—— 212 —— ſelbſtve rſtändlich gegen die Uberweiſung des Antrages Stein und des dazu von uns eingebrachten Gegen⸗ antrages an eine Kommiſſion nichts einzu⸗ wenden haben, wenngleich wir uns nicht verhehlen können, daß aus dieſen Kommiſſionsberatungen ebenſo wie aus einer etwa einzuſetzenden gemiſchten Deputation nur Anregungen herauskommen, die kaum eine greifbare Geſtalt annehmen werden, Dem Antrage des Herrn Kollegen Stein in ſeiner urſprünglichen Form können meine Freunde nicht zuſtimmen, allerdings aus weſentlich anderen Gründen, als die, aus denen der Herr Oberbürger⸗ meiſter den Antrag bekämpft hat. Der Herr Ober⸗ bürgermeiſter meinte, die Stadt ſolle ſich hüten, in Dinge einzugreifen, die nicht ihre Sache ſind; er fürchtet weiter eine Konkurrenz gegen die Rechts⸗ anwälte und eine übermäßige Belaſtung unſeres Etats. Nun, meine Herren, mit dem Satz, die Stadt ſolle ſich hüten, in Dinge einzugreifen, die nicht ihre Sache ſind, kann man jeden Antrag, gleichviel von welcher Seite er kommt, bekämpfen. Mit dieſem Schlagwort hat man früher alle diejenigen Aufgaben bekämpft, deren Erfüllung jetzt jede einigermaßen ſozialpolitiſch fortgeſchrittene Gemeinde als etwas ganz Selbſtverſtandliches anſieht. Und was die Konkurrenz betrifft, die den Rechtsanwälten durch die Annahme des Antrages Stein bereitet werden ſoll, ſo, glaube ich, ſieht doch der Herr Oberbürgermeiſter eiwas zu ſchwarz. Diejenigen Herren Kollegen, die ſelbſt als Rechtsanwälte hier in Charlottenburg tätig ſind, fürchten ja, wie Herr Kollege Holz ausgeführt hat, überhaupt keine Konkurrenz; im Gegenteil, Herr Kollege Holz ſcheint ſich ſchon darauf zu freuen, daß für den Fall der Annahme des Antrages Stein eine recht große Anzahl von neuen Prozeſſen an⸗ hängig gemacht werden wird. (Heiterkeit.) Würden die Herren übrigens der Anſicht des Herrn Oberbürgermeiſters ſein, dann müßten ja ſamtliche hier anweſenden praktiſch tätigen Rechts⸗ anwälte ſich auf grund des § 44 der Städteordnung der Abſtimmung enthalten. (Heiterkeit.) Ich glaube aber, das iſt nicht die Abficht der Herren. Die Belaſtung des Etats durch die Annahme des Antrages Stein wäre ganz minimal; die Summe von 500 ℳ könnte unſer Etat wohl noch vertragen. Ja, ich glaube ſogar, daß wir eine Summe einſtellen könnten, die ausreichend wäre, um alles zu erfüllen, was der Herr Kollege Stein beabſichtigt. Trotzdem ſind wir gegen den Antrag Stein und haben uns erlaubt, einen Gegenantrag einzubringen, wonach der Magiſtrat erſucht wird, eine Summe von 3000 ℳ, in den nächftjährigen Etat einzuſtellen, dieſe Summe aber der bereits hier beſtehenden Aus⸗ kunftsſtelle der Gewerkſchaftskommiſſion zu überweiſen, damit dieſe Auskunftsſtelle ſich weiter ausbauen und das erreichen kann, was Herr Kollege Stein anſtrebt. Unſer Antrag iſt ja vorhin bereits verleſen worden. Ich darf vielleicht daraus, daß der Herr Ober⸗ bürgermeiſter ſich in ſeiner Rede nicht gegen dieſen Antrag gewendet, ſondern lediglich den Antrag Stein bekämpft hat, den Schluß ziehen, daß er mit unſerem Antrag, wenn die Stadtverordnetenverſammlung ihm zuſtimmt, einverſtanden iſt. (Heiterkeit.) Meine Herren, der Antrag Stein geht von den 30 000 ℳ aus, die in den preußiſchen Etat eingeſtellt ſind. Ich mache darauf aufmerkſam, daß in der Begründung zu dieſer Etatspoſition ausdrücklich ge⸗ ſagt worden iſt, welchem