—— 2983 — Der Antrag lautet: — Wir ſtellen den Antrag, für das laufende Jahr zum Zwecke der Beihilfen für unbe⸗ mittelte Schwangere und zur Entſchädigung für ſtillende Mütter für Ausfall an Arbeits⸗ verdienſt einen Betrag von 30 000 ℳ aus dem Dispoſitionsfonds zu nehmen und eine ent⸗ ſprechend höhere Summe für das nächſte Jahr in den Etat einzuſtellen. Zepler, G. Scharnberg, Dörre, Mickler, Sellin, Liebe, Jander, Vogel, Hirſch. Antragſteller Stadtv. Dr. Zepler: Meine Herren, ich muß bedauern, daß ich in ſo weit vorgeſchrittener Zeit hier ſprechen muß. Indeß iſt der Antrag meines Erachtens ſo wichtig, daß ich Sie bitte, mir ein bischen Gehör zu leihen. M. H., ich müßte alles das wiederholen, was ich bereits geſagt habe, als ich meinen Antrag ein⸗ brachte, wenn ich noch einmal darauf aufmerkſam machen wollte, wie die Geſamtheit ein Intereſſe an dem hat, wovon hier die Rede iſt, an der Unter⸗ ſtützung der unbemittelten Schwangeren und ſolcher unbemittelten Mütter, welche ſtillen möchten, aber daran verhindert ſind, weil ſie auf Arbeit gehen müſſen. In der Kommiſſion wurden dieſe und andere Punkte bereits zur Sprache gebracht. Wir haben aber da wenig Gehör gefunden. Teilweiſe iſt über dieſe Gegenſtände überhaupt nicht recht debattiert worden, teilweiſe ſind ſie abgelehnt worden, wie ſpeziell der Antrag, für den ich jetzt ſpreche. Wir ſind daher gezwungen, da wir die Gegenſtände nicht durchaus fallen laſſen wollen und können, einzelne Anträge zu ſtellen. Der Herr Bürgermeiſter hat gelegentlich der ſ Beratung in der vorigen Sitzung bereits ſeine Auf⸗ faſſung gegenüber meinem Antrag zur Geltung ge⸗ bracht. Er wollte ſich über den Antrag noch nicht ausführlich äußern, 20 aber davon, daß die von mir geäußerte Auffaſſung nicht die richtige ſei und daß unbemittelten Schwangern und unbemittelten Müttern, denen Unterſtützung zukommen ſollte, die altgewohnte, ich möchte ſagen mancheſterliche Auf⸗ faſſung entgegengebracht werden müſſe. Der Herr Bürgermeiſter behauptete, die Sache müßte ſo aufge⸗ faßt werden, daß jeder die Verantwortung für die Erziehung der Kinder ſelbſt zu tragen habe, und daß, wenn es doch einmal notwendig wäre, eine Unter⸗ ſtützung zu gewähren, wir dann in der gewohnten Weiſe eine Armenunterſtützung erteilen könnten. Aber, meine Herren, das iſt ja gerade das, weshalb wir mit einem beſonderen Antrage kommen. Dieſe Auf⸗ faſſung, die der Herr Bürgermeiſter ausgeſprochen hat, iſt eben der ſpringende Punkt, um den wir nicht herumkommen, iſt das trennende Moment zwiſchen ihm und vielen auf der bürgerlichen Seite dieſes Hauſes und uns. Wir wollen nicht Wohltaten für ſolche Fälle! Wir ſind der Anſchauung, daß derartige Inſtitutionen als ſoziale Aufgaben Ver⸗ pflichtung des Staates und wenn, wie es ja hier leider der Fall iſt, der Staat nicht eingreift, wenig⸗ ſtens moraliſche Verpflichtung der Städte ſelbſt ſein ollten. Fragen wir uns doch: woher kommt denn dieſe Armut? woher kommt denn die Notwendigkeit, daß Frauen, die ſtillen könnten, außer dem Hauſe gehen müſſen, um zu arbeiten, während ſie die natür⸗ lichſte Pflicht nicht erfüllen können? Dieſe Prole⸗ 4 kommt von der kapitaliſtiſchen Wirtſchafts⸗ weiſe, es die Folge unſeres geſellſchaftlichen Syſtems! Wir können nicht ſagen, daß dieſe rmut und dieſe Dürftigkeit eigene Schuld derer iſt, um die es ſich handelt, in die ſie gekommen