—— 286 Der Antrag lautet: Die Stadtverordnetenverſammlung möge beſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen, ihr bald⸗ möglichſt eine Vorlage zu unterbreiten betreffs Ubernahme des Betriebes der Abortanſtalten in eigene Regie. Antragſteller Stadtv. Sellin: Meine Herren, nach meiner Meinung bedarf der Antrag keiner längeren Begründung. Der Ausſchuß, der im März d. Is. tagte, um den Kontrakt mit Protz 10 verlängern, hatte erwartet, ſchon damals von dem Magiſtrat eine Vorlage zu erhalten, betr. ÜUbernahme der Abort⸗ anſtalten in eigene Regie. Der Magiſtrat erklärte uns, daß es ihm in der kurzen Zeit nicht möglich wäre, der Stadtverordnetenverſammlung eine ſolche Vorlage zu unterbreiten. Ich habe infolgedeſſen den Antrag ſo frühzeitig geſtellt, damit der Magiſtrat nun Ge⸗ legenheit hat, und er nicht wieder erklären kann, die Zeit ſei zu kurz, uns in allernächſter Zeit eine Vor⸗ lage zu unterbreiten betr. Ubernahme des Berriebes der Abortanſtalten in eigene Regie. Ich bitte Sie, den Antrag anzunehmen. Stadtv. Dr. Schmidt: Wie ſchon der Herr Vor⸗ redner ſagte, iſt im März eine Anfrage wegen dieſer Angelegenheit geſtellt worden. Damals hörten wir von ſeiten des Magiſtrats, daß es ſich um vieles billiger ſtellen würde, wenn dieſe Anſtalten von einem Privatunternehmer in Pacht genommen werden. Ich bedaure des halb, daß die Verpachtung nur bis zum April n. Is. erfolgt iſt. Es iſt rechneriſch feſtgeſtellt, daß die Stadt, wenn ſie dieſe Anſtalten in eigenen Betrieb nähme, ungefähr 6 oder 7000 Mk. mehr da⸗ für zahlen würde als der Unternehmer. Dieſe Gründe, die uns damals vom Magiſtrat mitgeteilt wurden, veranlaſſen uns, den Antrag des Herrn Vorredners abzulehnen. Stadtv. Dr. Zepler: Meine Herren, der Kollege Herr Dr. Schmidt betonte eben, daß der Magiſtrat bei Selbſtübernahme des Betriebes um etwa 7000 Mk. teurer wegkommen würde, als bei dem Betriebe durch den Unterneymer. Mir ſcheint das garnicht ſo weſent⸗ lich zu ſein in Anbetracht der Dinge, um die es ſich handelt. Ich ſehe nicht ein, daß ſelbſt bei dieſer Ein⸗ richtung noch ein Profit gemacht werden ſoll von einem Privatunternehymer. Der Profit kann aber nur gemacht werden durch zu ſchlechte Bezahlung der Arbeit der Wärterinnen und zu lange Arbeitezeit der⸗ ſelben. Ich meine, das iſt der Stadt nicht würdig, um ein paar tauſend Mark zu ſparen, einen ſolchen Zuſtand beſtehen zu laſſen. Es iſt unſere Aufgabe, die Sache ſo zu verwallen, wie es ſich gehört. Ein Profit muß doch auch nicht bei allen Dingen heraus⸗ kommen, noch dazu bei ſolchen dem Gemeinwohl dienenden Einrichtungen. Freilich wird der Unter⸗ nehmer ja auch von ſolchem Profit ſagen: non olet. Aber es iſt nicht der Stadt würdig, einen ſolchen Zuſtand beſtehen zu laſſen. Greifen wir in den Stadtſäckel, zahlen wir die paar tauſend Mark, beſſern wir die Gehälter der armen Frauen auf, damit ſie nicht auf die Trinkgelder angewieſen ſind und 12 bis 15 Stunden in dieſer Luft zubringen müſſen. Dann werden wir einen würdigen Zuſtand haben. Ich bitte Sie, dem Amrag zuzuſtimmen, daß wir den Berrieb der Abortanſtalien in ſtädtiſche