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Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 129 vom 4. Juni 1932.
daß das marxistische Programm auch in Rußland nicht durch⸗ geführt worden ist. Sie werden aus Ihren Fesseln am Ende nicht mehr herauskommen. (Zuruf von den Kommunisten: Wir ind unabhängig!) Das ist eine schöne Unabhängigkeit, in der Sie sich beim amerikanischen Finanzkapital befinden! Sie haben überall, auch in Deutschland, Kredite aufgenommen, und sind trotzdem nicht vorwärtsgekommen. Sie wären mit Ihrem bolschewistischen System zusammengebrochen, wenn Sie nicht den Kapitalismus zur Hilfe herangezogen (Zuruf des Abg. Koenen [Komm.]): So muß man das eben verstehen, die Kapitalisten auszunutzen! — Große Heiterkeit bei den National⸗ sozialisten.) Für Ihr Wirtschaftssystem spricht dieser Zuruf gerade nicht. Die Linke sagt. wir müßten die Arbeit strecken. Nein! Damit wird niemandem geholfen, sondern es wird nur die Arbeit von 10 auf 14 oder 16 Arbeiter gestreckt, die aber des⸗ wegen in ihrem Lebensunterhalt nicht gefordert, sondern ge⸗ schmälert werden. Streckung bringt weniger Lohn. Früher haben Sie (zu den Sozialdemokraten) bei gleichbleibendem Lohn Arbeitszeitverkürzung gefordert. Inzwischen haben Sie das weggelassen; jetzt verlangen Sie Arbeitsstreckung mit Lohn⸗ kürzung. Dadurch wird die Wirtschaft nicht vorwärts gebracht, ondern sie geht zurück, und wird vor allem auch die Kaufkraft der Arbeiterschaft nicht gehoben. Nicht Kapital schafft Arbeit, ondern nur fleißigste Arbeit vermag Kapital zu schaffen. (Sehr ichtig!) Wir Nationalsozialisten sind nicht nur Anhänger des “ Arbeitsdienstes, sondern auch der Arbeitsdienstpflicht. Venn die ältere Generation Volk und Vaterland verteidigen muß, so können wir von der jüngeren verlangen, daß sie min⸗ destens ein Jahr Arbeitsdienst leistet. Daß dadurch Ihr (nach links) Programm über den Haufen gerannt wird, darüber sind vir uns im klaren. Wenn eine Million arbeitslose junge Menschen in die Arbeitsdienstpflicht eingestellt werden, so wird damit auch einer weiteren Million Arbeit gegeben durch Verkauf von Kleidung, Handwerkszeug usw. Wir wollen keineswegs das Tarifrecht und die sonstigen Rechte der Arbeiter angreifen; wir denken gar nicht daran. Die zurückgetretene Reichsregierung wollte durch eine Prämienanleihe Arbeitsmöglichkeit schaffen. Da⸗ mit fügt sie der vorhandenen Verschuldung eine weitere zu. Wir nüssen neue Wege beschreiten. Wenn Herr von Papen sagt, daß Ules beim alten bleiben solle, so wird man auch in Zukunft genau so scheitern wie bisher. Uns wirft man vor, daß unser ährungsprogramm zur Inflation führe. Wir stellen fest, daß ie Regierungsparteien nicht nur die erste Inflation durchgeführt haben, sondern daß sie heute bereits in der zweiten Inflation sinde Auch durch die säckelweise Herausgabe von Silbergeld werden sie die Inflation nicht aufhalten. Unsere Reichsbank ist bekanntlich eine internationale Aktiengesellschaft. Wie kommen Sie als verantwortungsbewußte Staatsmänner, die Sie sein wollen, dazu, für das Geschäftsjahr 1931 den Aktionären der Reichsbank 12 % Dividende zu zahlen in einer Zeit, in der wir in Deutschland 6 Millionen arbeitslose Volksgenossen haben? Das ist ein Verbrechen. Sie haben keine Berechtigung, auf der Reichsbank Dividende zu zahlen, solange diese Arbeitslosigkeit besteht, da diese Dividende aus dem Volk “ worden ist. Wir werden auch hier gründliche Abhilfe schaffen. Das erste, was gemacht wurde, als die Danatbank nicht weiter konnte, war, daß 300 Millionen an Jakob Goldschmidt gezahlt wurden. Ein vor der Zwangsversteigerung stehender Bauer, ein Arbeits⸗ ser, ein zusammengebrochener Handwerker, bekommt keine Mark. Die Nationalsozialisten sind der Meinung, daß eive Währung nicht abhängig zu sein braucht von dem Golde. Das beste Beispiel haben wir in England und in nordischen Staaten. Kan hat dort die Goldwährung aufgehoben, und man kann nicht behaupten, daß diese Länder in eine weitere Inflation hinein⸗ gekommen wären, als es ohnehin der Fall war. Die Verhand⸗ lungen in Amerika über dieses Problem zeigen uns, daß man auch wahrscheinlich zur Loslösung vom Golde kommen wird. Wir haben ja selbst ein Beispiel gehabt, daß wir keine Goldwährung. gebrauchen. Die Rentenmark, die nach der Inflation geschaffen wurde, war nicht durch Gold gedeckt, sondern durch den deutschen Grund und Boden. Warum sollte das bei einer neuen Währung nicht möglich sein? Wir werden so lange wirtschaftlich und inanziell nicht gesunden, als wir abhängig sind von der Welt⸗ inanz. Dieser Zustand kann ünben⸗ werden durch eine neue VLährung. Sie haben ja auch schon Ihre Akzept⸗ und Garantie⸗ bank gegründet. Sie haben damit selbst eingesehen, daß es mit der Reichsbank und mit den Methoden der Golddeckung allein nicht getan ist. Wir Nationalsozialisten sehen noch eine andere Möglichheit. Durch zusätzliche Geldmengen wird Arbeit geleistet und werden Werte geschaffen. Dann kann es keine Inflation geben. Eine Inflation gibt es nur dann, wenn Geldmittel im Umlauf gesetzt werden, ohne daß produktive Arbeit geleistet wird. Es ist selbstverständlich, daß diese Probleme nur durch⸗ eführt werden können, wenn die Macht im Staate in unseren Händen ist. Wir sehen es deshalb als unsere erste Aufgabe an, die Macht zu erobern und allein in den Besitz der Macht im Staate zu kommen. Wir werden uns nicht um liberak⸗ apitalistische und um klassenkämpferische Gedanken kümmern, sondern wir werden unsere Pläne durchführen, damit die Notzeit bald beendet wird. Die Sozialdemokraten haben nichts im Interesse des Volkes getan. Wir aber werden den Mut zur Tat haben. Das heutige Deutschland denkt nicht mehr liberal⸗ kapitalistisch. Wir verlangen radikale Umkehr. Wir verlangen eine selbständige, nicht eine abhängige Währung. Wir verlangen, daß die Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland durchgeführt werden, damit wir aus dieser Katastrophe herauskommen. Das national⸗ sozialistische Programm kann uns nicht gestohlen werden. Es wird entweder von uns selbst durchgeführt oder überhaupt nicht. Wir werden so lange ins Volk hineingehen, bis wir die Macht haben, die wir gebrauchen, um das Volk aus dieser Katastrophe herauszubringen, in die es durch die verkehrte 13jährige Politik auch in Preußen hereingekommen ist. (Lebhafter Beifall bei den Nationalsozialisten.)
