daß Anträge nach ihrer Einreichung zu verleſen ſind, ſo heißt das doch finngemäß, ſcheint mir wenigſtens: ſie ſind authentiſch zu verleſen, d. h. vom Büreau der Verſammlung aus zu verleſen. Ich entſinne mich auch nur, daß es bisher ſo Uſus war, daß, wenn jemand einen Abänderungsantrag einbrachte und ihn ſelbſt begründete, er dann ſagte: „den ich mir nachher zu überreichen erlauben werde“. Wenn die Verſammlung der Meinung iſt, daß die Ver⸗ leſung während der Begründung ſeitens des Antrag⸗ ſtellers genügt, dann iſt damit ein Fall geſchaffen, den wir uns für ſpätere Fälle natürlich auch merken werden. Sachlich würde ich dagegen an ſich nichts einzuwenden haben. Es ſcheint mir aber dem bis⸗ herigen Gebrauch zu widerſprechen, und deswegen halte ich mein Bedenken gegen die Zuläſſigkeit dieſer Abſtimmung aufrecht. Vorſt.⸗Stellv. Kaufmann: Herr Kollege Borchardt mag in ſeinen Ausführungen wörtlich genommen vielleicht den Schein der Berechtigung haben. Ich kann mir aber dann nicht erklären, was der Satz heißen ſoll: „werden dem Vorſteher auf Verlangen ſchriftlich überreicht“. Ich kann doch einen Antrag, wenn ich ſeine ſchriftliche Vorlegung nicht verlangt habe, nicht verleſen! Darin liegt, daß es in das Ermeſſen des Vorſtehers geſtellt iſt, ihn ſchriftlich zu verlangen. — Der Antrag wurde öffentlich vom Antragſteller verleſen und, wie ich wiederholt be⸗ merlt habe, ſowohl von Seiten der Herren Redner als auch vom Herrn Referenten eingehend beleuchtet. Da ich das Verlangen auf ſchriftliche Einbringung nicht geſtellt habe — es wäre vielleicht beſſer ge⸗ weſen, ich hätte es geſtellt, um volle Klarheit zu ſchaffen —, werde ich die Verſammlung darüber zu befragen haben, ob dieſer Antrag nun zur Abſtimmung gebracht werden kann. (Zuruf: Verleſen!) — Ich werde mir erlauben, nochmal den § 19 zu verleſen, damit die Herren ſich entſcheiden können. Stadtv. Otto (zur Geſchäftsordnung): Ich möchte mir die Anfrage erlauben, ob es noch zuläſſig wäre, den Antrag jetzt formell einzureichen, damit der Herr Vorſteher ihn verlieſt. Denn, meine Herren, darüber ſind wir uns ja einig, wir treiben jetzt nur ein Spiel um Worte. Wir ſind über den Antrag durchaus informiert: er iſt von mir langſam, laut und deutlich wörtlich verleſen worden. Ich weiß nicht, ob es nach Schluß der Debatte noch zuläſſig iſt, den Antrag einzubringen. Sollte es möglich ſein, werde ich es gern tun, damit auch dieſer Stein des Anſtoßes beſeitigt werde. Vorſt.⸗Stellv. Kaufmann: Ich erlaube mir auch noch die Bemerkung, daß es wohl nicht ganz loyal iſt, jetzt gegen die Abſtimmung dieſes Antrages auf⸗ zutreten, nachdem der Herr Kollege Hirſch mir per⸗ ſönlich die Frage vorgelegt hat, in welcher Reihen⸗ folge ich abſtimmen laſſen würde. Ich habe ihm darauf erklärt, daß der weitgehendere Antrag der Antrag des Ausſchuſſes iſt, und daß ich über dieſen zuerſt abſtimmen laſſen würde. Ich glaube, daß damit Herr Kollege Hirſch überzeugt war, daß dieſer Antrag als zweiter Antrag zur Abſtimmung geſtellt werden würde. Stadtv. Hirſch (zur Geſchäftsordnung): Ich weiß nicht, wie der Herr Vorſieher mir den Vor⸗ wurf der Illoyalität machen