—— 170 — Verein der chriſtlichen Luiſengemeinde iſt und bleibt, jede antiſemitiſche Tendenz von jeher fernlag. (Bravo! bei den Liberalen.) Des Magiſtrats hochachtungvoll ergebenſter (gez.) D. Dr. Riemann, Oberpfarrer, zur Zeit Vorfitzender des Armen⸗ und Krankenpflegevereins „Kaiſer Friedrich⸗Andenken“. (Bravo! bei den Liberalen.) Es iſt ein Antrag eingegangen, der zur Bera⸗ tung kommt bei Nr. 11 in der nichtöffentlichen Sitzung: Aus Anlaß eines Vorganges beantragen wir: die Stadtverordnetenverſammlung wolle be⸗ ſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen, die Ausdehnung der Haftpflichtverſicherung auf alle Lehrkräfte an ſtädtiſchen Schulen in Erwägung zu ziehen. Charlottenburg, 26. Oktober 1904. (gez.) Kaufmann und noch einige Unterſchriften. Wir würden nun zu Punkt 1 der Tagesordnung kommen. Der Berichterſtatter Herr Stadtv. Frantz iſt dienſtlich verhindert, heute hier zu erſcheinen, und hat mich gebeten, den Punkt 1 heute abzuſetzen und auf die Tagesordnung der nächſten Sitzung zu brin⸗ gen. Wenn kein Widerſpruch ſich erhebt, werde ich annehmen, daß die Verſammlung die Abſetzung be⸗ ſchließt. (Zuſtimmung.) Punkt 2 der Tagesordnung: Antrag des Stadtv. Dr. Spiegel und Gen. betr. Errichtung einer ſtädtiſchen Milch⸗ ſteriliſationsanſtalt. Druckſache 425. Der Antrag lautet: Die große Sterblichkeit der Kinder im erſten Lebensjahre, wie ſie beſonders in den Sommermonaten alljährlich zutage tritt, wird von Arzten und Hygienikern weſentlich auf Verdauungsſtörungen infolge ſchlechter Be⸗ ſchaffenheit der zur Ernährung dienenden Kuh⸗ milch zurückgeführt. Dementſprechend hat ſich eine geeignete Steriliſation oder Paſteuriſation und darauf folgende zweckmäßige Behandlung der Milch als Mittel zur Bekämpfung des Übelſtandes erwieſen, wie Erfahrungen z. B. in Straßburg und in Halle zeigen. Wir beantragen daher zu beſchließen: Die Stadtverordnetenverſammlung erſucht den Magiſtrat um eine Vorlage betr. Errichtung einer ſtädtiſchen Milchſterili⸗ ſationsanſtalt. Stadtv. Dr. Spiegel: Meine Herren, wer mit einiger Aufmerkſamkeit den ſtatiſtiſchen Feſtſtellungen in unſerer Stadt oder auch denen im weiteren Be⸗ reiche des Staates gefolgt iſt, der wird mit Schrecken wahrgenommen haben, wie außerordentlich groß die Sterblichkeit der Kinder im erſten Lebensjahre ſich geſtaltet. Um das kurz zu erläutern, greife ich hier die Zahlen in Charlottenburg vom vorigen Jahre und bemerke, daß dieſes Jahr mit ſeinen rgängern in allem weſentlich übereinſtimmt, daß die typiſchen Erſcheinungen ſich früher ebenſo gezeigt haben wie in dieſem Jahre, mit Ausnahme eines Jahres, des Jahres 1902, in dem ganz beſondere Verhältniſſe vorlagen Es hat im Jahre 1903 die Anzahl Lebendge⸗ borener 4678 betragen, und es ſind im erſten Lebens⸗ jahre 848 Kinder geſtorben, d. h. über 18 9/%. Dieſe Sterblichkeit hat noch die beſondere Eigentüm⸗ lichkeit, daß ſie in den wärmeren Monaten des Jahres Juli bis September ganz außerordentlich anwächſt. Von den 848 Sterbefällen