Abg. Kaiser (Komm.): Der nationalsozialistische Redner hat wieder den Zusammenbruch und den Untergang der Sowjetunion prophezeit. (Zuruf der Nationalsozialisten: Festgestellt!) Fest⸗ gestellt ist, daß das kapitalistische Wirtschaftssystem in der Welt zusammengebrochen, und daß in der Sowjetunion der Fünfjahres⸗ plan restlos durchgeführt ist. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wäre noch viel größer, wenn nicht Sowjetrußland Riesenbestellun⸗ gen an Deutschland gegeben hätte. (Sehr wahr! bei den Kommu⸗ nisten.) Wenn die Nationalsozialisten hier sich gegen die Zustände in Sowjetrußland wenden, tun sie das nur, um die Aufmerksam⸗ keit vom Elend des deutschen Proletariats abzulenken. Der Nationalsozialist Lohse hat zwar Worte für die Erwerbslosen ge⸗ funden. Unternehmer aber, die der NSDAP. angehören, helfen in der Tat das Elend steigern. Der Redner nennt den Namen eines Unternehmers aus dem Harzgebiet, der gleichzeitig Leiter der Ortsgruppe der NSDAP. sei und der seinen Jungarbeitern einen Stundenlohn von 4 Pfg. zahle. (Stürmisches hört, hört! bei den Kommunisten. — Lärmende Unterbrechungen bei den Nationalsozialisten.) Dafür stehe aber auf der Lohntüte „Wählt Hitler!“ (Hört, hört! bei den Kommunisten. — Lachen bei den Nationalsozialisten.) Es sei keine Ausnahmeerscheinung, daß Jungproleten zu solchen erbärmlichen Stundenlöhnen beschäftigt würden. Der Redner verweist auf Beispiele aus dem Ruhrberg⸗ bau und sagt, der Abg. Lohse habe bei der Aussprache über die kommunistischen Erwerbslosenanträge angekündigt, daß die NSDAP. über dieses wichtige Problem der Erwerbslosen grund⸗ ätzlich in der politischen Debatte sprechen wollte. Jetzt hätten schon zwei Nationalsozialisten gesprochen und keiner habe ein Wort zu diesen Anträgen gesagt. Der Abg. Lohse habe überhaupt keinen positiven Vorschlag zur Linderung der Not der Erwerbs⸗ losen machen können. (Rufe bei den Nationalsozialisten: „Du
ast ja geschlafen!“) Dasselbe gelte für alle anderen Fraktionen einschließlich der Sozialdemokraten. Die von den National⸗
sozialisten erstrebte Arbeitsdienstpflicht bedeute nichts als die Wiedereinführung des Kasernenhofdrills für die Jungproleten. Auch die SPD. trete schon für den Arbeitsdienst ein. Der Red⸗ ner vertritt weiter besonders die Interessen der Jungarbeiter und verliest dabei u. a. ein Schreiben eines Jugendlichen aus dem Arbeitsdienstlager Staumühle (Westfalen). Darin heiße es, daß die Jugendlichen sofort in Soldatenuniformen eingekleidet und bald auch von einem Kommandierenden der Reichswehr besichtigt worden seien. (Stürmisches hört, hört! bei den Kommunisten. — Anhaltende Unterbrechungen, Lachen und Zurufe bei den National⸗ sozialisten.) Für schwerste landwirtschaftliche Arbeit erhielten die jugendlichen Industriearbeiter in diesem Arbeitsdienstlager 45 Pfg. pro Tag an Lohn. (Hört, hört! bei den Kommunisten.) Der Redner schildert die Aufwendungen der Sowjetunion für die Jungarbeiter und appelliert an die Jugend, sich zusammen zuschließen mit der KPD. zum Kampf gegen Arbeitsdienstpflicht, Hunger und Faschismus. (Händeklatschen bei den Komm.)
Abg. Nuschke (D. Staatsp.) wird von den National⸗ sozialisten mit Lachen und Zurufen empfangen wie: „Ihr kommt nächstens ins Museum für Völkerkunde!“ Die Mehrzahl der Nationalsozialisten verläßt den Sitzungssaal. Abg. Nuschke führt aus, die Reichsregierung Brüning sei das Opfer jener Kamarilla geworden, die schon früher Minister gestürzt habe. Das neue Kabinett von Papen sei gestern im Rundfuuk durch Herrn von Gleichen vorgestellt worden. Dabei habe Herr von Gleichen gesagt: „Es scheine“, als ob die Nationalsozialisten mit der neuen Reichsregierung einverstanden seien. Ihm, dem Redner,
scheine es, als ob beim nenen Reichskabinett eine Teilung der Harzburger Front dahin sich zeige, daß die Freiherren und Barone die Ministersessel und die Nationalsozialisten die Mandate über⸗ wollen.
So selten man aber auch die Parlamente jetzt usammenberufen will, sagt der Redner weiter, die Verantwortung fur die Regierungspolitik müssen doch diejenigen Parteien tragen, die der Regierung nahestehen. Von den Nationalsozialisten, die jetzt im Preußischen Landtag die stärkste Partei sind, haben wir bisher keinen einzigen positiven Antrag zu Gesicht bekommen. Die Nationalsozialisten haben bisher u. a. einige Anträge vor⸗ gelegt, die sich gegen die Polizei wenden, weil die Polizei, die nach allen objektiven Berichten angegriffen wurde, sich dieser An⸗ griffe erwehrte. Mit solchen Anträgen erschwert man doch die ohnehin nicht leichte Arbeit der Polizei. Wir nennen solche An⸗ träge verantwortungslos. Alle übrigen nationalsozialistischen An⸗ träge, die dem Hause bisher zugegangen sind, wie die auf Ein⸗ setzung von Untersuchungsausschüssen usw., sind nur Mittel, die von der Tatsache ablenken sollen, daß sich die Nationalsozialisten bisher parlamentarisch als unfähig erwiesen haben. Weder zu den großen sozialen und wirtschaftlichen Fragen, noch in politischer Hinsicht oder hinsichtlich der Not der Gemeinden haben die Nationalsozialisten Positives beizusteuern. Der Theater⸗ donner, den sie veranstalten, soll über ihre Impotenz auf sozialem und wirtschastlichem Gebiete hinwegtäuschen. Auf die Dauer wird sich aber das deutsche Volk nicht täuschen lassen, und es kann Deutschland einst erwachen in ganz anderem Sinne, als Sie (zu den Nationalsozialisten) es sich denken. Die Nationalsozialisten haben es bisher nicht fertiggebracht, eine Regierung in Preußen herzustellen. Sie haben sich bisher mehr auf die schlagenden als auf die sachlichen Argumente verlassen. Aber auch im Hinblick auf die Regierungsbildung werden sie auf die Dauer nicht um die Verantwortung der stärksten Partei herumkommen. Die Frage, nach welchem Modus der Ministerpräsident zu wählen ist, wird wohl einmal der Staatsgerichtshof klären müssen. Vor⸗ läufig sind auch wir für Ueberweisung der Anträge auf Revision der Geschäftsordnung an den Geschäftsordnungsausschuß.
