stimmen a b gelehnt.

Deutschnationale und Nationalsozialisten beantragen die Aufhebung aller seit dem 10. 2. 1931 er⸗ assenen Notverordnungen.

Abg. Torgler (Komm.) erklärt dazu, die Kommunisten timmten für diesen Antrag, weil sie grundsätzliche Gegner der der Notverordnungspolitik überhaupt seien. Die Notverordnungen enthielten zwar auch Maßnahmen gegen die Kapitalflucht und Devisenschiebungen, aber diese seien unwirksam und würden nußerdem viel besser auf dem Wege der ordentlichen Gesetzgebung geschaffen werden.

Die Aufhebung aller seit dem 10. Februar erlassenen Notverordnungen wird darauf mit 336 gegen die 233 Stim⸗ men der Nationalsozialisten, Deutschnationalen und Kom⸗ munisten abgelehnt.

Gegen dieselbe Minderheit werden die Anträge auf Aufhebung einzelner Notverordnungen ab⸗ gelehnt.

Abg. Dr. Leicht (Bayer. Vp.) erklärt vor der Abstimmung über die letzte Notverordnung vom 6. Oktober: Unsere Kritik und unsere grundsätzlichen Beanstandungen an den Notverord⸗ nungen der Reichsregierung, insbesondere an der vom 6. Oktober 1931, halten wir aufrecht. Wir machen von dem Ergebnis der weiteren Verhandlungen unsere endgültige Stellungnahme ab⸗ bängig und werden uns deshalb heute der Abstimmung enthalten.

Die Aufhebung dieser letzten Notverordnung wird darauf mnit 302 gegen 247 Stimmen bei 20 Enthaltungen abgelehnt.

Abg. Dr. Frick (Nat. Soz.) gibt folgende Erklärung ab: Wir Nationalsozialisten haben am 10. Februar dieses Jahres erklärt: „Wir verlassen das Nong⸗Parlament und werden dieses Haus erst wieder betreten, wenn sich etwa die Möglichkeit bietet, eine besonders tückische Maßnahme der volksfeindlichen Mehrheit des Reichstags zu vereiteln.“ Wir verließen damals das Haus, weil wir keine Möglichkeit sahen, in diesem Hause gegen eine volks⸗ seindliche Mehrheit noch etwas zum Wohle des deutschen Volkes auszurichten. Wir sind am 13. Oktober entsprechend dieser Er⸗ klärung hierher zurückgekehrt, um die Möglichkeit auszunutzen, diesem ganzen volksfeindlichen System und der Regierung Brüning ein Ende zu bereiten. (Große Unruhe im Hause.) Dieser Versuch ist mit den soeben Abstimmungen vorerst gescheitert, wenn wir auch nicht anerkennen können, daß diese durch ein unnatürliches Bündnis zwischen Marxisten und vürgerlichen Interessentenvertretern gebildete Meßrhett irgend⸗ eine tragfähige Regierungsbasis abgibt. Wir verlassen daher ent⸗ prechend unserer Erklärung vom 10. Februar dieses Haus, um Zurch unser weiteres Wirken daußen im Volke die letzten Stützen dieses Systems zu beseitigen und damit die e für eine Gesundung der Nation zu schaffen. (Jronischer Beifall in der Mitte lebhafte Auseinandersetzungen zwischen Kommu⸗ nisten und Nationalsozialisten. Die Nationalsozialisten verlassen den Saal.)

Abg. Gottheiner (D. Nat.): Ich habe zu erklären, daß guch wir an den weiteren Verhandlungen dieses Hauses kein Interesse mehr haben (Beifall rechts.)

Abg. Leicht (Bayr. Volksp.): Ich habe festgestellt, daß die Verdächtigung, von der ich vorhin Mitteilung machte, auf den Abgeordneten Münchmeyer zurückzuführen ist. (Pfuirufe im Zentrum.)

Abg. Torgler (Komm.): Wir haben heute dieselbe Situation wie im Februar. In dem Augenblick, wo ein Antrag der Kommunisten gegen den Noung⸗Plan und gegen die Ver⸗ klavung verhandelt werden soll, verläßt die Rechte das Haus. Zie denkt nicht daran, zu den Anträgen der Kommunisten für die Erwerbslosen Stellung zu nehmen.

Abg Sollmann (Soz.): Vor einem Jahr forderten die Nationalsozialisten die Einstellung der Tributzahlungen und die Stellung eines Ultimatums an Frankreich. Von diesen Forde⸗ ungen hat schon in der Erklärung Dr. Fricks am Mittwoch kein Wort mehr gestanden. Jetzt gehen die Nationalsozialisten aus vem Parlament, weil sie sich in den Fragen der Außenpolitik eige vor dem ganzen Volke drücken. Eine gedruckte Erklärung, die Hitler aus dem Braunen Hause an die ausländischen Presse⸗ vertreter versandt hat, erbringt auch den Beweis dafür, daß die Nationalsozialisten, einmal zur Macht gekommen, sofort kriechen verden vor dem ausländischen Kapital, weil ihr ganzer Kampf der Vernichtung der Rechte der deutschen Arbeiter gilt. Sie wagen nicht, gegen den Befehl ihrer Geldgeber für unseren An⸗ trag zugunsten des Tarifrechts und für Antrag auf Neu⸗ regelung der Fürstenabfindung zu stimmen. Wie kann auch eine Partei zu dieser Frage Stellung nehmen, deren Führer nur eine elende Marionette ist in der Hand der abgesetzten Fürsten und Standesherren.