des ganzen Jahres entfallen auf die Monate Juli bis Septem⸗ ber allein 347, alſo nahezu die Hälfte. Das An⸗ wachſen in der heißen Jahreszeit kann naturgemäß verſchiedene Gründe haben. Wir wiſſen ja, daß die Luft, die ohnedies in den kleineren Wohnungen nicht allzu gut zu ſein pflegt, durch die höhere Temperatur außen nicht gerade verbeſſert wird. Indeſſen dieſer Umſtand ſcheint doch von ge⸗ ringerer Bedeutung zu ſein, und wir werden der wahren Urſache näherkommen, wenn wir noch eine andere Seite der Statiſtik berückſichtigen. Es iſt das das Verhältnis der Todesfälle an Verdauungs⸗ ſtörungen innerhalb des erſten Lebensjahres zu der Geſamtzahl. Wir finden da im Jahre 1903 von Kindern im erſten Lebensjahre geſtorben an Darm⸗ katarrh 93, an Magendarmkatarrh 77 und an Brech⸗ durchfall 145; das ſind zuſammen 315. Meine Herren, dieſe aan Erſcheinung kann ihre Urſache nur in der Nahrung der Kinder haben; denn durch den Nahrungsaufnahme⸗ und Verdan⸗ ungskanal werden die Erkrankungen herbeigeführt. Es zeigt ſich nun auch alsbald, daß eine beſondere Art der Nahrung hierbei die Hauptſchuld trägt. Ich kann Ihnen aus Charlottenburg zur Zeit ſtatiſtiſches Material darüber noch nicht mitteilen. Wie in dem letzten Hefte unſerer Statiſtik mitgeteilt iſt, ſollen derartige Erhebungen hier erſt in Zukunft angeſtellt werden. Aber es liegen Erhebungen vor aus Berlin, das ja im weſentlichen ähnliche Verhältniſſe zeigt wie Charlottenburg. Da war im Jahre 1895 3. B. die Geſamtſterblichkeit der Säuglinge 366 pro Mille; bei denjenigen Kindern, die die Milch der Mutter⸗ bruſt oder der Ammenbruſt erhielten, betrug der pro Mille⸗Satz nur 97, im Gegenteil bei denjenigen Kindern, die mit Tiermilch ernährt wurden, nicht weniger als 657, alſo ein koloſſaler Unterſchied; das Verhaltnis geſtaltet ſich ungefähr wie 7: 1 zwiſchen den Tiermilchkindern und Bruſtmilchkindern. Aber dieſes Verhältnis wird noch viel ſtärker, wenn man die Todesfälle an Brechdurchfall berückſichtigt; da zeigt ſich in den Jahren 1885, 1890 und 1895 durchweg ein Verhältnis von 16 bis 17: 1 von den⸗ jenigen Kindern, die mit Tiermilch, und denjenigen, die mit Muttermilch ernährt wurden. Man kann daraus wohl den berechtigten Schluß ziehen, daß die Ernährung mit Tlermh ganz beſonders die Er⸗ krankungen des Magendarmkanals und zahlreich Todesfälle der Säuglinge verurſacht. Es iſt auch der Forſchung nicht unbekannt ge⸗ blieben, woran die Schädlichkeit der Tiermilch be⸗ ſonders in den Sommermonaten liegt. Die Milch, wie wir ſie erhalten, iſt bekanntlich reich an aller⸗ hand pflanzlichen Keimen, Bakterien und Bakterien⸗ ſporen, und es finden ſich darunter Arten, welche, wenn ſie in der Milch ac, ſeer Aerer⸗ ſchädliche Veränderung der in der M ilch normaler⸗ weiſe Subſtanzen herbeiführen, daraus neue Subſtanzen bilden, welche eine Reizwirkung auf den Magendarmkanal auszuüben vermögen. Von untergeordneter Bedeutung, aber immerhin nicht zu vernachläfſigen ſind ferner ſolche Keime, welche direkt