—— 160 — Bedeutung iſt. Sobald wir uns dazu ſtellen, die Seuche, welche gewiſſermaßen in den polizeilichen Uber⸗ griffen — (Glocke des Vorſtehers) Vorſteher Roſenberg (den Redner unterbrechend): Herr Stadtv. Dr. Zepler, der Ausdruck „Seuche von polizeilichen Übergriffen“ iſt unzuläſſig. Ich muß Sie deswegen zur Ordnung rufen. Stadtv or. Zepler (fortfahrend): Ich meine, dieſe Krankheit, die Polizeikrankheit, wenn ich ſo ſagen darf, um nicht den Ausdruck „Seuche“ zu gebrauchen, — ob wir uns nicht der von dieſer Krankheit Be⸗ fallenen und Bedrohten annehmen ſollen. Ferner haben wir zu erwägen, daß gegenüber den Beſtrebungen der Reaktion und ihrer Organe, die Selbſtverwaltung immerwährend anzugreifen und zu beſchneiden, die beſte Waffe der Hieb iſt, und daß wir uns darum nicht genieren ſollten, unſre Rechte oder unſere Macht oder unſere Befugniſſe weiter aus⸗ zudehnen. Ich kann es begreifen, daß für den Magiſtrat dies eine mißliche Sache wäre, daß er ſich nicht hierzu äußern möchte. Aber wir, die Stadt⸗ verordnetenverſammlung, haben gar keine Rückſicht da zu nehmen; wir können ſagen, was wir meinen, was iſt, und was wir für rerbeſſerungsbedürſtig halten. Wenn wir vorläufig auch — und das war ja die erſte Zuſtändigkeitsfrage — gar keinen Einfluß auf die Polizeiorgane ausüben können, keinen faktiſchen Einfluß, ſo werden wir doch einen moraliſchen Erfolg ſicher haben, wenn wir dieſe Iibergriffe, die ich nachher charakteriſieren möchte, bekämpfen, wenn wir ſie öffentlich verurteilen und dagegen proteſtieren. Jeden⸗ falls wird die Sympathie der weiteſten Kreiſe des Publikums auf unſerer Seite ſein Ich möchte Sie bitten, ſich zu vergegenwärtigen, um was es ſich handelt. Ich bin freilich nicht in der Lage und beabſichtige auch nicht, Sie mit den ausführlichen Dingen zu behelligen, nicht eher, bis Sie im Prinzip zugeſtanden haben, daß wir uns mit dieſer Frage beſchäftigen dürfen Aber ich muß doch kurz etwas zur Charakteriſierung dieſer Vor⸗ kommniſſe hier vortragen. Es handelt ſich um eine Anzahl von Arbeiterinnen, unbeſcholtenen, ehrlichen, höchſt braven Mädchen, welche in Ausübung ihrer ſtaalichen Rechte ſich befunden haben, in Ausübung der Rechte des Streikpoſtenſtehens, wobei ſie von den Polizeibeamten auf die unerhörteſte Weiſe beläſtigt wurden. Die Beläſti zung fand inſofern ſtatt, als die Mädchen ſofort, nachdem ſie ihren Poſten ange⸗ treten hatten, weggewieſen und zur Wache gebracht wurden, und ferner inſofern, als ſie auf der Wache und bei der Begleitung zur Wache auf das uner⸗ hörteſte beläſtigt und auf das fulchtbarſte durch ſtundenlanges Zurückbehalten an Geſundheit uſw. beeinträchtigt wurden. Meine Herren, das Streik⸗ poſtenſtehen iſt nach der Gewerbeordnung ausdrücklich erlaubt. Die Polizei kann alſo im Intereſſe der Ordnung und Sicherheit dagegen nur einſchreiten, wenn tatſächlich Ausſchreitungen vorgekommen ſind. Es hat ſich aber nichts dergleichen ereignet. Die Mädchen ſind lediglich auf der ganz verkehrsarmen Straße — Franklin⸗ und Helmholtzſtraße — und ſogar noch in größerer Entfernung von der Fabrik auf⸗ und abgegangen und haben ſich darauf beſchränkt, Streikbrecherinnen anzuſprechen, um ſie eventuell davon zu unterrichten, daß ein Streik herrſcht und ſie abzu⸗ mahnen, die unwürdige Rolle der Streikbrecherinnen zu übernehmen. Da macht es einen recht komiſchen Eindruck, wenn man in den Strafmandaten — ich habe ſelbſt welche zu Geſicht bekommen