kann, wenn irgend ein — 1483 —— anderes Mitglied hier eine Anfrage an ihn richtet. Soviel ich weiß, hat Herr Kollege Borchardt für ſeine Perſon geſprochen; ich ſtehe durchaus nicht auf dem Standpunkte meines Freundes Borchardt. Im übrigen möchte ich doch bitten, Vorwürfe wie „nicht loyal“, namentlich ſeitens des Herrn Vorſtehers nicht zu erheben. Ich glaube, wenn der Vorwurf aus der Verſammlung gefallen wäre, hätte der Herr Vor⸗ ſteher vielleicht überlegt, ob er nicht den betreffenden Redner zur Ordnung rufen müßte. Was die Sache ſelbſt betrifft, ſo iſt es voll⸗ kommen gleichgiltig, ob der Antrag noch verleſen wird oder nicht; wir alle kennen ihn. Aber ich mache darauf aufmerkſam, daß tatſächlich im § 19 der Geſchäftsordnung ſich ein Widerſpruch befindet. Bei 4 Zeit können wir vielleicht einmal an eine eviſion dieſes Paragraphen herangehen. Für mich kommt es darauf an, daß, wenn jetzt die Abſtimmung für zuläſſig erklärt wird — wogegen ich perſönlich abſolut nichts einzuwenden habe —, dann damit ein Präzedenzfall geſchaffen iſt, und daß in zukünftigen Fällen, wenn einmal die Verleſung eines von uns eingebrachten Antrages unterbleibt, auch dann uns das Recht zuſteht, trotzdem die Abſtimmung über dieſen Antrag zu verlangen. Den Antrag jetzt noch einzureichen und zu ver⸗ leſen, wie das Herr Otto vorſchlägt (Stadtv. Otto: Habe ich nicht vorgeſchlagen!) — angeregt hat —, das würde gleichbedeutend ſein mit einer Wiederaufnahme der Debatte. Vorſt.⸗Stellv. Kaufmann: Ich geſtatte mir, darauf zu erwidern: ich habe den Ausdruck „nicht loyal“ überhaupt nicht gebraucht; ich habe geſagt: ich halte es nicht für ganz loyal, daß hier Wider⸗ ſpruch erhoben wird. Ich habe auch nicht Herrn Kollegen Hirſch einen Vorwurf gemacht, ſondern habe ihn nur dafür zitiert, daß er mit mir verhandelt hat. Ich nehme aber ſehr gern die Außerung zurück; den Vorwurf der Illoyalität habe ich nicht machen wollen. Ich wollte nur kennzeichnen, daß Sie unterrichtet darüber waren, daß dieſer Antrag an zweiter Stelle zur Abſtimmung gelangen ſollte. Zur Geſchäftsordnung hat das Wort Herr Kollege Holz. (Stadtv. Dr. Borchardt: Ich habe doch erſt das Wort!) — Mir iſt vom Beifitzer Kollege Holz aufgegeben worden. Stadtv. Holz (zur Geſchäftsordnung): Ich muß von meinem Standpunkte aus erklären, daß ich mir etwas Illoyaleres nicht vorſtellen kann, als das Ver⸗ fahren der Herren von der ſozialdemokratiſchen Partei. Ich will dahingeſtellt ſein laſſen, ob es richtig war oder nicht richtig war, über einen Antrag ſo lange zu diskutieren, der nicht ſchriftlich einge⸗ bracht war. Aber tatſächlich ſteht doch feſt, daß wir mindeſtens ein oder zwei Stunden über den Antrag diskutiert haben, und daß beſonders die Herren Sozialdemokraten ſich ſehr reichlich daran beteiligt haben, fortwährend auf dieſen Antrag eingegangen ſind; und nachdem das alles geſchehen war, kommen ſie am Ende aller Enden und ſagen: ich ſtelle aus formalen Gründen den Antrag, über dieſen Antrag nicht abzuſtimmen, weil er nicht ſchriftlich eingereicht worden iſt. Ich verſtehe das Verfahren nicht und finde dafür in der Tat keinen parlamentariſchen Ausdruck.