1932 / 159 p. 2 (Deutscher Reichsanzeiger, Sat, 09 Jul 1932 18:00:01 GMT) scan diff

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Reichs⸗ und Staatsanzeiger Nr. 159 vom 9. Juli 1932. ES. 2

außerordentlich scharfen Kundgebungen der Nationalsozialisten egen die Sozialdemokraten kommt. Abgeordneter Lohse sagt in einer Erklärung, deren Verlesung nicht in allen Teilen auf den ribünen verständlich ist, weil die Unruhe im Hause ständig wächst, u. a., die Sozialdemokratische Partei habe in Hameln und Umgebung ein Flugblatt verbreitet, das die verleumderische Be⸗ hauptung enthalte, er, der Abg. Lohse, hätte am 23. Juni d. J. in einer Vollsitzung des Landtags einen Zuruf gemacht, der die⸗ jenigen deutschen beleidigt habe, deren Söhne im Felde waren oder im Felde gefallen sind. Der Abg. Lohse verliest den Wortlaut dieses Flugblattes, wonach er etwa folgenden Zuruf ge⸗ macht haben soll: „Produziert nur Kinder; Ihr seid ja dafür ge⸗ macht, Ihr Frauen, damit Kinder verrecken können!“ (Bei den Nationalsozialisten macht sich jetzt eine steigende Erregung geltend. Die Abgeordneten stehen von ihren Sitzen auf, stoßen erregte Zu⸗ rufe gegen die Sozialdemokraten aus und dringen gegen die Bänke der S. P. D. vor. Präsident Kerrl ersucht wiederholt um Ruhe und ersucht die Nationalsozialisten, jede Bedrohung zu unterlassen. Auf seine Aufforderung nehmen die EIEII11“ ihre Plätze wieder ein.) Abg. Lohse erklärt zu dem ozialdemokratischen Flugblatt: Das Flugblatt des sozialdemokratischen Schwindlers Karl Müller in Hameln ist nicht nur unwahr in seinem Inhalt, ondern eine dreiste Erfindung der um ihre Gehälter bangenden sondite ehna hchen Volksbetrüger und schmutzigste Wahlmache. (Stürmische Zustimmung bei den Nationalsozialisten.) T2eß Zweck⸗ lüge der S. P. D. weise ich vor der gesamten deutschen Oeffentlich⸗ keit für meine Person und für jedes einzelne Mitglied der national⸗ sozialistischen Landtagsfraktion zurück. Der Verfasser des Flug⸗ blattes ist ein früherer Abgeordneter dieses Hauses. Wir werden uns wegen seiner Lügen an der S. P. D. hier schadlos halten. (Stürmische Zustimmung bei den veee Die Nationalsozialisten erheben drohend die Fäuste und stoßen Be⸗ schimpfungen gegen die Sozialdemokraten aus.)

Abg. Dr. Freisler (Nat. Soz.) gibt dann gleichfalls eine Erklärung außerhalb der Tagesordnung ab, in der es heißt: Mangels eigener Ideen, unfähig im Kampfe um die politische Führung des deutschen Volkes sachlich zu bleiben und kopflos ge⸗ worden aus Furcht vor der erwarteten Abrechnung, die das deutsche Volk jetzt mit ihr halten wird, beginnt die sozialdemo⸗ kratische Partei im ganzen Lande mit einem Lügen⸗ und Ver⸗ leumdungsfeldzug gegen die N. S. D. A. P. in immer verstärkter Weise. Der gesunde Instinkt des deutschen Volkes, die Makel⸗ losigkeit und der Opfermut der Führer und der Kämpfer der N. S. D. A. P., die Sieghaftigkeit der nationalsozialistischen Er⸗ neuerungsidee ermöglichen es dem Nationalsozialismus, über die Verleumdungsmethoden der S. P. D. lächelnd hinwegzuschreiten. Beschimpfungen und Verleumdungen dienen immer nur zur Charakterisierung der Verleumder. Nur deshalb gibt die national⸗ Fraktion zu einer neuerdings verbreiteten Verleum⸗ ung eine Erklärung ab, weil diese Verleumdung den Gipfelpunkt an Schamlosigkeit sozialdemokratischer Agitationsdemagogie dar⸗ In sozialdemokratischen Zeitungen und Flugblättern wird ie Behauptung aufgestellt, in der Sitzung des Landtags vom 23. Juni 1932 habe ein nationalsozialistischer Zwischenrufer er⸗ klärt: „Ihr dummen Ziegen, Euch wurden die Kinder gemacht, damit sie im Felde als Kanonenfutter verrecken konnten.“ (Stür⸗ mische Pfuiruse bei den Nationalsozialisten. Wiederum gehen die Nationalsozialisten von ihren Sitzen weg. Präsident Kerrl er⸗ sucht wiederholt um Ruhe.) Hierzu erklärt die nationalsozialistische Fraktion: 1. Sämtliche Landtagsabgeordnete der N. S. D. A. P. sind bereit, eidesstattlich zu versichern, einen solchen Zwischenruf nicht gemacht zu haben (einzelne Zurufe bei den Sozialdemokraten lösen bei den Nationalsozialisten erneute lebhafte Unruhe aus, die sich in Bedrohungen gegen die Sozialdemokraten steigert, ins⸗ besondere gegen den Abg. Kuttner); 2. die Hochachtung, die der Nationalsozialismus der deutschen Frau und Mutter entgegen⸗ bringt, verbietet es von selbst jedem Nationalsozialisten, in der⸗ artig beleidigender Weise sich über die deutschen Frauen zu äußern, wie es in jenen infamen Lügenflugblättern behauptet wird (Händeklatschen bei den Nationalsozialisten; ein National⸗ htalis ruft zu den Sozialdemokraten hinüber: Halts Maul, dummer Judenjunge, und wird dafür vom Präsidenten Kerrl zur Ordnung gerufen); 3. die Achtung vor der Heiligkeit des Helden⸗ todes deutscher Paterlandsverteidiger macht es jedem National⸗ sozialisten unmöglich, von den gefallenen Helden des Weltkrieges als von verreckendem Kanonenfutter zu sprechen (fortgesetzte er⸗ neute Unterbrechungen bei den Nationalsozialisten; Abg. Lohse (Nat. Soz.) ruft, zu den Sozialdemokraten gewendet: „Da lachen die Mistviecher noch“ und erhält gleichfalls einen Ordnungsruf vom Präsidenten Kerrl); 4. die erlogenen Behauptungen der sozial demokratischen Zeitungen und Flugblätter stellen sich auch als eine schamlos erfundene Lüge der vor der Geschichte und dem Lebens⸗ recht des deutschen Volkes zum Verbrecher gewordenen Sozial⸗ demokratie dar (stürmischer Beifall bei den Nationalsozialisten,). Eine solche Lüge kann nur erfinden, wer selbst die Frauen nicht achtet, sondern sie durch Abtreibungspropaganda und demokratische Gleichmacherei degradieren will. Eine solche schamlose Lüge kann nur erfinden, wer selbst kein Baterland kennt, das Deutschland heißt (Händeklatschen bei den Nationalsozialisten), wer für die Ehrenpflicht des dentschen Mannes, die Freiheit des heimischen Bodens mit seinem Leben zu schützen, in pazifistischer Feigheit keinen Sinn übrig hat. Die nationalsozialistische Fraktion weiß, daß, wie diese sozialdemokratische Wahlverleumdung, das Angst⸗ produkt ertappter Volksverbrecher, und andere in den nächsten Wochen zu erwartende Wahllügen der S. P. D. zerschellen werden an dem gesunden Ekel des erwachenden deutschen Volkes vor den Lügenmethoden der politischen Bankerotteure der S. P. S. (Stür⸗ misches Händeklatschen bei den Nationalsozialisten.) 8