Nunmehr werden die kommunistischen Anträge auf instellung der Tribut⸗ und privaten chuldenzahlungen an das Ausland und auf Austritt aus dem Völkerbund gegen die Antrag⸗ steller abgelehnt.

Um 7 ¾ Uhr tritt dann auf Vorschlag des Präsidenten i Inzwischen wollen die Fraktionen miteinander verhandeln, um 8 Uhr soll der Aeltestenrat zusammentreten, um über eine längere Vertagung des Reichstags zu entscheiden.

Niach Wiederaufnahme der Sitzung werden die Ab⸗ timmungen fortgesetzt. Die Anträge der Deutsch⸗ lationalen und Nationalsozialisten auf Ein stellung Her Zahlung der Polizeikostenzuschüsse an Preußen werden gegen die Stimmen der Kommunisten und des Landvolks abgelehnt. Ein kommunistischer Antrag uf Maßnahmen gegen die Brotpreis⸗ rhöhungen wird gegen die Antragsteller bei Stimm⸗ nthaltung der Sozialdemokraten abgelehnt. Der Ablehnung erfällt auch eine große Zahl weiterer kommunistischer An⸗ räge. Weitere kommunistische Anträge werden unter leb⸗ aftem Protest der Kommunisten, die sofortige Entscheidung verlangen, der Ausschußberatung überwiesen.

Durch Auszählung wird ein kommunistischer Antrag, en Bau des Panzerkreuzers B einzustellen und die reiwerdenden Mittel für die Durchführung der Kinder⸗ speisung zu verwenden, mit 211 Stimmen der Sozialdemo⸗

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kraten und Kommunisten gegen 181 Stimmen der übrigen Parteien angenommen. Ebenso wird ein kommunistischer Antrag mit Unterstützung der Sozialdemokraten an⸗ genommen, der die Reichsregierung auffordert, durch Reichs⸗ geset das uneingeschrankte Koalitions⸗ und Streikrecht für alle Arbeiter, Angestellten

Gund Beamten sicherzustellen.

Abgelehnt wird der kommunistische Antrag, die Preußische Staatsregierung zur Aufhebung ihrer Notverordnung zu veranlassen, desgleichen der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsaus⸗ schusses für die Fälle Nordwolle und Groß⸗ banken.

Den Gesetzentwurf der Sozialdemokraten über die Revision der Fürstenabfindungsanträge be⸗ antragt Abg. Weber (D. Staatsp.) dem Rechtsausschuß zu überweisen. Die Ausschußüberwiisung wird gegen Kom⸗ munisten und Sozialdemokraten abgelehnt. Der weiteren Erledigung des Gesetzentwurfes in zweiter und dritter Be⸗ ratung wird vom Abg. Graf von Westarp (Kons. Volksp.) widersprochen.

Angenommen wird ein kommunistischer Antrag, wonach die Regierung unverzüglich eine Uebersicht vorlegen soll, a) über alle seit dem Juni 1931 vorgenommenen Maß⸗ nahmen zur Stützung von Banken und an⸗ deren privatkapitalistischen Unterneh⸗ mungen und über alle zu derartigen Stützungszwecken übernommenen Bürgschaften, Garantien und ähnlichen Ver⸗ pflichtungen.

Abgelehnt wird gegen die Kommunisten der Antrag, Adolf Hitler, Dr. Hugenberg, Dr. Schacht, Seldte, Dr. Düsterberg wegen eines Komplotts zur Herbeiführung einer neuen Inflation sofort zu verhaften.

Angenommen wird ein sozialdemokratischer Antrag, die Reichsregierung zu ersuchen, zum Schutze der notleidenden Bevölkerung gegen Hunger und Kälte eine Winte rhilfe nach folgenden Gesichtspunkten durchzuführen:

1. Die Winterhilfe ist eine erseprich⸗ Naturalhilfe für alle von Arbeitslosenunterstützung, Krisenunterstützung und Wohlfahrtsunterstützung, und zwar für die Zeit vom 1. No⸗ vember 1931 bis zum 31. März 1932. Sie besteht in der Be⸗

ffeln und Kohle.

lieferung mit 2. Die Naturalhilfe darf nicht zu einer Minderung der Geld⸗ 5 Zentner

unterstützung führen.

3. Die Naturalhilfe soll umfassen: a) Kartoffeln 1 pro Kopf, der zum Haushalt des Unterstützungsberechtigten ge⸗ hörenden Personen, b) Kohle zwanzig Zentner für jeden unter⸗ stützungsberechtigten Haushalt.

4. Die Kohlensyndikate sind zu verpflichten, die Kohlen zu Preisen zu liefern, die nicht über den Durchschnitt der jeweiligen Exporterlöse liegen.

5. Die Beschaffu von Kartoffeln soll in der Weise er⸗ folgen, daß der Kertosselnnarkt entlastet wird und die Verluste bei der Reichsmonopolverwaltung für Branntwein möglichst ver⸗ ringert werden.

Ein weiterer, mit großer Mehrheit angenommener An⸗ trag ersucht die Reichsregierung Maßnahmen zu treffen zur Senkung der überhöhten Kartellpreise, namentlich für Eisen, Kohle, . Düngemittel und Treibstoffe, ferner gegen Preisüberhöhungen, die auf dem Gebiete der Lebensmittelversorgung und der Versorgung mit Gegenständen und Leistungen des täglichen Bedarfs durch Preisbindungen von Innungen oder Zweckverbänden hervor⸗ erufen werden und schließlich eine straffe und wirksame Monopol⸗ und Kartellkontrolle vorzubereiten.

