—— 318 — — wenn der Augenblick gekommen iſt, daß 80000 Stück Borſtenvieh über die Grenze kommen. Aber recht bezeichnend iſt der Gedanke, der auch von dem Herrn Landwirtſchaftsminiſter ausgeſprochen iſt: Wir können die Grenzſperre nicht aufheben, denn, wenn Borſtenvieh eingeführt wird, iſt Seuchengefahr vorhanden. Aber wenn es über die bayriſche und ſächſiſche Grenze eingeführt iſt, dann iſt keine Gefahr! Das Kontingent von Oſterreich darf nur über die bayriſche oder ſächſiſche Grenze geführt werden. Daraus iſt evident zu ſehen, wie wenig ernſt der Hinweis auf die Seuchengefahr zu nehmen iſt. Was nun den geſtellten Antrag betrifft, ſo unter⸗ ſcheidet ſich unſer Antrag von ihm dadurch, daß wir uns gegenüber den Sozialdemokraten bemühen, Er⸗ reichbares in die Wirklichkeit umzuſetzen und nicht aus Agitationszwecken viele Worte in die Offent⸗ lichkeit zu werfen. Wir beſchäftigen uns gefliſſentlich gerade mit dem, was wir als erreichbar und wünſchens⸗ wert und, wie Herr Kollege Baake ſelbſt ſagt, als nützlich bezeichnen müſſen: die kontingentierte Einfuhr, die vom März 1906 an eintreten ſoll, ſofort ein⸗ treten zu laſſen, damit wenigſtens jene Länderſtriche verſorgt ſind, wohin dieſe erlaubte Einfuhr nach Deutſchland führen würde. Der Antrag in bezug auf die gemiſchte Depu⸗ tation könnte in der veränderten Form für mich annehmbar ſein, während der Antrag in der erſten Form, Fleiſchereien zu errichten, für mich nicht an⸗ nehmbar iſt. In dieſem Sinne würde mir auch die Anregung des Herrn Kollegen Vogel ganz von Herzen kommen; denn gerade das Aufziehen von Schweinen wäre eine Konkurrenz gegen die Agrarier. Wenn die Städte Schweine aufziehen würden, dann würden ſie eine Einwirkung auf die Fleiſchpreiſe haben. Ich bitte Sie, meinen Antrag anzunehmen und auch für den Antrag zu ſtimmen, den Herr Kollege Baake abgeändert hat, auf Einſetzung einer gemiſchten Deputation zur Beratung über Maßregeln zur Herbei⸗ führung billiger Fleiſchpreiſe. Vorſteher Roſenberg: Herr Stadtv. Kaufmann, Sie haben das Wort „agitatoriſche Anträge“ doch wohl in bezug auf die Anträge Borchardt und Gen. gebraucht. In dieſem Sinne muß ich die Bezeichnung für unzuläſſig erklären. Stadto. Dr. Zepler (perſönliche Bemerkung) Herr Stadtv. Kaufmann hat von dem Tone ge⸗ ſprochen, den ich gebraucht habe. Ich will bemerken: wenn ich mich von meiner Entrüſtung habe hinreißen laſſen durch das Vorgehen der Agrarier und der Regierung, ſo wird es auch wohl jeder verſtanden haben in dieſer Verſammlung. Wenn ſich jemand aber darauf beſchränkt, nur formell — (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Roſenberg (unterbrechend): Das iſt jetzt keine perſönliche Bemerkung mehr. Stadtv. Dr. Zepler (fortfahrend): Dann habe ich nichts weiter zu bemerken. Vorſteher Roſenberg: Wir kommen zur Ab⸗ ſtimmung, und zwar zunächſt über den Antrag Kauf⸗ mann und Gen.: Die Stadtverordnetenverſammlung wolle beſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen: im Petitionswege geeigneten Ortes vorſtellig zu werden behufs zeitweiliger Aufhebung der Grenzſperre für die Einführung lebenden Schlachtviehes unter Wahrung der veterinären Vorſichtsmaßregeln. Wird dieſer Antrag angenommen, ſo fällt der Antrag Borchardt und Gen. zu 1, und ich werde ſodann abſtimmen laſſen über den Antrag Borchardt und Gen. zu 2 und 3: Die Stadtverordnetenverſammlung beſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen: 2. bei den Reichs⸗ und Landesbehörden vor⸗ ſtellig zu werden zwecks Aufhebung der Vieh⸗ zölle, der Zölle auf Fleiſch, Fleiſchwaren und Futterſtoffe ſowie der Einfuhrverbote für überſeeiſches Fleiſch und Fleiſchwaren; 3. in gemiſchter Deputation mit der Verſamm⸗ lung über die Maßnahmen zur Verhütung einer zukünftigen, die Ernährung und die Geſundheit der Bevölkerung ſchädigenden Fleiſchteuerung, beſonders über die Errichtung einer ſtädtiſchen Großſchlächterei mit ſtädtiſchen Verkaufsſtellen zu beraten. Wird der Antrag zu 3 abgelehnt, ſo würde ſchließ⸗ lich der Antrag Baake zur Abſtimmung kommen: Die Stadtverordnetenverſammlung wolle beſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen, mit der Verſammlung in Beratung in ge⸗ miſchter Deputation darüber zu treten, auf welche Weiſe, abgeſehen von der zeitweiligen Aufhebung der Grenzſperre, der Bevölkerung Charlottenburgs gutes und billiges Fleiſch in genügender Menge verſchafft werden kann. wolle Stadtu. Baake (zur Frageſtellung): Ich möchte den Herrn Vorſteher bitten, die Abſtimmung etwas anders vornehmen zu wollen. Wird nämlich zunächſt über den Antrag der Lieberalen abgeſtimmt, ſo würden wir, weil unſer Antrag weiter geht, dagegen ſtimmen müſſen. Wird dagegen zunächſt über unſern Antrag, der weiter geht, abgeſtimmt, ſo bleibt uns, wenn er abgelehnt wird, doch noch die Möglichkeit, für den Antrag der Liberalen zu ſtimmen. (Sehr richtig!) Vorſteher Roſenberg: Es erſchallt von allen Seiten der Ruf „Sehr richtig!“ Ich kann mich aber doch nicht dieſer Auffaſſung anſchließen, und zwar deshalb, weil der Antrag Borchardt und Gen. drei verſchiedene Dinge enthält: Offnung der Grenzen, Aufhebung der Vieh⸗ und Fleiſchzölle und Beſchaffung von geſundem und billigem Fleiſch. Ich laſſe des⸗ halb meiner Auffaſſung nach richtiger zunächſt über den Antrag Kaufmann und Gen. abſtimmen; iſt dieſer angenommen, dann fällt doch die Poſition des Antrages Borchardt und Gen. zu 1. Aber ich kann auch zuerſt über den Antrag Borchardt zu 2 ab⸗ ſtimmen laſſen: Die Stadtverordnetenverſammlung wolle beſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen: bei den Reichs⸗ und Landesbehörden vor⸗ ſtellig zu werden zwecks Aufhebung der Vieh⸗ zölle, der Zölle auf Fleiſch, Fleiſchwaren und Futterſtoffe ſowie der Einfuhrverbote für überſeeiſches Fleiſch und Fleiſchwaren. Sodann laſſe ich abſtimmen über den letztverleſenen Antrag des Herrn Stadtv. Baake: Die Stadtverordnetenverſammlung wolle beſchließen, den Magiſtrat zu erſuchen: mit der Verſammlung in Beratung in ge⸗ miſchter Deputation darüber zu treten, auf welche Weiſe, abgeſehen von zeitweiliger Auf⸗