Der Abg. Hoffmann (Komm.) beantragt, daß für das gesamte Personal der Landtagswirtschaft eine bessere Bezah⸗ lung auch während der Sommerzeit eingeführt werden oll. Abg. Kube (Nat. Soz.) erklärt. die N. S. D. A. P. sei der Meinung, daß mit dem unsozialen Verhalten, das in den letzten 13 Jahren unter den sozialdemokratischen Präsidenten in diesem Hause üblich war, jetzt endlich Schluß gemacht werde. Der Redner erflärt weiter: Ich benutze die Gelegenheit, hier folgendes fest⸗ zustellen: Der Schweinehund Müller. (Präsident Kerrl: Aber Herr Kube, das ist kein parlamentarischer Ausdruck.) Der Schweinehund Müller hat in seiner eigenen Familie seine Frau zum Selbstmord getrieben. (Stürmische Pfui⸗Rufe bei den Nationalsozialisten.) Die Sozialdemokratie, der ein solcher Mann angehört, und mit dem Leute, wie Minister Grzesinski, Briefe ge⸗ wechselt haben, ist der allerletzte dazu, die Ehre der deutschen Frau in ihr ungewaschenes Maul zu nehmen. (Stürmischer Beifall bei den Nationalsozialisten. Präsident Kerrl erteilt dem Ab⸗ geordneten Kube einen Ordnungsruf.)

Der Antrag Hoffmann wird sodann einstimmig an⸗ genommen.

Auf der Tagesordnung steht dann die nochmalige Be⸗ schlußfassung über die Gesetze, betreffend die Gewährung von Straffreiheit, gegen die der Staatsrat Einspruch erhoben hat. Damit verbunden wird die vom Staatsrat selbst verfaßte Amnestievorlage.

Präs. Kerrl erteilt dem Justizminister Dr. Schmidt das Wort. (Die Nationalsozialisten verlassen hierauf den Saal; die Kommunisten rufen geschlossen: Heraus mit den politischen Gefangenen!)

Justizminister Dr. Schmidt: Meine Damen und Herren, ich habe nicht die Absicht (Zurufe bei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei: Abtreten!), zu den Amnestiegesetzen hier sachlich Stellung zu nehmen (Zurufe bei der Nationalsozialistischen

Deutschen Arbeiterpartei), sondern ich möchte die Aufmerksam⸗ keit des Hauses für eine kurze Erklärung in Anspruch nehmen.

In den bisherigen Sitzungen dieses Landtags sind mehrfach außerordentlich heftige Angriffe gegen die Justiz und gegen die Beamtenschaft meines Ressorts, namentlich seitens der größten Fraktion dieses Hauses, gerichtet worden. (Zurufe bei der Nationalsozialistischen Deutschen Ar⸗ beiterpartei.) So hat insbesondere zu Beginn der Sitzung am 24. Juni, als ich leider im Landtag nicht anwesend sein konnte, der Herr Abgeordnete Kube über das Justi zministerium und über die preußischen Gerichte sehr abfällige, nach Form und Inhalt geradezu verletzende Werturteile gefällt, nachdem er schon in den Sitzungen vom 25. Mai und 22. Juni die Beamten der Staatsanwaltschaften und die Mitglieder der An⸗ waltskammern auf das heftigste angegriffen hat. (Zurufe bei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei.) Diese Angriffe haben natürlich eine sehr starke Erregung in den betei⸗ ligten Kreisen ausgelöst. Eine sofortige Abwehr der Angriffe durch mich oder einen meiner Vertreter war in jedem Einzelfall nicht möglich oder nicht angezeigt. (Zuruf bei der Nationalsozia⸗ listischen Deutschen Arbeiterpartei.) Ich benutze deshalb die heutige Gelegenheit, um gegen alle diese Angriffe gegen An⸗ gehörige meines Geschäftsbereichs auf das entschiedenste Verwah⸗ rung einzulegen. (Bravo! im Zentrum und bei der Sozialdemo⸗ kratischen Partei.) Die preußische Justizbeamtenschaft, die Richterschaft, die Beamten der Staatsanwaltschaft und des Justiz⸗ ministexiums, sie alle erfüllen ihre in den heutigen erregten Zeiten ungeheuer schweren Amtspflichten gemäß ihrem Be⸗ amteneide (Lachen bei der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei) unparteiisch und unter Beobachtung der Verfassung und aller sonstigen Gesetze. (Zu⸗ ruf bei den Kommunisten.) Ich glaube absolut daran, bin so⸗ gar fest davon überzeugt! Die maßlosen und kränkenden Vor⸗ würfe gegen sie weise ich als unberechtigt mit allem Nachdruck zurück. (Bravo! im Zentrum und bei der Sozialdemokratischen Partei.)

Ebenso muß ich Verwahrung einlegen gegen die Angriffe auf die Mitglieder der Anwaltskammern. Ich entspreche einer mir von den Vorständen der Deutschen Anwaltskammern am 6. dieses Monats übermittelten Bitte, eine formulierte Erklärung dieser Vereinigung hier im Landtag zur Verlesung zu bringen. Ich erbitte die Genehmigung des Herrn Präsidenten dazu.

