55 daß Sozialdemokraten ſeit ungefähr 12 Jahren in der Stadtverordnetenverſammlung in Charlottenburg tätig ſind. (Zunuf der Liberalen: Die waren auch danach!) — Die waren auch danach?! Herr Kollege mit der Mehrzahl Ihrer Freunde können ſie ſich noch allezeit meſſen, wenn ſie vielleicht auch nicht ſo gewandte Redner find! (Glocke des Vorſtehers.) Ich bitte, keine Dialoge Vorſteher Roſenberg: zu halten. Stadtv. Hirſch: Ich möchte aber doch dagegen proteſtieren, daß gegen diejenigen Sozialdemokraten, die hier in der Stadtverordnetenverſammlung geſeſſen haben oder noch ſitzen, eine derartige beleidigende Außerung fällt. (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Roſenberg: Herr Kollege Hirſch, ich bitte einen Augenblick um Pauſe. Ich habe den Zuruf des Herrn Dr. Crüger nicht gehört; ich werde durch den ſtenographiſchen Bericht feſtſtellen, ob in dem Zuruf ein Verſtoß gegen die Ordnung zu erblicken iſt. Ich bitte, jetzt nicht mehr darauf zurückzukommen. Stadtv. Hirſch: Ich bemerke, daß ſeit zwölf Jahren Sozialdemokraten hier in der Charlottenburger Stadtverordnetenverſammlung geweſen ſind, daß ſie von dem Augenblick ihrer Wahl an ſtets für die Intereſſen der Charlottenburger Arbeiter eingetreten ſind. Meine Herren, vergeſſen Sie doch eins nicht, daß das Meiſte, was die Arbeiter errungen haben, ſie ihrer eigenen Kraft verdanken. Erinnern Sie ſich nicht, daß es erſt eines Streiks bedurft hat bei der Gasanſtalt, um die Forderungen der Arbeiter auf Einſetzung eines Arbeiterausſchuſſes durchzuſetzen? Erinnern Sie ſich nicht, daß, als der Streik hier auf der Tagesordnung der Stadtverordnetenver⸗ ſammlung ſtand, ein Mitglied des Magiſtrats auf⸗ geſtanden iſt und erklärte, daß er prinzipiell gegen die Einſetzung des Arbeiterausſchuſſes an der Gas⸗ anſtalt ſei? Die Herren ſcheinen wirklich ein kurzes Gedächtnis zu haben. Es wird auf die Penſions⸗ verhältniſſe der Arbeiter hingewieſen; ja, meine Herren, die Penſionsverhältniſſe der Arbeiter ſind ſo lange nicht geregelt, als nicht den Arbeitern ein Recht auf Penſion zuſteht. Solange das nicht zu⸗ geſtanden iſt, kann man von einem wirklichen Recht auf Penſion, die ihnen gewährt iſt, nicht reden, und die einzige Beſtimmung, die der Gewährung eines Rechtsanſpruches nahe kommt, iſt in die Beſtimmungen über die Gewährung eines Ruhegehaltes an ſtädtiſche Arbeiter auf unſere Anregung hineingekommen. Herr Kollege Dr. Crüger hat auf die Gewährung von Urlaub an die ſtädtiſchen Arbeiter hingewieſen. Herr Kollege Dr. Crüger vergißt, daß mein Freund Baake und ich bereits im Jahre 1900 hier in der Stadtverordnetenverſammlung eine Reihe von An⸗ trägen eingebracht haben, von denen ſich der eine auf Gewährung von Urlaub an ſtädtiſche Arbeiter bezog. Alſo auch das iſt nicht ohne Zutun von Sozialdemokraten geſchehen. Im Jahre 1900 haben die Sozialdemokraten dieſe Anträge geſtellt; ſie ſind damals abgelehnt worden — ob auch die Freunde des Herrn Kollegen Dr. Crüger dagegen geſtimmt haben, weiß ich nicht —, ſie ſind abgelehnt worden, und erſt auf Grund unſerer neuen Anträge hat ſich der Magiſtrat auch mit dieſer Frage befaßt. Herr Kollege Dr. Crüger beſtreitet, daß eine Kommune auch kapitaliſtiſch