Ein sozialdemokratischer Antrag, der die Reichsregierung ersucht, Pläne und Forderungen auf Beseitigung oder Aushöhlung des Tarifrechts abzulehnen, ins⸗ besondere die Angriffe auf die Unabdingbarkeit des Tarif⸗ vertrages abzuwehren, wird in namentlicher Abstimmung mit 319 gegen 80 Stimmen bei 7 Enthaltungen angenommen.

Zahlreiche Anträge auf Aenderung der Not⸗ verordnungen werden der Ausschußberatung über⸗ wiesen. Angenommen wird ein sozialdemokratischer Antrag, wonach ein Gesetz über die Besteuerung der Aus⸗ wanderer vorgelegt werden soll.

Ebenso wird ein Antrag der Bayerischen Volkspartei angenommen, der die Reichsregierung ersucht, zur Be⸗ kämpfung der Steuer⸗ und Kapitalflucht beschleunigt einen Gesetzentwurf in Vorlage zu bringen, wo⸗ nach Unternehmungen, die in Deutschland eine Niederlassung besitzen, die Zugehörigkeit zu sogenannten Dachgesellschaften (Verwaktungsgesellschaften), die im Auslande ihren Sitz haben, ohne dort eine Fabrikationsstätte erheblichen Aus⸗ maßes zu unterhalten, bei hoher Strafe untersagt wird.

Angenommen wird weiter ein Antrag des Landvolks, die Reichsregierung zu ersuchen, darauf hinzuwirken, daß alle Unternehmungen, bei denen die öffentliche Hand maß⸗ gebend beteiligt ist, die Bezüge ihrer leitenden Angestellten den entsprechenden Beamtengehältern des Reichs unter Berücksichtigung der Alters⸗ und Hinter⸗ bliebenenversorgung angleichen. Desgleichen wird ein Landvolk⸗Antrag angenommen: Beamte und Angestellte des Reichs, der Länder und der Gemeinden (bzw. Gemeinde⸗ verbände), welche in ihrer Diensteigenschaft Mitglieder von nufsichts. oder Verwaltungsräten sind, haben die ihnen aus dieser Tätigkeit zustehenden Bezüge in voller Höhe an die Kassen des Reichs, der Länder und Gemeinden (bzw. Ge⸗ meindeverbände) abzuliefern, ihnen stehen dafür im Falle von Reisen die üblichen Reise⸗ und Tagegelder zu.

Angenommen werden auch Anträge, die Reichsregierung zu ersuchen, die Aufhebung der Zuckersteuer für den nachweislich zur Weinverbesserung benötigten Zucker zu ver⸗ fügen und auf die Reichsbahn im Hinblick einer merklichen Senkung der Fracht⸗ und Rollgeldtarife für Wein, ins⸗ besondere bei Stückgut, einzuwirken. Zustimmung findet auch der Antrag D. Strathmann (Chr. Soz.), der die Reichs⸗ regierung ersucht, die Mineralwassersteuer durch Notverord⸗ nung aufzuheben. Zahlreiche weitere Anträge des Landvolks über Butterzoll und straffere Handhabung der De⸗ visenbewirtschaftung werden mit den Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten abgelehnt.

Der Ausschußberatung werden die in der Angelegenheit der Wenzeslausgrube vorliegenden Anträge über⸗ wiesen.

Angenommen wird ein Antrag, der die Reichsregierung ersucht, das Werk gegen Kälte und Hunger fortzusetzen, ebenso

ein Antrag, der Prüfung der Frage von Erleichterungen für

die Kriegsbeschädigten verlangt. v“

Angenommen wird ferner ein Zentrumsantrag, der die Reichsregierung ersucht, in Anbetracht der weiteren Ver⸗ 2,— der Lage im deutschen Weinbau seit er letzten Regelung der Winzerkreditfrage von einer Er⸗ hebung der rückständigen und inzwischen aufgelaufenen Zinsen Abstand zu nehmen und die erste Tilgungsrate, die gemãß den Richtlinien der Reichsregierung am 15. November 1931 fünig wäre, zu stunden und an den Schluß der laufenden ilgungsraten zu setzen.

Die vorliegenden Interpellationen werden für erledigt erklärt.

Der sozialdemokratische Gesetzentwurf über Revision der Fürstenabfindung wird nachträglich dem Rechts⸗ ausschuß überwiesen. Zahlreiche Einsprüche des Reichsrats gegen die Beschlüsse des Reichstags über Gefrierfleisch⸗ Einfuhr, über Steuererhöhungen usw. werden den Ausschüssen überwiesen.

Es folgt die Beratung einer Entschließung des Woh⸗ nungsausschusses, die die Reichsregierung ersucht, von einer Aenderung des Mieterschutzgesetzes, des Mietengesetzes und des Wohnungsmangel⸗

esetzes Abstand zu nehmen, bis das soziale Mietrecht ge⸗ sichere ist.

Abg. Lipinski (Soz.) empfiehlt die Entschließung zur Annahme und bittet um eine klare Erklärung der Regierung zu dieser Entschließung.

Abg. Lucke Wirtsch. P.) wendet sich gegen die Ausschuß⸗ entschließung.

Abg. Schumann (Komm.,) erklärt, die deutsche Mieterschaft lebe heute in einer viel ungeheureren Not als je. Die Mieterschaft sei bereit zu großangelegten Streiks. Der Ausschußvorsitzende Lucke habe die Verhandlungen des Ausschusses verhindert.

Die Ausschußentschließung wird dann mit den Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten angenommen.