Abg. Dr. Freisler (Nat. Soz.): Wenn man am Ende der Aussprache dieser Tage steht, ist man als Nationalsozialist er⸗ schüttert über die Herir vntslosgkete mit der die weitesten Schichten auch dieses Hauses dieser Bewegung gegenüberstehen. Niemand kann bezweifeln, daß derjenige, der vor 13 Jahren er⸗ klärt hätte, heute würde dieser ganze Sektor besetzt sein von natio⸗ nalen Sozialisten, für irrsinnig erklärt worden wäre. Die Ver⸗ trauensbasis des Systems am Beginn seiner dreizehnjährigen Herrschaft war sehr breit. Niemals in der Geschichte wurde jedoch eine so breite Vertrauensbasis so schnell und restlos verwirtschaftet wie die des Systems. (Sehr richtig! bei den Nationalsozialisten.) Nach den Auseinandersetzungen ve zwei Tage müssen wir fest⸗ stellen, daß eine Verständnislosigkeit sondergleichen gegenüber dieser elementaren Naturerscheinung und Lebensäußerung des Volkes zu verzeichnen ist. Man kann ja auch bei den liberal⸗ marxistischen Gruppen kein Verständnis für die Erscheinungen des Nationalsozialismus erwarten. Es ist unmöglich, daß diejenigen, die als Revoluzzer im Jahre 1918 den Begriff einer Revolution ver⸗ fälscht haben, begreifen, daß es das Höchste und Heiligste ist, was es für ein Volk gibt, wenn es in den Zustand einer Revolution, d. h. einer inneren seelischen und geistigen Erneuerung und Ver jüngung eintritt. Revoluzzer sind diejenigen, die in der Stunde der Not, der Gefahr, der Todesdrohung die Axt an den Baum der Ordnung legen, wie es 1918 geschehen ist, und die dann nichts anderes tun, als 13 Jahre lang dafür zu sorgen, daß ihr Pro⸗ gramm sich lediglich in der Person der Führer dieser Revoluzzer verwirklicht. Personen, die so denken und handeln, können eine wirkliche Sre. Erneuerungsbewegung nicht verstehen. Sie können uns aber auch niemals wirksam bekämpfen, weil sie uns nicht begreifen und verstehen können. Einen Gegner — das ist das Geheimnis unserer Erfolge — kann man nur bekämpfen, wenn man ihn innerlich erfassen will und erfassen kann, wenn man auf seinem Boden mit ihm streiten kann, nicht aber, wenn man aus der eigenen unzulänglichen Psyche heraus versucht, den Gegner als etwas zu verstehen, was einem selbst wesensgleich ist. Des⸗ halb müssen wir Ihnen auch das Recht absprechen, von uns zu verlangen, daß wir uns so oder so zu verhalten haben. Was geht es uns an, ob der Sprecher der SPD. erklärt, er sei erstaunt dar⸗ über, daß positive programmatische Erklärungen nicht bis ins einzelne begründet worden seien. Was geht es uns an, daß der Sprecher einer Fraktion, die in ihren Taten stets das Gegenteil von dem getan hat, was ihre Vertreter im Lande phrasenhaft proklamiert haben, von uns verlangt, daß wir dieses oder jenes sprechen sollen. Wir sind nicht dazu da, Sie gewissermaßen als Richter darüber sprechen zu lassen, was wir tun sollen. Die Sozialdemokraten werden schon noch merken, was wir wollen. (Sehr gut! bei den Nationalsozialisten.) Wir haben wahrhaftig genug zu tun. Sie sind schuld daran, daß wir jetzt, nachdem Sie abgewirtschaftet haben, zunächst einen Augiasstall ausmisten müssen. (Beifall rechts.) Dessen können Sie gewiß sein, wenn Ihnen schon unsere Worte zu stark zu sein scheinen: Sie werden noch viel stärkere Handlungen zu spüren bekommen! Man wirft uns von seiten einer Partei, die das Christentum für sich patentiert zu haben glaubt, vor, daß wir darüber richten wollen, daß 300. Kämpfer für reine und saubere Zustände von der Unterwelt niedergeschlagen und ermordet worden sind. Ist das Christentum, daß man ein jahrelanges organisiertes Verbrechen nachher un⸗ gestraft davonkommen läßt? Christentum heißt, dafür zu sorgen, daß das Verbrechen nicht überhand nimmt und der, der gegen die Gesetze des Volkes verstößt, dafür auch Rechenschaft abzulegen hat. Ausgerechnet der Vertreter der christlichen Partei sagt, es ge noch niemals in der Geschichte von Kulturstaaten vorgekommen, daß ein Verbrechen, das zur Zeit der Begehung noch keine Sank⸗ tionen im Strafgesetz fand, nachher bestraft wird. Wir erklären dazu: Ueber den Paragraphen der geltenden Gesetze steht das Lebensrecht des Volkes! (Händeklatschen bei den Nationalsozia⸗ listen.) Ich möchte das Volk, das sich jung fühlt — und wir fühlen uns jung genug — sehen, das sein Lebensrecht deshalb verkauft, weil in einer Zeit, in der Verbrechen am Volke begangen wurden, noch nicht für Gesetze gesorgt worden war, die sie un⸗ möglich machten. Nicht diejenigen greifen die Wurzeln des Rechtsstaates an, die Mißstände im ganzen Volk zum Bewußtsein
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bringen, sondern diejenigen, die diese Mißstände hervorgerufen haben. Es ist keine Uebertreibung, wenn wir sagen: die Recht⸗ sprechung hat sich auf dem gesamten politischen Gebiet zur Dienerin eines parteipolitischen und einseitigen Systems gemacht. (Sehr wahr! bei den Nationalsozialisten.) Nichts ist übrig geblieben an der Rechtsprechung, was ein Dienen gegenüber dem Recht erkennen läßt, nur der Wille, den gegenwärtigen Machthabern in ihren Ansprüchen zu dienen. Das hat jeder von uns gefühlt, der als politisch Angeklagter vor Gericht gestanden hat. Sie (nach links) können das nicht verstehen, denn Sie waren nicht Objekt dieser Rechtsprechung. (Sehr wahr! bei den Nationalsozialisten.) In dem schon erwähnten Verfahren vor dem Schwurgericht Wupper⸗ tal hatte sich ein aufrechter Staatsanwalt geweigert, den Antrag ü stellen, er wurde aber vom Oberstaatsanwalt gezwungen. (Leb⸗ hafles hört, hört! bei den National oztalisten. — Abg. Kube: Das ist die christliche Moral des Zentrums, Herr Letterhaus!) Aber dieser Fall ist kein Einzelfall. Gott sei Dank haben wir unsere Kartotheken vor dem Zugriff des Herrn Severing schützen können; das Material ist in unserer Hand geblieben. Wir können also zu Gericht sitzen, wenn uns das Volk die Möglichkeit dazu gibt. Ich erinnere an den Kurfürstendamm⸗Prozeß, in dem ein Richter eine standalöse Urteilsbegründung gab, die als Parteirede eines Patentrepublikaners der Systemparteien in einer Wahlversamm⸗ lung angesehen werden könnte. Es hieß darin: Wenn jetzt große politische Parteien etwa die Absicht haben sollten, diese Saison der Terrorakte zu eröffnen, dann muß das Gericht die Saison der hohen Strafen eröffnen. (Hört, hört! bei den Nationalsozialisten. — Abg. Kube: Wie hieß denn dieser Bursche?) Man kann das ruhig sagen: es war der Landgerichtsdirektor Schmitz, dessen Karriere in Zusammenhang mit seiner Patentbefähigung steht. Man kann nicht sagen, es handele sich um Fälle untergeordneter Instanzen. Man bedrohte einen Mann, der