ſind etwa durch Faul⸗ heit, dadurch daß ſie nicht arbeiten wollen, durch Arbeitsſcheu, oder daß ſie nicht an der richtigen Stelle geſpart haben. Derartige Verarmung kommt gewiß vor; ſie kommt aber hauptſächlich gerade in den mittleren Schichten vor, wo Leute über die Ver⸗ hältniſſe leben uſw. Um ſolche Fälle handelt es ſich hier nicht! Hier handelt es ſich um Fälle ausge⸗ dehnteſter Art. Die großen breiten Maſſen ſind ein⸗ fach durch unſere geſellſchaftlichen Einrichtungen außer ſtande, jemals auch nur zum geringſten Wohl⸗ ſtand zu kommen, es iſt ihnen direkt unmöglich ge⸗ macht! Das müſſen wir erwägen, wenn wir über die Frage entſcheiden wollen, und wenn wir darüber entſcheiden wollen, ob eventuelle Unterſtützungen als Armenunterſtützungen aufzufaſſen ſind oder als ein rechtlicher Anſpruch, den wir Unterſtützungsbedürftigen an wollen. Wir müſſen uns immer vor ugen halten, wie ich ſchon angedeutet habe, daß durch dieſe Verpowerung der Maſſen, durch das Elend großer weiter Kreiſe die Geſellſchaft ſelbſt Schaden leidet. Ich möchte die Frage an Sie richten: können Sie beſtreiten, daß die Proletariſierung die Folge des kapitaliſtiſchen Syſtems iſt?! Sie können viel⸗ leicht die Zweckmäßigkeit und Durchführbarkeit des Sozialismus, den wir als Heilmittel gegen die Pro⸗ letariſierung vorſchlagen, bezweifeln — das können Sie, wenn Sie wollen —; aber kein denkender Menſch kann heute noch die Proletariſierung mit allen ihren Einzelerſcheinungen als die Folge des Kapitalismus in Zweifel ziehen. Wenn dem aber ſo iſt, und wenn Sie doch den Sozialismus als Ganzes nicht wollen, wenn Sie aber auch anderer⸗ eits nicht wollen, daß das Volk in ſeiner Geſamt⸗ heit geſundheitlich, infolgedeſſen moraliſch untergeht, entartet, dann liegt es auf der Hand, dann müſſen Sie notgedrungen dafür eintreten, daß etwas ge⸗ ſchieht: Sie müſſen für ſoziale Reformen ſein! Das iſt keine Frage des Wollens, ſondern eine Frage der Notwendigkeit, der Einſicht. In einer Deputationsſitzung iſt auf einer Seite des Magiſtrats ſogar geäußert worden, das ſei der neueſte Sport. Ja, meine Herren, von Sport haben wir heute ſchon geſprochen. Es gibt alle möglichen Sports. Der Sport wird von den Beſitzenden, von den höchſten Kreiſen getragen. Wir ſprachen heute ſchon von dem Automobilſport. Die Reichen ſcheuen ſich nicht, über die Leichen ihrer Nebenmenſchen hin⸗ weg ſich zu amüſieren. Das iſt Sport! Und das iſt Sport, daß heute immer wieder Feſte gefeiert werden, wozu wir auch in letzter Zeit beigetragen haben. Und das iſt Sport: das Streben nach Titeln, Orden und Ehren — das kann man alles Sport nennen, und höchſt überflüſſigen Sport! Aber eine derartige ſoziale Notwendigkeit, derartige Vorſchläge als Sport zu bezeichnen — da weiß ich nicht, was man dazu ſagen ſol Im übrigen möchte ich nur bemerken, daß wir die Forderung, die unſer Antrag hier begreift, durch⸗ aus nicht allein ſtellen. Die Forderung iſt auch von bürgerlichen Elementen geſtellt worden, ſo beiſpiels⸗ Genſe von einer Gruppe der Frauenrechtlerinnen. Aber wir Sozialdemokraten haben es gelernt, be⸗ ſcheiden zu ſein. (Heiterkeit. Stadtv. Dr. v. Liszt: Höchſte Zeit!) Wir wollen vorläufig mit dieſer und jener Abſchlags⸗ zahlung zufrieden ſein. Wir gehen mit dem bürger⸗ lichen Vorſchlag und ſind ganz zufrieden, wenn wir etwas Konkretes hier und da erreichen. Sie werden