Vereinigung der Vorstände der Berlin W 35, den 5. Juli 1932. deutschen Anwaltskammern. Erklärung. In der itzung des Preußischen Landtags vom 22. 1932 hat der Abgeordnete Herr Kube, nachdem Verurteilungen erwähnt worden waren, die gegen ein Mitglied seiner Partei⸗ von dem zuständigen Ehrengericht der Anwaltskammer ver⸗ hängt worden waren, nach dem amtlichen Verhandlungsbericht folgendes gesagt: Die Nationalsozialistische Partei stellt ihren Schild vor ihr Mitglied Dr. Freisler (sehr richtig! bei der Nat.⸗Soz. D. A.⸗P.) und stellt noch folgendes sachlich fest: weder die Ehrauf⸗ fassungen Ihrer Anwaltskammern, noch die Ehrauf⸗ fassungen, wie sie sonst die Partei Werthauer⸗Sklarek zum Ausdruck bringt, können uns veranlassen, das Urteil irgend⸗ einer Anwaltskammer zum Maßstab unserer politischen oder ehrenrechtlichen Auffassung zu machen. (Sehr richtig! bei der Nat.⸗Soz. D. A.⸗P.) Die Mehrzahl der heute in Deutschland noch tätigen An⸗ wälte hat wiederholt Ehrauffassungen bekundet, die den deutschen Ehrauffassungen grundsätzlich widersprechen. Wir haben nicht das geringste Bedürfnis, von einer Anwalts⸗ vereinigung, für die ein Werthauer tragbar ist, weil er zu ihr gehört, irgendwelche Belehrungen über das ehrenhafte oder nicht ehrenhafte Verhalten von Anwälten entgegenzu⸗ nehmen. Sie scheinen noch nicht gemerkt zu haben, meine Herren von der Sozialdemokratie, daß wir nicht nur poli⸗ tisch, sondern auch gesellschaftsmäßig uns von dem unter⸗ scheiden, was Sie seit 1918 als Staat und als gesellschaftliche Ordnung bezeichnen. Wir werden Ihnen weiter sagen: in Ihren Anwaltskammern sind derartig viel ich ge⸗ brauche absichtlich das Wort Judenjungen hemmungs⸗ losester Art, daß wir diesen Burschen nach keiner Richtung hin das Recht einräumen, über einen von uns zu Gericht zu sitzen. (Sehr richtig! bei der Nat.⸗Soz. D. A.⸗P.)

Die unterzeichnete Vereinigung, welche die sämtlichen deutschen Kammervorstände umfaßt, aus denen die Ehrengerichte hervorgehen, kann auf diese in öffentlicher Sitzung gefallenen Angriffe nicht schweigen. Die Ehrengerichte der deutschen An⸗ waltskammern haben in den mehr als 50 Jahren, die seit ihrer Errichtung verflossen sind, über der Lauterkeit des Standes ge⸗ wacht und sind gegen Verfehlungen einzelner mit Nachdruck eingeschritten. Ihre Urteile unterliegen der Nachprüfung des Ehrengerichtshofes, der sich außer aus Anwälten aus dem Präsidenten des Reichsgerichts und weiteren Mitgliedern dieses höchsten Gerichts zusammensetzt. Die Ehrengerichte bekennen sich zu einer nicht minder strengen Ehrauffassung als das gesamte deutsche Volk, wie denn auch die Anwaltschaft, aus deren freier Wahl die Kammervorstände und die Ehrengerichte hervorgehen, sich aus allen Schichten des deutschen Volkes zusammensetzt.

Wir weisen die durch nichts begründeten Angriffe des Herrn Abgeordneten Kube mit Entrüstung zurück. Vereinigung der Vorstände der deutschen Anwaltskammern. 1XX“ 1 Vorsitzender. b (Bravo! im Zentr. und bei der Soz.⸗Dem. P.)

Abg. Dr. Freisler (Nat. Soz.) verrsen darauf den Ant⸗ wortbrief, den er namens der nationalsozialistischen Fraktion an den Vorstenden der Vereinigung der Vorstände der 28. Anwaltskammern gerichtet hat. Er weist darauf hin, daß der Brief des Vorsitzenden „unter Mißachtung der primitivsten An⸗ standsformen“ ohne jede Anrede an den Fraktionsführer der NSDAP., Abg. Kube, gerichtet worden sei. Es heißt in dem Antwortschreiben, der Präsident rege sich über die Fesiftellungen

des Fraktionsführers auf, weil er von dem, was deutsches Volk

sei, keine Ahnung habe. (Sehr richtig! bei den Nationalsozialisten.) Wenn in dem offenen Brief die Anwaltschaft als „Mikrokosmos des deutschen Volkes“ bezeichnet werde, so müsse auf die Tatsache hingewiesen werden, daß Judenjungen übelster Sorte im Anwalts⸗ stande Platz hätten. In dem Antwortbrief heißt es dann weiter: „Erinnern Sie sich nicht alle der jüdischen Schieber innerhalb de Anwaltstandes, die wegen Aktienbetruges, Unterschlagung, Kredit⸗ betruges, Untreue und ähnlicher Vergehen bestraft wurden un die damit den wirklichen deutschen Anwalt in der Achtung des

Volkes 7— setzt haben, wie z. B. die Parteibuchbeamten

den ehrlichen Berufsbeamten? Wissen Sie nicht, Herr Präsident, daß das erwachte deutsche Volk das Semitentum als das, was es ist, als Fremdbkbcher, bezeichnet und betrachtet? Wissen Sie nicht, daß in der Anwaltschaft Semiten heute noch ema in einer Menge Platz haben, die im umgekehrten rhältnis zu ihrem Dienst am Recht steht? Der deutsche Anwalt verbittet es sich auf das entschiedenste, mit einem solchen Gremium, wie es die heutige verjudete Anwaltschaft darstellt, verglichen zu werden. Die deut⸗ schen Berufsgenossen des Anwaltstandes werden noch den Kampf des Nationalsozialismus als Tat der Freiheit werten.“ (Lebhafter Beifall bei den Nationalsozialisten.)

Abg. Pieck (Komm.) erklärt, es befinden sich unter den deut⸗ schen Richtern und Staatsanwälten allerdings auch solche, die den Nationalsozialisten sehr nahestehen. Die Kommunisten können aber diese eben erhobenen Angriffe durchaus unterstreichen, wie sie das schon früher getan haben. Die Arbeiterschaft hat unter den Urteilen einer Klassenjustiz genügend zu leiden gehabt. Die Erklärung des Ministers schlägt den Tatsachen ins Gesicht; de Minister glaubt offenbar selbst nicht an das, was er sagt. Richter und Staatsanwälte gehen in der parteiischesten Weise gegen die Arbeiterklasse vor. Man wird nicht verhindern können, daß die werktätigen Massen dagegen zur Selbsthilfe greifen. (Beifall bei den Kommunisten und Rufe im Chor: Heraus mit den politischen Gefangenen! Heraus!)

Justizminister Dr. Schmidt: Meine Damen und Herren, ich muß selbstwerständlich auch gegen die Vorwürfe, die eben wieder der Herr Abgeordnete Pieck gegen die Justiz erhoben hat, auf das entschiedenste Verwahrung einlegen und, wie vorhin schon in einem Zwischenruf, Ihnen erklären, daß ich nicht nur an die Be⸗ rechtigung meiner Ausführungen glaube, sondern daß ich davon fest überzeugt bin.