Auf Wunsch der Abgg. Drewitz (Wirtsch. P.) und Baade (Soz.) wird der Aufhebung der Immunität zwecks Einleitung einer Strafverfolgung bzw. eines vom Abg. Baade selbst beantragten Disziplinarverfahrens zugestimmt.

Damit ist die Tagesordnung erschöpft.

Präsident Löbe teilt mit, daß die Reichsregierung im Aeltestenrat den Wunsch geäußert habe, daß der Reichstag erst im Februar wieder zusammentrete. (Hört, hört! bei den Komm.) Die Reichsregierung habe u. a. auf die Ver andlungen des Still⸗ haltekonsortiums hingewiesen.

Abg. Torgler (Komm.) erklärt, daß man im März die Vertagung des Reichstags damit begründet habe daß die Re⸗ gierung Ruhe für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft und für die Sanierung der Finanzen haben müsse. Diese Ruhe habe darin bestanden, baß Notverordnungen am laufenden Band erlassen wurden, die die erwerbstätige Bevölkerung und die Arbeitslosen in ungeheuerlicher Weise belasteten. Auch in den kommenden Monaten solle mit dieser Praxis fort efahren werden. Man wolle aus dem Reichstag selbst eine Art Stillthallekonsortium machen. Die Kommunisten protestierten entschieden gegen die Absicht der Vertagung. Er beantrage, am Dienstag nächster Woche wieder zusammenzutreten.

Der Abg. Ersing (Zentr.) schlägt vor, daß der Reichs⸗ tag nicht vor dem 23. Februar nächsten Jahres wieder zu⸗ sammentrete.

Unter Ablehnung des kommunistischen Antrages schließt sich die große Mehrheit diesem Antrage an

Schluß nach 10 ¼ Uhr.

Preußischer Landtag. 252. Sitzung vom 16. Oktober 1931, 10,20 Uhr. (Bericht d. Nachrichtenbüros d. Vereins deutscher Zeitungsverleger*.)

Nach Eröffnung der heutigen Plenarsitzung des Preußi⸗ schen Landtags spricht Vizepräsident Baumho ff unter leb⸗ haftem Beifall des Hauses dem Abg. Dr. Leidig (D. Vp.) herzliche Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag aus.

Vor Eintritt in die Tagesordnung verlangt Abg. Hoff⸗ mann (Komm.) sofortige Behandlung eines kommunistischen Antrages gegen die Verschlechterungen in den Anstellungs⸗ bedingungen des Personals der Landwirtschaft.

Der kommunistische Antrag wird an den Schluß der Tagesordnung gesetzt.

In der fortgesetzten politischen Aussprache be⸗ schäftigt sich der Minister des Innern Severing mit den Ausführungen der Oppositionsparteien. Seine Rede wird nach Eingang des Stenogramms veröffentlicht werden.

Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Dr. Grimme: Meine Damen und Herren, wenn ich Sie bitte, Ihren Blick nun von den Fragen der allgemeinen Politik den Spezialproblemen eines einzelnen Ressorts zuzuwenden, dann tue ich es deshalb, weil ich diese Tagungswoche nicht vorübergehen lassen möchte, ohne auch meinerseits zu den heftigen Angriffen Stellung zu nehmen, die hier im Hause und noch viel stärker draußen im Lande gegen den Teil der Notverordnung gerichtet worden sind, der sich auf die Sparmaßnahmen im Schulwesen bezieht. Ich nehme diese Gelegenheit auch deshalb wahr, um Ihnen von vornherein zu sagen, daß sich in diesem hohen Hause schwerlich jemand finden dürfte, der die Auswirkungen der Not⸗ verordnung auf dem Gebiete des Schulwesens leidenschaftlicher be⸗ klagt als ich selbst. (Zurufe bei den Kommunisten.) Wenn Sie mich fragen würden, warum ich diese Maßnahmen trotzdem mitge⸗ macht und hinsichtlich ihrer Ausführungsbestimmungen erlassen habe, dann kann ich darauf antworten: ich glaube, es vor Ihnen vertreten zu können, daß ich als verantwortlicher Ressortminister bestrebt war, diese zwangsläufigen und unvermeidlichen Maß⸗ nahmen so zu beschränken, daß ihre Härten, wenn man die Ge⸗ samtlage, in der wir uns befinden, in ihrem vollen erschüttern⸗

*) Mit Ausnahme der durch Sperrdruck ereeeeen Reden der Herren Minister, die im Wortlaute wiedergege n sind.

(Fortsetzung in der Ersten Beilage.)

Verantwortlich für Schriftleitung i. V.: Weber in Berlin.

Verantwortlich für den Verlag und Anzeigenteil i. V.: Ober⸗ rentmeister Meyer in Berlin.

Druck der Preußischen Druckerei und Verlags⸗Aktiengesellschaft, Berlin, Wilhelmstraße 32.

Fünf Beilagen

(einschließlich zwei Zentralhandelsregisterbeilagen).

Berlin, Sonnabend, den 17. Ntober

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(Fortsetzung aus dem Hauptblatt.)

