Gefährdung eines Bruſtkindes und eines mit Tier⸗ milch genährten Kindes außerordentlich groß. Die Sterblichkeit der Säuglinge in Berlin im allgemeinen iſt nach Boeckh bei Bruſtkindern 7.04 ¾, bei mit Kuh⸗ milch ernährten Kindern 24,6 %. An Verdauungs⸗ krankheiten allein ſtarben nach Praußnitz in Berlin im erſten Lebenejahr von an der Bruſt Genährten 1,3 %, von mit Tiermilch Genährten 18,7 %¾. Boeckh ſagt im Statiſtiſchen Jahrbuch von Berlin für 1885 ſchon, wo das Verhältnis noch nicht ſo kraß war: Hätten alle Kinder dieſelbe Sterblichkeit dargeboten wie die Kinder, die mit der Bruſt⸗ milch ernährt wurden, ſo würden in den erſten 11 Monaten 2849 ſtatt 9367 geſtorben ſein, mit andern Worten, es würden 6518 Leben erhalten worden ſein. Gegenüber den Ausführungen von Bunge, daß das Selbſtſtillen ſo ſtark abgenommen habe, hat Schloßmann in Dresden bei ziemlich allen Frauen, die in ſeine Klinik gekommen ſind, das Seloſtſtillen durchgeſetzt. Ich möchte die Ausführungen von Schloßmann den Herren Arzten ſehr empfehlen; ſie finden ſich in der Monatsſchrift für Geburtshilfe und Gynäkologie Band 17 Heft 6. Ebenſo wie Schloßmann haben auch Selter und Bähr in Solingen und Haan es erreicht, daß alle Frauen, die bei ihnen entbunden haben, ihre Kinder ſelbſt ſtillen konnten. Selbſt in verzweifelten Fällen, bei entzündeter Bruſt, hat Schloßmann es durchgeſetzt, daß die Mutter das Kind weiter ſtillen konnte. Die Arzte haben es ſogar erreicht, daß eine Mutter ſoviel Milch hatte, um neben ihrem Kinde noch eins, zwei, ſelbſt drei andere Säuglinge mit zu ernähren. Die Tierzüchter er⸗ zielen es ja, daß die Kuh am Tage 25 Liter Milch bringt; bei den Frauen hat man es aber früher roch nicht erreicht, daß eine Frau eine größere An⸗ zahl anderer Kinder noch mit ernähren konnte. Das iſt ja von außerordentlichem Wert. Es gibt leider immer noch eine große Anzahl Frauen und wird es auch vorläufig noch lange geben, die ihre Kinder nicht ſtillen können. Allerdings gibt es auch viele, die ſie zu ſtillen vermögen, es aber aus Be⸗ quemlichkeit oder anderen Gründen unterlaſſen. Es iſt vielfach, z. B. im Berliner Statiſtiſchen Jahrbuch, geſagt, daß die Säuglingsſterblichkeit ſich dadurch als eine Wirkung ſozialer Urſachen dokumen⸗ tiert, daß ſie in den verſchiedenen Stadtteilen außer⸗ ordentlich verſchieden auftritt. Ganz dasſelbe haben wir auch in Charlottenburg. Wenn wir die einzelnen Stadtviertel in Betracht ziehen, ergibt ſich, daß an Sterbefällen auf 1000 Lebende jährlich entfallen: Kurfürſtendamm 100,7, Oſtviertel 101,8, Lietzen⸗ ſee 104,7, Hochſchulviertel 140,5, Weſtend⸗Spandauer⸗ berg 166,6, Martinickenfelde 177,4, Halbinſel 197,3, innere Stadt 233,0, Lützow 263,2, Kalowswerder 279,0, Schloßviertel 293,8, Königs⸗ und Nonnendamm 340,9, alſo beinahe das Dreieinhalbfache wie am Kurfüſten⸗ damm. Sie ſehen, meine Herren, wie verſchieden in den einzelnen Stadtvierteln die Sterblichkeit auftritt. Es iſt ja auch von anderer Seite geſagt worden, daß nicht bloß die Beſchäftigung der Mutter allein, ſondern auch die Wohnungsverhältniſſe hierbei mitſprechen. Ich könnte Ihnen noch viele Mitteilungen dieſer Art machen. Wir werden uns alſo dem