man glaube, beide durch eine ſolche Verordnung be⸗ friedigen zu können. Zwar tröſten Magiſtrat und Unternehmer die Arbeiter mit dem Hinweis, daß ja bereits eine vier⸗ fache Aufſicht über die Bauten beſtehe: 1. durch die Baupolizei, 2. durch die Berufsgenoſſenſchaft, 3. durch die Innungen, 4. durch die ſtädtiſche Bauleitung. Aber daß es auf die Anzahl der Aufſichtsorgane nicht ankommt, zeigt doch die Tatſache, daß trotz dieſer vierfachen Aufſicht im Baugewerbe die meiſten Unfälle vorkommen; alſo iſt auch dieſe vierfache Auſſicht ungenügend und erfüllt ihren Zweck nicht. Daß die polizeiliche Bauaufficht ebenſo wenig genügenden Schutz den Betreffenden bietet wie die polizeiliche Gewerbeaufficht, zeigt ſchon die Heran⸗ ziehung der Berufsgenoſſenſchaft und der Gewerbe⸗ räte bei der letzteren. Der Polizei ſtehen eben nicht die geeigneten Organe zur Verfügung. Das⸗ ſelbe gilt von der Bauaufſicht der Innungen und der ſtädtiſchen Bauleitungen, wie ich noch nach⸗ weiſen werde. Die Aufſicht der Berufsgenoſſenſchaft beſchränkt ſich lediglich auf die Sicherung vor Unfällen, während ſie geſundheitsgefährliche und hugieniſche Ubelſtände nicht berückſichtigt. Daß aber auch die Überwachungstätigkeit der Berufsgenoſſenſchaft zur Verhütung von Unfällen vielfach mangelhaft iſt, und daß durch eine intenſivere Uberwachungstätigkeit ſeitens berufsgenoſſenſchaftlicher Organe zahlreichen Bauunfällen vorgebeugt werden könnte, hat Graf Poſadowskyin ſeinem Rundſchreiben vom 30. Juli 1898, das ja auch in der Vorlage des Magiſtrats abge⸗] P ch der Nordöſtlichen Baugewerksberufsgenoſſenſchaft 44 druckt iſt, ausdrücklich hervorgehoben. Das iſt au kein Wunder. Hat doch die Nordöſtliche Baugewerks⸗ berufsgenoſſenſchaft im Jahre 1902 bei 19041 Ver⸗ ſicherten nur 6 techniſche Aufſichtsbeamte angeſtellt! Da hat ſelbſt die Berufsgenoſſenſchaft der chemiſchen Induſtrie eine weit größere Anzahl Aufſichtsbeamte angeſtellt. Auch bei der Gewerbeaufſicht hat man ſchon eine mehrfache Aufſicht: 1. durch Polizeiorgane, 2. durch Innungen, 3. durch Berufsgenoſſenſchaften, 4. durch die Gewerbeaufſichtsbeamten, und trotzdem hat die Behörde für eine ganze Reihe von Betrieben noch eine weitere Aufficht durch Arzte für nötig befunden. Sachſen, Bayern, Württemberg und Heſſen haben auch in ihre Bauordnungen Beſtimmungen F aufgenommen, die eine Mitwirkung von Bauaufſehern aus dem Arbeiterſtande vorſehen. In Sachſen hat ſich indeſſen die Behörde auf denſelben unfruchtbaren Standpunkt wie Graf Poſadowsky geſtellt, indem die ſächſiſche Regierung die Anſtellung der Bau⸗ kontrolleure in erſter Linie den Bauunternehmern übertragen hat. Dagegen werden in Bayern und Württemberg dieſe Beamten von den Gemeinden an⸗ geſtellt, und wenn der Magiſtrat in ſeiner Vorlage einer Außerung des Bauarbeiterſchutzkongreſſes Raum gegeben hat, die eine Unzufriedenheit der Arbeiter mit den Angeſtellten der Ortsbehörden ausdrücken ſoll, ſo iſt doch zu bemerken, daß ſich dieſe Unzufrieden⸗ heit durchaus nicht auf die Tätigkeit dieſer Ange⸗ ſtellten, ſondern auf die geringe Zahl derſelben be⸗ zieht. Sind doch in ganz Bayern mit ſeinen 55 Städten über 5000 Einwohnern nur in 9 Städlen Baukontrolleure von den Ortsbehörden angeſtellt! 