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den Umfang in Rechnung stellt, auf das mindestmögli

herabgedrückt worden sind. Daß ich die Verantwortung füͤr kulturelle Abbaumaßnahmen nur schwersten Herzens mitüber⸗ nommen habe, ist so selbstverständlich, daß ich es umgekehrt für unverantwortlich halten würde, wollte ich mich jetzt hier vor Sie hinstellen und den doch wohl von vornherein zur Untauglichkeit verurteilten Versuch machen, Uebelstände, die Uebelstände sind, und Nöte, die auch ich als Nöte empfinde, Realitäten, gegen die einfach kein Kraut der Disputierkunst gewachsen ist, durch Reden und Erklärungen zu verschleiern oder irgendwie zu bagatellisieren. (Zurufe bei den Kommunisten.) Andererseits wird aber auch die heftigste Kritik nicht um das Eingeständnis herumkommen, daß auch ein Kultusminister nur im Rahmen der finanziellen und wirtschaftlichen Gesamtbedingtheiten des Staates, dem er vor allem zu dienen hat, arbeiten kann. Obwohl damit nur etwas Selbstverständliches ausgesprochen worden ist, freue ich mich doch, daß verschiedene Redner der Oppositionsparteien in diesen Tagen ausdrücklich anerkannt haben, daß es auch auf dem kulturellen Ge⸗ biete ohne erhebliche Opfer nun einmal nicht abgeht. Ange⸗ nommen, der von der Kommunistischen Partei gegen mich ein⸗ gebrachte Mißtrauensantrag, den die Deutsche Volkspartei, wenn ich recht informiert bin, zu unterstützen gedenkt, käme durch, auch dann würde mein Nachfolger, wer es auch immer sein möge und welcher politischen Richtung er auch immer angehören möge, staatspolitisch nur handeln, wenn auch er in seinem Bereiche hilft, daß die Voraussetzung der Kultur, der Staat, überhaupt bleibt. (Sehr richtig! bei den Regierungsparteien.) Ich jeden⸗ falls habe geglaubt, nicht anders als nach der Richtschnur han⸗ deln zu dürfen, daß jemand, der, soviel an ihm liegt, den Staats⸗ bankerott vermeiden hilft, heute das erste tut, was nötig ist, um Kultur und Schule überhaupt am Leben zu erhalten. (Erneute Zustimmung bei den Regierungsparteien.)

Aus dieser Grundhaltung heraus habe ich an der Notver⸗ ordnung mitgearbeitet und zu meinem Teile mitgeholfen, den staat⸗ lichen und, was ich besonders betonen möchte, weil es außer⸗ ordentlich gravierend ist, den Notwendigkeiten der Kommunen meinerseits Rechnung zu tragen. Ich bin dabei auch das möchte ich hier unterstreichen bis an die Grenze des mir möglich Er⸗ scheinenden gegangen, wenn es auch nicht so gewesen ist, meine Damen und Herren, wie ich es in gegen mich persönlich gerichteten Angriffen kürzlich gelesen habe und ich glaube, da plaudere ich nicht aus der Schule —, daß nun etwa die Finanzverwaltung ihrer⸗ seits von mir ausgegangene Ueberangebote mühsam habe abwehren müssen. Gerade weil ich in der öffentlichen Erörterung die Frage sehr lebhaft hin⸗ und hergewendet finde, welcher Minister denn nun in welchem Punkte wie weit eigentlich mit seinen Forderungen

uund Vorschlägen Zegangen sei, möchte ich hier folgendes nicht un⸗

gesagt lassen.

Wenn ich auch in Einzelheiten, wie das bei jedem Ressort⸗ minister immer wieder der Fall sein wird, um eine andere Gestal⸗ tung dieser oder jener und darunter allerdings auch sehr grund⸗ legender Maßnahmen gekämpft habe —, meine Damen und Herren,

für das, was schließlich jetzt dasteht, und dafür, daß diese Not⸗ verordnung überhaupt erschienen ist, trägt der preußische Unter⸗

ecichtsminister genau so die Verantwortung wie etwa der preußische

Finanzminister. (Zuruf: Das ist doch selbstverständlich!) Es kann doch auch gar nicht anders sein; denn, meine Damen und Herren, ich bitte Sie, zu bedenken: auf der Ausgabenseite des Ge⸗ samtstaatshaushalts steht eine Summe von rund 2,1 Milliarden, und dem stehen gegenüber und vielleicht bedenkt man das doch nicht überall in der Oeffentlichkeit, wo man meint, man hätte übe rall sparen mögen, nur nicht auf dem Kulturgebiet an Aus⸗ gaben auf seiten des Kultusressorts nicht weniger als 0,74 Mil⸗ liarden, d. h. also ein glattes Drittel der Gesamtausgaben im preußischen Staatshaushalt überhaupt. Ich meine, wer sich dieses Ausgabenverhältnis einmal vergegenwärtigt, der kann doch über⸗ haupt nicht verkennen, daß auch auf diesem Gebiet gespart werden muß. Ich möchte auch meinen, daß unsere Uebereinstimmung sich gar nicht durchaus nur auf diese Tatsache, daß überhaupt auch auf diesem Gebiet gespart werden muß, zu erstrecken braucht; ich meine, auch hinsichtlich des Wie müßte eigentlich wenigstens dahin eine Uebereinstimmung erzielt werden können, daß, wenn also schon überhaupt gespart werden muß, dann wesentliche Ersparnisse innerhalb des Kultusressorts vorwiegend auf seiten der Personal⸗ lasten herausgewirtschaftet werden können und zu dieser Meinung muß man doch kommen, wenn man sich vor Augen hält, daß von den ebengenannten 740 Millionen allein 630 Millionen für Ausgaben auf dem Personalgebiet beansprucht werden —, so daß man es geradezu als eine zwangsläufige Folge der Struktur dieses Etats bezeichnen kann, daß in ihm Sparmaßnahmen zwar auf institutionellem Gebiete möglich sind, daß solche Sparmaß⸗

8 8 nahmen sich aber in ihrem Effekt doch immer auswirken werden Ngan den Personen.

