Schaffenden und verengen fortschreitend das Betätigungsfeld für ihre Kennmnisse und Krafte. Der im Osten entfesselte Weltbrand, der von Westen her kräftig geschürt wird und dessen Flammen⸗ meer auch die Sowjetunion und ihren sozialistischen Aufbau ver⸗ tilgen soll, wird auch Deutschland mit Schrecken und Greuel überhäufen, die das Mord⸗ und Vernichtungswerk des letzten Weltgemetzels in den Schatten stellen. Die politische Macht hat zur Stunde in Deutschland ein Präsidialkabinett an sich gerissen, das unter Ausschaltung des Reichstages gebildet wurde, das der Handlanger des vertrusteten Monopolkapitals und des Großagrariertums und dessen treibende Kraft die Reichs⸗ wehrgeneralität ist (sehr wahr! bei den Kommunisten). Trotz der Allmacht, über die diese Regierung verfügt, hat sie gegenüber den innen⸗ und außenpolitischen Aufgaben 212 versagt. Ihre Innenpolitik charakterisiert sich genau wie die ihrer Vorgängerin durch die Notverordnungen. Notverordnungen im ureigensten Sinne des Wortes, sie verordnen Not und steigern die schon vorhandene Not. (Sehr wahr! bei den Kommunisten.) Gleichzeitig zertreten sie die Rechte der Massen, gegen die Not zu kämpfen. Sozial Hilfsbedürftige und Hilfsberechtigte erblickt die Regierung nur in verschuldeten Großagrariern, krachenden Industrieherren, Bankgewaltigen, Reedern und gewissenlosen Spekulanten und Schiebern. Ihre Steuer⸗, Zoll⸗ und Handels⸗ politik nimmt breiten Schichten des Volkes, um kleine Gruppen von Interessenten zu beschenken, und verschlimmert die Krise durch weitere Einschränkung des Konsums und Imports und Exports. Ebenso schlägt ihre Außenpolitik den Interessen des schaffenden Volkes ins Gesicht. Sie wird geleitet von impexia⸗ listischen Gelüsten, bringt Deutschland in ziellosem, dilettantischem Schwanken zwischen plumpen Anbiederungsversuchen und Säbel⸗ rasseln in steigende Abhängigkeit von den Großmächten des Ver⸗ sailler Vertrags und schädigt seine Beziehungen zur Sowjetunion, dem Staat, der durch seine ehrliche Friedenspolitik und seinen wirtschaftlichen Aufstieg ein Rückhalt für die deutsche werktätige Bevölkerung ist. (Sehr wahr! bei den Kommunisten.) Schwerstens belastet ist das Schuldkonto des Präsidialkabinetts durch die Morde der letzten Wochen, für die es die volle Verantwortung trägt, durch die Aufhebung des Uniformverbots für die national⸗ sozialiscischen Sturmabteilungen und durch die offene Begönne⸗ rung der faschistischen Bürgerkriegstruppen. Vergebens sucht sie über ihre politische und moralische Schuld hinwegzutäuschen durch Auseinandersetzungen mit ihren Bundesgenossen über die Ver⸗ teilung der Macht im Staate; das vergossene Blut kittet sie für ewig mit den faschistischen Mördern zusammen. (Sehr wahr! bei den Kommunisten.) Die Ohnmacht des Reichstags und die All⸗ macht der Präsidialregierung sind der Ausdruck des Verfalls des bürgerlichen Liberalismus, der zwangsläufig den e. der kapitalistischen Produktionsweise begleitet. dieser Verfall wirkt sich auch voll aus in der reformistischen Sozialdemokratie (bei diesen Worten geht eine gemäßigte Welle der Heiterkeit durch den Saal), die sich in Theorie und Praxis auf den morschen Boden der bürgerlichen Gesellschaft stellt. Die Politik der Schleicher⸗Regierung ist nichts anderes als die unverschleierte Fortsetzung der Politit der von den Sozialdemokraten tolerierten Brüning⸗Regierung, wie dieser ihrerseits die Koalitionspolitik der Sozialdemokratie als Schrittmacherin vorausging. Die Politik des „kleineren Uebels“ stärkte das Machtbewußtsein der reaktionären Gewalten und sollte und soll noch das größte aller Uebel erzeugen, die Massen an Passivität zu gewöhnen. Diese sollen darauf verzichten, ihre volle Macht in außerparlamentari⸗ chen Dingen einzusetzen. Damit wird auch die Bedeutung des Parlaments für den Klassenkampf des Proletariats gemindert. Soweit heute das Parlament innerhalb bestimmter Grenzen für den Kampf der Werktätigen ausgenutzt werden kann, so nur dann, wenn es seine Stütze hat an kraftvollen Aktionen der Massen außerhalb seiner Mauern. Ehe der Reichstag Stellung nehmen kann zu Einzelaufgaben der Stunde, muß er seine zentrale Pflicht erkannt und erfüllt haben: Sturz der Reichs⸗ kegierung, die den Reichstag durch Verfassungsbruch zu beseitigen versucht, Anklage des Reichspräsidenten und der Reichsminister gegen Verfassungsbruch! Doch eine Anklage der Reichsregierung vor dem Staatsgerichtshof, heißt den Teufel bei seiner Groß⸗ mutter verklagen. (Händeklatschen bei den Kommunisten.) Selbst⸗ verständlich wird nicht einfach durch Parlamentsbeschluß die Ge⸗ walt der Regierung gebrochen, die sich stützt auf die Reichswehr und alle anderen Machtmittel des bürgerlichen Staates, auf den Terror der Faschisten, die Feigheit des liberalen Bürgertums und die Passivität großer Teile der Werktätigen. Der Sturz der Regierung durch den Reichstag kann nur das Signal sein zum Aufmarsch und zur vollen Machtentfaltung der Massen außerhalb des Parlaments, um in dem Kampf das ganze Gewicht hrer wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung und die Wucht ihrer Zahl einzusetzen. In diesem Kampf gilt es zunächst vor allem den Faschismus niederzuringen, der mit Blut und Eisen alle klassen⸗ mäßigen Lebensäußerungen der Werktätigen austilgen soll in der klaren Erkenntnis unserer Feinde, daß die Stärke des Prole⸗ tariats am wenigsten von Parlamentssitzen abhängt, vielmehr verankert ist in seinen politischen, gewerkschaftlichen, genossen⸗ schaftlichen und kulturellen Organisationen. (Abg. Torgler [Komm.)] flüstert der Rednerin zu, sie möge ihre Rede abkürzen, ie antwortet jedoch: Nein! Nein! und fährt dann fort): Belgien zeigt den Werktätigen, daß der Massenstreik eine Waffe ist, die auch in der Periode tiefster wirtschaftlicher Kriese ihre Schneide bewahrt, vorausgesetzt, daß hinter ihrem Gebrauch die Ent⸗ chlossenheit und Opferfreudigkeit der Massen steht, vor keiner Weiterung des Kampfes zurückzuschrecken und der Gewalt der