Antrag des Herrn Dr. Spiegel und Genoſſen anſchließen, möchten ihn aber doch noch dahingehend erweitern, daß die Hebe⸗ ammen, Arzte, Waiſen⸗ und Armenpfleger uſw. darauf hingewieſen würden bezw. ihnen zur Aufgabe gemacht wird, das Selbſtſtillen zu empfehlen oder auch durch 177 Geldunterſtützung zu erleichtern, daß ferner im Krankenhauſe Pflegeſtellen für Schwangere eingerichtet werden, in denen Bedürftige, eheliche wie uneheliche, ſchon mehrere Wochen vor der Niederkunft aufge⸗ nommen und entſprechend verpflegt werden, natürlich ohne daß dadurch das Wahlrecht des Mannes ver⸗ loren geht. Stadtv. Dr. Baner: Meine Herren, ich habe im Namen meiner Freunde zu erklären, daß wir gegen die urſprüngliche Faſſung des Antrages Spiegel große Bedenken hatten, weil wir in der reinen Steriliſierung der Milch einmal keine ausreichende Sicherheit, dann auch gewiſſe Gefahren ſehen, daß wir aber, nachdem der Antrag Spiegel in dieſer Weiſe modifiziert worden iſt, für Überweiſung an eine gemeinſame Kommiſſion ſtimmen werden. Ich kann mir wohl erſparen, alle Gründe zu wieder⸗ holen; ſie ſind in ausreichender Weiſe hier breit⸗ getreten worden. (Sehr richtig!) Ich möchte nur ſagen, daß eine ganze Reihe anderer Anſichten noch vorhanden ſind, und daß vor allen Dingen über die Art und Weiſe, wie die Stadt die Milchverſorgung einrichten ſoll, doch ſehr bedeutende Differenzen in den Anſichten ſein können. Ob man in der Weiſe das macht, daß die Stadt ſelbſt einen eigenen Milchhandel enrichtet, oder ob man mit einwandfreien Milchproduzenten in Verbindung tritt, oder in welcher Weiſe das ſonſt zu geſchehen hat. wird noch Sache näherer Beratung ſein. Jeden⸗ falls werden wir für den Antrag auf Überweiſung der ganzen Frage an eine gemiſchte Deputation ſtimmen. Vorſteher Roſenberg: Den Ausdruck „breittreten“ vermag ich nicht für zuläſſig zu erachten. Stadtv. Dr. Schmidt: Meine Herren, ich kann mich ebenfalls kurz faſſen. Mit dem erſten Antrage des Herren Kollegen Dr. Spiegel konnten wir nicht übereinſtimmen; er ging zu weit. Das Ziel läßt ſich erreichen, ohne daß die Stadt genötigt iſt, eine be⸗ ſondere Steriliſationsanſtalt zu errichten. Mit dem zweiten Antrag ſtimmen wir überein. Stadtv. Heiſe: Meine Herren, der Antrag lautete ganz einfach: die Errichtung einer ſtädtiſchen Milch⸗ ſteriliſationsanſtalt. Ich habe dieſen Antrag unter⸗ ſchrieben, habe aber nie im Auge gehabt oder daran denken können, daß das platzgreifen könnte, was Herr Kollege Dr. Zepler hier ausgeführt hat. Meine Herren, wenn ich als Fachmann etwas zu dem ſagen ſoll, was Herr Kollege Dr. Zepler ausgeführt hat, dann wette ich, daß unter 3 ℳ ein Liter Milch nicht zu haben ſein wird! (Heiterkeit.) Da kann man ſich ja vor ſeinem eigenen Antrag grauen! 4 (Große Heiterkeit.) Über alle dieſe Ausführungen iſt am beſten zu ſprechen, wenn die Sache einem Ausſchuſſe überwieſen wird, . uns dann belehrende Auskünfte gegeben werden önnen. Stadtv. Dr. Zepler: Ich möchte gegenüber dem, was der Herr Kollege eben geſagt hat, nur erwähnen. daß in Hohenbuchen ein Milchgroßproduzent iſt, welcher eine derartige Milch liefert und ſie für 30 Pf. das Liter liefert, allerdings ohne Nutzen; der