—— 254 —— Frage nicht allzuviel geſprochen worden, wohl aus dem Grunde, weil es ſich hier um Forderungen handelt, die ſchon lange öffentlich diskutiert werden. Es wird den Herren nicht unbekannt ſein, daß wir, ſoweit die Frauenarbeit in Frage kommt, hoffentlich nicht mehr allzuweit von der Einführung des geſetz⸗ lichen Zehnſtundenarbeitstages entfernt ſind. Das „führende“ Zentrum hat ſich entſchloſſen, einen ſolchen Antrag zu ſtellen, und es liegt durchaus nicht auf dem Gebiete der Unmöglichkeit, daß das Reich ſich zu dieſem ſozialpolitiſchen Schritt entſchließt. Nun hat der Magiſtrat geltend gemacht, da außerordentliche finanzielle und wirtſchaftliche Opfer von der Stadt verlangt werden, wenn der Neun⸗ ſtundentag für die ſtädtiſchen Arbeiter eingeführt würde. Es iſt dem Herrn Magiſtratsvertreter aber dabei daſſelbe paſſiert, was ihm auch im zweiten Teil ſeiner Kritik der Beſchlüſſe des Ausſchuſſes paſſiert iſt: er hat immer zuviel bewieſen, der eine Grund hat ihm immer den andern ans der Hand gehauen. Er hat geſagt: die Sache wird außer⸗ orbentlich viel koſten, praeter propter 130 000 ℳbt dann hat er aber angeführt, daß im Winter große Kategorieen der ſtädtiſchen Arbeiter eine viel kürzere Arbeitszeit noch als den Neunſtundentag hätten. Daraus geht hervor, daß die allgemeine Einführung des Neunſtundentages für die ſtädtiſchen Betriebe durchaus nicht die Summe von 130 000 ℳ erfordern würde, ſelbſt wenn ich einen Augenblick annehme, daß der Herr Bürgermeiſter mit dieſer Rechnung überhaupt im Rechte iſt. Nun aber ſteht dieſe Rechnung im Widerſpruch mit der Erfahrung. Alle Erfahrungen ſprechen dagegen, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit eine Verringerung der Arbeitsleiſtung herbeiführt. Im Gegenteil, jede Verkürzung der Arbeitszeit führt zu einer Erhöhung der Intenſität der Arbeit, zu einer Zuſammendrängung und Er⸗ höhung der Arbeitsleiſtung. Mit dieſer Tatſache der Erhöhung der Arbeitsleiſtung ſteht ja gewiß die Theorie im Widerſpruch, die von einer Verkürzung der Arbeitszeit eine Beſchränkung der Arbeitsloſigkeit erwartet. In Betracht kommen da nur die lÜber⸗ gangsperioden, in denen in der Tat zunächſt wohl eine größere Zahl von Arbeitern eingeſtellt werden müßten. So erklärt ſich, daß auch im Hinblick auf die Arbeitsloſigkeit dieſe mit als Beweisgrund für die Notwendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit angeführt wird. Der Herr Magiſtratsvertreter iſt in den Schreckens⸗ ſi ruf ausgebrochen: worauf läuft es hinaus, meine Herren? auf eine Erhöhung des Arbeitslohnes und eine Verkürzung der Arbeitszeit! Und Sie haben mit ihm Ihren Schrecken durch Zurufe kundgegeben. Ja, iſt denn dieſe Erhöhung des Arbeitslohnes und dieſe Verkürzung der Arbeitszeit nicht eine wirkliche Kulturforderung? Sehen wir denn nicht, daß über⸗ all dort, wo der Arbeitslohn hoch iſt, wo die Ar⸗ beitszeit kurz iſt, die Arbeitsklaſſe eine viel höhere Schulung, eine viel höhere kulturelle Gewalt in ſich vereint? Sehen wir nicht, daß dieſe Verkürzung der Arbeitszeit und dieſe Erhöhung des Arbeits⸗ lohnes im Bege der Zeit liegt, daß ſie der Arbeiter⸗ klaſſe die Möglichkeit der Fortbildung und Weiter⸗ entwicklung gibt, und daß ſie ſo in wirklichem Maße eine Förderung der Kultur darſtellt? Ich habe noch niemals gehört, daß gegen die Verkürzung der Arbeitszeit etwa geltend gemacht worden wäre, daß auch die Beamten außerordentlich lange, zu lange zu arbeiten hätten. Für unſere ſtädtiſchen Beamten iſt eine Arbeitszeit von 7 Stunden