aufrechte Gesinnung im Amt behalten wollte, damit, daß Frau und Kind des Hungers sterben würden. (Zuruf von den Nationalsozialisten: Pfui Zen⸗ trum!) Spreche ich etwa zu viel? Kennen Sie nicht den Magde⸗ burger Fall? Wir legen keinen Wert darauf, Ihnen das Ver⸗ halten von Dutzenden Ihrer Prominenten, etwa von Herrn Wert⸗ hauer, vorzuhalten; wir werden Ihnen das in einem legalen Ge⸗ richtsverfahren vorhalten, das wir eröffnen werden. (Hände⸗ klatschen bei den Nationalsozialisten), wenn Sie sich bis dahin nicht ein Grundstück am Genfer See oder sonstwo ausgesucht haben. (Abg. Heilmann Soz.]: Ich gehe nicht nach Doorn! Abg. Kube: Halten Sie doch den Mund, Herr Heil⸗ mann!) Was Herr Heilmann sagt, interessiert das deut⸗ sche Volk nicht im geringsten, nur im Zusammenhang mit einem künftigen Verfahren interessiert uns der Zwischenrufer. Ist es auch eine Entgleisung untergeordneter Instanzen, wenn ein Polizeipräsident unter Eid zugeben muß, er habe in einem Falle, in dem eine nationalsozialistische Kundgebung erlaubt wurde, eingesehen, daß an demselben Tag das Reichsbanner nicht demonstrieren dürfe, er habe das aber nicht verboten, weil er auf die Loyalität des Reichsbannerführers gerechnet und ihm eine Demütigung habe ersparen wollen? Ist das eine Entgleisung untergeordneter Organe, wenn ein Polizeioberstleutnant als Rädelsführer organisierten Landfriedensbruches der roten Unter⸗ welt einen Toten und 13 Verletzte auf dem Gewissen hat und das Gericht erklärt: Wir haben 5 Tage Beweisaufnahme gebraucht, um feststellen zu müssen, daß es sich nicht um Böswilligkeit, son⸗ dern um grobe Ungeschicklichkeit handelte? Fünf aufrechte Schutz⸗ polizeioffiziere bestätigten vor Gericht unter Eid, daß dieser Oberstleutnant vor Beginn der Aktion erklärte: Es geht heute gegen die Nationalsozialisten. (Lebhaftes Hört, hört! bei den Nationclsozialisten) Ist das Entgleisung untergeordneter Organe, wenn ein Minister zum Lohn dafür diesen Herrn zum Kommandeur der Schutzpolizei in Breslau ernennt? (Rufe der Nationalsozialisten: Unerhört!) In Dortmund erklärte“n der in⸗ zwischen verstorbene sozialdemokratische Polizeipräsident, er würde einen bestimmten Nationalsozialisten am Tage vor der Macht⸗ ergreifung dieser Partei verhaften und erschießen lassen. Polizei⸗ präsident Grzesinski erklärte, man müsse den Führer des erwachen⸗ den Deutschland mit der Hundepeitsche aus dem Lande jagen. (Erregte Zwischenrufe der Nationalsozialisten.) Das ist das System. Das ist die Erkenntnis der inneren Schwäche und Un⸗ zulänglichkeit. Mit verfassungswidrigen Mitteln will man sich auf den Amtssesseln noch einige Zeit halten. Diese Beauftragten des souveränen Volkes weigern sich hohnlächelnd, hier vor ihren Auftraggebern zu erscheinen. Das ist bewußte Proklamierung des Verfassungsbruches. (Händeklatschen bei den Nationalsozia⸗ listen.)) Niemand hat das Recht, uns entgegenzuhalten, daß unsere Angriffe den Gesetzen modernen Staats⸗ und Rechtswesens nicht entsprechen, wenn er selbst dazu beigetragen hat, daß die Reste des Staates, die als Fundament zur Neuerrichtung des preußischen und deutschen Staates sehr wohl noch benutzt werden konnten, restlos verwirtschaftet wurden. Man versucht, die Auf⸗ merksamkeit von diesen Dingen abzulenken und die Blicke nach Japan, nach China und Amerika zu lenken. Was interessiert uns das beim Aufbau unserer Heimat? Zunächst interessiert es uns, daß bei uns Sauberkeit, Reinheit, Anständigkeit und Unbestechlich⸗ keit herrschen, daß nicht große Schieber jahrelang die deutschen Gerichte verhöhnen dürfen. (Lebhafter Beifall und Händellatschen bei den Nationalsozialisten.) Was wollen denn die Herren hier, die so viel an Japan, Amerika und Ching denken? Gehen Sie doch so schnell wie möglich dorthin. Der Staat kann erst wieder auf⸗ gebaut werden, wenn die Machtmittel des Staates sich bewußt in den Dienst der Lebensnotwendigkeiten des erwachenden Volkes stellen. Solange eine Regierung durch ihre Beauftragten im Lande natio⸗ nalsozialistische Abgeordnete niederknüppeln und Veranstaltungen kultureller Art verbieten läßt, ohne den nationalsozialistischen Veranstaltern davon Kenntnis zu geben, solange diejenigen, die dafür verantwortlich sind, die Stirn haben, hier erklären zu lassen, sie nähmen keine politischen Handlungen mehr vor, solange ist die Basis für eine ehrliche Aussprache überhaupt nicht vorhanden, weil wir an die Ehrlichkeit und Offenheit dieser Leute nicht glau⸗ ben können. Nicht nur auf dem Gebiete der Aufrechterhaltung der Staatsordnung, der Rechtspflege, des Polizeiwesens, der öffentlichen Sicherheit haben sich die offiziellen Machtmittel des Staates zum Diener einer Parteiwillkürherrschaft gemacht, mit gleicher Schamlosigkeit ist man daran gegangen, zwei Klassen ein⸗ ander gegenüberzustellen. Es gibt keinen Staat, vielleicht mit Ausnahme Rußlands, in dem der Hochkapitalismus eine der⸗ artige Herrschaft ausübt wie Deutschland unter sozialdemokratischer Herrschaft. (Lebhafte Zurufe der Kommunisten, auf die der Redner des längeren eingeht. Er verliest dabei Auszüge aus offiziellen russischen Zeitungen der letzten Tage, in denen es u. a. heißt: „Die russischen Arbeiterberufsorganisationen haben nicht das Geringste vorgeschlagen zur Verbesserung der kulturellen Lebensbedingungen der Arbeiter“, sowie Vergleichszahlen, aus denen sich ein Rückgang der Produktionsergebnisse in Rußland ergibt.) Uns interessiert allein die Befreiung Deutschlands und Preußens. Glauben Sie (zu den Kommunisten) doch nicht, daß Sie von der Arbeiterschaft noch ernst genommen werden. Wir haben erkannt, in welcher Weise Sie versuchen, in der Erkennt⸗ nis Ihrer Unzulänglichkeit doch noch einen Teil des Volkes zu sich herüberzuziehen. Davon sprechen Hunderte von Toten und die Tatsache, daß Sie es im Verein mit der unzulänglichen Poli⸗ zei und Staatsanwaltschaft des Systems fertiggebracht haben, daß kaum einer dieser viehischen Morde seine Aufkläruung und Sühne finden konnte. Sie setzen Ihre Arbeit so lange fort, bis wir es Ihnen endgültig unmöglich machen werden. (Händeklatschen bei den Nationalsozialisten. — Stürmische Kundgebungen der Kom⸗ munisten.) Wenn die Sozialdemokraten erklären, seit dem 31. Mai hätten wir die Verantwortung für die Geschicke des deut⸗ schen Volkes, so erwidern wir: Die Verantwortung für die Ge⸗ schicke des deutschen Volkes tragen wir von dem Augenblick ab, in dem unser unermüdlicher Kampf uns an die Stelle gebracht
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Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 129 vom 4. Juni 1932. S.
