—— 230 ——— modernen Kriegführung für ein mörderiſches Gemetzel ſtattfindet, wir wir das ja im jetzigen Feldzug haben mitanſehen müſſen, dann werden Sie die Notwendig⸗ keit eines ſolchen Vorgehens einſehen. Ich will damit nur demonſtrieren, ein wie großes Intereſſe der Staat an dieſen Dingen hat, daß es alſo auch die Pflicht des Staates iſt, für ſeine Bürger in jeder Beziehung zu ſorgen. Wie läßt es ſich denn auch anders erklaren, daß der Staat ſeine Söhne für ſeine Zwecke in Anſpruch nimmt, wenn er nichts für die Heranbildung dieſer Söhne, für die Erhaltung des Geſchlechts tut. Sie ſehen alſo deutlich, um was für eine eminent ſoziale Frage es ſich hier handelt, und daß der Staat kein loſes Gebilde von Indi⸗ viduen ſein kann, ſondern daß alle miteinander ver⸗ bunden ſind — alle für einen, einer für alle. Jeder hat ein Intereſſe am Staat, der Staat hat Intereſſe an dem einzelnen Individuum. Ich habe Ihnen nur an dieſem Beiſpiel zeigen wollen, daß es ſich hier garnicht etwa um Armen⸗ unterſtützung handeln würde, ſondern daß wir aus eigenem Intereſſe die Mütter bitten müßten, von uns den Zuſchuß anzunehmen. Die Mütter ſollen uns nicht kommen und werden uns nicht kommen; ſie denken auch garnicht daran, ſoviel Stolz iſt in jeder Mutter Bruſt, daß ſie uns nicht um eine Unter⸗ ſtützung kommen würden, ſo daß der Mann vielleicht die öffentlichen Rechte verliert, lieber ernähren ſie die Säuglinge ſo gut oder ſo ſchlecht, wie ſie eben können. Aber wir müſſen der Mutter kommen. müſſen ſie bitten, die Kinder ſelbſt zu nähren, wenn ſie irgend kann, und müſſen für den Schaden, den ſie hat, aufzukommen ſuchen. Das iſt eine Politik, welche ſegensreich ſein würde und welche allerdings größere, erſprießlichere Folgen hätte, als wenn man große Feſte feiert, höfiſche Zeremonien veranſtaltet, die ja ſehr glänzend nach außen ſein mögen, womit aber nie⸗ mandem gedient iſt. Ich habe ſchon erwähnt, daß wir den Antrag ſtellen werden — ich werde ihn nachher formulieren —, Mittel auszuwerfen zur Unterſtützung von Schwan⸗ geren und zum Erſatz für den entgangenen Erwer b der Mütter, welche ſtillen könnten. Wie wichtig dieſe Frage iſt, möchte ich Ihnen auch noch demonſtrieren an der Monatsüberſicht des ſtatiſtiſchen Amts über den Monat Dezember vom 21. Januar 1905. Da heißt es: Die auf 1000 Ein⸗ wohner entfallende Zahl der Geburten iſt wieder herabgegangen, ſie iſt gleich 22,27; ihr Wert war in den Jahren 1900 bis 1903: 26,3, 25,3, 24,1. 23.1, iſt alſo beſtändig gefallen, während im Jahre 1875 in Charlottenburg noch 49,7 Geburten auf 1000 Ein⸗ wohner kumen. — Nun will ich ja zugeben, daß das nicht allein an der Abnahme der Geburten über⸗ haupt liegt, ſondern zum Teil an der Veränderung des Charakters unſerer Bevölkerung. Wir hatten ja den Zuzug von wohlhabenden, reichen Leuten, auch wohl infolgedeſſen vielfach älteren Leuten, die alſo keinen Nachwuchs mehr zu erwarten haben, während auch die jüngeren reicheren Leute gewöhnlich weniger Kinder zu bekommen pflegen, als die armen Leute. Alſo ein Teil dieſes Verhältniſſes iſt dadurch zu er⸗ klären; aber es hat doch immer eine wirkliche Ver⸗ minderung ſtatigefunden, und wenn das ſo iſt, dann iſt es durchaus nötig — ich will nicht ſagen, daß wir jetzt eine Prämie ausſetzen ſollen auf die Kinder⸗ erzeugung, wie das ja im Altertum vorkam und in Frankreich wohl zeitweilig auch geſchehen iſt — aber daß wir dafür etwas tun, daß