—— 324 — Wir ſtehen im Magiſtrat nicht auf dem Stand⸗ punkt, daß die Anregung, weil ſie von ſeiten der Kirche kommt, abgelehnt werden müſſe. Aus dieſem Grunde kann ich den Grundſätzen des Herrn Dr. Borchardt ebenſo wenig Folge geben wie allen ſeinen übrigen Grundſätzen, die er hat. Wenn er mich des⸗ halb als einen grundſatzloſen Mann anfieht, ſo iſt es für mich eine Ehre, von ihm ſo genannt zu werden. Dem ſozialdemokratiſchen Grundſatze, nach welchem dieſe alles bekämpfen, was von der Kirche ausgeht, auch wenn es gut iſt, kann ich nicht huldigen. (Stadtv. Baake: Wir ſind hier nicht im Herren⸗ hanſe!) Ich möchte aber gerade diejenigen Herren, die hier in der Verſammlung ſitzen und nicht auf dem Boden ſtehen, daß ſie allcs das, was von der Kirche aus⸗ geht, unterſchiedslos verdammen, bitten, ſich zuſam⸗ menzuſchließen (ſehr gut! bei der Freien Vereinigung) und dadurch, daß ſie für den Antrag ſtimmen. Proteſt zu erheben gegen ſolche Auffaſfung und zu bekunden, daß ſie dem Herrn Dr. Borchardt nicht zuſtimmen. (Sehr richti)! bei der Freien Vereinigung.) Vorſt.⸗Stellv. Kanfmann: Ich erlaube mir, dem Herrn Oberbürgermeiſter zu bemerken, daß ich als Vorſteher aus den Ausführungen des Herrn Stadtv. Dr. Borchardt nicht den Vorwurf gehört habe, der Magiſtrat ſei nicht kirchlich geſinut. Das lag nicht in den Ausführungen. Ferner habe ich den Ansdruck des Herrn Dr. Borchardt bezüglich der Grundſatzloſigkeit nicht auf den Herrn Oberbürgermeiſter beziehen können; denn dann hätte ich einſchreiten müſſen. Herr Dr. Bor⸗ chardt hat geſagt: es kann jemand nicht grundſatzlos ſein, der ſeiner Partei angehört. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: daß es verſchleiert war. Der offen auszuſprechen. (Stadtv. Baake: Das iſt aber doch unzuläſſig. daß Feigheit vorgeworfen wird.) Dieſer Ton, in dem Sie — die Herren Sozialdemo⸗ kfraten — hier verhandeln, iſt mit Entſchiedenheit zurückzuweiſen. Es iſt mir eben berichtet worden von Herrn Bürgermeiſter Matting, daß, während ich geſprochen habe, Herr Stadtv. Baake gerufen hat: „Wir ſind hier in einem Narrenhauſe!“ (Ruf des Stadw. Baake: Herrenhaus habe ich geſagt. — — Heiterkeit.) Meine Herren, da ſehen Sie den Mut! Wenn man mir an dem Platze, an dem ich ſtehe, ſo gegenüber⸗ tritt, dann ſage ich: dieſer Ton iſt unwürdig! (Stadtv. Baake meldet ſich zum Woit.) Vorſt.⸗Stellv. Kaufmann: Ih glaube, daß der Herr Oberbürgermeiſter in ſeinen Außerungen zu weit gegangen iſt, hier Mitgliedern der Stadtverord⸗ netenverſammlung Mangel an Mut vorzuwerfen. Ich glaube nicht, daß die ganze Verhandlung dazu Veranlafſung gegeben hat. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Ich bitte feſt⸗ zuſtellen, ob das richtig iſt, was mir berichtet worden iſt. Wenn der Ausdruck gefallen iſt: „Wir ſind hier im Narrenhauſe!