Zweck dieſe Summe dienen ſoll. Es heißt da: Das Bedürfnis nach Rechtsbelehrung macht ſich mit dem Ausbau der ſozialen Geſetzgebung immer ſtärker geltend, und es liegt im Intereſſe namentlich der Arbeiterkreiſe, daß ſie zur Be⸗ friedigung dieſes Bedürfniſſes nicht auf die Tätigkeit ſolcher Perſonen angewieſen ſind, welche aus der Beſorgung fremder Rechts⸗ angelegenheiten ein Gewerbe machen. Alſo es handeit ſich nach Anficht des Herrn Miniſters hauptſächlich um Auskunft über ſolche Streitigkeiten, die ſich aus unſerer ſozialen Geſetz⸗ gebung ergeben; in ſolchen Fällen den Arbeitern mit Rat zur Seite zu ſtehen, das hat ſich die Char⸗ lottenburger Gewerkſchaftskommiſſion bereits zur Auf⸗ gabe gemacht. Ich meine, wenn man eiwas tun will, dann ſoll man auf dem Wege, den die Arbeiter bereits aus eigener Kraft beſchritten haben, weiter fortſchreiten. Es iſt im übrigen durchaus nichts Neues, daß von einer Stadt oder einem Staate Arbeiterſekretariate ſubventioniert werden. Ich erinnere daran, daß das Arbeiterſekretariat in Gotha eine Subvention vom Miniſterium bekommt; der Landtag hat, wenn ich nicht irre, einſtimmig, den Antrag angenommen, ein dortiges Arbeiterſekretariat zu unterſtützen, und zwar auf Antrag der ſozialdemokratiſchen Landtagsfraktion, und das Miniſterium hat dieſem Antrage zugeſtimmt. Nun handelt es ſich hier in Charlottenburg nicht etwa, wie man aus den Worten des Herrn Kollegen Stein vielleicht ſchließen könnte, um ein ſozial⸗ demokratiſches Arbeiterſekretariat, ſondern um ein Arbeiterſekretariat, das von den Gewerkſchaften be⸗ gründet iſt und an jeden Auskunft erteilt, gleich⸗ viel ob er gewerkſchaftlich organiſiert iſt, und un⸗ bekümmert darum, welcher politiſchen Partei er an⸗ gehört. Wer dorthin kommt, wird nicht gefragt, ob er zu einer beſtimmten politiſchen Partei ſich rechnet, ſondern er wird lediglich gefragt, ob er Rat ſucht, und wenn es möglich iſt, wird ihm dieſer Rat erteilt. Ich möchte an der Hand der Berichte der Ge⸗ werkſchaftskommiſſion Ihnen ein kleimmes Bild davon geben, in wie zahlreichen Fällen dieſe Auskunftsſtelle bereits jetzt in Anſpruch genommen iſt. Sie werden daraus gleichzeitig erſehen, daß die von dem Herrn Oberbürgermeiſter angeführte Auskunfteſtelle der Beamten im Rathauſe doch wohl nach der Anſicht derjenigen Kreiſe, die Recht ſuchen, nicht auereicht. Im erſten halben Jahre nach der Errichtung dieſer Auskunftsſtelle, vom 1. Juli bis 31. Dezember 1902, wurde an 71 Perſonen Auskunft erteilt, und zwar an 56 männliche und an 15 weibliche; außerdem wurde eine größere Reihe von Schriftmücken an⸗ gefertigt. Es handelt ſich nun nicht etwa nur um organiſierte Arbeiter, ſondern eine große Anzahl, etwa die Hälfte derjenigen, welche dort um Rechts⸗ ſchutz nachſuchten, war unorganiſiert. Das war im erſten halben Jahr des Beſtehens der Auskunfts⸗ ſtelle. Seit der Zeit hat ſich ihre Tätigkeit ganz erheblich erweitert. In der Zeit vom 1. Januar bis 15. Oktober 1903 waren 220 Beſuche in der Auskunftsſtelle zu verzeichnen mit 109 Sachen; außer⸗ dem wurden noch 85 Schriftſtücke angefertigt und eine Reihe von Arbeitern vor dem Gewerbegericht vertreten. In dieſem Jahre hat der Umfang der Auskunftſtelle noch weitere Dimenſionen angenommen. Nun, meine Herren, iſt es intereſſant, zu jehen, was für Streitigkeiten denn da erledigi worben ſind. Z