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Vita Otto Selz

Der am 14. Februar 1881 in München geborene Otto Selz erhielt zunächst Hausunterricht, besuchte ab 1887 die St. Peter-Schule am Rosental und 1880-1889 das Ludwigs-Gymnasium in seiner Geburtsstadt. Ein juristisches Erststudium schloss er 1907 an der Universität München ab. Sein besonderes Interesse für Psychologie veranlasste ihn zum Weiterstudium an der Philosophisch-Historischen Fakultät, wo er 1909 bei Theodor Lipps mit der Dissertation Die psychologische Erkenntnistheorie und das Transzendenzproblem promoviert wurde. 1913 folgte die Habilitation bei Oswald Külpe in Bonn mit der experimentalpsychologischen Monographie Über die Gesetze des geordneten Denkverlaufs. Von 1915 bis 1918 leistete Selz Kriegsdienst und führte 1917 im Auftrag des Kriegsministeriums flugpsychologische Analysen durch. Hatte er in der Monographie von 1913 das reproduzierende, erlernte Problemlösen dargestellt, verschrieb er sich mit seiner zweiten Hauptschrift, Zur Psychologie des produktiven Denkens und des Irrtums, der Aufklärung erfinderischen, schöpferischen Problemlösens.

Seit 1921 außerordentlicher Professor für Rechtsphilosophie an der Universität Bonn, folgte Selz 1923 einem Ruf als ordentlichem Professor für Philosophie, Psychologie und Pädagogik an die Handelshochschule Mannheim, der er 1929-1930 als Rektor vorstand. Im April 1933 wurde er vom Dienst beurlaubt und im März 1934 nach der Schließung der Handelshochschule in den Ruhestand versetzt.

Nach der Pogromnacht war er 1938 für einen Monat in Dachau inhaftiert. Im Mai 1939 emigrierte er nach Amsterdam und konnte dank der Unterstützung wohlwollender Kollegen an der dortigen Universität bis zur Besetzung der Niederlande lehren. Seit Ende 1940 wirkte er im Amsterdamer Ghetto für jüdische Bildungseinrichtungen, wurde im Juli 1943 verhaftet und in das Durchgangslager Westerbork verbracht, von wo aus er am 24. August 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. Das Todesdatum (genauer gesagt: das Datum seiner Ermordung) ist offiziell auf den 27. August 1943 festgelegt worden.

Da die Handelshochschule Mannheim erst 1928 das Promotionsrecht erhielt, blieb es Selz verwehrt, seine Richtung durch die Betreuung von Forschungsprojekten (beispielsweise von Dissertationen) institutionell zu befördern. Jedenfalls knüpfte sein einziger Schüler aus Mannheimer Zeiten, Julius Bahle, in seinen musikpsychologischen Arbeiten von 1936 und 1939 eher lose an die Lehren seines nunmehr inoffiziellen Mentors an. Die wirkliche Auseinandersetzung mit der Theorie des Denkverlaufs, die Selz in seinen beiden Hauptschriften entwickelt hatte, begann erst nach 1945, zunächst in den Niederlanden mit Frans Prins, Adriaan de Groot, Nico Frijda u. a., danach in den USA vor allem mit Herbert Simon, einem der frühen Bahnbrecher der künstlichen, rechnergestützten Intelligenz.