Abg. Kube (Nat. Soz.) gibt der Ansicht Ausdruck, daß mit den Wuͤnschen und dem Willen der Mehrheit ein infames Spiel getrieben werde. (Minister Schmidt schickt sich an, den Saal zu verlassen, kehrt aber, als von den Nationalsozialisten stürmisch gerufen wird: „Hierbleiben!“ wieder auf seinen Platz zurück.) Der Minister, so betont der Redner, mag jetzt erklären, was er will. Bei den letzten Wahlen hat sich die Mehrheit des Volkes gegen ihn entschieden. Mit untauglichen Mitteln haben Sie, Herr ge chäfts⸗ führender Justizminister, versucht, die politisierte Justiz zu ver⸗ teidigen. Pieee Versuch ist von vornherein zum Mißlingen ver⸗ urteilt. Der Minister gehört einer Partei an, die seit Jahrzehnten auf ihren Fahnen zu stehen hat: „Für Wahrheit, Freiheit und Recht!“ (Lachen bei den Nationalsozialisten.) Herr Minister, ich

rage Sie: Wo war Ihre Auffassung von Wahrheit, Freiheit und Recht, als Dr. Braun durch seine Praktiken den Landgerichts⸗ direktor Dr. Bombe zum Selbstmord bewußt trieb? (Hört, hört! bei den Rationalsozicsisten. Wo haben Sie sich damals vor diesen Landgerichtsdirektor gestellt? Ein Kesseltreiben wurde gegen einen hohen Richter durchgeführt, der an das Recht vlaubte, und als Mensch innerlich zerbrochen ist. Der Selbstmord wird, Herr Minister, von Ihrer Kirche schwer verurteilt! Was muß in der Seele dieses Richters vorgegangen sein, ehe er zum Selbstmord in den märkischen Wäldern schritt? Die preußische Justiz hat Vor⸗ gänge in der Rechtspflege geduldet, die nicht geduldet werden durften! Herr Kuttner hat, als seine Partei in der Regierung saß, den Richterstand auf das unerhörteste angegriffen. Ich habe nie gehört, daß das Zentrum den Versuch gemacht hat, die Ver⸗ giftung der Justiz durch die Politik abzuwehren. Glauben Sie (zum Zentrum), daß wir es uns gefallen lassen, was seit Monaten in der Frage der Amnestie gespielt wird? wurde die nationalsozialistische Fraktion zum Narren gehalten! Wir waren bereit, auf Forderungen zu verzichten, ebenso die kom⸗ munistische Fraktion. Sie haben damals die Amnestievorlage in einer Form angenommen, von der feststand, daß das Zentrum damit einverstanden ist. (Zuruf bei den Nationalsozialisten; Heuchelei!) Darauf aber ist der Verschiebebahnhof „Stantsrat (große Heiterkeit) wieder in Erscheinung getreten! (Hört, hört!) Wenn in diesem Kampf die drei Träger der Justiz: Anwaltschaft, Richtertum und Staatsanwalt angegriffen worden sind, dann sage ich: Danken Sie Gott, daß ich die Nationalsozialistische Partei führe! Ich habe in der Fraktion immer wieder gesagt, daß die Amnestie durchgebracht werden würde. Wir haben Verhandlungen mit allen Parteien, abgesehen von der Sozialdemokratie, geführt, weil wir die Entgiftung der Atmosphäre in unserem Volk wollten. Wenn den Bauern, dem die letzte Kuh aus dem Stalle geholt wird,

8 . 1 8 der Zorn überkommt, und wenn er in die Maschen des Rechts

gerät und man ihn schuldig werden läßt, so kann man Verständnis haben für seine Empfindungen. Der Redner kritisiert sodann die

bekannte Aenderung in der Geschäftsordnung in der Frage der Ministerpräsidentenwahl und bezeichnet es als unerhört, daß man 13 Jahre lang eine Geschäftsordnungsbestimmung bestehen läßt, um sie dann zu ändern, wenn sie den Parteien, die in der Macht sitzen, nicht ü. paßt. Wo bleibt da Wahrheit, Freiheit und Recht? In weiteren Angriffen gegen den Staatssekretär im Innen⸗ ministerium Dr. Abegg erklärt der Redner u. ag.: Dieser Abegg sitzt noch immer nicht im Untersuchungsgefängnis (Rufe bei den Nationalsozialisten: Das kommt aber noch!), obwohl dieser Jude, dieser nach dem Blut der Deutschen dürstende Jude, schamlos verlangt hat, man solle das Reichsbanner bewaffnen. (Präsident Kerrl: Ich muß um Mäßigung bitten gegenüber einem Mann, der noch im Amte ist! (Rufe bei den Nationalsozialisten: Das stimmt aberh Das Reichsbanner sei in der Tat bewaffnet worden mit Waffen, oie den Polizeistempel tragen. (Hört, hört! bei den Nationalsozialisten) Vor einigen Tagen habe in einer Be⸗

sprechung sozialistischer und demokratischer Provokateure der bis⸗ herige Reichstagsabgeordnete Lemmer vorgeschlagen, man müsse noch vor der Wahl einen blutigen Zusammenstoß provozieren. Dabei müßten 50 bis 60 Nationalsozialisten tot liegen bleiben. (Stürmische Rufe bei den Nationalsozialisten.) Dann habe das Reichsbanner und seine Mordorganisation, die Schufo, die Mög⸗

; 8 * u6“ . „,8S. lichkeit, zusammen mit der Polizei einzugreifen. Er, der Redner, einmal den guten Glauben zubilligen

wolle dem Zentrum noch

(Lachen bei den Nationalsozialisten), habe aber viel Material

dafür, daß das Reichsbanner zusammen mit der Polizei den

Bürgerkrieg vorbereite. Da räume aber die gegenwärtige Justiz,

insbesondere der republikanische Richterbund, die Beförderungs⸗ Der Minister habe daher unrecht mit

organisation, nicht auf. 3 iste 8 seiner Behauptung von der Objektivität der Richter. Das ergebe sich u. a. auch aus der Affäre Grzesinski. Es habe sich kein Staats⸗ anwalt gefunden, der gegen Grzesinski vorging, obwohl dieser die Hundepeitsche gegen den Reichspräsidentschaftskandidaten Hitler empfah. Der Staatsratsentwurf wolle aber jeden einfachen Arbeiter im Gefängnis lassen, der nicht gewandt genug war, über die Kniffe der §§ 186/187 SrGB. hinwegzukommen. Da⸗ gegen verlange jener Ministerpräsident Braun Schimpffreiheit für sich, der selbst mehr Strafanträge stellen lasse, als Majestäts⸗ beleidigungsanklagen früher ergingen. Gewiß sei der Kern des deutschen Richtertums gut; aber ein großer Teil der Richter habe sich politisieren lassen. (Abgeordneter Stendel [D. Vp.: Nicht ein großer Teil!) Der Berliner Landgerichtsdirektor Siegert sei z. B. einer der Männer, die das Recht in Preußen be⸗ wußt umgebogen und geschändet hätten. (Beifall bei den National⸗

Wochen für Wochen

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Besonders scharf wendet sich der Redner u. a. noch gegen den Staatsanwalt Stenig. Dieser Lump Stenig habe in der rohesten Weise die Nationalsozialisten beschimpft. Die Natio⸗ nalsozialisten seien die ersten, die sich dafür einsetzen, wieder eine politisch unabhängige Justiz in Preußen zu schaffen und das Amt des unabhängigen Richters zu schützen. Aber dann hätte ein E die Gründung des republikanischen Richterbundes zurückweisen müssen, der ein schamloses Unrecht an den übrigen Richtern bedeute. Denn es gebe keine Zweck⸗Gerechtigkeit, sondern nur Gesetze und Richter, die nach bestem Wissen und Gewissen zu amtieren hätten. (S richtig! bei den Nationalsozialisten.)

sozialisten.)