486 — Der Magiſtrat gibt nur § an; es kommt aber noch Kaiſerslautern hinzu, wo ſeit Neujahr 1899 ein Polier als ſtädtiſcher Baukontrolleur angeſtellt iſt. Das Verhältnis der Baukontrolleure zu den Arbeitern iſt keineswegs ein geſpanntes. Die Tätigkeit dieſer Kontrolleure hat ſich in der Tat in Bayern als ſehr fruchtbar erwieſen. Haben doch in München allein die 7 von den Gewerkſchaften vorgeſchlagenen Kon⸗ trolleure — nämlich 5 von den freien Gewerkſchaften und außerdem noch 2 von den chriſtlichen Organi⸗ ſationen — im Jahre 1902 45 844 Kontrollen, dar⸗ unter auch außerterminliche, ausgeführt, zu denen noch 29000 kommen, die von den von den Bauge⸗ werken vorgeſchlagenen 3 Ingenieuren ausgeführt waren. Sie haben bewirkt, daß die Zahl der Unfälle bei Bauten von 1747 im Jahre 1898 auf 1154 im Jahre 1092 herunterging. Dagegen ſtieg bei der Sektion I der Nordöſtlichen Baugewerksberufsgenoſſen⸗ ſchaft, zu der Berlin und Umgegend gehören, die Zahl der gemeldeten Unfälle von 4785 im Jahre 1902 auf 5784, alſo gerade um 1000, im Jahre 1903; davon waren tödlich im Jahre 1902 55, im Jahre 1903 59. Solche Reſultate haben die Bauarbeitervereini⸗ gungen auch in unſerer Gegend veranlaßt, ihrerſeits die Bauten auf die vorſchriftsmäßige Beachtung der behördlichen Vorſchriften zu prüfen. Vom 5. bis 16. Mai 1903 ließen ſie in Berlin und Umgegend 140 Rohbauten und 131 Ausbauten durch Bauſach⸗ verſtändige kontrollieren. Von dieſen 271 Bauten mußten dem Berliner Polizeipräfidenten 39 wegen Verſtoß gegen die baupolizeilichen Verordnungen ge⸗ meldet werden, ferner dem Oberpräfidenten in otsdam 17 aus demſelben Grunde und der Sektion 1 Fälle, der Sektion II in Eberswalde 34 Fälle wegen Nichtbefolgung der Unfallverhütungsvorſchriften. Dieſe Meldungen wurden dankend entgegengenommen und Abhilfe verſprochen. Dabei waren im Rathaus in Charlottenburg — da bitte ich, das mit anzuhören! — am 5. Mai 1903 drei Etagen nicht abgedeckt gefunden worden. Die Gefahr, zu verunglücken, beſtand auf dieſem ſtädtiſchen Bau in hohem Maße. Der Polier entſchuldigte dieſes Verhalten mit dem Mangel an Rüſtbrettern. Auch Sicherheitsgurte waren nicht genügend vorhanden. Daß mehrere ſchwere Unfälle nicht bloß bei unſerem Rathausbau vorgekommen ſind, wiſſen Sie ja; ſie ſind ebenſo vorgekommen beim Krankenhausneubau, beim Abbruch der Flora, beim Abbruch der Warten⸗ bergſchen Villa und leider noch in vielen anderen ällen, Noch am vergangenen Sonntag brachte die Eharlottenburger „Neue Zeit“ in der erſten Beilage folgende Mitteilnng: Bannnfall. Der 53 Jahre alte Maurer Siegfried Adameck iſt am Freitag nachmittag, als er an einer Zwiſchenwand in einem Laden des Hauſes Kantſtraße 38a mauerte, mit einem Gerüſtbrett durchgebrochen und eine Etage tief abgeſtürzt. Er wurde nach der Rettungswache gebracht, woſelbſt eine ſchwere Gehirnerſchütterun und ein Beckenbruch feſtgeſtellt wurde. Na Anlegung eines Notverbandes konnte der Ver⸗ letzte nach ſeiner Wohnung gebracht werden. Das iſt noch geſchehen, nachdem die heutige Tages⸗ ordnung ſchon feſtgeſetzt war. 1. Im Februar 1904 haben die Bauarbeiter eine weitere Baukontrolle über 204 Rohbauten und 217 Ausbauten in Berlin und Umgegend vorgenommen. Hier waren dem Polizeipräſidenien allein 56 Fälle