Feinde mit Gewalt zu begegnen. Jedoch die außerparlamen⸗ tarische Machtentfaltung der Werktätigen darf sich nicht auf den Sturz einer verfassungswidrigen Regierung beschränken, sie muß über dieses Augenblicksziel hinaus gerichtet sein auf den Sturz es bürgerlichen Staates und seiner Grundlage, der kapitalisti schen Wirtschaft. Alle Versuche, auf dem Boden der kapitalisti⸗ schen Wirtschaft die Krise zu mildern, haben das Unheil nur ver⸗ chärft. Staatliche Eingriffe versagten, denn der bürgerliche Staat hat nicht die Wirtschaft, umgekehrt, die kapitalistische Wirt⸗ schaft hat den Staat. Als Machtapparat der Besitzenden kann ieser sich nur zu deren Vorteil einsetzen auf Kosten der produ⸗ zierenden und konsumierenden Werktätigen. Eine Planwirtschaft der kapitalistischen Wirtschaft ist ein Widerspruch in sich selbst. Der Weg zur Ueberwindung wirtschaftlicher Krisen ist die proletarische Revolution, die mit der Aufhebung des Privateigen⸗ tums an den Produktionsmitteln Planmäßigkeit des Wirt⸗ schaftens verbürgt. Die russische Revolution ist der weltgeschicht⸗ liche große Beweis, daß den Schaffenden die Kraft eignet, all ihre Feinde Feereee zusammen mit dem Kapitalismus im eigenen Lande auch die imperialistischen Raubgewalten zu brechen und Sklavenverträge wie den Versailler Vertrag zu zerreißen. (Sehr wahr! bei den Kommunisten.) Der Sowjetstaat erhärtet guch, daß die Werktätigen die Reife besitzen, eine neue Wirt⸗ schaftsordnung aufzubauen, in der eine wirtschaäftliche Höher⸗ entwicklung der Gesellschaft ohne verwüstende Krisen erfolgt, da die Ursache der anarchistischen Produktion vernichtet ist, das Privateigentum an den großen Produktionsmiteln. Der Kampf der werktätigen Massen gegen die zerfleischenden Nöte der Gegen⸗ wart ist zugleich der Kampf für ihre volle Befreiung. Er ist ein Kampf gegen den zersklavenden und ausbeutenden Kapitalismus und für den erlösenden Sozialismus. Diesem Ziel muß der Blick der “ unverrückt zugewandt sein. Sie dürfen sich nicht um⸗ nebeln lassen von Illusionen über die befreiende Demokratie und nicht schrecken lassen durch die brutalen Gewalten des Kapitalis⸗ mus, der seine Rettung durch Weltkriegsgemetzel und faschisti⸗ schen Bürgerkriegsterror erstrebt. Das Gebot der Stunde ist die Einheitsfront aller Werktätigen um den Faschismus zurückzu⸗ werfen (Beifall bei den Kommunisten), und damit den Ver⸗ klavten und Ausgeplünderten die Kraft, die Macht ihrer Organi⸗
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sationen zu erhalten, ja sogar ihr physisches Leben. Vor dieser zwingenden geschichtlichen Notwendigkeit müssen alle fesselnden und trennenden politischen, gewerkschaftlichen, religiösen und weltanschaulichen Einstellungen zurücktreten. Alle Bedrohten, alle Leidenden in die Einheitsfront gegen den Faschismus und seine Beauftragten in der Regierung! Die Selbstbehauptung der Werk⸗ tätigen gegen den Faschismus ist die nächste Voraussetzung für die Einheitsfront im Kampf gegen Krise, imperialistische Kriege und ihre Ursache, die kapitalistische Produktionsweise. Die Auf⸗ lehnung von Millionen werktätiger Männer und Frauen in Deutschland gegen Hunger, Entrechtung, faschistischen Mord und imperialistischen Kriege ist ein Ausdruck der unzerstörbaren Schicksalsgemeinschaft der Schaffenden der ganzen Welt. Diese internationale Schicksalsgemeinschaft muß (mit erhobener Stimme) ehern geschmiedete Kampfesgemeinschaft der Werk⸗ tätigen in allen Eerschaftsgebirten des Kapitalismus werden. Eine Kampfesgemeinschaft, die sie mit den vorausgestürmten be⸗ freiten Brüdern und Schwestern in der Sowjetunion verbindet. Streiks und Aufstände in den verschiedensten Ländern künden als lodernde Flammenzeichen den Kämpfenden in Deutschland, daß sie nicht allein stehen. Ueberall beginnen die Enterbten und Niedergetretenen zur Eroberung der Macht vorzustoßen. In der auch in Deutschland sich formierenden Einheitsfront der Werk⸗ tätigen dürfen die Millionen Frauen nicht fehlen, die noch immer Ketten der Geschlechtssklaverei tragen und dadurch härtester Klassensklaverei ausgeliefert sind. In den vordersten Reihen muß die Jugend kämpfen, die freies Emporblühen und Ausreißen ihrer Kräfte heischt, aber heute keine andere Aussicht hat, als den Kadavergehorsam und die Ausbeutung in den Kolonnen der Arbeitsdienstpflicht. In die Einheitsfront auch alle geistig Schaffenden, deren Können und Wollen, den Wohlstand und die Kultur der Gesellschaft zu mehren, heute in der bürgerlichen Ordnung sich nicht mehr auszuwirken vermag. In die kämpfende Einheitsfront alle, die als Lohn⸗ und Gehaltshörige oder sonstwie Tributpflichtige des Kapitals zugleich Erhalter und Opfer des versklavten und ausbeutenden Systems sind.
Ich eröffne den Reichstag in Erfüllung meiner Pflicht als Alterspräsidentin. Ich hoffe, trotz meiner jetzigen Invalidität, noch die Freude zu erleben, als Alterspräsidentin den ersten Rätekongreß Sowjetdeutschland zu eröffnen. (Stürmischer Beifall bei den Kommunisten.)
Von den übrigen Parteien sind die Ausführungen der Alterspräsidentin schweigend und ohne jegliche Kundgebung angehört worden.
Die Alterspräsidentin ersucht dann die Schriftführer, den Namensaufruf vorzunehmen, der mit dem Namen des Abg. Abicht⸗Thüringen beginnt. Die Deutschnationalen betreten den Saal und beteiligen sich an dem Namensaufruf.
Die Alterspräsidentin sinkt zunächst erschöpft zurück, er⸗ holt sich jedoch sehr rasch und läßt sich von dem Abgeordneten Torgler (Komm.) über ihre weiteren Amtsobliegenheiten unterrichten. Der Namensaufruf dauert etwa eine halbe Stunde. Während dann die Schriftführer das Resultat fest⸗ stellen, verliest der dritte Schriftführer Abg. Torgler die eingegangenen Vorlagen, nämlich die 16 seit der Auf⸗ lösung des alten Reichstags erlassenen Notverordnungen des Reichspräsidenten und Verordnungen der Reichsregierung. Als Ergebnis des Namensaufrufs wird dann festgestellt, daß 578 Abgeordnete anwesend sind, das Haus also beschluß⸗ fähig ist.