die bereits entſtan⸗ denen Individuen nicht elend zu Grunde gehen. Das iſt unſere dringende Verpflichtung. In den letzten Jahren iſt eine merkliche Abnahme des natürlichen Wachstums dieſer Stadt zu verzeichnen. Im Jahre 1891 war auf je 10000 Einwohner ein Geburlen⸗ überſchuß von 165 gegenüber den Geſtorbenen vor⸗ handen, während 1904 nur noch ein Geburtenüberſchuß von 79 vorhanden iſt. Das ſind doch ganz gewaltig ſprechende Zahlen! Nun möchte ich mich noch zu der vorliegenden Frage über einige Punkte äußern. In der Kom⸗ miſſion war z. B. die Rede von einer Milchproduktiv⸗ genoſſenſchaft, die ſich in Charlottenburg gebildet und dei uns den Antrag geſtellt hat, die Milch von ihr zu beziehen, mit dem Rechte, die Milchbereitung zu fontrollieren. Ich hielt dies für ein außer⸗ ordentlich nützliches und wichtiges Angebot, habe auch Zuſtimmung bei anderen Mitgliedern der Kommiſſion gefunden. Indeſſen verlautet hier über dieſe Sache nicht das Geringſte. Ich möchte mir doch die An⸗ frage erlauben, was aus dieſer Sache werden ſoll, ob ſie ganz ad acta gelegt iſt, oder ob wir erwarten können, daß dies Projekt noch weiter auf die Tages⸗ ordnung kommen wird. Ich frage überhaupt an, ob die Kommiſſion aufgelöſt iſt, oder ob wir noch weitere Sitzungen haben werden. Meines Wiſſens iſt die Kommiffion in der Idee auseinander gegangen, daß noch weitere Tagungen folgen werden, während jetzt plötzlich ohne nochmalige Beratung dieſe doch an ſich ſehr kleine Vorlage gekommen iſt. Bezüglich der Einzelheiten möchte ich noch fragen, wie es ſich mit der Stelle in der Kirchſtraße ver⸗ hält. Zuerſt war die Rede davon, daß eine der Ordinationsſtellen, der Fürſorgeſtellen für Säuglinge in dem Wöchnerinnenheim in der Kirchſtraße Platz finden ſollte. Das iſt jetzt nach der Vorlage fallen gelaſſen; es handelt ſich da kurz nur um drei Stellen, außer der Stelle des Vaterländiſchen Frauenvereins. Ich möchte daher fragen, warum von dieſer Stelle abgeſehen worden iſt. In Bezug auf die Milchkontrolle wollte ich mich ebenſo äußern, wie das bereits Herr Kollege Spiegel getan hat. Gegen die Vermittelung des Armen⸗ kommiſſionsvorſtehers bei der villigeren Lieferung an Unbemittelte möchte ich mich ebenfalls wenden. Alles, was in das Armenreſſort fällt, hat eben ein gewiſſes Odium an ſich und erſchwert den ganzen Gang. Warum ſollen wir den Leuten, welche notoriſch arm ſind und dieſen Preis nicht zahlen können, es ſchwer machen? Dann wird ihnen ſchließlich die ganze Geſchichte langweilig, und ſie laſſen es lieber ganz. Ich glaube, ſoviel Menſchenkenntnis müſſen wir ſchon den Arzten und Pflegeſchweſtern zutrauen, um über die Bedürftigkeit ſelbſt entſcheiden zu können. Unſere Beſtimmungen müſſen ſo wenig umſtändlich wie möglich ſein. 7 Ich möchte alſo dieſen Antrag, wie er hier ge⸗ ſtellt iſt, bis auf einige Kleinigkeiten unterſtützen, möchte ſeine Annahme befürworten, andererſeits aber bitten, daß wir bald eine weitere Vorlage in dieſem Sinne erhalten und ſtelle hiermit den Antrag, ſchon für das laufende Jahr 30 000 % für Schwangere und für Mütter, welche event. ſtillen könnten, aus dem Dispoſitionsfonds zu entnehmen und in den Etat für das nächſte Jahr eine entſprechend höhere Summe einzuſtellen. Vorſteher Roſenberg: Haben Sie Ihren Antrag ſchriftlich formuliert, Herr Dr. Zepler? (Stadtv. Dr. Zepler: Nein.) Es würde mir angenehm ſein, wenn Sie ihn mir ſchriftlich einreichen wollten.