lieſt, daß durch dieſes Streikpoſtenſtehen eine Verkehrsſtörung entſtanden iſt. Meine Herren, ich bin in der Lage, Ihnen zu zeigen, wie dieſe Verkehrsſtörung ausgeſehen hat. Von Verkehrsſtörung kann gar keine Rede ſein, es war vollſtändig menſchenleer; es war der reine Willkürakt. Alſo, wie geſagt, die Polizei hat keinerlei Recht, gegen Streikpoſtenſteher, wenn nichts vorgekommen iſt, vorzugehen. Nach dem Allgemeinen Landrecht § 10 Titel 2 Abſatz 17 iſt das Amt der Polizei, die nötigen Anſtalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publikum oder den einzelnen Mitgliedern desſelben bevorſtehenden Gefahren zu treffen. Dabei iſt, was die Auslegung dieſes Paragraphen betrifft, zu beachten, daß nach einer Entſcheidung des Ober⸗ verwaltungsgerichts die Gefahren, deren Abwendung als ein Teil der Aufgabe der Polizei bezeichnet wird, keineswegs gleichbedeutend ſind mit Nachteilen und Beläſtigungen, die für einzelne oder viele Betroffene aus den Handlungen anderer entſtehen mögen. Er⸗ fordert iſt vielmehr eine wirkliche Gefährdung von Eigentum oder Perſonen. Handelt es ſich um Ge⸗ fahren, die aus Handlungen Dritter nicht dem Publikum im allgemeinen, ſondern einzelnen Perſonen oder deren Eigentum drohen, ſo hat nach dem Oberver⸗ waltungsgericht die Polizei nur dann Anlaß und Befugnis zum Einſchreiten, wenn ihre Zuſtändigkeit entweder durch beſondere geſetzliche Beſtimmungen geordnet iſt, wie bei dem Zurückholen von wegge⸗ laufenen Dienſtmädchen — unſere ſchöne Geſinde⸗ ordnung! —, oder aber wenn die Verübung ſtraf⸗ barer Handlungen in Frage ſteht. Nichts von alledem iſt hier der Fall. Beſonders was das Letzte anlangt, ſo iſt eben keine ſtrafbare Handlung vorgekommen; denn das Streikpoſtenſtehen an ſich iſt, wie ich eben ausführte, keine ſtrafbare Handlung, ebenſo wenig die Warnung der Streik⸗ brecher. Das Streikpoſtenſtehen allein hätte doch gar keinen Zweck, wenn die Madchen nicht das Recht haben ſollten, die Betreffenden, die ihnen einen Strich durch die Rechnung machen, indem ſie den Strik brechen, anzuſprechen und ſie davor zu warnen. Es kann ſich alſo nur darum handeln, daß die Polizei auf tatſächliche Inſulte rechnet, daß ſie annimmt, das könnte ſich ereignen Nun, das iſt an ſich ſchon etwas ſehr Merkwürdiges Tatſächliche Inſulte können ſich jeden Tag jedem Menſchen gegenüber ereignen. Ein jeder von uns hat wohl derartiges ſchon durch⸗ gemacht, daß er angerempelt oder ſonſt in irgend⸗ einer Weiſe ſelbſt von ſehr elegant gekleideten Rowdies beläſtigt wurde. Mir iſt es wiederholt paiſiert. Trotzdem kann man natürlich nicht hinter jeden Menſchen einen Poliziſten ſtellen, das geht nicht. Immerhin mag die Polizei, wenn ſie überflüſſiges Perſonal hat, für den Fall, daß ſo etwas vorkommen ſollte, Poliziſten dort aufſtellen, obwohl das Perſonal, viel beſſer anderswo zu gebrauchen wäre. Sie wiſſen, daß im Norden und Weſten unſerer Stadt die Bürger vielfach Klagen führen über Beläſtigungen von ſeiten des Zuhältertums und der Proſtituierten. Hier wäre der Ort, wo die Polizei ſich ſehr gut betätigen könnte. Dafür ſetzt die Polizei dort Schutzleute hin, wo ſie eigentlich gar nichts zu tun betommen. Wir ſind doch hier auch nicht zuſtändig, dafür zu ſorgen, daß die Polizei anſtatt dorthin wo anders hingehe, wo ſie wirklich nützliche Arbeit verrichten kann und zum Nutzen der Bürger da ſein wird. Wir ſind darin nicht zuſtändig; trotzdem möchte ich an dieſem Beiſpiel