sat, von der aus man die Geschicke des Volkes verantwortlich eiten kann. Wenn das Zentrum von uneigennütziger Selbstauf⸗ opferung spricht, so erwidern wir, daß das für jeden anständigen Renschen eine Selbstverständlichkeit ist. Wenn es von Verhinde⸗ rung der Inflation spricht, halten wir ihm entgegen, daß die Koalitionsparteien die Inflation und das Massenelend nicht ver⸗ hütet haben. Wenn es von der Absage gegenüber der Erfüllungs⸗ politik spricht, so erwidern wir, daß das erst seit dem Augenblick der Fall war, in dem der Nationalsozialismus die Parteien zu zer⸗ schlagen drohte. Wir sehen heute einen Rekord von Selbstmorden, an Wechselprotesten, an Konkursen, an Arbeitslosigkeit vor uns. Damit können Sie keinen Staat machen, auch dann nicht, wenn diejenigen, die einst Befreiung versprachen, heute zwar selbst sozial befreit sind, die aber, denen die Befreiung versprochen wurde, im Elend leben. Ihre (nach links) Verurteilung vor der Geschichte und vor dem preußischen Volk steht fest, das deutsche Volk hat sich von Ihnen abgewendet. Ihre krampfhaft aufrecht⸗ erhaltenen Illusionen, es könnte noch einmal anders werden, werden Illusionen bleiben. Sie haben auf der ganzen Linie ent⸗ tänscht. Wer gesehen hat, daß die Führer nichts anderes zu tun hatten, als sich in kaiserliche Möbel zu setzen und mit Barmat und Genossen Festessen abzuhalten, daß Proletarierführer Ge⸗ hälter von 72 000 Mark bezogen, daß mit dem Hochkapitalismus eine Bundesgenossenschaft eingegangen wurde, daß die Reichs⸗ bahn an das internationale Finanzkapital ausgeliefert wurde, daß das gesamte Volksvermögen dem Volke entwunden wurde, ist von Ihnen enttäuscht. Wer das als Ergebnis einer dreizehn⸗ jahrigen Regierungstätigkeit bucht, darf nicht eine Minute länger bleiben und muß verschwinden. Tun Sie es nicht, dann, bitte, zum nächsten Tanz! Der nächste Tanz wird Ihnen endgültig klar machen, daß Sie abgewirtschaftet haben und daß das neue Deutschland Adolf Hitlers marschiert! (Anhaltendes stürmisches Händeklatschen bei den Nationalsozialisten.) Abg. Koenen (Komm.) erklärt zunächst: So sehr sich die Nationalsozialisten an Phrasen berauschen und damit vor der Bevölkerung in das Licht der Wohltäter setzen zu können glauben, o sehr vermissen wir, daß auch nur ein einziger nationalsozialisti⸗ cher Redner außer den Phrasen und der Kritik auch nur einen einzigen Vorschlag zur Besserung des Loses der Erwerbslosen emacht hat. (Sehr wahr! bei den Kommunisten.) Sie (zu den Rateonalsozialisten) können keinen Vorschlag machen, wie man aus dem heutigen Wirtschaftschaos herauskommt, weil Sie die kapitalistische Ausbeuterwirtschaft nicht ernsthaft angreifen können. Sie machen für Thyssen und für Lahusen Politik. Sie müssen dieses Theater hier aufführen. Daß die Bevölkerung erneut ver teht, daß der Vormarsch der Nationalsozialisten den kapitalistischen Ausbeutern willkommen ist, beweist die optimistische Stimmung der Börse nach Ihrem (zu den Nationalsozialisten) Wahlsieg am 25. April (Sehr wahr! bei den Kommunisten. — Zurufe bei den Nationalsozialisten). Weil Sie die Interessen der Börsenjobber und Ausbeuter vertreten, deshalb müssen Sie auf der Straße Arbeiter niederschlagen und draußen Streiks brechen. (Rufe bei den Nationalsozialisten: Sie lügen!) Aus diesem Grunde dürfen die Nationalsozialisten auch dem kommunistischen Antrag auf Einführung einer Millionärssteuer nicht zustimmen. (Sehr wahr! bei den Kommunisten. — Anhaltende Unterbrechungen bei den Nationalsozialisten.) Während die Nationalsozialisten in phrasen⸗ hafter Weise gegen das Zentrum losdonnern, führt Hitler mit Brüning und anderen Zentrumsführern Koalitionsverhandlungen, um das kapitalistische System noch einmal zu retten. Aber an der Erwerbslosigkeit müßten auch die Nationalsozialisten wie jede andere kapitalistische Partei scheitern. Das Erbe werden den Kommunisten zufallen. (Händeklatschen bei den Kommunisten.) Dr. Freisler, der heute von den „Revoluzzern“ gesprochen habe, habe verschwiegen, daß die nationalsozialistische Partei bereits die Revolution abgeschworen habe. Die Nationalsozialisten handelten heute wie 1918 die Sozialdemokraten, und jetzt riefen auch die Nationalsozialisten: Hinein in den Staat! Somit stecke hinter dem Theaterdonner der Nationalsozialisten nur der Wunsch: „Laßt uns doch mal ran!“ (Beifall bei den Kommunisten. — Lärm bei den Nationalsozialisten.) Hilferding habe die Kopfsteuer vorge⸗ schlagen, Frick habe diese Steuer durchgeführt. Wir stellen fest, so sagt der Redner, daß die große Fraktion der Nationalsozialisten es nicht gewagt habe, von der Tribüne des Parlaments herab die Fragen des Versailler Schandvertrags, der Noung⸗Zahlungen und des Völkerbundes aufzurollen (sehr wahr! bei den Kom⸗ munisten), obwohl sie das in Tausenden von Versammlungen draußen im Lande getan hätten. (Anhaltende Unterbrechungen bei den Nationalsozialisten.) Bei Euch (zu den Nationalsozialisten) dämmert es jetzt, daß Ihr von der Phrase zur Realpolitik über⸗ gehen müßt. (Lärm bei den Nationalsozialisten. — Rufe bei den Kommunisten: Wir kennen Euch Pappenheimer!) Die Kapitalisten, die Ihre Bewegung bezahlen, gestatten Euch keinen Gewaltakt gegen Versailles. Deshalb müßt Ihr kapitulieren und Hitler treibt nun die Politik, von der der „Vorwärts“ sagen kann, daß auch die Sozialdemokratie sie vertrete, nämlich, daß man den Versailler Vertrag erst beseitigen solle, wenn an seiner Stelle ein anderer geschaffen worden sei. (Beifall bei den Kommunisten.) Die Befreiung von Versailles werde erst kommen, wenn die proletarische Revolution die deutschen Arbeiter freigemacht habe, wie sich das russische Volk von der kapitalistischen und feudalisti⸗ schen Ausbeutung befreit hätte. (Beifall bei den Kommunisten.) Der nationalsozialistische Bankrott des Faschismus zeige sich in der Umjubelung Mussolinis durch die Nationalsozialisten, jenes Mussolini, der für die Unterdrückung der Deutschen in Südtirol verantwortlich sei. Die Lösung der nationalen Frage sei nicht zu trennen von der der Ausbeutung. Erst wenn die Kommunisten regierten, werde der Werktätige in Deutschland seine wirkliche Heimat haben, nach Vertreibung der Besitzenden. (Händeklatschen bei den Kommunisten.) Die Phrasen der Nationalsozialisten aber führten höchstens zum Kriege. (Als der Redner im weiteren Verlauf seiner Ausführungen den Nationalsozialisten vorhält, daß sie immer schwiegen, wenn man ihnen sachliche Vorhaltungen mache, wird von den Nationalsozialisten gerufen: „Es gibt nur noch das Faustrecht gegenüber den kommunistischen Groß⸗ schnauzen!