Regie nehmen. Oberbürgermeiſter Schuſtehrns: Meine Herren, ich weiß ja, daß Herr Dr. Zepler und ſeine Freunde auf dem Stadpunkt ſtehen, daß die Stadt alles in Regie übernehmen ſoll. Ja die Herren gehen noch weiter, ſie wollen ja, daß der Staat überhaupt alles in eigene Regie nimmt. Aber meine Herren, wir ſtehen doch auf einem anderen Standpunkt; wir — der Magiſtrat mit der großen Majorität der Stadt⸗ verordnetenverſammlung — ſtehen auf dem Stand⸗ punkt, daß die Stadt nur diejenigen Sachen in Regie nehmen ſoll, bei denen das Intereſſe der All⸗ emeinheit dies rätlich erſcheinen läßt. Ein ſolches ntereſſe ſehe ich hier nicht, das iſt auch nicht von dem Herrn Antragſteller oder Herrn Dr. Zepler nachgewieſen. (Sehr richtig! bei der Freien Vereinigung.) Das Publikum befindet ſich durchaus in einer guten Lage, wenn der Betrieb ſo beſtehen bleibt, wie er bisher gehandhabt worden iſt. Ich bitte Sie daher, den Antrag Sellin abzulehnen. Stadtv. Dr. Zepler: Ich möchte noch einmal betonen, daß es ſich hier um das Wohl der ange⸗ ſtellten Arbeiter handelt. Zu gleicher Zeit möchte ich auf etwas aufmerkſam machen — ich ſprach vorhin von dem Schickſal des Arbeiters Schulze —: ſolche Fälle werden öfter vorkommen, wir haben öfter ſolche invaliden Leute zu beſchäfligen, auch Frauen. Da hätten wir durch den eigenen Betrieb der Abortanſtalten Gelegenheit zu ihrer Beſchäftigung. Ich möchte alſo darauf aufmerkſam machen, wie es ſchließlich auch ſo zum allgemeinen Wohl führen kann, wenn die Stadt die Sache in eigene Regie übernimmt. (Die Beratung wird geſchloſſen.) Antragſteller Stadtv. Sellin (Schlußwort:) Der Ausſchuß. der im März tagte, gab der Erwartung Ausdruck, daß die Arbeitszeit eine glattere werden ſollte. Bis jetzt iſt mir perſönlich noch nichts zu Ohren gekommen, ob etwas geändert worden iſt. Meine Herren, der Herr Oberbürgermeiſter ſuchte Sie dadurch vielleicht abzuſchrecken, daß er ſagte: der Antragſteller und ſeine Freunde wollen alles in eigene Regie nehmen, ſie wollen den Staat ſtürzen. (Heiterkeit.) Ich meine, es iſt vielleicht ganz gut, wenn man etwas frünzeitig einen Betrieb in eigene Regie über⸗ nimmt. Ich erinnere an die Vorlage, die uns heute noch beſchäftigt, über die Waſſerwerke; wenn die etwas früher in unſere Hände übergeaangen wäre, wäre es vielleicht beſſer geweſen. Wenn wirklich nachgewieſen wäre, daß es 7000 ℳ teurer wird — bis jetzt beſtreite ich, daß es nachgewieſen worden iſt, in dem Ausſchuß, der im März tagte, iſt das durchaus nicht nachgewieſen; es iſt von Herrn Kollegen Förſtner nachgewieſen, daß der Mann das und das einnimmt, und daß der Stadt es das und das koſten würde —, aber wenn es wirklich nachge⸗ wieſen werden ſollte, dann iſt es immer noch Zeit, wenn der Stadwerordnetenverſammlung die Vorlage vorliegt, ſie abzulehnen. Aber ich möchte Sie bitten, nicht vorzeitig ſchon den Antrag abzulehnen, ſondern ihn anzunehmen, damit wir die Vorlage bekommen, damit wir Gelegenheit erhalten, uns mit der Frage 100 beſchäftigen, ob es wirklich teurer wird oder nicht. (Die Verſammlung lehnt den Antrag des Stadtv. Sellin und Gen. ab.)