Abg. Rädel (Komm.) beantragt darauf zur Geschäjtsordnung einen sofortigen Reichstagsbeschluß auf Haftentlassung Lines kom⸗ munistischen Reichstagsabgeordneten, der drei Tage vor der Reichs⸗ tagseröffnung in Stuttgart festgenommen worden sei. Abg. Dr. Frick (Nat. Soz.) fordert ebenso die sofortige Haftentlassung des nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten Moder⸗Schles⸗ wig⸗Holstein. ide Anträge werden fast einstimmig vom Reichs⸗ tag angenommen.
Auf Vorschlag der Alterspräsidentin schreitet dann das Haus sofort zur Wahl seines Vorstandes, und zwar zunächst des Reichstagspräsidenten. Die Wahl erfolgt mit verdeckten Stimmzetteln. Gewählt ist, wer die Mehrheit der ab⸗ gegebenen gültigen Stimmen erhält. Ergibt sich keine Mehr⸗ heit, so kommen die beiden Anwärter mit den höchsten Stimmenzahlen in die engere Wahl.
Abg. Dr. Fvick (Nat. Soz.) schlägt zum Präsidenten den Abg. Göring (Nat. Soz.) vor.
Abg. Rädel (Komm.) tritt für die Wahl des kommunistischen Abgeordneten Torgler ein. Er verliest sogleich den Beschluß der kommunistischen Reichstagsfraktion und des Zentralkomitees der KPD., der sich für eine Ausschaltung der Nationalsozialisten bei der Wahl des Reichstagspräsidenten einsetzt. Die Kommunisten würden im ersten Wahlgang für ihren eigenen Kandidaten stimmen. Wenn im ersten Wahlgang der nationalsozialistische Kandidat nicht gewählt werden sollte, würden sie ihre Stimmen für den sozialdemokratischen Kandidaten abgeben. Durch diese Maßnahme solle der Kampf gegen die Führer der Sozialdemo⸗ kratie in keiner Weise abgeschwächt werden. Die kommunistische Fraktion brandmarke bei dieser Gelegenheit erneut die Helfers⸗ dienste, die der seitherige Präsident Löbe bei der Notverordnungs⸗ diktatur und der Entrechtung der Arbeiterschaft geleistet habe. (Lebhafte Zustimmung bei den Kommunisten.) Die Kommunisten wollten mit ihrer Haltung die ganze politische Verantwortung des Zentrums herausstellen.
Abg. Dittmann (Soz.) erklärt, daß seine Partei für den bisherigen Präsidenten Löbe stimme.
Darauf beginnt der Wahlakt. Für den nationalsozialisti⸗ schen Kandidaten stimmen auch das Zentrum, die Deutsch⸗ nationalen und die Deutsche Volkspartei sowie die Bayerische Volkspartei.
Der Schriftführer Torgler (Komm.) ruft die Namen der Abgeordneten auf. Die Aufgerufenen treten an den Tisch des Hauses vor und geben ihren Stimmzettel den Schrift⸗ führern, die ihn in die Abstimmungsurne legen. Der Namen⸗ aufruf beginnt diesmal mit den Namen des Abg. Dr. Baade (Soz.). Der Namenaufruf und die Auszählung der Stimm⸗ zettel nehmen mehr als eine Stunde in Anspruch.
Die Präsidentenwahl hat das Ergebnis, daß 367 Stimmen für den Abgeordneten Göring (Nat. Soz.), 135 für den Abg. Löbe (Soz.) und 80 Stimmen für den Abg. Torgler (Komm.) abgegeben worden sind. Eine Stimme erhielt der Abg. Stöhr (Nat. Soz.)
Abg. Göring (Nat. Soz.) ist also mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang zum Reichstagspräsidenten gewählt.
Stürmischer Beifall bei den Nationalsozialisten.)
Alterspräsidentin Frau Zetkin fragt den Abg. Göring darauf, ob er die Wahl annehme, was Göring bejaht. Die Alterspräsidentin erklärt, daß damit ihre Pflicht erfüllt sei und der neugewählte Präsident seines Amtes walten werde. Als die Alterspräsidentin ihren Platz verläßt, ruft ein Nationasozialist: Frau Zetkin das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder.
Als Präsident Göring seinen Platz einnimmt, erhebt sich die gesamte nationalsozialistische Fraktion von den Plätzen
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und begrüßt den neuen Präsidenten mit stürmischen Heil⸗ Rufen. Auch Präsident Göring erhebt die Hand zum Hitler⸗ Gruß. Die kommunistischen Abgeordneten, dier inzwischen Frau Zetkin zu ihrem Platz geleiteten, erheben als Antwort ihre Fäuste zum Rot Front.
Präsident Göring übernimmt sein Amt mit folgender An⸗ prache: Durch die Mehrheit des Hauses und als Vertreter der tärksten Fraktion auf diesen Platz berufen, danke ich für das Vertrauen und verspreche, mein Amt unparteiisch, gerecht und nach der bestehenden Geschäaftsordnung auszuüben. Ich werde für die Ordnung und Würde dieses Hauses Sorge tragen. Ich lasse aber keinen Zweifel, daß ich ebensowenig die Würde und die Ehre des deutschen Volkes antasten lasse. Auch die Ehre der Geschichte des deutschen Volkes wird in mir einen berufenen Hüter sinden. (Stürmische Heil⸗Rufe rechts.)
Das Haus geht dann zur Wahl der Vizepräsidenten über. Der Präsident beruft zur Unterstützung der Wahlhandlung als weitere Schriftführer die Abgg. Kaufmann und Linder (Nat. Soz.), Frau Teusch (Zentr.) und Laverrenz (D. Nat.). Abg. Dr. Frick (Nat. Soz.) schlägt zum ersten Vizepräsidenten den Abg. Esser (Zentr.) vor. (Abg. Torgler [Komm.)] ruft: Die ersten Früchte der Koalition!) Abg. Dittmann (Soz.) schlägt den Abg. Lobe (Soz.), Abg. Rädel (Komm.) seinen Fraktions⸗ freund Torgler vor. Auf Vorschlag des Präsidenten wird die Wahlhandlung vereinfacht und auf den Namenaufruf ver⸗ zichtet. Alle Abgeordneten verlassen den Saal und die Schrift⸗ führer sammeln dann an den Eingangstüren beim Wieder⸗ eintritt die Stimmzettel ein.