wirtſchaften kann. Meine Herren, eine Kommune, deren Vertretung zuſammengeſetzt iſt auf Grund des Dreiklaſſenwahlſyſtems, eine Kommune, in der die beſitzenden Klaſſen einzig und allein ausſchlaggebend ſind, muß natürlich vom kapitaliſtiſchen Geiſte beſeelt ſein. Das iſt gar nicht anders möglich. Ich möchte mal 44 was ge⸗ ſchehen würde, wenn etwa jetzt Herr Kollege Dr. Crüger und ſeine Freunde, die, nachdem ſie von uns aus der dritten Wählerklaſſe herausgedrängt ſind, ſich in die erſte Klaſſe hineingerettet haben, (Lachen bei den Liberalen) — was die Wähler des Herrn Kollegen Dr. Crüger ſagen würden, wenn er plötzlich für die Intereſſen der Arbeiter eintreten würde, wie wir es tun! Ich glaube, er würde, was ich ſehr bedauern würde, unſere Reihen nicht mehr zieren. Meine Herren, die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Crüger zeigen ja, daß die Stadtverordnetenverſammlung nicht vom ſozialen Geiſte beſeelt iſt. Herr Dr. Crüger hat auf das Schulweſen hingewieſen. Wer war es denn, der unſere Anträge auf eine Gewährung der Lernmittel zu Falle gebracht hat? Die Freunde des Herrn Kollegen Dr. Crüger! (Widerſpruch bei den Liberalen.) Die Freunde des Herrn Dr. Crüger, die hier in der Sitzung die Anträge unterſtützt haben, aber nachher bei der Abſtimmung ſich draußen im Foyer aufge⸗ halten haben, um zu verhindern, daß unſere Anträge durchkommen! Wer war es, der ſeine kapitaliſtiſche Geſinnung betätigte bei dem Antrage auf Erhöhung der Krankenhausſätze? Die Freunde des Herrn Kollegen Dr. Crüger! Herr Kollege Otto hat eine glänzende Rede gehalten gegen die Erhöhung der Krankenhausſätze; (Zuruf bei den Liberalen: Jawohl!) es war die einzig gute Rede, die Sie gehalten haben, Herr Kollege Otto; (große Heiterkeit) die Rede war ſo gut, daß nachher die Freunde des Herrn Kollegen Otto zum größten Teil für die Er⸗ höhung der Krankenhausſätze ſtimmten. Alſo, meine Herren, wo wir auch hinblicken, da ſehen wir, daß ſich bei Ihnen das kapitaliſtiſche Intereſſe in den Vordergrund drängt, und daß Sie nicht zuletzt die⸗ jenigen ſind, die dieſem Treiben Vorſchub leiſten. Herr Kollege Dr. Crüger meinte, ob wir die Verantwortung übernehmen wollen, Poſten in den Etat einzuſtellen, für die wir nicht Deckung wüßten. Es gibt eine ſehr einfache Deckung: Zuſchläge zu den Steuern. Wir Sozialdemokraten ſchrecken durchaus nicht davor zurück. (Zurufe: Das glauben wir! — Heiterkeit.) Wir ſchrecken nicht davor zurück, auch über 100 %/ Zuſchlag zur Einkommenſteuer zu erheben. Ich weiß nicht, warum Sie darüber lachen; aber, meine Herren, daß Sie von der liberalen Fraktion darüber lachen, iſt auch wieder ein charakteriſtiſches Zeichen dafür, welche Wandlung Sie durchgemacht haben. Als vor einigen Jahren im Etatsausſchuß der damalige Vorſteher der Stadtverordnetenverſammlung Herr Ströhler und ſeine Freunde ſich gegen die Er⸗ höhung des Kommunalzuſchlages über 100%, ſträubten, waren Sie es, die genau dasſelbe ſagten, was wir heute ſagen. Heute lachen Sie darüber. Heute ſind Sie in der Mehrheit, heute haben Sie ihre liberalen Grundſätze — ob alle Grundſätze, die Sie gehabt haben, das weiß ich nicht — über Bord geworfen. (Zuruf bei den Liberalen.) 7