— 323 Der Herr Oberbürgermeiſter hat dann nicht nur einmal, ſondern mehrfach betont, daß man gegen dieſe Vorlage als Grund anführt, daß dieſe Ver⸗ einigung für die kirchliche Fürſorge die Gelder ver⸗ wenden wolle „lediglich im kirchlichen Sinne“. „Ledig⸗ lich“ ſagte er an der einen Stelle, und „durchaus“ ſagte er an einer zweiten Stelle, „durchaus zur kirchlichen Fürſorge“. Nun, in der vorhergehenden Debatte iſt das von keiner Seite betont und behauptet worden. Der Herr Oberbürgermeiſter muß ſehr wenig gut gehört haben, wenn er aus meinen Worten hat heraushören wollen, daß ich ausgeführt hätte, die Vereinigung wolle dies Geld verwenden, ledig⸗ lich“ oder „durchaus zur kirchlichen Fürſorge“ ſondern ich habe klar und deutlich geſagt, daß die Vereinigung ihren Antrag empfehle, und daß der Magiſtrat den Antrag empfehle durchaus mit der Begründung, daß es ſich um Zwecke ſozialer Fürſorge handelt. Aber mit dieſer ſozialen Fürſorge geht auch die kirchliche Hand in Hand, und auch das geht aus der Vorlage des Magiſtrats klar hervor. Der Herr Oberbürger⸗ meiſter wird doch wohl nicht behaupten wollen, daß die „Vereinigung zur kirchlichen Fürſorge“ die kirch⸗ liche Fürſorge überhaupt nicht betreiben will. Und außerdem iſt ausdrücklich mitgeteilt worden, daß das Geld benutzt werden ſoll auch zur Errichtung eines Kirchenhortes für die von den Schiffern mitgeführten Kinder, und, meine Herren, aus dem Grunde, weil wir es für unſtatthaft halten, ſtädtiſche Gelder auch zu kirchlichen Zwecken zu verwenden, müſſen wir Sie grundſätzlich um Ablehnung der Voriage bitten. Der Herr Oberbürgermeiſter meint zwar, es ſei das engherzig. Nun, meine Herren, engherzig mag es ſein, Grundſätze zu haben. Ich will den Vorwurf der Engherzigkeit ſehr viel lieber in den Kauf nehmen als den Vorwurf der Grundſatzloſigkeit. Der Herr Oberbürgermeiſter hat auch vollkommen recht, wenn er unter Hinweis auf die Partei, der ich angehöre, durchblicken ließ, daß in dieſer Partei Grundſätze herrſchen, und daß dieſe Partei für diejenigen, die keine Grundſätze haben, keinen Raum hat Man kann vielleicht Oberbürgermeiſter ſein, wenn man grundſatzlos iſt, aber Vertreter der ſozialdemokratiſchen Partei kann man dann nicht ſein. (Stadtv. Baake: Sehr gut!) Soweit alſo darin ein Vorwurf liegen ſollte, will ich ihn gern hinnehmen. Ein Wort noch zu dem Antrage des Herrn Kollegen Penzig auf Ausſchußberatung! Ich habe bei meiner Befürwortung der Ablehnung der Vorlage nicht weiter hingewieſen auf die Art der ſozialen Fürſorge, die dieſe Vereinigung betreiben will, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil für meine Freunde eine Bewilligung auch nach einer noch ſo eingehenden Ausſchußberatung gar nicht in Frage kommen kann. Und eben aus dieſem prinzipiellen Grunde möchte ich auch den Herrn Kollegen Penzig bitten, ſeinen Antrag doch zu einem Eventualantrag nur zu machen, ſeinen Antrag auf Ausſchußberatung über⸗ haupt zurückzuziehen. Herr Kollege Penzig hat auch nicht ein Wort angeführt, das irgendwie gegen die grund⸗ ſätzliche Ablehnung ſprechen könnte, ſondern Herr Kollege Penzig hat nur ausgeführt, daß eventualiter, wenn man überhaupt mit dem Gedanken einer Be⸗ willigung ſich vertraut machen wollte, dann unbedingt näher zugeſehen werden müſſe, was für Leſeſtoff 2c. dort geboten werde, in