Von den gültigen Stimmen erhalten Abg. Esser (Zentr.) 276, Abg. Löbe (Soz.) 214, Abg. Torgler (Komm.) 7. und Frau Zetkin (Komm.) eine. Ungültig sind sechs Stimmen. Da keiner der Kandidaten die Hälfte der gültigen Stimmen, nämlich 284, erreicht hat, muß Stichwahl zwischen Esser und Löbe stattfinden. Im zweiten Wahlgang stimmt das Zentrum nicht wieder für den Abg. Löbe, sondern für den Abg. Esser. Esser wird daher mit 364 Stimmen zum ersten Vizepräsi⸗ denten gewählt. Er nimmt die Wahl an. Abg. Löbe hat 138 Stimmen erhalten. Ungültig sind 79 Stimmen, von denen 78 auf den Abg. Toraler (Komm.) entfallen.
Für den Posten des zweiten Vizepräsideten schlägt Abg. Steinhoff (D. Nat.) den bisherigen Vizepräsi⸗ denten Abg. Gräf⸗Thüringen (D. Nat.) vor. Abg. Dittmann (Soz.) empfiehlt wieder die Wahl des Abg. Löbe, Abg. Rädel (Komm.) die des Abg. Torgler.
Mit 335 Stimmen wird Abg. Gräf⸗Thüringen (D Nat.) zum zweiten Vizepräsidenten gewählt. Abg. Löbe (Soz.) hat 139, Abg. Torgler (Komm.) 78 Stimmen erhalten.
Für den Posten des dritten Vizepräsidenten schlägt Abg. Leicht (Bayer. Vp.) den Abg. Rauch⸗München (Bayer. Vp.) vor. Für die Sozialdemokraten kandidiert wieder Abg. Löbe, für die Kommunisten Abg. Torgler.
Gewählt wird Abg. Ra uch⸗München mit 350 Stimmen. Er nimmt die Wahl an. Auf den Abg. Löbe sind 124, auf Torgler 76 Stimmen entfallen. Außerdem erhält Abg. Dingeldey (D. Vp.) eine Stimme. (Heiterkeit.)
Dann folgt noch die Wahl der 12 Schriftführer, und zwar in einem Wahlgange. Jeder Abgeordnete gibt einen Stimm⸗ zettel ab, der höchstens 12 Namen enthalten darf.
Die Auszählung der Schriftführervorschläge erfolgt am Mittwoch vormittag.
Der Präsident gibt dann die Mitglieder des Aus⸗ schusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung und des Auswärtigen Ausschusses bekannt, die damit vom Reichs⸗ tag eingesetzt sind. Wegen der weiteren Ausschüsse sollen die Fraktionen die Mitglieder am Mittwoch früh benennen. Sämtliche Ausschüsse sollen am Mittwoch mittag konstituiert werden.
Präsident Göring fährt dann fort: Ferner bitte ich das Haus um die Ermächtigung, daß ich dem Herrn Reichs⸗ präsidenten in einem Telegramm die Bitte ausspreche, das Prä⸗ sidium des Reichstags nicht, wie es die Form vorschreibt, gelegent⸗ lich zu empfangen, sondern dieses Präsidium unverzüglich zum Vortrag zu empfangen. Gegen den Vorschlag erhebt sich kein Widerspruch. In den letzten Tagen häufen sich in der Presse aller Richtungen die Nachrichten über eine beabsichtigte Ausschaltung des Reichstags. Der Reichstag soll nämlich über keine arbeits⸗ fähige Mehrheit verfügen. Das deutsche Volk und das Ausland werden durch solche Nachrichten mehr und mehr beunruhigt. Als Präsident des Deutschen Reichstags weise ich derartige unverant⸗ wortliche Gerüchte zurück. (Beifall.) Ich bin fest davon über⸗ zeugt, daß der Herr Reichspräsident nur gemäß der von ihm an dieser Stelle beschworenen Verfassung handeln wird. (Gelächter bei den Kommunisten. — Der Präsident bittet dringend um Ruhe und erklärt, als weiteres Gelächter auf der Linken ertönt: Wenn Sie keine Ruhe geben wollen, begeben Sie sich hinaus. — Abg. Dittmann [Soz.] ruft: Lächerlichkeit tötet! — Der Präsident anwortet: Dann wären Sie schon längst tot! Feisan rechts.) Ich stelle vor dem ganzen deutschen Volke ausdrücklich est, daß die heutige Sitzung, vor allem die Wahl des Präsidiums eindentig erwiesen hat, daß der neue Reichstag über eine große arbeits⸗ fähige nationale I hehen verfügt und somit in keiner Weise der Tatbestand eines staatsrechtlichen Notstandes gegeben ist. Ich bin überzeugt, daß der Reichstag, wenn alle wertvollen Kräfte
usammenwirken, die schweren Aufgaben erfüllen wird, die seiner Zum ersten Male besitzt der Reichstag wieder eine nationale Mehrheit. (Beifall rechts.) Diesem Reichstag ist die Aufgabe gestellt, das deutsche Volk aus drückendster materieller Not und dumpfester seelischer Verzweiflung herauszuführen. Die Tatsache des nationalen Präsidiums beseelt mich mit der Hoffnung, daß ich mein Amt als Präsident dieses Reichstags aus⸗ üben kann, daß die Ehre des Volkes, die Sicherheit der Nation und die Freiheit des Vaterlandes die obersten Leitsterne meines Handelns sein können. (Stürmischer Beifall rechts) Alsdann bitte ich Sie, mich zu ermächtigen, Tag und Stunde der nächsten Sitzung sowie die Tagesordnung dieser Sitzung festzusetzen. 1
In diesem Augenblick strömen die Kommunisten wieder in den Saal.
Abg. Torgler (Komm.): Wir wollen die nächste Sitzung nicht in das Belieben dieses „nationalen“ Präsidenten stellen, sondern, da der Reichstag ohnehin morgen erst die Präsidenten⸗ wahl vornehmen wollte, so beantragen wir, daß er morgen mittag um 1 Uhr wieder zusammentritt, um durch die Erledigung der vorliegenden Mißtrauensanträge jenen Staatsstreichplänen der Papen⸗Regierung rechtzeitig entgegenzutreten. Weiter beantragen wir, die Anträge auf Aufhebung der Notverordnungen der Papen⸗Regierung auf die Tagesordnung zu setzen und den Antrag der Kommunistischen Partei auf Aufhebung der Sondergerichte.
Abg. Dittmann (Soz.) schließt sich diesem Antrage an und verlangt am Mittwoch auch die Beratung der mit den kom⸗ munistischen gleichlautenden Anträge der Sozialdemokraten.
Abg. Torgler (Komm.) verlangt darüber namentliche Abstimmung, Präsident Göring macht ihn jedoch darauf auf⸗ merksam, daß nach § 106 der Geschäftsordnung eine namentliche Abstimmung über Sitzungszeit und Tagesordnung unzulässig ist.
Erklärung außerhalb der Tagesordnung.