(Sehr Ein anderer Minister des jetzigen preußischen Kabinetts, Handels⸗ minister Dr. Schreiber (Abgeordneter Hinkler [Nationalsozialist)] ruft: Wo 1 der Lümmel! und wird dafür vom Präsidenten Kerrl zur Ordnung gerufen), habe sich erdreisten dürfen, die Nationalsozialisten als Banditen zu beschimpfen. (Pfui⸗Rufe bei den Nationalsozialisten.) Auch gegen ihn habe sich kein Staats⸗ anwalt gefunden. Wenn aber ein Ankläger wie Gottfried Zarnow auftrat, sei sein Buch unterdrückt worden. Diese Zu⸗ würden selbst vom primitivsten Menschen nicht mehr als Recht empfunden. Der Deutsche habe früher vor dem Recht Achtung haben können, wie auch vor dem Beamtentum und der deutschen Wahrhaftigkeit. Er greife nicht das Berufsbeamten⸗ tum an und habe selbst die Beamtenanwärterberechtigung. Was aber in den letzten 13 Jahren in die Beamtenschaft hinein⸗ gekommen sei, habe die Achtung vor dem Beamtenstande geschädigt. So habe das Volk auch diese Achtung verloren und jede Achtung vor dem jetzt herrschenden System überhaupt. (Beifall bei den Nationalsozialisten.) Justizminister Schmidt hätte als Hüter des Rechts oft Gelegenheit gehabt, das Recht zu schützen, ohne daß er dies getan hätte. Justizminister Schmidt habe z. B. zugelassen, daß ein Mann wie der Maler Grosz, der christliche Vorstellungen verächtlich machte, von dem Richter Siegert freigesprochen wurde. Auf der anderen Seite aber habe man einen Mann wie Schulz seinem ordentlichen Richter entzogen, bloß um ihn bestimmt verurteilen und in die Mörderzelle stecken zu können. Mit der Amnestievorlage des Staatsrats wolle man diese ungerecht Ver⸗ urteilten beleidigen und die Nationalsozialisten an der Nase her⸗ umführen. Der Staatsrat sei in Wahrheit nichts mehr als eine Leichenkammer von 1929. (Heiterkeit und Beifall bei den Natio⸗ nalsozialisten.) Entweder, so schließt Abgeordneter Kube, geht unsere politische Amnestie durch, oder der Landtag fliegt auf. (Stürmischer, minutenlang anhaltender Beifall und Hände⸗ klatschen bei den Nationalsozialisten.)

Justizminister Dr. Schmidt: Meine Damen und Herren, ich habe vorhin schon erklärt, um das Letzte vorweg zu nehmen, daß ich nicht gewillt bin, von der Verwaltung aus, als Justizminister, in den politischen Streit um das Zustande⸗ kommen der Amnestie einzugreifen. (Zurufe rechts.) Ich möchte aber mit einigen wenigen Worten auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Kube jetzt zurückkommen.

Meine Damen und Herren! Die Erklärung, die ich vorhin abgegeben habe, war weiß Gott, nicht bestimmt und meines Er⸗ achtens auch nicht geeignet, den Herrn Abgeordneten Kube zu einer Wiederholung oder zu einer Steigerung seiner Angriffe gegen meine Beamtenschaft zu reizen. (Lachen und Zurufe rechts.) Ich muß deshalb wiederum Vermwrung dagegen einlegen, daß in der Debatte wiederum (Erregte Zurufe bei der Nat.⸗Soz. D. A.⸗P.) Das „Abtreten“ ist nicht so einfach (Lachen und Zu⸗ rufe rechts), wenn man die Amtspflicht hat (andauernde lebhafte Zurufe rechts Glocke des Präsidenten)

Justizminister Dr. Schmidt (fortfahrend): wenn man die Amtspflicht hat (andauernde lebhafte Zurufe rechts), als ge⸗ schäftsführender Minister gemäß der Verfassung die Geschäfte zu führen. (Andauernde Zurufe rechts.)

Also, meine Herren, ich muß wiederum Verwahrung dagegen

einlegen, daß hier wiederum Namen von Richtern und Beamten

genannt und Vorwürfe gegen sie erhoben worden sind. (Zurufe

rechts.) Das bedaure ich aufs tiefste. Das bedaure ich nicht aus

persönlichen Gründen, sondern der Sache willen, und, meine Herren, ich will nun nicht in der Tonart und in der Tonlage, wie sie der Herr Abgeordnete Kube beliebt hat, erwidern. (Abg. Kube: Die waren sehr milde, Herr Minister! Lebhafte Zurufe rechts. Glocke des Präsidenten. Andauernde erregte Zurufe bei der Nat.⸗Soz. D. A.⸗P. Der Präsident verläßt nach wieder⸗ holten Glockenzeichen den Präsidentenplatz.) (Unterbrechung der Sitzung von 12 Uhr 52 Minuten bis 13 Uhr 5 Minuten.)

Lärmszenen bei den Nationalsozialisten. Einzelne Abge⸗ ordnete der Nationalsozialisten gehen gegen die Rednertribüne vor, auf der der Minister steht. Es gelingt dem Präsidenten Kerrt nicht, die Ruhe wieder herzustellen, worauf er seinen Platz verläßt. Die Sitzung ist unterbrochen. Die National⸗ sozialisten rufen, als Minister Schmidt den Saal verläßt, im Chor ihre Heilrufe.