“) Gegen die neue Regierung der Grafen, Barone und Großkapitalisten, die jetzt im Reiche gebildet sei, hätten die nationalsozialistischen Redner heute kein Wort vorgebracht. Am Ende der Regierungspleite der Bürgerlichen und Sozialdemokraten stehe nun der von den Nationalsozialisten geförderte Rückgang zum mittelalterlichen Junkertum und Krieg. Abg. Drügemüller (Soz.) erklärt, die zu erwartenden programmatischen Erklärungen der Nationalsozialisten und Kom⸗ munisten seien ausgeblieben. Diese Reden seien überhaupt von besonderer Dürftigkeit gewesen. (Zwischenrufe rechts.) Die Ent⸗ rüstung über das Verhalten der Staatsregierung sei vollkommen unberechtigt. In diesem Landtag, so erklärt der Redner, ist auch einmal ein Antrag gestellt worden, daß der Staatsregierung ein Auftreten vor dem neuen Landtag unter allen Umständen unter⸗ bunden werden müsse. Damals war der Antragsteller ein Partei⸗ freund des Herrn Kube. Auch die Deutschnationalen haben da⸗ mals dieser Auffassung zugestimmt, daß ein Staatsministerium nach dem Neuzusammentritt des Landtags nicht die Berechtigung
2 vor den Landtag zu treten. Damals hatte die Regierung
en Wahlkampf erfolgreich für sich beendet, und es war ihr Recht, vor dem Landtag aufzutreten. Dieses Recht wurde der Staatsregierung gerade in dem Augenblick von nationalsozialisti⸗
Seite bestritten, als es galt, einen Protest des preußischen
Landtags gegen die Weigerung Frankreichs, das Rheinland zu räumen, zu erheben. (Hört, hört! links.) Ein Erscheinen des
Kabinetts vor diesen Landtag war gestern um so weniger not⸗
wendig, als Herr Kube versichert hat, daß für die National⸗ sozialisten die Bereinigung der preußischen Regierungsfrage noch nicht so notwendig sei. Die Herren scheinen sich noch nicht einmal⸗ auf die Amtsübernahme vorbereitet zu haben. Sie scheinen noch nicht das nötige Verantwortungsgefühl zu be
sitzen, das dafür erforderlich ist. (Gelächter rechts.) In keinem Punkte haben Sie ein klares Programm. Sie kämpfen gegen Korruption und vergessen die Skandalfälle, die sich in nationalistischen Kreisen zugetragen haben. Es ist zu verstehen, daß in politischen Notzeiten das Volk den Blick für die politischen Rotwendigkeiten verliert und Leute wählt, die nachher nicht bereit sein werden, im Wiederholungsfalle sich dem Volke und seinem Urteil zur Entscheidung zu stellen. Der Leidensweg des deutschen Volkes in den letzten 13 Jahren ist nicht eine Folge der Politik dieser Zeit, sondern er ist tatsächlich geöffnet worden durch die Politik der kaiserlichen und königlichen Regierung der Vorkriegs⸗ zeit. (Gelächter rechts.) Wenn behauptet wird, die Sozialdemo⸗ kratie habe seit Kriegsende proklamiert, daß alle Not nun ein Ende habe, so ist das auch eine der vielen Wahllügen über die Sozialdemokratie. (Rufe rechts: Scheidemann wollte Freiheit und Brot geben!) Wir haben immer wieder auf die schweren Opfer hingewiesen, die notwendig sind, um das Zerstörte wieder aufzubauen. Die Männer, die 1918 in die Bresche sprangen, waren mutig (großes Gelächter rechts), um das Schlimmste von Deutschland fernzuhalten. (Rufe rechts: Hilferding! Inflation!) Die Not der Völker ist geboren aus nationalistischer Politik in allen Ländern. In der Reparationsfrage ist jetzt der Zustand da, den jeder Deutsche ersehnt hat, daß wir nicht mehr zahlen. Ihre (nach rechts) Aufgabe wird es sein, das, was sich aus der Wirklich⸗ keit ergeben hat, nun auch unterschriftlich zu vollziehen, damit es nicht nur für den Augenblick, sondern für alle Zukunft gilt. Herr Lohse hat auf die Arbeitsmöglichkeiten hingewiesen, die wir gewiß in großer Fülle haben. Aber alle diese Aufgaben bestehen nicht erst seit 1918; die alten Machthaber haben in der Zeit des Reich⸗ tums in Preußen nichts getan, um diese Aufgaben zu erfüllen. (Rufe rechts: Wo waren denn da die Arbeitslosen?2) Die SPD. vüsh⸗ daß eine leistungsunfähige Landwirtschaft ungünstig für die Lastenverteilung im Lande sei. Aber die Zollpolitik habe schon in der Vorkriegszeit die Klagen der Landwirtschaft nicht beenden können. Notwendig sei vielmehr ein besserer Verteilungsapparat, der dem Erzeuger einen guten Preis verschafft, ohne den Ver⸗ braucher stärker zu belasten. (Rufe rechts: Sie schützen ja die Schieber!) Ach, meine Herren, als wir im Reichstag einen Teil des überflüssigen Zwischenhandels beim Getreide beseitigen wollten, haben Sie (zu den Nationalsozialisten) unseren Antrag mit abgelehnt. (Hört, hört! links.) Bisher haben die National⸗ sozialisten überhaupt noch nicht gezeigt, was von ihren Wahlver⸗ sprechungen wahr ist. Die von den Nationalsozialisten begrüßte neue Reichsregierung der „nationalen Konzentration“ hat über⸗ haupt keinen Arbeitsminister. Allerdings will man ja im dritten Reich die Arbeitsdienstpflicht einführen. Dafür braucht man keinen Arbeitsminister, da genügt die Kompagnie⸗Schreibstube. (Sehr gut! links.) Gegenüber dem Nationalismus, der dem Kriege zutreibt, kämpft die Sozialdemokratie für die Befreiung der Menschheit und für die Aufrichtung der Menschheitsideale. (Bei⸗ fall bei den Sozialdemokraten.) Damit schließt die Aussprache.