Die Abhaltung einer Sitzung am Mittwoch wird gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten ab⸗ gelehnt.
Abg. Torgler (Komm.) verlangt das Wort zur Ge⸗ schäftsordnung. Präsident Göring veriveigert es ihm jedoch und fährt in der Abstimmung fort.
Gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und der Kom⸗ munisten wird dem Präsidenten die Ermächtigung zur Fest⸗ setzung der nächsten Sitzung und ihrer Tagesordnung erteilt.
Präsident Göring fahrt dann fort, während die Ab⸗ geordneten sich von den Plätzen erheben und die Kommunisten wieder den Saal verlassen: Bevor ich die heutige Sitzung schließe, 18 der Reichstag noch einer Ehrenpflicht zu genügen. Schwerstes
nglück ist über unsere tapfere Reichsmarine 5,ö Das Schulschiff „Niobe“ ist durch eine Sturmbö in der stsee ge⸗ 69 tapfere junge Seeleute haben den Tod gefunden. Sie sind in treuer Pflichterfüllung, in Aufopferung für ihr Volk und ihr Vaterland gefallen. Mit den Hinterbliebenen, mit der Marine trauert das gesamte deutsche Volk um diese unerschrockenen Kämpfer. Der Reichstag ehrt und gedenkt dieser besten deutschen Söhne, indem sich die Mitglieder von ihren Sitzen erheben. Sie haben sich von ihren Sitzen erhoben, ich danke Ihnen. Die Sitzung ist hiermit geschlossen! (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Weg⸗ treten! — Große Heiterkeit.)
Schluß 8 ½ Uhr.
Preußischer Landtag. 1 11. Sitzung vom 30. August 1932323. (Bericht d. Nachrichtenbüros d. Vereins deutscher Zeitungsverleger.)
Präsident Kerrl eröffnet die heutige Vollsitzung des Preußischen Landtags mit einer Trauerkundgebung anläßlich der Katastrophe des Segelschulschiffs „Niobe“. Die Kom⸗ munisten sind nicht im Sitzungssaal. Die anderen Fraktionen hören die Ausführungen des Präsidenten stehend an. Prä⸗ sident Kerrl weist darauf hin, daß blühende junge Menschen⸗ leben bei Beginn ihrer Laufbahn den Seemannstod gestorben seien und daß auch der Landtag mit der Reichsmarine und dem Deutschen Volke erschüttert über das Unglück der „Niobe“ sei. Der Präsident spricht den von dem Unglück Betroffenen und den Hinterbliebenen das Beileid des Parlaments aus.
Präsident Kerrl teilt dann mit, daß mehrere haupt⸗ sächlich nationalsozialistische Abgeordnete auf ihr Landtags⸗ mandat verzichtet haben, nachdem sie in den neuen Reichstag gewählt worden sind.
Das Haus und die Tribünen sind stark besetzt. Die
preußischen Staatsminister mit Ausnahme des Minister⸗
präsidenten Dr. Braun sind anwesend und haben auf ihren Abgeordnetensitzen Platz genommen. Dagegen sind die Regierungsbänte völlig leer.
Vor Eintritt in die Tagesordnung erteilt der Präsident dem Abg. Dr. Hirtsiefer (Zentr.) das Wort zu einer Es handelt sich dabei um die im Aeltestenrat vereinbarte Ermöglichung einer
Erklärung der früheren preußischen Staatsregierung.
Abg. Dr. Hirtsiefer, der zuletzt stellvertretender Minister⸗ räsident der früheren Staatsregierung war, betont, er halte sich
sa verpflichtet, die preußische Volksvertretung sachlich über die
Vorgänge zu unterrichten, die sich am 20. Juli und den folgenden Tagen abgespielt hätten, und Auskunft über die Haltung zu geben, die die preußischen Staatsminister hierzu eingenommen hätten. (Inzwischen sind auch die Kommunisten im Sitzungssaal er⸗ schäenen.) Dr. Hirtsiefer schildert zunächst den historischen Verlauf der Einsetzung des Reichskommissars und der Amtsenthebung der Mitglieder des Kabinetts Braun. Er erklärt u. a., daß am 20. Juli, 10 Uhr, die Minister Severing, Klepper und er selbst in die Reichs⸗ kanzlei ohne Angabe des Zweckes gebeten worden seien. Der Reichskanzler habe mitgeteilt, daß er auf Grund einer soeben er gangenen VBerordnung des Reichspräsidenten den Ministerpräsi⸗ denten Braun und den Minister Severing ihres Amtes entsetzt habe. Wir äußerten, so fährt Dr. Hirtsiefer fort, unser Erstaunen über diesen Schritt und erklärten, daß wir dieses Vorgehen für verfassungswidrig hielten. Wir verwahrten uns insbesondere da⸗ gegen, daß uns keine Gelegenheit gegeben worden sei, etwaige Be⸗ anstandungen zu beseitigen. Der Minister schildert weiter die be⸗ kannten Ereignisse im Anschluß an die Amtsenthebung und erklärt, zu der Stunde, zwischen 10 und 11 Uhr vormittags, in der Ministerpräsident Dr. Braun und Minister Severing die Ent⸗ lassungsschreiben erhielten, sei die Verordnung des Keichspräsi⸗ denten über die Einsetzung des Reichskommissars noch gar nicht verkündet gewesen. Die Seite des Reichsgesetzblatts sei zwar in den Enthassungsschreiben zitiert, das Blatt aber noch nicht aus⸗ gegeben gewesen. Das gehe schon daraus hervor, daß auf der gleichen Seite des Reichsgesetzblatts die Verordnung über den mili⸗ färischen Ausnahmezustand veröffentlicht sei, die nach den eigenen Angaben der Reichsregierung erst nach der Unterhaltung mit den Ministern erlassen wurde, weil Minister Severing erklärt hatte, er werde nur der Gewalt weichen. Als Ministerpräsident Braun den Brief in seiner Wohnung in Zehlendorf erhielt, habe er von der Verordnung noch gar keine Kenntnis haben können, da sie zuerst am Nachmittag in der Presse veröffentlicht wurde. ur Zeit der Amtsentsetzung der beiden Minister habe außerhalb der Reichsstellen moch niemand Kenntnis von dem Wortlaut der Ver⸗ ordnung gehabt. Dr. Hirtsiefer schildert dann die Differenzen der zuttächst im Amt belassenen preußischen Minister mit dem Reichs⸗ kanzler und gibt den Wortlaut des Schreibens der Preußischen Staatsregierung an den Reichskanzler nochmals bekannt, worin diese Minister erklärten, daß sie der Einladung zu einer Sitzung der Staatsregierung unter dem Vorsitz des Reichskanzlers oder Reichskommissars nicht Folge leisten könnten, weil eine Sitzung der Staatsregierung nur unter Vorsitz eines preußischen Ministers abgehalten werden könne. Bereits am 20. Juli mittags habe die Preußische