Nach Wiedereröffnung der Sitzung die Regierungs⸗ bank ist völlig leer erhält in der berng jesaen Amnestie⸗ aussprache das Wort

Abg. Stein furth (Komm.). Er bezeichnet den Amnestie⸗ esetzentwurf des Staatsrats als eine freche Verhöhnung des Mehrheitswillens des Preußischen Landtags. Das Zentrum habe war heuchlerisch erklärt, es habe nichts gegen eine Umnestie, in Wirklichkeit wolle es aber jede Amnestie verhindern. Die Regierungsparteien setzten jetzt im Staatsrat dieses Be⸗ streben fort. Der Justizminister Dr. Schmidt habe hier versucht, das Vorgehen der Justizbehörden noch zu verteidigen. (Pfuirufe bei den Kommunisten.) Der politische Terror gegen die Arbeiter⸗ klasse werde immer mehr gesteigert, die Not der Erwerbslosen immer mehr verschärft. Heute säßen in Deutschland 8000 prole⸗ tarische Gefangene in den Kerkern, Zehntausende warteten auf die Anklage. Sei die Regierung nicht imstande, eine wirkliche Be⸗ friedung des politischen Lebens und Behebung der wirtschaftlichen Not herbeizuführen, so habe die Justiz auch nicht das Recht, Men⸗ schen, die mit den Strafgesetzen in Konflikt kommen, in die Ge⸗ fängnisse zu sperreu. Die Aburteilung und Behandlung über⸗ zeugter proletarischer Kämpfer als krimineller Verbrecher müsse ein Ende haben. Der Redner richtet weiter heftige Angriffe gegen die „bürgerliche Klassenjustiz“. Die Staatsanbäfte müßten sofort diejenigen proletarischen politischen Gefangenen aus den Kerkern erauslassen, die nach dem Beschluß des Landtags schon längst rei sein müßten. Der Redner schließt mit den von seiner Fraktion im Chor aufgenommenen Forderung: Heraus mit allen prole⸗ tarischen politischen Gefangenen!

Abg. Zubke (D. Nat.) erklärt: Die Deutschnationale Volks⸗ partei wird nach wie vor für den vom Landtag bereits ange⸗ nommenen Entwurf stimmen, gegen den der Staatsrat Einspruch erhoben hat. Wir können nicht stimmen für den Entwurf des Staatsrats, weil die politischen und wirtschaftlichen Straftaten, die mit härterer Strafe als 6 Monaten Gefängnis belegt sind, von der Amnestie ausgenommen sind, und zwar weil der Straf⸗ rahmen unseres Strafgesetzes derartig eng ist, daß durch die Amnestie nicht die Mehrzahl der Fälle erfaßt wird, die nach unserer Ansicht darunter fallen müßten. Schwere Bedenken be⸗ stehen bei uns ferner gegen die Herausnahme der Straftaten, die „aus Niedrigkeit der Gesinnung“ begangen sind. Meine Freunde

im Staatsrat, und zwar auch der Reichsinnenminister, haben gegen Verfehlungen dieser Art gegen die Nationalsozialisten zuschulden

den Entwurf des Staatsrats gestimmt. im Staatsrat die strikte Erkläarung abgegeben, daß es gegen jede Amnestie ist. (Hört, hört! bei den Kommunisten.) Wir können die Entscheidung über die „Niedrigkeit der Gesinnung“ niemals in die Hand eines Zentrumsministers legen. Dieses Amnestie⸗ belet beweist, daß die Mehrheit dieses Hauses ihren Willen über⸗ upt nicht durchsetzen kann, weil im Staatsrat immer noch die schwarz⸗rote Mehrheit besteht und durch die Praxis in der Aus⸗ legung der „Niedrigkeit der Gesinnung“ jederzeit das Amnestie⸗ gesetz sabotiert werden kann. Damit ist die Aussprache über das Gesetz beendet. Die Abstimmungen finden später statt.

Es folgt die Fortsetzung der Aussprache über die Berg⸗ werksfragen. Der Abg. Hinkler (Nat. Soz.) bean⸗ tragt sofortige Herbeirufung des Handelsministers Dr. Schrei⸗ ber, damit er anhöre, was man ihm zu sagen habe. Die Mehrheit stimmt dem Antrage zu.

Der Abg. Lohse (Nat. Soz.) beantragt nunmehr Unter⸗ brechung der Sitzung bis zum Erscheinen des Ministers. Die Sitzung wird darauf unterbrochen.

Nach 2 % Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet. Auf der Regierungsbank sind die Beamten des Handelsministeriums unter Führung des Staatssekretärs Staudinger erschienen. Handelsminister Dr. Schreiber ist nicht anwesend.

Päsident Kerrl teilt mit, daß der Handelsminister Dr. Schreiber auf ärztlichen Rat einen Erholungsurlaub in Westerland auf Sylt verbringe. (Lachen und Rufe bei den Nationalsozialisten.) In seiner Vertretung sei Staatssekretär Staudinger erschienen, der allerdings bedauert habe, jetzt gerade in den Landtag kommen zu müssen, weil er mitten in Verhand⸗ lungen mit dem öö2 gewesen sei, wobei es sich unter anderem um die Erhaltung des Harzbergbaues handelte. Er, der Präsident, schlage daher vor, dem Staatssekretär zu er⸗ möglichen, zu diesen Zeanennhen über den Harzbergbau zurück⸗ zukehren. Das Haus erhebt gegen den Vorschlag des Präsi⸗ denten keinen Widerspruch. Staatssekretär Dr. Staundinger verläßt darauf den Sitzungssaal.

Abg. Dr. (Nat. Soz.) bringt dann einen neuen Antrag seiner Fraktion ein. In dem Antrag wird gesagt, daß der wegen seines rechtswidrigen Lergesen⸗ gegen deutsche Staats⸗ bürger und nationalsozialistische Kämpfer berüchtigte Frankfurter Polizeipräsident seinen bisheri en rechtsbrecherischen Hand⸗ lungen die Krone aufgesetzt habe. Der Frankfurter Polizei⸗ habe nämlich am Freitag den von der Beerdigung eines Kationalsozialisten zurückkehrenden preußischen Landtagsabgeord⸗ neten Beckerle (Nat. Soz.), der gerade auf dem Frankfurter Flugplatz ein Flugzeug besteigen wollte, um an den Abstim⸗ mungen über die Amnestie im Landtag teilnehmen zu können vom Flugzeug weg verhaften läassen. (Stürmisches Hört, hört! bei den Nationalsozialisten.) Der Frankfurter Polizeipräsident habe sich damit neben anderen Verbrechen auch des Verbrechens gegen en § 106 StB. schuldig gemacht, weil er einen Abgeordneten mit Gewalt an der Ausübung feiner Abgeordnetenpflicht ver⸗ hindert habe. Dieses Verbrechen des Frankfurter Polizeipräsi⸗ denten sei im Strafgesetzbuch mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bedroht. Der Antrag verlangt, daß der geschäftsführende Innen⸗ minister Severing sofort beauftragt werde, durch Funkspruch die Freilassung des Abgeordneten Beckerle zu veranlassen und dafür zu sorgen, daß Beckerle auf Staatskosten ein Flugzeug zur Ver⸗ fügung gestellt werde, damit er an der Amnestieabstimmung im Landtag teilnehmen könne. Weiter ersucht der Antrag den Iustiz⸗ minister, den Frankfurter Oberstagtsanwalt anzuweisen, daß er 423 ein Strafverfahren gegen den Frankfurter Polizeipräsi⸗ enten einleite und wegen der zu erwartenden hohen Strafe, die den Fluchtverdacht gewärtigen lasse, Haftbefehl gegen den Frank⸗ iere Polizeipräsidenten ausstelle. Dr. Freisler verlangt sofortige Entscheidung über diesen Antrag. Als er hinzufügt: Wir nehmen an, daß es niemand wagen wird, segen diesen Antrag zu wider⸗ kommen Oho⸗Rufe von den Sozialdemokraten, worauf ie Nationalsozialisten sich von den Plätzen erheben und laut gegen die Sozialdemokraten polemifieren.