Wenn wir uns so hinsichtlich dessen, daß gespart werden muß,

8 und hinsichtlich des Wie der Einsparungsmöglichkeiten wenigstens

bis zu diesem Punkt einigen könnten, so gehen nun allerdings die Auffassungen über die Art des Einsparens auseinander (sehr ichtig!), wenn man nämlich nun überlegt, in welcher Weise an den Personalausgaben Einsparungen am zweckmäßigsten vor⸗ genommen werden. Meine Damen und Herren, es gibt hier aber, wenn man vor die Notwendigkeit gestellt wird, sofort Maßnahmen zu treffen, nur die Wahl zwischen drei Wegen, und ich habe auch hier in der Debatte bislang keinen vierten oder fünften Weg zu hören bekommen. Man kann sparen erstens dadurch, daß man die Lehrpersonen weiter belastet etwa durch eine Erhöhung der Pflichtstundenzahl; man kann weiter sparen durch eine Einschrän⸗ rung des Unterrichts, und man kann drittens sparen durch eine Vergrößerung der Klassen. In einer vollen Uebereinstimmung mit meinen Sachbearbeitern habe ich von dem zweiten Weg, also von dem Weg der Einschränkung des Unterrichts, den wesentlichen Gebrauch gemacht, von der Vergrößerung der Klassen so wenig

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wie möglich und von der Mehrbelastung der Lehrenden so schonend wie möglich. Dies letzte das möchte ich hier auch einmal ausgesprochen haben deshalb, weil ich mir, wenn ich an meine eigene Unterrichttätigkeit als Philologe zurückdenke, bewußt bin, daß bei einer irgendwie zu Buch schlagenden nochmaligen Pflicht⸗ stundenzahlerhöhung der Begriff der Pflicht nur noch äußerlich wahrgenommen und nicht mehr mit dem lebendigen Inhalt einer sich der Jugend hingebenden Persönlichkeit erfüllt werden kann. Ich habe deshalb weitere, nach dieser Richtung gehende Forde⸗ rungen abgelehnt, und ich habe den Eindruck, daß mir in der grundsätzlichen Wertung dieser drei Wege auch von der schärfsten Kritik recht gegeben worden ist. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie andere Wege sehen, sie mir zu nennen; es ist selbstverständlich, daß ich sie auf ihre Beschreitbarkeit hin ernst prüfen werde. Bislang habe ich in der pädagogischen Literatur, auch in der polemischen, andere Vorschläge nicht gehört.

In diesem Zusammenhange möchte ich mich dann dagegen wehren, daß diese Gelegenheit der Notverordnung nun von meinem Ressort aus dazu benutzt worden wäre, irgendwelche geheimen Reformpläne oder weltanschaulichen Machttendenzen in das Schulwesen hineinzuschmuggeln. Wenn trotzdem jemand solche Tendenzen und Pläne entdeckt zu haben glaubt, ja, meine Damen und Herren, dann muß ich schon sagen, daß sie so geheim und so versteckt dort hineingearbeitet worden sein müssen, daß sie bis zu dieser Stunde vor mir selbst verborgen geblieben sind. Da⸗ gegen ist Tatsache, daß ich alle Versuche, den Abbau zu mechani⸗ sieren, abgetan zu haben glaube. Um nur ein Beispiel auf dem Gebiete des Volksschulwesens zu erwähnen, so ist auf eine mecha⸗ nische Errechnung der Stellenfrequenz nach Maßgabe einer Landesdurchschnittszahl verzichtet worden. Ich habe allerdings als notwendig anerkennen müssen, eine bestimmte Zahl einzu⸗ sparender Stellen herauszuwirtschaften. Ich habe mir aber vor⸗ behalten, den Maßstab elastisch zu gestalten, damit er den örtlichen Bedürfnissen von Fall zu Fall angepaßt werden kann. Daß trotz⸗ dem zunächst Härten, Unzuträglichkeiten und Unmöglichkeiten ent⸗ stehen, das wird niemand wundern, der bedenkt, daß für ein so fein verästeltes Schulwesen, wie es das preußische ist, kein noch so fein gesponnenes Netzwerk von Paragraphen erdacht werden kann, in das sich nun schlechtweg alle in der Praxis ergebenden Fälle mit einfangen lassen. Um aber solche restlichen Härten zu be⸗ seitigen, habe ich noch gerade in diesen Tagen die Leiter der Schul⸗ abteilungen der einzelnen Regierungen zu mir gebeten, um mit ihnen zu besprechen, wie wir diese verbleibenden Schwierigkeiten beheben können. Ich denke da vor allen Dingen an die hier und da doch wohl im Uebermaß anscheinend erforderlich werdende Versetzung von jungen Lehrern über ihre Heimatbezirke hinaus, die ich auf ein Mindestmaß zurückgeführt sehen möchte. Es ist auch nicht so, wie man aus den Ausführungen des Herrn Ab⸗ geordneten Dr. Boelitz entnehmen könnte, als wenn jetzt zum 1. Oktober mit einem Schlage diese 6000 Stellen frei geworden wären. (Widerspruch des Abgeordneten Dr. Boelitz.) Ich glaubte, Sie so verstanden zu haben. Diese Stellen werden allerdings frei, aber die Durchführung des Abbaues wird sich über Monate erstrecken, so daß ich glaube, daß man da auch dem Prinzip der individuellen Behandlung, soweit das überhaupt möglich ist, wird Rechnung tragen können.