welcher Weiſe überhaupt dieſe Vereimigung ſich betätige. Das iſt alles ganz richtig. Das alles kann aber nur in Frage kommen, wenn man keine grundſätzlichen Bedenken gegen die Ver⸗ wendung ſtädtiſcher Gelder zu kirchlichen Zwecken erhebt. In den Ausführungen des Herrn Kollegen Penzig glaube ich aber ſolche grundſätzlichen Bedenken ebenfalls erkennen zu können, und deswegen möchte ich an ihn und ſeine Freunde die Bitte rrichten, in Erwägung dieſer grundſätzlichen Schwierigkeiten die Vorlage abzulehnen. Stadtv. Dr. Penzig: Ich habe vorhin recht deutlich geſagt: meine Herren, wenn Sie nicht nach dem Antrage meines Herrn Vorredners die ganze Sache ablehnen wollen, dann bitte ich Sie, ſie dem Ausſchuß zu überweiſen. Herr Kollege Borchardt hat alſo ganz richtig gehört, daß mein Antrag auf Ausſchußberatnng nur ein Cventualantrag iſt, für den Fall die Ablehnung nicht beſchloſſen würde. Ich hatte im übrigen mich zum Wort gemeldet, um die Herren von noch weiter links gegen die Vorwürfe des Herrn Oberbürgermeiſters von Eng⸗ herzigkeit und Kurzſichtigkeit und Herzensverkalkung etwas zu verteidigen. Aber nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Borchardt fühle ich mich dazu nicht mehr imſtande; ich bin dagegen ja doch nur ein Waiſenknabe. (Heiterkeit.) Ich will aber meine eigene Stellung vor dem Mißverſtändnis auch ſichern, als ob irgendwelche radikale Kirchenfeindſchaft hier auch mitſpräche. Das würde ja auch eine Art Herzensverkalkung ſein. Das iſt keineswegs der Fall. Ich meine, wenn ſich die Kirche auf das ſoziale Gebiet begibt, ſo hat ſie meinen vollen Beifall und Segen. Die Kirche ſollte dann freilich ſo freundlich ſein, aus ihren eigenen Mitteln ſolche Veranſtaltungen zu beſtreiten. (Sehr richtig!) Daß ſie ſich an die Bevölkerung wendet, iſt ihr traditionelles Recht: die Kirche hat von jeher aus dem Beutel der Laien gelebt. Aber daß ſie an die Städte herangeht und ſtädtiſches Geld haben will, damit ſie nachher ſagen kann: „Seht, was wir von der Kirche für außerordentlich ſegensreiche Veranſtaltungen getroffen haben!“ — das iſt Schaum⸗ ſchlägerei, und dazu möchte ich nicht beitragen. Der Herr Oberbürgermeiſter meinte, die ſoziale Fürſorge der Herren wäre ſo hervorragend, daß man ihre kirchliche Fürſorge ruhig mit „in Kauf nehmen“ könnte. Er hat ſich zwar nicht ſo roh ausgedrückt. Nun, wenn ihm die ſozialen Beſtre⸗ bungen für die Flußſchiffer ſo die Hauptſache waren, ſo möchte ich fragen: warum hat er denn im Jahre 1904 den Antrag auf Linderung der Not unter den Flußſchiffern abgelehnt — wie aus den Akten zu erſehen iſt —? Dieſer Antrag zur Linderung der Not unter den Flußſchiffern iſt abgelehnt worden! Dieſer Antrag war aber nicht verquickt mit kirchlichen Dingen. Wenn Sie alſo den Antrag des Magiſtrats nicht ſofort ablehnen wollen, bitte ich, ihn einem Aus⸗ ſchuß zu überweiſen. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Wenn man den grundſatzvollen Herrn Dr. Borchardt hört und ſieht, wie alles ſchweigt in der Verſammlung, dann könnte man wirklich auf den Gedanken kommen, als ob wir alle diejenigen Leute, die kirchlich geſinnt find, als mit einer Peſtbeule behaftet anſehen müſſen. (Widerſpruch.) Ich möchte mich gegen dieſe Anſicht wenden. Wenn ſie hier in der Verſammlung unwiderſprochen bleibt, muß ich ihr widerſprechen.