Mit den Stimmen der Nationalsozialisten, Deutsch⸗ nationalen und Kommunisten wird die Freilassung Beckerles beschlossen, das Verlangen nach einem Verfahren gegen den Polizeipräsidenten von Prankfürt M. wird dem Polizeiunter⸗ suchungsausschuß überwiesen. Mit der gleichen Mehrheit wird dann beschlossen, den Minister des Innern Severing herbeizuzitieren, gechß dem nationalsozialistischen Verlangen, und bis zu seinem Erscheinen die Sitzung abermals zu unter⸗ brechen.

Nach Wiedereröffnung der Sitzung teilt Präsident Kerrl mit, Minister Severing habe ihm erklären lassen, daß er innerhalb einer weiteren Viertelstunde im Landtag anwesend sein könne. Die nationalsozialistische Fraktion hätte ihn er⸗ sucht, die Sitzung deshalb nochmals um eine Viertelstunde auszusetzen, bis der Innenminister im Sitzungssaal er⸗ schienen sei.

Widerspruch gegen die abermalige Unterbrechung der Sitzung wird von keiner Seite erhoben. Die Verhandlungen werden wiederum unterbrochen.

Als die Sitzung abermals eröffnet wird, erklärt Präsident Kerrl, daß Minister Severing bereits auf dem Wege zum Landtagsgebaude sei.

Abg. Dr. Freisler (Nat. Soz.) bringt wiederum einen Antrag seiner Fraktion ein. Es heißt darin, daß der Polizeioberleutnant Friedrich Maß vom Berliner Polizeirevier 157 vor einigen Tagen der nationalsozialistischen Landtagsfraktion eine Information in Urschrift habe zugehen lassen. Der Antragstext enthält diese In⸗ formation. Darin berichtet Maß, wie er am Dienstag, dem 31. Mai 1932, als er sich außer Dienst in Uniform in der Nähe der Moltke⸗ brücke befand, Zeuge der Zusammenstöße anläßlich des Aufrückens der sogen. Skagerrak⸗Wache gewesen sei. Er habe aus einer Ent⸗ fernung von 20 Meter beobachtet, wie der diensthabende Polizei⸗ offizier, ein junger Leutnant, mit seinen Beamten gegen die an⸗ wesenden Zuschauer vorging und sie mit dem Polizeiknüppel niederschlagen ließ. (Hört, hört! bei den Nationalsozialisten.) Dieser junge Leutnant habe sich selbst an dem Niederknüppeln be⸗ teiligt und sich lächelnd und händereibend dann nach Maß um⸗ gedreht. Maß habe ihm durch Kopfschütteln seine Mißbilligung bekundet. Nach Meinung des Maß sei der Polizeiknüppel in diesem Falle zu Unrecht angewendet worden; Maß spreche in diesem Zusammenhang von einem widerlichen Bild und erkläre weiter, daß Polizeikommandeur Heimannsberg diese Untaten seiner Beamten gutgeheißen habe. (Rufe bei den Nationalsozia⸗ listen: Das schreibt ein Polizeioffizier!) Maß habe in seiner In⸗ formation u. a. weiter eine Aeußerung des Polizeikommandeurs Heimannsberg anläßlich eines anderen Zusammenstoßes wieder⸗ gegeben. Da habe Heimannsberg gesagt: „Haben Sie schon gehört, es ist wieder mal ein so alter Kommißknochen um die Ecke ge⸗ gangen!“ (Stürmisches Hört, hört! bei den ee In einem anderen Falle hätten nach den Bekundungen des Ma die Polizeibeamten so auf die Nationalsozialisten eingeschlagen, daß die Nationalsozialisten, auf der Straße liegend, sich vor Schmerzen die Wunden geleckt hätten. (Große Erregung bei den Nationalsozialisten. Sie erheben sich von den Plätzen und rufen Drohungen zu den Sozialdemokraten; insbesondere dem Abg. Grzesinski rufen sie zu: „Das wirst du auck mal!“) Der Polizei⸗ major Meier habe nach den Bekundungen des Maß gleichfalls sich

Das Zentrum hat gestern kommen lassen, von denen er z. B.

1b 1 einmal gesagt be: „Die Schweine sollen verrecken!“ Maß habe, so Alog 2* Freisler weiter, der nationalsozialistischen Fraktion dieses Material aus⸗ drücklich mit der Bitte unterbreitet, daß es im Polizeiunter⸗ suchungsausschuß in aller Oeffentlichkeit behandelt werde; er, Maß, stehe für die Richtigkeit des Materials mit seinem Namen ein. Die Polizei, die hiervon Kenntnis erhielt, habe daraufhin aus dem Bekanntenkreise von Maß bereits eine Verhaftung vorgenommen. (Hört, hört! bei den Nationalsozialisten.) Kurz darauf sei der Polizeioberleutnant Maß in seinem Dienstzimmer im Gebäude des Polizeiamts Schöneberg in der Gothaer Straße mit einem schweren Kopfschuß worden (stürmisches hört, hört! bei den Nationalsozialisten) der wahrscheinlich zu seinem Tode führen werde. In dieser Minute muß ich erklären, so 4 Dr. Freisler fort, daß das, was ich beim Diktat des Antrags als 82 annahm, eingetroffen ist. Maß ist bereits an den Folgen des Mordversuches verschieden. (Lärm bei den Nationalsozialisten; in diesem Augenblick erscheint Innenminister Severing im Sitzungssaal und nimmt auf seinem Abgeordnetensitz Platz.) Na vorliegenden Pressemeldungen erscheint ein Selbstmordversu ausgeschlossen. Es bleibt nur der dringende Verdacht übrig, da die Führer der Berliner Polizei, Grzesinsti und Bernhard Weiß, in diesem Fall den pol tischen Mord zum Mittel der Verdeckung ihrer rechtswidrigen Methoden gemacht haben. (Sehr wahr! bei den Nationalsozialisten.) Von einem Mann, der deutsche Bürger mit der Hundepeitsche aus dem Lande treiben möchte, kann man ohne weiteres auch vermuten, daß er durch die Anordnung und Durchführung des politischen Mordes zum Schutze seines korrupten Systems und seiner längst verwirkten Machtstellung tätig war. Der nationalsozialistische Antrag wolle den Innenminister beauf⸗ tragen, Anordnungen zu treffen, daß Polizeibeamte in das Berliner Krankenhaus, in dem Oberleutnant Maß mit dem Tode ringe, unter keinen Umständen eindringen dürften, da sonst die Gefahr bestehe, daß im Auftrage der Leitung der Berliner Polizei der nicht ganz geglückte Mord an Maß vollendet werde. Dieser erste Teil des Antrags, so betont Dr. Freisler, ist hinfällig geworden, weil der Mord bereits geglückt ist. Zweitens verlange der Antrag Anweisung an die Staatsanwaltschaft auf Erlaß von Haftbefehlen gegen Grzesinski, Weiß und Heimannsberg wegen des dringenden Zerdachts der Anstiftung zum Morde und der Teilnahme an diesem Verbrechen. Drittens fordere der Antrag, daß umgehend, gemãß den mehrfach gefaßten Beschlüssen des Landtags, die Dienst⸗ enthebung von Grzesinski, Weiß und Heimannsberg sowie von Polizeimajor Meier ausgesprochen werde. Der Redner fordert die sefortige Ueberweisung dieses Antrags an den Polizeiunter⸗ suchungsausschuß zur weiteren Behandlung.