Wenn ich das zusammenfassen darf, dann habe ich gesagt, daß in meinem Ressort die erforderlichen Sparmaßnahmen zwangs⸗ läufig vorwiegend nur durch Personaleinschränkungen zu erzielen gewesen sind ich bedaure das auf das allerlebhafteste —, daß sich ebenso zwangsläufig, da ich gezwungen bin, die gesetzlichen Bestimmungen zu achten und zu beachten, diese Einschränkungen nun zunächst auf die nichtfestangestellten Lehrkräfte, auf den Lehrernachwuchs ausgewirkt haben. Ich mache gar kein Hehl daraus, daß das nun in der Tat der Punkt ist, in dem diese Not⸗ verordnung im eigentlichsten und tiefsten Sinne eine verordnete Not zu werden droht und vielfach, viel zu vielfach, bereits ge⸗ worden ist. Wenn ich Ihnen vorhin gesagt habe, daß ich die Not⸗ verordnung nur schwersten Herzens habe mitmachen können, dann liegt hier die wesentlichste Begründung dafür; denn ich verstehe die Enttäuschung, die gerade von dieser Maßnahme gegenüber den jungen Lehrern ausgegangen ist, restlos mit diesen jungen Lehrern selbst. Und, seien Sie überzeugt, meine Damen und Herren, daß mit mir das gesamte Stäaäatsministerium die Ver⸗ ärgerung, die Verbitterung, ja die Verzweiflung dieser jungen Menschen hat kommen sehen und in keinem Augenblick die Ver⸗ handlungen gerade in diesem Punkt leicht genommen hat. Aber wie groß muß die Not des Staates sein, wenn dieses selbe Staats⸗ ministerium trotzdem diesen Weg hat beschreiten müssen, obwohl ihm auch die staatspolitischen Gefahren nicht unbekannt gewesen sind, die diese Maßnahme gerade bei Menschen im jugendlichen Alter auszulösen geeignet ist. Was ist das in der Tat für ein tragischer Zustand, daß junge Menschen, in denen alles zur Aktivi⸗ tät drängt, die sich bewähren wollen, die sich jugendverbunden fühlen, daß gerade diese jungen Menschen Gefahr laufen, von einem Beruf abgeriegelt zu werden, den man nicht heute wählt, um ihn dann morgen durch einen anderen zu ersetzen, sondern in dem man die Erfüllung seines eigentlichen Lebenswillens sieht. Was ist das für eine tragische Situation für unser gesamtes Volk, daß heute so viel Zukunftswille junger Menschen ungenutzt ver⸗ puffen muß. Ich erwähne das, um zu sagen, daß ich auch weiß, daß Fernerstehende mit einer gewissen Verwunderung fragen, warum man sich angesichts des Vielmillionenheeres von Arbeits⸗ losen um eine neue arbeitslos werdende Gruppe denn so be⸗ sonders aufrege. Und doch sollte niemand den besonderen Ton überhören, der in dieser Aufregung mitklingt und der deshalb anklingt, weil das Material der Arbeit dieser jungen Menschen kein toter Stoff, keine Akten, keine Maschinen, sondern junge Seelen sind, die sich entfalten wollen. Es sind nicht nur die jungen Lehrer, um die es geht; es geht um die deutschen Kinder. Und wenn man gesagt hat, daß niemand Lehrer ist, der nicht jung geblieben ist, so bringt doch wohl eben diese Voraussetzung der Jugendlichkeit der junge Lehrer von seiner natürlichen Alters⸗

stufe her mit in die Schulstube hinein. Ich möchte meinen: die Jugendlichkeit des Lehrers ist ein Kapital im Erziehungsprozeß, das manche gute und bessere spätere Erfahrung, die sich der Lehrer erwirbt, nie wieder aufwiegt, wenn er sie verliert. Diese Jugendlichkeit ist aber am gefährlichsten bedroht, wenn Ver⸗ ärgerung und Vergrelltheit in der Seele des Erziehers Platz greifen. In solchem Zustand ist niemand ein guter Lehrer. Ein Kind braucht Freude.

So sehe ich durchaus in Uebereinstimmung mit dem hohen Hause und mit der deutschen Oeffentlichkeit die größte Gefahr der notwendigen Notverordnung darin, daß eine Generation von Lehrern auszufallen droht, die dem Lebensalter nach der Jugend am nächsten steht. Es ist doch gar nichts anderes als eine selbst⸗ verständliche Folge der Einsicht in diese Verhältnisse gewesen, die mich immer wieder bestimmt hat, mich gegen diese Zwangsläufig⸗ keit des Abriegelns der jungen Lehrer von der Jugend zu wehren und nach Wegen zu suchen, wie man sie trotz allem an der Arbeit in der Schule bei den Kindern halten kann. Ich glaube aber, daß ein Weg auch nicht gerade nach dem Geschmack des hohen Hauses gewesen sein würde: das wäre eine Wieder⸗ holung des Qualitätsabbaues, wie er 1924/25 vorgenommen worden ist. Das hat bei mir von vornherein außerhalb aller Diskussion gestanden. Wohl aber ist sehr lebhaft diskutiert worden, ob wir nicht zu einer Herabsetzung der Altersgrenze speziell für die Lehrer würden kommen können. Alle juristischen Berater des Staatsministeriums haben sich auf den Standpunkt gestellt, daß unüberwindliche rechtliche Bedenken dagegen be⸗ ständen, wenn man nur für eine bestimmte Berufsgruppe die Altersgrenze herabsetzt. Dagegen erscheint mir der neulich von Herrn Abg. Dr. Bohner vorgeschlagene Weg überaus sympathisch, und die beteiligten Ministerien sind augenblicklich dabei, ihn zu prüfen, ob man nicht durch einen bestimmten Anreiz etwa die freiwillige Pensionierung der über 60 oder 62 Jahre alten Damen und Herren erreichen könnte. Es haben tatsächlich schon auf Anregung der Unterrichtsverwaltung und, wie ich besonders betonen möchte, auch der Verbände viele Lehrkräfte von dieser Möglichkeit einer freiwilligen Pensionierung Gebrauch gemacht⸗ (Zuruf rechts.) Herr Abg. Stendel, es ist für diese Damen und Herren nicht nur ein finanzielles Opfer gewesen. Ich glaube, es ist ein hohes ethisches Opfer ssehr gut! bei der Deutschen Staatspartei), wenn jemand aus einer Tätigkeit, die ihm einen Lebenssinn verleiht, und die er nicht als ein Geschäft betrachtet, ausscheidet, ehe es unbedingt notwendig ist. Ich möchte deshalb diesen Damen und Herren von dieser Stelle aus den Dank des Staates dafür sagen, daß sie sich überwunden haben, daß sie entsagt und auch unter finanziellen Opfern Platz ge⸗ schaffen haben und so zu ihrem Teil der Parole: Schafft der deutschen Jugend Raum! gefolgt sind.