“, dann iſt das ein umwürdiger Ton. Mir iſt das berichtet worden von einem Mitgliede des Magiſtrats, welches dieſes Wort gehört hat. (Stadtv. Baake: Ich denke, der Vorſteher hat hier das Recht!) Ich gebe zu, Mut hat gefehlt, es Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren, der Herr Oberbürgermeiſter hat ſich ſehr eifrig dagegen verwahrt, irgend einem der Grundſätze zu folgen und irgend einen der Grundſätze anzuerkennen, den ich als einen der Grundſätze nenne, denen ich folge. Zu dieſen Grundſätzen gehört unter anderen der der Aufrichtig⸗ keit und Wahrhafligkeit, namentlich der Aufrichtigkeit in der Polemik und der Diskuſſion. Wenn man zu dieſem Grundſatz ſich nicht bekennt, dann muß jede Diskuſſion vergiftet werden, und ich kann das Urteil darüber viellcicht der Verſammlung überlaſſen, inwieweit meine Ausführungen hier zu einer Vergif⸗ tung der Diskuſſion beitragen, inwieweit die Aus⸗ führungen des Herrn Oberbürgermeiſters. Vielleicht beſchuldigt er ſich dieſer Grundſatzloſigleit in zutref⸗ fender Weiſe. Ich will darüber kein Urteil abgeben. Zunächſt will ich noch annehmen, daß er ſich deſſen gar nicht bewußt iſt, weſſen er ſich eigentlich ſelbſt damit beſchuldigt. Im übrigen, meine Herren, wirft mir der Herr Oberbürgermeiſter — ich muß um Verzeihung bitten, daß ich dieſe rein perſönlichen Bemerkungen in der Diskuſſion voranſchicke, es iſt nicht meine Schuld — wirft mir Mangel an Mut vor, indem ich — einer Anrempelung, möchte ich nicht ſagen; ich möchte mich gern recht parlamentariſch ausdrücken — indem ich einem Hinweis auf meine Perſon gegenüber ohne meine Namensnennung, einem, wie der Herr Ober⸗ bürgermeiſter ſagen würde, verſchleierten Hinweis auf meine Perſon gegenüber geſagt habe: man kann pielleicht Oberbürgermeiſter ſein, ohne beſtimmte, feſte Grundſätze zu bekunden, nicht aber Vertreter der ſozialdemokratiſchen Partei. Ja. meine Herren, ich behaupte damit nicht und kann und will nicht be⸗ haupten, daß der Herr Oberbürgermeiſter in ſeinem Amte keine beſtimmten Grundſätze vertritt. Aber, meine Herren, das halle ich aufrecht: man kann vielleicht ſehr gut Oberbürgermeiſter ſein, ohne be⸗ ſimmte feſte Grundſätze zu vertreten; es gehört viel⸗ leicht zu den Vorzügen eines guten, tüchtigen Ober⸗ bürgermeiſters im modernen Preußen, grundſatzlos zu ſein; es gehört ſicher ni ht zu den Vorzügen des Vertreters einer großen politiſchen Partei. Wenn ich das in aller Klarheit ausſpreche, ſo weiß ich nicht, wie darin ein Mangel an Mut liegen ſoll. So viel zu der rein perſönlichen Sache. Ich hatte mich ſchon vor den letzten Ausführungen des Herrn Oberbürgermeiſters zum Worte gemeldet, lediglich um den Herrn Kollegen Dr. Penzig darauf aufmerkſam zu machen, daß. wenn ſein Antrag auf Ausſchußberatung auch ein Eventualantrag iſt, nach unſerer Geſchäftsordnung es doch unmöglich iſt. prinzipaliter abzuſtimmen über die Vorlage, wenn dieſer Ausſchußantrag vorliegt. Wird dieſer Antrag auf Beratung in einem Ausſchuſſe aufrechterhalten, dann muß zunächſt über den Ausſchußantrag abge⸗ ſtimmt werden, und es es wird dadurch die prinzi⸗ pielle Abſtimmung, die, wie ich mit Freude erſehen habe, auch Herr Kollege Dr. Penzig wünſcht, und in der er derſelben Auffaſſung mit mir iſt, verhindert. Schon aus dieſem Grunde möchte ich Herrn Kollegen Dr. Penzig bitten, den Antrag auf Ausſchußberatung zurückzuziehen. Noch ein kurzes Wort dann an den Herrn Ober⸗ bürgermeiſter — nicht perſönlicher Art, ſondern ſach⸗ licher Art! Der Herr Oberbürgermeiſter ſcheint — das kann man aus ſeiner Rede herausdeduzieren, herausleſen — ſcheint zu befürchten, daß, wenn der Antrag abgelehnt wird, damit auch eine Erklärung vorliegt, an dem weiteren Ausbau ſozialer Fürſorge