Staatsregierung die Klage und den Antrag auf einst⸗ weilige Verfügung gegen die Institution des Reichskommissars an den Staatsgerichtshof abgesandt. Am Abend des 20. Juli seien dann auch die übrigen Mitglieder der Staatsregierung ihres Amtes enthoben worden. Sogar dem abwesenden Minister Steiger sei ein entsprechendes Schreiben zugegangen. Die sechs Minister Dr. Schreiber, Schmidt, Grimme, Klepper, Dr. Steiger und Dr. Hirtsiefer hätten am folgenden Tage dem Reichskanzler schriftlich zum Ausdruck gebracht, daß nach ihrer Meinung das Vorgehen gegen die Staatsregierung und die vom Reichskanzler erfolgte Anberaumung einer preußischen Staatsministerialsitzung der Reichsverfassung widerspreche. In jenem Schreiben hätten die Minister ausdrücklich versichert, daß sie eine Verhandlung mit der Reichsregierung oder dem Reichskommissar in keinem Fall abgelehnt hätten, sondern lediglich einer Einladung nicht Folge leisten wollten, wonach sie in die Reichskanzlei kommen sollten und in der der Reichskanzler sich als „Ministerpräsident“ bezeichnet habe. Die Rundfunkerklärung des Reichskanzlers vom Abend des 20. Juli habe das Wesentliche ausgelassen. Die Worte „es ab⸗ lehnen, mit mir zusammenzuarbeiten“, hätten nicht den Tatsachen entsprochen. Der Reichskanzler und der von ihm bestellte Kom⸗ missar Dr. Bracht hätten sofort sämtliche Befugnisse der preußi⸗
bereits die Einladung als „Ministerpräsident“, die kein Bürolapsus gewesen sei, wie später die Vertreter der Reichsregierung vor dem Staatsgerichtshof zu erklären versucht hätten, sondern die im Auf⸗ trage des Reichskanzlers von Ministerialdirektor Dr. Nobis als stellvertretendem Staatssekretär des preußischen Staatsministe⸗ riums aufgesetzt worden wäre. Noch deutlicher als dies und die Amtsenthebung der übrigen Minister sei, daß die Antwort des Reichskanzlers auf eine Anfrage des Ministerpräsidenten Braun vom 20. Juli —28 den Gründen und der Rechtsgrundlage des Schrittes auf dem Briefumschlag und dem Schreiben die Anschrift trug „An Herrn Ministerpräsidenten a. D. Dr. Braun“. Dr. Hirt⸗ siefer verliest auch diesen an Dr. Braun gerichteten Brief, worin Reichskanzler von Papen die Verordnungen aufführt, auf Grund deren er die Amtsenthebung der Staatsregierung verfügte und — bemerkt: „Die Gründe für die von Ihnen beanstandeten Maßnahmen habe ich gestern der Oeffentlichkeit bekanntgegeben.“ Erst nach Amtsenthebung von Braun und Severing habe der Reichskanzler, offenbar mit Rücksicht auf den Gegenschritt der preußischen Minister und den Hinweis auf Art. 17 der Reichs⸗ verfassung die Taktik etwas geändert. Während Ministerpräsident Braun und Innenminister Severing „ihres Amtes enthoben“ worden waren, habe der Reichskanzler bei den übrigen sechs Ministern später den Ausdruck gewählt, daß sie ihrer „laufenden Geschäfte als Ressortminister“ enthoben würden, wobei er aber bemerkte, daß die Minister nach der preußischen Verfassung in⸗ sarg⸗ ihres Rücktritts lediglich die laufenden Ge⸗ schäfte zu führen haben, so daß tatsächlich sämtliche lau⸗ senden Geschäfte im Sinne der Verfassung durch den für die Enthebung gewählten Wortlaut gedeckt worden seien. Der Reichskanzler und Dr. Bracht hätten in ihren öffentlichen und innerdienstlichen Aeußerungen ebenso wie andere Mitglieder der Reichsregierung von den preußischen Staatsministern als den „früheren Staatsministern“ sowie von der „früheren Landes⸗ regierung“, von sich selbst als der neuen Landesregierung ge⸗ sprochen. Die gemeinsamen Sitzungen der Kommissare und 2 auftragten Persönlichkeiten würden als Staatsministerialsitzungen, die Beschlüsse als „Beschlüsse des Staatsministeriums“ bezeichnet. Schon am 20. Juli sei von diesem Kollegium unter der Bezeich⸗ nung als „Staatsministerialsitzung“, und zwar ohne ordnungs⸗ mäßige Abstimmung, auf Grund des § 3 der Verordnung vom 26. Februar 1919 eine größere Zahl von preußischen Beamten in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Eine solche Versetzung sei durch § 12 der genannten Verordnung ausdrücklich dem Staats⸗ ministerium vorbehalten, im Gegensatz zur Versetzung in den einst⸗ weiligen Ruhestand wegen Umbildung der Staatsbehörden, die durch den Verwaltungschef erfolge. Am 23. Juli hätten die Mit⸗ glieder des Kollegiums den Amtseid der preußischen Staats⸗ minister geleistet, in der Absicht, dadurch ihre Beschlüsse als Staatsministerialbeschlüsse sicherer zu begründen. Die Unter⸗
gerichte und die Neugliederung der Landkreise lauteten immer Das veasisc⸗ Staatsministerium“ mit 89g8 „Für den Kinisterprä identen Bracht“. Die preußischen 2 inister, so fährt Dr. Hirtsiefer fort, fähen mit Rücksicht auf die allgemeine Notlage des Landes von einer tatsächlichen Ausübung ihrer Befugnisse als Verwaltungschefs im allgemeinen vorläufig ab. Denn diese Aus⸗ übung wäre nur in gewaltsamer Auseinandersetzung mit der ge⸗ waltsam vorgehenden Reichsregierung möglich gewesen. Sie hätte folgerichtig zu einer Auseinandersetzung zwischen Polizei und Mili⸗ tär und ebenso zwischen den Partei nehmenden Volkskreisen, also u furchtbaren Zlutvergießen, zu einer völligen Zerrüttung des kandes und wahrscheinlich zum Auseinander all des Reiches ge⸗ führt. Die Staatsminister sahen aus dem gleichen Grunde ins⸗ besondere auch davon ab, die Beamten im allgemeinen aufzu⸗ fordern, den nach ihrer Ansicht unrechtmäßig amtierenden Kom⸗ missaren den Gehorsam zu verweigern. Sie ließen angesichts der ihnen angedrohten Gewalt den “ von den laufenden Ressortgeschäften im engeren Sinne unter Rechtsverwahrung vor⸗ läufig tatsächlich geschehen, behielten sich dabei aber insbesondere ausdrücklich die Befugnisse vor, die ihnen als Minister gegenüber dem Landtag und Reichsrat zustehen. Minister Severing wurde mit Gewalt aus seinem Dienstzimmer entfernt. Ein militärischer Posten erhielt