Präsident Kerrl teilt dem Hause mit, daß er nunmehr die gestern vom Ministerpräsidenten schriftlich zugesagte Mit⸗ teilung über das Ergebnis der Kabinettssitzung hinsichtlich des gestrigen Landtagsbeschlusses auf Herbeizitierung des Staats⸗ ministeriums erhalten habe. Da das Kabinett Braun ablehne, vor dem Landtag zu erscheinen, wolle er das Schreiben des Ministerpräsidenten verlesen. In dem Schreiben des Minister⸗ präsidenten Braun an das Präsidium des Landtags heißt es: „Im Nachtrag zu meinem Schreiben von gestern teile ist ergebenst mit, daß das Staatsministerium heute zu der betreffenden Frage Stellung genommen hat. Die Rechtsfrage, ob und in welchem Umfange Artikel 24 Absatz 1 der Verfassung (Möglichkeit einer Herbeizitierung der Minister) auch auf eine gemäß Artikel 59. Absatz 2 der Verfassung amtierende Regierung (Geschäfts⸗ ministerium) Anwendung zu finden hat, kann dahingestellt bleiben. Die Redner aber, die gestern das Erscheinen des Staats⸗ ministeriums verlangten, haben mit ihrer Begründung zu er⸗ kennen gegeben, daß es sich nicht um ein sachlich begründetes Verlangen handelte. (Hört, hört! bei den Nationalsozialisten und Rufe Frechheit!) Wenn der Abg. Kasper, ohne vom Präsidenten zur Ordnung gerufen zu werden, von einer verbrecherischen Regierung reden konnte, über die man zu Gericht sitzen wolle, und wenn der Abg. Kube davon sprach, das Kabinett Braun habe zur letzten Musterung anzutreten (stürmisches Sehr richtig! bei den Nationalsozialisten), so ergibt sich daraus, daß es den Antragstellern nur um eine Verunglimpfung der Staats⸗ regierung und der einzelnen Staatsminister zu tun war. (Lachen bei den Nationalsozialisten.) Das Staatsministerium ist der Ansicht, daß es gegen jeden parlamentarischen Brauch und gegen den Geist der Verfassung verstößt, Mißtrauensanträge gegen eine zurückgetretene Regierung zu stellen und sie im Par⸗ lament zu erörtern. Die Staatsregierung hat den Wunsch, die Führung der Geschäfte so bald wie möglich einer verfassungs⸗ mäßig zustande gekommenen neuen Regierung zu übergeben und würde es begrüßen, wenn der Landtag recht bald seine ver⸗ fassungsmäßige Aufgabe erfüllen und einen neuen Minister⸗ präsidenten wählen würde.“ (Lachen rechts.) Präsident Kerrl bemerkt hierzu noch, er habe bereits gestern gegenüber dem Abgeordneten Heilmann gesagt, daß er selbstverständlich einen Ordnungsruf erteilt hätte, wenn er den Ausdruck „verbrecherische Regierung“ gehört hätte.
Danach beginnen die Abstimmungen über die der politi⸗ schen Aussprache zugrunde liegenden Anträge.
Das Haus nimmt dann zunächst die namentliche Abstim⸗ mung über den deutschnationalen Antrag vor, die Ge⸗ schäftsordnung des vorigen Landtags in der Fassung, die am 11. April (d. h. ohne die Neufassung der Bestimmungen über die Ministerpräsidentenwahl) gültig war, bis auf weiteres für den neuen Landtag zu übernehmen. Vorher hatten die Kommunisten gegen einen Vorschlag des Abg. Nuschke (D. Staatsp.) den Antrag dem Geschäftsordnungausschuß zu überweisen, Widerspruch erhoben. Der Antrag war gegen Sozialdemokraten und Staatspartei abgelehnt worden. Mit 212 gegen 202 Stimmen der Antragsteller, der National⸗ sozialisten und der Deutschen Volkspartei wird der Antrag abgelehnt. (Zuruf bei den Nationalsozialisten: „Schiebung!“ — Große Heiterkeit links.) 8 8 1
Es folgt die namentliche Abstimmung über den Antrag der Kommunisten: „Der Landtag spricht dem Geschäfts⸗ ministerium Braun⸗Severing das schärfste Mißtrauen aus.“
Abg. Steger (Zentr.): Meine politischen Freunde stehen auf dem Standpunkt, daß ein solcher Mißtrauensantrag gegen die zurückgetretene Regierung verfassungsmäßig nicht zulässig ist und werden sich deshalb der Abstimmung enthalten.
Der Antrag wird mit 253 Stimmen der National⸗ sozialisten, der Deutschnationalen, der Deutschen Volkspartei und der Kommunisten angenommen. Die anderen Parteien enthielten sich der Abstimmung, weil sie diese nicht für zu⸗ lässig hielten. Damit erledigte sich der deutschnationale An⸗ trag, wonach das Staatsministerium des Vertrauens des Landtages entbehrt.
Der kommunistische Antrag, das Verbot des Roten Frontkämpferbundes aufzuheben, wird gegen die Antragsteller abgelehnt. Die Kommunisten bringen daraufhin unter Heiterkeit der Rechten ein dreimaliges „Rot Front!“ aus.