Abg. Grzesinski (Soz.), der nun zur Geschäftsordnung das Wort nimmt, wird von den Nationalsozialisten mit stürmischen Pfuirufen empfangen. Er kann seine Ausführungen bei der an⸗ altenden Unruhe auf der Rechten für die Tribünen nicht ver⸗ tändlich machen. Was Sie, s führt der Redner aus, eben vom

bg. Freisler gehört haben, ist so ungeuerlich (Lärm bei den Nationalsozialisten und Rufe: Sie ungeheuerlich!), daß ich nicht für möglich gehalten habe, daß ein Abgeordneter eine der⸗ artige Unterstellung aussprechen könne. (Göoße Unruhe und Lärm bei den Nationalsozialisten; Präsident Kerrl ersucht wiederholt um Ruhe.) Aus den weiteren Aeußerungen des Abg. Grzesinski, die bei dem anhaltenden Lärm im wesentlichen unverständlich bleiben, peht hervor, daß der Redner die Angriffe gegen die Polizei⸗ eamten zurückweist und hervorhebt, die Beamten wendeten den Gummiknüppel nur an, wenn sie selbst angegriffen würden. Die nationalsozialistischen Zeitungen veröffentlichten aber leider nicht die entsprechenden Verfügungen der Polizeiverwaltung. (Rufe bei den Nationalsozialisten: Sie schwindeln ja.)

Abg. Kube (Nat. Soz.): Ich stelle namens der national⸗ sozialistischen Fraktion folgenden Tatbestand fest: Auf unseren An⸗ trag wurde hier ein Untersuchungsausschuß eingesetzt gegen Miß⸗ stände bei der Polizei. Gegen diesen Antrag konnten Sie (nach links) nichts unternehmen, weil die verfassungsmäßige Mehrheit dafür vorhanden war. Als der Ausschuß eingesetzt war, erhielten wir von zahlreichen authentisches Material. Zu denen, die uns Material chickten, gehörte der Polizeioberleutnant Maß. Der Herr Inhaber der Polizeigewalt in Berlin ist soeben auf die Tatsache gar nicht eingegangen, daß ein Mann, der im Zusammenhang mit der Materialbelieferung steht, verhaftet worden ist. (Abg. Grzesinski: Wer ist denn verhaftet worden? Lärm und Lachen bei den Nationalsozialisten.) Sie wußten, daß das Material des Oberleutnant Maß der Volksvertretung vor⸗ liegt (Abg. Grzesinski: Nein!), und dann wagen Sie es noch, hier zu erklären, Sie hätten gerade diesen Oberleutnant Maß besonders geschätzt. Dazu gehört schon eine eiserne Stirn. (Beifall rechts.) Die Tatsache steht fest, daß Polizeibeamte, die ihre Pflicht tun, ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Wenn Sie den Wunsch hätten, daß das Material vor dem ue Feg bn sausschuß geklärt werden soll, dann wäre Maß nicht das Opfer dunkler Mächte geworden.

ch erkläre als Fraktionsführer vor der Oeffentlichkeit: Spielen

ie nicht weiter mit dem Feuer! Die Legalitätsmaske, Herr Grzesinski, glaubt Ihnen kein Mensch mehr. Die Sozialdemokratie arbeitet bewußt auf den Bürgerkrieg hin. Wenn die gegenwärtige Reichsregierung noch den Willen hat, für Ruhe und Ordnung in Deutschland 7 sorgen, dann hat sie die Pflicht, in Preußen ein⸗ sugreifen. Niemand gefährdet das Leben und die Gesundheit, die Ruhe und Ordnung in Deutschland mehr als die sozialdemokrati⸗ schen Inhaber der Staatsgewalt in Preußen. (Stürmischer, lang anhaltender Beifall bei den Nationalsozialisten.)

Der Antrag des Abg. Dr. Freisler (Nat. Soz.) wird an den Polizeiuntersuchungsausschuß überwiesen.

Abg. Dr. von Winterfeldt (D. Nat.): Die Vorgänge des

eutigen Tages beweisen wieder, wie unmöglich die Zustände in Preußen sind. Herr Kube hat mit Recht ausgeführt, daß hohe preußische Beamte zum Bürgerkrieg hetzen. Es wird nicht anders in Preußen, solange dieses geschäftsführende Kabinett an der Macht ist. Deshalb muß es verschwinden. Herr Kube hat gesagt, das Reich müsse eingreifen. Aber wenn das Reich nicht eingreift, müssen wir zunächst hier noch einmal versuchen, die Dinge in Ord⸗ nung zu bringen und wenigstens den Versuch machen, einen Ministerpräsidenten zu wählen. Wir beantragen, auf die morgige Tagesordnung die Wahl des Ministerpräsidenten zu setzen.

Präsident Kerrl erklärt, daß er am Schluß der Sitzung darüber abstimmen lassen werde. Der Präsident verliest dann ein Telegramm des Abg. Beckerle aus Frankfurt a. M., in dem dieser um die Intervention des Landtags zum Zwecke seiner so⸗ fortigen Enthaftung bittet. Der Präsident fragt den anwesenden Innenminister, ob er die Enthaftung veranlaßt habe.

Minister des Innern Dr.⸗Ing. Severing: Meine Damen und Herren! Der Herr Direktor beim Landtag hat mich heute nachmittag, etwa 2 Uhr 55 telephonisch davon verständigt, daß der Landtag einen Beschluß folgenden Inhalts gefaßt habe:

Der geschäftsführende Innenminister wird beauftragt, sofort durch Funkspruch die Freilassung des Abgeordnten

Beckerle anzuordnen und den Frankfurter Polizeipräsidenten

zu beauftragen, auf Staatskosten ein Flugzeug, in dem Polizei⸗

beamte nicht mitbefördert werden dürfen, dem Abgeordneten

Beckerle zur Verfügung zu stellen, damit dieser noch rechtzeitig

zur Abstimmung über das Amnestiegesetz im Landtag erscheinen

kann. Das hat, wie gesagt, der Herr Dixektor beim Landtag mir tele⸗ phonisch übermittelt. Hätte ich die Begründung zu dieser Auf⸗