den Auftrag, den Mini terpräsidenten Braun an dem Betreten seiner Dienstraäume zu —— Die in den einst⸗ weiligen Ruhestand versetzten Staatsbeamten antworteten in der Regel mit einer Rechtsverwahrung. Der Berliner Polizeipräsi⸗ dent, sein Vizepräsident und der Kommandeur der Schutzpolizei wurden mit Gewalt aus ihren Aemtern entfernt. Dr. Hirtsiefer schildert dann die Vorgänge in der Reichsratssitzung, wo Bayern und andere Länder der Auffassung am 27. Juli widersprochen hätten, als ob nun die Reichskommissare lediglich zur Vertretung PGreußens im Reichsrat befugt seien. Dr. Hirtsiefer erinnert daran, daß der Reichsratsvorfitende, Reichsminister Freiherr von Gayl, ihn, den Re ner, der namens der Preußischen Staats⸗ minister zu Ausschußverhandlungen des Reichsrats erschienen sei, nicht zugelassen habe. Ein Unterschied zwischen den zuerst und den später enthobenen Ministern sei also nicht gemacht worden. Schließlich beschäftigt sich Dr. Hirtsiefer damit, was die Reichs⸗ als Grund „für diesen Gewaltakt gegen das größte deutsche and angeführt“ habe. Vor Erlaß der erordnung vom 20. Juli sei den Stagatsministern keinerlei Mitteilung gemacht, daß eine dem Land Preu en nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegende Pflicht von ihnen nicht rfukt worden sei. Nach Erlaß der Verordnung sei ihnen ebenfalls nicht eine einzige bestimmte Mitteilung in dieser Richtung am Morgen des 20. Juli gemacht worden. Die erste Mitteilung hätten die Staats⸗ minister aus der Rundfunkrede des Reichskanzlers am Abend des 20. Juli entnommen, wobei Dr. Hirtsiefer an die Hinweise auf die taktische Haltung des geschäftsführenden Kabinetts gegenüber der Kommunistischen Partei erinnert. In der nachträglich mit⸗ geteilten amtlichen Begründung der Verordnung seien die Mit⸗ teilungen über angebliche Pflichtverletzungen noch dürftiger. Es heiße dort, daß in Preußen „Planmaäßigkeit und Zielbewußtheit der Führung gegen die kommunistische Bewegung FeHerc⸗ und „es bestehe der begründete Verdacht, daß hohe Dienststellen... nicht mehr die innere Unabhängigkeit besitzen..“ Außerdem werde Bezug genommen auf an ebliche ungezügelte scharfe An⸗ griffe des Innenministers. Mehr als zwei Wochen hätten die
preußischen Staatsminister vergeblich auf nähere “
dieser Behauptungen gewartet. Nicht einmal die Namen der Beamten, um die es sich handeln solle, seien angegeben. Auch in der Verhandlung über die einstweilige Verfügung vor dem Staats⸗ gerichtshof habe es der Vertreter der Reichsregierung abgelehnt, näheres Material vorzulegen. Die Vorwürfe die die Reichs⸗ regierung erhebe, seien in tatsächlicher vürseg, vollständig un⸗ richtig. Dies hätten die Staatsminister in ihren Schriftsätzen vor dem Staatsgerichtshof mit erdrückendem Material dargelegt. Es 8* sich insbesondere als vollständig unwahr herausgestellt daß ohe Funktionaäre Führern der Kommunisten die Verschleierung von Terrorabsichten angeraten hätten. Das Gegenteil sei richtig. Sie hätten .S darauf hingewirkt, daß keine Terrorakte statt⸗ fänden. Er versage es sich aber, in diesem Augenblick auf die Vor⸗ würfe näher einzugehen. Denn für die verfassungsrechtliche Be⸗ urteilung des Vorgehens der Reichsregierung komme es hierauf gar nicht an. Selbst beim Vorliegen berechtigter Vorwürfe wäre die Reichsregierung nicht befugt gewesen, so gegen Preußen vor⸗ zugehen, und noch dazu, ohne daß vorher eine Stellungnahme und Auseinandersetzung über die angeblichen Mängel und ihre Be⸗ seitigung stattgefunden hatte. Die Absetzung der Minister, so schließt Dr. Hirtsiefer, und gar solcher Minister, die mit den be⸗ treffenden Fragen ressortmäßig gar nichts zu tun haben, * unter diesen Umständen mit der Reichsverfassung nicht int Ein⸗ klang. Wir schuldeten es dem Lande Preußen, diesem verfassungs⸗ widrigen Vorgehen der Reichsregierung unseren verfassungs⸗
schen Staatsminister für sich in Anspruch genommen. Dies ergebe
mäßigen Widerstand in der Weise entgegenzusetzen, wie wir es
schriften unter den Verordnungen über die Aufhebung der Amts⸗
getan haben. Ich verzichte darauf, in diesem Augenblick weitere Ausführungen zu machen, um dem Urteil des Staatsgerichtshofs nicht vorzugreisen. Ich betone, daß ich meine Erklärung im Namen der preußischen Staatsminister abgegeben habe. 8 Frau Abg. Ludewig (Komm.) fordert sofortige Beratung von Anträgen zur Steuerung der Notlage der werktätigen Mieter — Abg. Kube (Nat. Soz.) spricht sich für Ausschußüberweisung ohne Beratung aus und erklärt, die kvommunisten hätten ihre Wünsche dem Aeltestenrat vorbringen sollen. Im übrigen kümmere sich die Regierung Bracht bekanntlich nicht um die Anträge des Landtags. Die Kommunisten geben sich also lediglich als Statisten für das Theater des Herrn Dr. Bracht her. —
Die Anträge werden hierauf ohne Aussprache der Aus⸗ schußberatung überwiesen, ebenso eine Reihe weiterer Anträge über Unwetterschäden, Bergarbeiterschutz, Siedlung u. a.
Kommunistische Anträge auf Einstellung von Straf⸗ verfolgungen werden noch nachträglich auf die Tagesordnung gesett und sellen ohne Beratung durch Abstimmung erledigt werden.
Die Kommunisten verlangen sodann Beratung eines Antrages über die Notlage der Tabakbauern.
Abg. Kube (Nat. Soz.) widerspricht der Beratung und er⸗ klärt dabei, die kommunistische Fraktion tue nur so, als ob sie ein Herz für die notleidende Bevölkerung habe. Herr Kasper wisse, daß die Regierung sich weigere, für derarti nträge Geld her⸗ zugeben. jie es um die Hilfsbereitschaft der Kommunisten be⸗ stellt sei, ergebe sich daraus, daß die kommunistische Fraktion sich geweigert habe, zur Unterstützung schlechtbezahlter Angestellter des Hauses 3 Mark herzugeben. Gemeinsam mit anderen Fraktionen hätten die Notionalsoztallsten und andere Fraktionen dieses Opfer für schlecht bezahltes Hauspersonal gebracht.