die Regel, die gewiß in Ausnahmefällen ja über⸗ ſchritten wird. Aber wenn man für die Beamten eine Arbeitszeit von 7 Stunden für angemeſſen hält, dann wird man nicht behaupten wollen, daß für den ſchwer arbeitenden Arbeiter auf der ſtädtiſchen Gas⸗ anſtalt, der am Ofen der Hitze ausgeſetzt iſt, oder daß für den Straßenarbeiter, der im Wind und und Wetter ſeine Pflicht zu tun hat, eine Arbeits⸗ zeit von 9 Stunden nun bereits das Paradies auf Erden bedeuten würde. Aber ſie bringt wenigſtens dem Manne die Möglichkeit, ſich ſeiner Familie und ß der Erziehung ſeiner Kinder mehr widmen zu können als bisher. Die Verkürzung der Arbeitszeit ſoll den Arbeiter erſt in den Stand ſetzen, ein Menſch zu werden, ſich als Menſch zu fühlen, ſeinen menſch⸗ lichen Bedürfniſſen zu folgen, nicht bloß als Arbeits⸗ tier im Solde eines Herrn zu ſtehen. Nun, meine Herren, noch ein Wort über die Entlohnung der Überſtundenarbeit, die nach unſeren Vorſchlägen im Ausſchuß angenommen worden iſt. Auch hier hat der Herr Bürgermeiſter einen Grund mit dem andern vernichtet. Er hat nämlich geſagt und dabei den Sozialdemokraten Lindemann gewiſſer⸗ maßen gegen meine Fraktion auszuſpielen verſucht, daß der von Lindemann genannte Grund, nämlich daß die Überſtundenarbeit dazu benützt würde, um Liebedienerei zu treiben, da ſolche Arbeiter, die ſich beſonders gefällig machen, dann ſeitens der Vor⸗ arbeiter und Vorgeſetzten mit Überſtunden verſehen würden, damit ſie ſo einen höheren Verdienſt hätten, — daß dieſer Grund ein ſchwerwiegender Einwand gegen die Überſtundenarbeit ſei: Dann hat er aber geſagt: ſehen Sie, bei uns iſt das unmöglich, indem die erſte Überſtunde nicht bezahlt wird! Er hat leider vergeſſen, zu erwähnen, daß die zweite Uberſtunde bezahlt wird, und daß, wenn die zweite Überſtunde bezahlt wird, auch die erſte bezahlt wird. Alſo der Vorarbeiter, der jemand begünſtigen will, braucht ihn nur in die zweite Überſtunde hinein arbeiten zu laſſen, dann hat er dasſelbe erreicht, was Lindemann und was Herr Bürgermeiſter Matting nicht wollen. Nun ſagt Herr Bürgermeiſter Matting, daß Beſchwerden ſeitens der ſtädtiſchen Arbeiter nicht vorgekommen ſeien. Ich ſelber habe Beſchwerden der ſtändigen Arbeiter über die Überſtundenarbeit nicht vernommen; aber ich habe bereits im Ausſchuß auf eine Tatſache hingewieſen, die ich doch mit einem kurzen Wort auch hier noch ſtreifen muß. Es handelt ich um die Tatſache, daß ſeitens der Stadt Damen und Schreibhilfen beſchäftigt werden, die für dieſe Arbeit 3,50 ℳ pro Tag erhalten. Es iſt eine vor⸗ übergehende Arbeit, und ich will zugeben, daß die Bezahlung mit 3,50 ℳ angemeſſen iſt. In dieſem Jahre ſind nun plötzlich neue Beſtimmungen inſofern in Kraft getreten, als die Herren und Damen, die als Schreibhilfe verwendet werden, in beſtimmten Departements, z. B. bei der Steuerbehörde, gezwungen worden ſind, ſtatt wie bisher 7 Stunden 10 Stunden u arbeiten, daß ſie alſo mit einem mal 3 Über⸗ ſunden zu leiſten hatten für die 3,50 ℳ Nun iſt ſeitens des Magiſtratsvertreters im Ausſchuß geſagt worden: im Vorjahre erhielten ſie ja nur 2,50 ℳ, wir zahlen in dieſem Jahre 3,50 ℳ, und jeder wird ſagen, daß das eine höchſt anſtändige Bezahlung iſt. Ich habe den Herrn Magiſtratsvertreter darauf ge⸗ deten, den Anſtellungsvertrag vorzulegen, und er hat nach Schluß der Sitzung noch mitgeteilt, daß im vorigen Jahre dieſe Gehilſen zuerſt gleichfalls 3,50 ℳ erhielten. So iſt es eine Zeit lang gegangen; dann hat der Magiſtrat gemerkt, daß er mit dem Gelde,