—— 220 — immer das Sonntagspublikum das maßgebende. Das Sonntagspublikum beſteht nicht gerade aus den wohlhabenden, ſondern vielmehr aus den minder be⸗ mittelten Klaſſen, die aber allerdings durch die fort⸗ währende Übung ihren Geſchmack geläutert und einigermaßen ein gewiſſes Urteil über das künſt⸗ leriſch Schöne erlangt haben. Es iſt das auch ganz begreiflich, denn ſie geben ſich am meiſten ihrer natürlichen Empfindung hin, während die Kunſt⸗ kritiker und auch die gewohnheitsmäßigen Beſucher der Galerien uſw. ſich ſehr leicht in Vorurteile, vorgefaßte Meinungen verirren und dadurch beeinflußt werden. Alſo mit einer ſachverſtändigen Kunſt⸗ kommiſſion tun wir, glaube ich, einen Sprung ins Dunkle, und ich weiß nicht, ob wir damit günſtige Erfahrungen machen werden. Mit welchen Sachen ſonſt ſie ſich zu beſchäftigen haben würde, iſt mir vollſtändig unklar nach dem Ausdruck des Antrages; ſie würde ſonſt nach meiner Anſicht gar nichts zu tun haben. Wir werden gewiß auch bereit ſein, wo es an⸗ gezeigt iſt, z. B. ber der Ausſchmückung des Rat⸗ hauſes oder bei Errichtung von Denkmälern, auch für die Mittel zur Herſtellung derartiger Kunſtwerke zu ſtimmen. Aber es iſt viel richtiger, das in jedem einzelnen Falle zu tun, als eine allgemeine Organiſation dafür zu ſchaffen, eine Deputation ein⸗ uſetzen, die nun als gewiſſermaßen approbierte achverſtändige darüber zu befinden hat. Von dem Herrn Kollegen Baake, der ja aller⸗ dings, mir unbegreiflich, doch ſchließlich für den An⸗ trag zu ſtimmen erklärt hat, iſt mit Recht ausgeführt worden: ſolange noch andere Bedürfniſſe zu be⸗ friedigen ſind, iſt es nicht angezeigt, Mittel für dieſen Zweck in den Etat einzuſetzen. Wir begeben uns da meiner Anſicht nach auf eine ſehr ſchiefe Ebene, auf der wir immer weiter hinabgleiten, und es kann uns in allen möglichen Fragen nachher als Präjudiz entgegengehalten werden, wenn wir jetzt dafür eintreten. Alſo ich komme aus den verſchiedenſten Gründen meinesteils zu der Überzeugung, daß die Anträge in allen Richtungen ganz unannehmbar ſind. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Meine Herren, ich gebe dem Herrn Antragſteller Recht: Charlotten⸗ burg iſt noch keine Kunſtſtadt; ſie iſt es nicht, wie andere Städte von gleicher Größe es ſind, die ſich bemühen, das Stadtgebiet mit Kunſt werken zu ſchmücken. Aber ich möchte ihr daraus doch nicht einen Vorwurf machen, wie er aus den Worten des Herrn Antragſtellers herausklang. Charlottenburg hat ſich erſt ſein Heim, ſein Haus bauen müſſen. Erſt muß man das Haus haben, die Räume müſſen drin bereitet ſein und die Möbel, die man not⸗ wendig braucht zum Wohnen, und wenn man dann allmählich in die Lage gekommen iſt, ſich etwas be⸗ haglich ausdehnen zu können, dann erſt ſchmückt man ſeine Wohnung. Nach dieſer gewiß richtigen Methode eines Privatmannes iſt auch Charlottenburg vorge⸗ gangen, und der Herr Antragſteller hat wohl über⸗ ſehen, daß wir ſeit längerer Zeit ſchon dabei ſind, die Kunſt auch unſeren Arbeitsgebieten zuzugeſellen. Ich erinnere nur an das Rathaus, das wir vor ſieben Jahren beſchloſſen haben zu bauen, an die Charlottenburger Brücke, über deren Bau wir vor fünf Jahren Beſchluß gefaßt haben, und bei der wir uns doch gewiß redlich bemüht und gequält haben, etwas Schönes herauszubekommen. (Zuſtimmung.) Ich erinnere an das Schillertheater, das wir be⸗ ſchloſſen haben zu bauen, das nach ſeinem inneren Zweck durch einen bedeutungsvollen Zweig der Kunſt. die Schauſpielkunſt, uns die Werke der Dichtkunſt — die vielleicht die höchſte überhaupt iſt — über⸗ mitteln ſoll, und das auch äußerlich ſich als Kunſt⸗ werk darſtellen wird. Ich erinnere daran, daß wir das Kaiſer Friedrich⸗Denkmal einem bedeutenden Künſtler unſeres Vaterlandes übertragen haben. Kurz, wir haben doch gewiß gezeigt, daß wir beſtrebt ſind, auch auf dem Gebiete der Kunſt uns zu betätigen. Auch bei unſerem Rathaus haben wir — und dabei befinde ich mich in ganz bewußtem Gegenſatz zu Herrn Stadtv. Baake — gezeigt, daß wir der Kunſt damit eine Stätte bereiten. Das Urteil des Herrn Stadtw. Baate üver unſer Rathaus und den Turm iſt recht bezeichnend dafür, was für ein eigen Ding die Kunſt und ihre Kritik iſt, und wie die Menſchen ſo ganz verſchiedene Anſichten über das haben, was ſchön und künſtleriſch iſt. Meine Herren, es gilt von dem braven, trotzigen Turm, der ſich über unſerem Rathauſe erhebt, das alte Wort, das ſchon im Mittelalter galt: „Wer da bauet an der Straßen, muß die Leute reden laſſen.“ (Heiterkeit.) Dem Turm wird es nicht weh tun, daß Herr Stadtv. Baake heute ein ſo abfälliges Urteil über ihn gefällt hat. Er wird viele Jayrhunderte ſtehen und ſich freuen an dem Lobe, das die meiſten anderen ihm zuteil werden laſſen, und mit Gleichmut auf die Tadler herabſchauen. Und ebenſo iſt es mit unſerem Rathauſe. Ich habe die Genugmung gehabt, daß namhafte Künſtler, die nicht auf der Seite der modernen Kunſt ſtehen, nach deren Forderungen unſer Rathaus aufgeführt iſt, ſondern die ſtreng an die alte Kunſt ſich halten, mit Anerkennung von den Leiſtungen geſprochen haben, die die beiden Archi⸗ tekten in dieſem Rathauſe geſchaffen haben, und be⸗ zeugt haben, daß in der Tat ein Kunſtwerk hier errichtet iſt. Ich führe dies an mit Rückſicht auf die Herren Architekten, denen großer Dank gebührt nach dem Urteil der allermeiſten Leute, die über das Rathaus eine Kritik ausſprechen. Meine Herren, das erkenne ich aber weiter mit dem Herrn Referenten an, daß die Stadt Tharlotten⸗ burg das nobile officium hat, für die Kunſt mehr zu tun, als ſie bisher getan hat; das erkenne ich mit Herrn Stadtv. Baake in vollem Maße an, daß die Kunſt nicht bloß ein überflüſſiger Luxus iſt, ſondern eins der hervorragendſten Kulturelemente; und wehe der Stadt, wehe den Bürgern, wehe der Stadtverwaltung, die das jemals überſehen ſollte! Meine Herren, die Geſchichte der Entwicklung der deutſchen Städte ſollte uns lehren, wie wichtig es iſt, daß man dieſe Ueberzeugung hat. Alte Städte wie Nürnberg und München, von denen die letztere noch heute in Deutſchland die Führung auf dem Gebiete der Kunſt hat, zeigen uns deutlich, von welcher Wichtigkeit es für das aufwachſende Geſchlecht iſt, wenn die Stadtverwaltung ſich müht, das Gefühl für Schönheit und Harmonie in die Bürgerſchaft hineinzutragen und die aufwachſende Jugend gewiſſer⸗ maßen mit Zwang darauf hinzuweiſen, was ſchön iſt, damit ſie die Idee des Schönen und Harmoniſchen jeden Tag von Kindheit an in ihre Seele aufnimmt. Die Stadt Charlottenburg muß ganz beſonders noch dieſes nobile ofllcium empfinden, ſeitdem ſie Akademieſtadt geworden iſt, ſeitdem wir die Ehre haben, die Akademien der bildenden Künſte und der Muſik in unſeren Mauern zu ſehen und — nicht