Abg. Hoffmann (Komm.) legt Verwahrung gegen diese Ausführungen ein und erklärt, gerade die kommunistische Fraktion hätte sich als erste der schlechtbezahlten Angestellten angenommen.
Hierauf wird auch dieser Antrag der Kommunisten der Ausschußberatung überwiesen.
Präsident Kerrl gibt sodann vor Einteitt in die Tages⸗ ordnung eine Erklärung ab, in der er als Präsident des ver⸗ fassungsmäaßig gewählten Landtags Verwahrung einlegt gegen die ihm vom Reichskommissar bekanntgegebene Auffassung, daß die kommissarische Preußische Regierung dem Landtag nicht verant⸗ wortlich sei und vor ihm nicht zu erscheinen habe. Er verweist auf seinen Brief an den Reichskanzler und erklänt, die Antwort des Reichskanzlers könne um so weniger staatsrechtliche Bedenken beseitigen, als Herr von Papen am letzten Sonntag in Münster noch einmal betont habe, daß er die Absicht habe, in Preußen eine Verwaltungsreform durchzuführen, ohne den Landtag zuzuziehen. Die preußische ktommissarische Regierung müsse sich auf die Wieder⸗ “ von Ruhe und Ordnung beschränken und dürfe den gandtag nicht in Fragen ausschalten, in denen die Interessen des preußischen Volkes berührt werden. dagegen ein und warne die Regierung, zuführen. .
Das Haus tritt sodann in die allgemeine Aussprache ein zu der Mitteilung des Reichskanzlers für die Bestellung als Reichskommissar für Preußen und zu den Anträgen, die sich gegen diese Maßnahmen richten.
Abg. Jürgensen (Soz.) begründet den sozialdemokrati⸗ schen Urantrag auf Aufhebung der Notverordnung des Reichs⸗ präsidenten, wonach die geschäftsführende Regierung in Preußen ihres Amtes entsetzt wurde. Der Redner verweist auf die aus⸗ führlichen Darlegungen des Ministers Hirtsiefer und betont, der Gewaltstreich des Reiches gegen Preußen vom 20. Juli dieses Jahres gehe zurück auf einen Brief, den zwei Tage vorher, am 18. Juli, der nationalsozialistische Landtagspräsident Kerrl an den Reichskanzler von Papen richtete. In jenem Brief habe Kerrl der Reichsregierung die Erwägung anheim gestellt, ob mon nicht durch Verordnung des Reichspräsidenten die provisorische Regierung in Preußen beseitigen könne, und ob man nicht die preußische Polizei dem Reich unterordnen wolle. Herr Kerrl, so sagt der Redner, hat den Staatsstreich angeraten. Herr von Papen hat den Staatsstreich durchgeführt. Die Deutschnationalen und die Nationalfozialisten tragen gleichmäßig die Verantwortung für die Folgen dieses Staatsstreiches. Der Redner zitiert dann nationalsozialistische Pressestimmen, in denen die Einsetzung des Reichskommissars in Preußen begruüßt worden sei. Kein noch so scharfes Wort, das jetzt von den Nationalsozialisten gegen Papen und Bracht gesprochen werde, könne die Tatsache aus der Welt chaffen, daß die Nationalsozialisten durch ihre ursprüngliche olerierung die Wirksamkeit des Kabinetts von Papen überhaupt erst ermöglicht habe.n Herr Kerrl, der am 18. August der Reichs⸗ regierung vorgeschlagen hätte, Maßnahmen zu kreffen, die sich pegen die geltende . richten, hat sich in der vergangenen Woche bei derselben Reichsregierung darüber beschwert, daß die kommissarische Staatscegierung die geltende Berfassung nicht achten wolle. Die Rolle, die Herr Kerrl bei diesem Staatsstreich gespielt habe, rechtfertige, daß alle, die diesen Gewaltakt miß⸗ billigten, Herrn Keerl ihr schärfstes Mißtranen aussprechen. Das Verlangen des Landtagspräsidenten, daß Reichspräsident von Hindenburg durch Notverordnung die Geschäftsordnungsänderung wieder beseitige, ist um so mehr zurückzuweisen, als der Landtag ausdrücklich die Rückwärtsrevidierung der Geschäftsordnung ab⸗ lehnte, die die Deutschnationalen beantragt hätten. Selbst aber wenn die Geschäftsordnungsänderung beseitigt würde, dann könnten ohne die bisher nicht erfolgte Verständigung zwischen Nationalsozialisten und einer anderen Partei ein neuer preußischer Ministerpräsident nicht gewählt werden, sobald Kommunisten, Sozialdemokraten und Zentrum das Haus beschlußunfähig machten. Dumm und lächerlich müsse man es nennen, wenn Herr von Papen es wagt, Männern wie Otto Braun, Karl Severing und Heinrich Hirtsiefer Verstoß gegen das Reichsinteresse vorzu⸗ werfen, nachdem diese Männer über zehn Jahre an der Spitze des Preußischen Staates gestanden hätten und nachdem im Vor⸗ zimmer dieser Männer auch Herr von Papen gesessen habe, um aus ihren Händen ein wichtiges preußisches Verwaltungsamt ent⸗ gegenzunehmen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Herr von Papen, der der Regierung Brauu Abhängigkeit von den Kommunisten vorgeworfen habe, habe sich selbst als bester Propa⸗ gator des Kommunismus bewährt durch seine Maßnahmen. Und der Reichsinnenminister, der Deutschnationale von Gayl, der diese Vorwürfe nachdichte, stimmte im Staatsrat gemeinsam mit den Kommunisten für die Amnestie, die von allen anderen Parteien abgelehnt wurde. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten. — Unruhe bei den Deutschnationalen.) Unter der Regierungstätig⸗ keit Papens und Brachts seien die Terrorakte und politischen Bluttaten außerordentlich stark gestiegen. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Dabei sei der Reichskommissar auch mit der Begründung eingesetzt worden, daß die Ordnung und Sicherheit gestört sei. Die Sozialdemokratie habe sich stets gegen die An⸗ wendung von Gewaltakten im politischen Meinungsstreit gewandt und verabscheue Bluttaten. Sie rufe aber auch nicht nach dem Henker und fordere ö. der jüngften schweren Notverord⸗ nung, die man im Volk nur „Schreckens⸗ und Mordverordnung“ nenne, die aber vom „Völkischen Beobachter“ vegrüßt worden hr mit den Worten: „Endlich ein Anfang!“ (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Diese Blutverordnung. so betont der Redner u. a. noch, wäre nicht möglich gewesen, wenn nicht die unfähigen und rechtsbrecherischen Hände der Papen und Bracht im Spiele
Er I. schärfsten Protest Vorhaben durch⸗
wären. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Der Redner polemisiert gegen die Bemerkung des Reichskanzlers, daß