Bei der Abstimmung über den Antrag der Kommunisten, alle Zahlungen auf Grund des HJoung⸗Planes
und die Zinsen⸗ und Tilgungszahlungen für die Daves⸗Anleihen E ergibt sich die Beschlußunfähigkeit des Hauses, da nur 129 Karten abgegeben worden sind.
Präsident Kerrl hebt die Sitzung daraufhin auf.
(Die Kommunisten rufen: Nieder mit den Tributknechten des internationalen Kapitals!)
Die nächste Sitzung wird voraussichtlich am 22. Juni stattfinden. ““ b
Schluß gegen 3 ½ Uhr.
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Der Präsident des Preußischen Landtags Parlament zur nächsten Plenarsitzung au Mittwoch, den 22. Juni, einberufen. Auf der Tagesordnung steht die endgültige Wahl des Präsidenten und der drei Vizepräsidenten,
Vor dem Beginn des Plenums wird der Aeltestenrat sich mit der weiteren Geschäftslage des Hauses beschäftigen.
Kerrl, hat das
Handel und Gewerbe. Berlin, den 4. Juni 1932.
Wagengeste lung für Kohle, Koks und Briketts Ruhrrevier: An 3. Juni 1932: Gestellt 16 132 Wagen.
Die Elektrolytkupfernotierung der Vereinigung für deutsche Elektrolptkupfernotiz stellte sich laut Berliner Meldung des . am 4. Juni auf 50,75 ℳ (am 3. Juni 50,75 ℳ) ür g.
In Berlin festgestellte Notierungen für telegraphische Auszahlung, ausländische Geldsorten und Banknoten.
Telegraphische Auszahlung.
4. Juni 3. Juni Geld Brief Geld Brief Buenos⸗Aires. 1 Pap.⸗Pes. 0,948 0,952 0,940 0,952 Canada 1 kanad. 8 3,696 3,704 3,696 3,704 Istanbul 1 türk. Pfund 2,018 2,022 2,018 2,022 Japan 1 Yen 1.89 1,971 1,369 371 Kairo l aͤgypt. Pfd.] 15,94 15,98 15,93 15,97 London 12 15,53 15,57 15,52 15,56 New YVork 18 4,209 4,217 4,209 4,217 Rio de Janeiro 1 Milreis 0,324 0,326 0,324 0,326 Uruguau 1 Goldpeso 1,778 1,782 1,778 1,782 Amsterdam⸗
Rotterdam 100 Gulden 1 170,88 171,22 170,78 171,12 Atheln 100 Drachm. 2,798 2,803 2,797 2,803 Brüssel u. Ant⸗
werpen 100 Belga 58,87 99 58,89 59,01 Bucarest 100 Lei 2,528 . 2.528 2,53 Budapest 100 Pengö — — Danzig 100 Gulden 82,57 82,62 82,78
elsingfors 100 Fmk. 7,163 7,163 7,177 Italien 1100 Lire 21,63 21,62 21,66 Jugoslawien. 100 Dinar 7,363 7,393 7,407 Kaunas, Kowno 100 Litas 42,01 2, 42,01 42,09 Kopenhagen. 100 Kr. 84,82 L 84,77 84,93
Lissabon und Oporto 100 Escudos] 14 14 14,14 14,16 D. .100 723 L111““ aris 100 Frs. 16,61 16,61 16,65 100 Kë 12,465 12 12,465 12,485
rag 2 2 29 24 9 Reykjavik
(Island) 100 isl. Kr. 69,68 . 69,68 69,82 Riga 100 Latts 79,72 79,72 79,88 Schweiz 1100 Frs. 82,39 82,39 82,55 Sofia 1100 Lewa 3,057 3,057 3,063 Spanien 100 Peseten 34,77 34,77 34,83 Stockholm und
Gothenburg. 100 Kr. 75,57 718 8 79,57 79,73 Tallinn (Reval, 8
Estland) 100 estn. Kr./ 109,39 109,61 109,39 109,61 Wien 100 Schilling] 51,95 52,05 51,95 52, 0
Ausländische Geldsorten und Banknoten. — — —— —
4. Juni 3. Juni Geld Brief Geld Brief Sovereigns 8.] Notiz 20,38 20,46 20,38 20,46
20 Fres.⸗Stücke für 16,16 16,22 16,16 16,22 Gold⸗Dollars. ] 1 Stück 185 1Z18“ 4,185 4,205 Amerikanische: 1000 — 5 Doll. 2 und 1 Doll.
— 4,20 4,22 4,20 4,22 1 4,20 4,22 4,20 4,22 Argentinische .1 Pap.⸗Pclo 0,86 0,88 0,86 0,88 Brasilianische. 1 Milreis 0,27 0,29 0,27 0,29 Canadische 1 kanad. 8½ 897 3,69 3,67 3,69 Englische: große 1 15,49 15,55 15,48 15,54 1 u. darunter 1 15,49 15,55 15,48 15,54 Türkische. 1 türk. Pfund 1,99 2,01 1,99 2,01 Belgische. 100 Belga 58,71 58,95 58,73 58,97 Bulgarische 100 Lewa — — — — Dänische.. 100 Kr. 84, 63 84,97 84,58 84,92 Danziger.. Estnische.. Finnische..
100 Gulden 82,38 82,72 82,43 82,77 100 estn. Kr. 108,78 109,22 108,78 109,22 100 Fmk. 7,10 7,14 7,10 7,14 Französische 100 Frs. 16,57 16,63 16,57 16,693 Holländische 100 Gulden 170,41 171,19 170,41 171,09 Italienische: gr. 100 Lire 21,6 21,69 8 21,68 100 Lire u. dar. 100 Lire 21,69 21,6 21 68 Jugoflawische. 100 Dinar 7,29 8 7,32 Lettländische. . 100 Lats — — Litauische 100 Litas 41,88 41,72 41.88 Norwegische . . 100 Kr. 77,50 77,40 Oesterreich.: gr. 100 Schilling — 100 Sch. u. dar. 100 Schilling Rumänische: 1000 Lei und 3 neue 500 Lei 100 Lei 2,495 2,515 2,495 unter 500 Lei 100 Lei 2,465 2,485 2,465 Schwedische .. 100 Kr. 79,39 79,71 79,39 Schweizer: gr. 100 Frs. 82,21 82,53 82,21 100 Frs. u. dar. 100 Frs. 8221 82,53 82,21 Spanische*).. 100 Peseten 34,63 34,77 34,63 Tschecho⸗low. 1e 199o. 100 K 12,41 12,47 12,41 500 Kr. u. dar. 100 Kë 12,47 †) 12,53 12,47 † Ungarische.100 Pengö — — — *) nur abgestempelte Stücke. †) Geld repartiert 50 vH.
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Ostdevisen. Auszahlungen. Warschau ... 100 Zl. 47,25 47,45 47,25 1““ . 100 Zl. 47,25 47,45 47,25 Kattowitz. .100 Zl. 47,25 47,45 47,25 Notennotierungen.
1 47,00 47,40
Polnische .. 100 Zl. 1 47,00