Aber diese Maßnahmen reichen natürlich nicht aus. Trotzdem liegt es nicht so, wie es gelegentlich dargestellt wird, als wenn nun das Staatsministerium und speziell das Kultusministerium den gesamten Nachwuchs völlig unbekümmert auf die Straße ge⸗ setzt hätte. Es ist vielmehr innerhalb meiner Verwaltung von Anfang an Grundsatz gewesen, zu versuchen, daß wir so viele wie nur irgend möglich an der Arbeit halten, wenn auch mit ver⸗ minderten Bezügen, und so, um nur einige Zahlen zu nennen, ist es bei den Junglehrern möglich gewesen, von den rund 22 000, die geführt werden, 16 000 bei der Arbeit zu halten. Das sind nicht nur die hier bis zum 1. Oktober voll Beschäftigten, sondern es sind alle diejenigen, die bis zum 1. Oktober in irgendeiner Weise bezahlt gewesen sind, also z. B. auch die Hospitanten, die mit Fortbildungszuschüssen bis dahin versehen gewesen sind. Ich habe nur die Wahl gehabt zwischen einer relativ leidlichen Bezahlung, dann allerdings relativ weniger, oder zwischen einer außerordent⸗ lich dürftigen Bezahlung, dann aber aller, und ich bin den letzten Weg gegangen. Ich wollte wenigstens eine Verdienstbasis für diese jungen Menschen gesichert sehen, und ich habe die Re⸗ gierungen angewiesen, sich nach zusätzlichen Beschäftigungsmöglich⸗ keiten umzusehen. Ich möchte auch hier nicht unterlassen, zu betonen, daß die Hilfe der Lehrerorganisationen hier in einem ganz ausgezeichneten Maße viele Schritte weiter geholfen hat, der Lehrerorganisationen, die, obwohl sie in ihren Mitgliedern durch die Gehalts⸗ oder Zulagenkürzung persönlich schwer getroffen sind, den Protest in diesem Falle gegenüber dem Gefühl der not⸗ wendigen solidarischen Verpflichtung zur Mithilfe für die jungen Standesgenossen zurückgestellt haben.

Bei den Assessoren liegt es so, daß wir zwei Gruppen unter⸗ scheiden müssen. Sie wissen, daß die Anwärter schon gesetzlich

% ihrer Bezüge weiter erhalten müssen. Von den 1600 im Sommer im öffentlichen Schulwesen beschäftigten Assessoren waren rund 1100 solcher Anwärter. Diese bleiben selbstverständlich, wenn auch im beschränkten Maße, weil sie auch beschränkte Bezüge be⸗ kommen, in der Arbeit. Bei diesen hohen Millionenausgaben für diese Anwärter, so schmerzlich es ist, ist es nicht möglich ge⸗ wesen, nun auch noch Mittel für die übrigbleibenden 500 flüssig zu machen. Ich habe aber sofort nach Erscheinen der Notverord⸗ nung die Vizepräsidenten der Provinzialschulkollegien zu einer mündlichen Besprechung nach Berlin gebeten und sie aufgefordert, jede gangbare Hilfe zu leisten. Das Ergebnis ist nicht rein platonisch geblieben. Mir liegen zwar die Endergebnisse noch nicht vor; vorläufige Nachrichten aus einzelnen Provinzen lassen das Bild aber doch bedeutend besser erscheinen, als man zunächst befürchten mußte. Ich habe z. B. aus Schleswig⸗Holstein die Nachricht bekommen, daß fast alle, wie es wörtlich heißt, in Arbeit und Brot gesetzt sind, und zwar durch Nebenunterricht, besonders in Heeres⸗ und Polizeifachschulen. Geholfen hat auch da die Opferwilligkeit der einzelnen Lehrerkollegien, die vielfach zu⸗ gunsten des Nachwuchses auf einen Teil ihrer Arbeit und ihres Gehalts verzichtet haben. (Bravo!) Diese Mithilfe auch von seiten der Lehrerschaft ist sie nicht ein Solidaritätsakt, ein Hoffnungsschimmer in der Depression, in der wir uns befinden?

(Erneutes Bravol) Aus Berlin, wo die Unterbringungsarbeit