—— 346 — der Magiſtrat der Arbeit ſpendet, beſtätigt, ja über⸗ boten, indem er dieſe Monographie als Vorbild für andere Städtegeſchichten empfohlen hat. Dieſes Urteil können wir uns nicht zu eigen machen. Ich erkenne mit Herrn Kollegen Dr. Hubatſch durchaus an, daß es ſich in dieſen zwei Bänden um ein überaus fleißiges und gewiſſenhaftes Werk handelt. Mit wahrer Ameiſengeduld iſt in den Archiven nachge⸗ ſpürt worden; wo nur irgendwie einmal von Char⸗ lottenburg geſprochen wird, wir finden es in dem Werke verzeichnet. Aber, meine Herren, ich muß doch ſagen: das Buch iſt über den Charakter einer Anekdotenſamm⸗ lung nicht hinausgekommen. Es fehlen ihm die leitenden Geſichtspunkte. Man könnte z. B. als leitenden Geſichtspunkt für ein ſolches Buch auf⸗ ſtellen: „Alles, was aus Charlottenburg geworden iſt, verdankt es der Gunſt ſeiner Fürſten“. Das iſt ein Satz, den ich natürlich für falſch halte; aber esj Nun könnte man ja wäre doch ein leitender Satz. „divinatoriſchen nach der Vorrede, wo von dem Scharſblick Wilhelms des Zweiten“ (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten) die Rede iſt, bei dem Verfaſſer eine ſolche Abſicht vermuten; aber dieſe Abſicht iſt nicht einmal durch⸗ geführt, das Buch ift nichts als eine Sammlung von Material, das ziemlich wahllos und rein hiſto⸗ riſch geordnet zuſammengetragen iſt. Man mache die heutigen Geſchichtsſchreiber nicht ſchlechter, als ſie ſind, es gibt doch noch Leute in Deutſchland, die Geſchichte ſchreiben können; ich denke an Männer wie Lamprecht und Breyſig; aber dieſe Hiſtoriker gehen von leitenden Geſichtspunkten, vor allem von dem der wirtſchaftlichen Entwickelung aus. Hätte doch dieſer Gedanke auch unſern Hiſtorienſchreiber geleitet! Die Wirtſchaftsgeſchichte gerade Charlotten⸗ burgs iſt ja — das wiſſen die Herren alle ein wahres Muſterbeiſpiel dafür, wie die Stadt gearbeitet hat, wie ſie nur groß geworden iſt — die Stadt, die ins Leben gerufen iſt durch eine fürſtliche Laune! — nur groß geworden iſt durch den Fleiß und die Arbeit ihrer Einwohner. Und da ſcheint mir, daß dieſer Geſichtspunkt, der bei der Geſchichte der Stadt Charlottenburg gerade in die erſte Linie, in den Vordergrund geſtellt werden ſollte, bei dieſem Buche ganz bei Seite geblieben iſt. Auch hätte nicht unerwähnt bleiben dürfen, daß in unſerer Stadt nicht nur lauter Wonne und lauter Glanz vorhanden iſt, ja ſelbſt in einer Feſtſchrift hätte ich gewünſcht, daß auf die parties honteuses unſeres Gemeinweſens auch mit einem Worte hinge⸗ wieſen worden wäre. Aber wer nach Jahrhunderten dieſe Geſchichte lieſt, wird ſehr wenig darin von dem großen Maſſenelend geſagt finden, das auch in Char⸗ lottenburg vorhanden iſt, von der Wohnungsnot, von der Proſtitution. Mit keinem Worte wird in dieſem Buche hingewieſen auf die große Kulturarbeit der Arbeitervereine, auf die gewerkſchaftlichen Organiſa⸗ tionen mit ihren gar nicht hoch genug zu ſtellenden Leiſtungen. Statt deſſen finden wir hier und da die Marke aufgeklebt — für mich ein wenig abſicht⸗ lich —, die Marke der Verehrung für das Haus Hohenzollern. Aber nicht einmal ganz zu der Theſe bekennt ſich der Verfaſſer: „Charlottenburg iſt groß geworden durch die Gunſt der Hohenzollern!“ Dann hätte man ſich doch wenigſtens einen Augenblick den Gedanken vorlegen können, wie Charlottenburg eigentlich ausſehen würde, wenn es im Jahre 1548 dem Bürgertum gelungen wäre, die Einigung Deutſch⸗ lands gegen die Fürſten zuwege zu bringen. Alles das iſt es, was mich dazu bringt, mit dem Magiſtrat nicht übereinzuſtimmen, wenn er von einer außerordentlich tüchtigen wiſſenſchaftlichen Leiſtung des Verfaſſers ſpricht. Das Buch krankt daran, daß der anekdotiſche Teil ungemein weit ausgeſponnen iſt. Ich erinnere daran, wieviel Seiten dem Johann Chriſtian Gottfried Dreſſel, dem Prediger der Stadt, gewidmet ſind. Ich muß geſtehen, für mich iſt ein Verwaltungsbericht des Magiſtrats viel belehrender, viel mehr dem wirk⸗ lichen Leben angepaßt als dieſe Feſtſchrift, die nir⸗ gends anſtoßen will. Dabei iſt, was ich bei dieſer Gelegenheit doch auch erwähnen muß, Herrn Dr. Gundlach paſſiert, daß er die Feder zu früh aus der Hand gelegt hat. So hat er z. B. den Schulkonflikt noch ſo beurteilt, als ob es nicht zur Einigung zwiſchen Magiſtrat und Regierung kommen könne, weil die Regierung ja Anforderungen an den Magiſtrat ſtelle, denen der Magiſtrat niemals werde nachgeben können. (Heiterkeit.) Hier müßte eigentlich durch einen Nachtrag der hiſtoriſchen Wahrheit zu ihrem Rechte verholfen werden. (Heiterkeit.) Ich finde auch, daß der Stil des Buches eigent⸗ lich der Bedeutung der Aufgabe, wie ſie geſtellt war, nicht entſpricht. Es fehlt dieſem Stil ganz und gar die perſönliche Note. Nehmen Sie einen Mann wie Herrn von Treitſchke, mit dem ich in den meiſten Urteilen nicht übereinſtimme; aber was ſeine Bücher ſo leſenswert macht, iſt das ſtarke Temperament, das dahinter ſteckt, in jeder Zeile pulſiert. Aber wo haben Sie bei Herrn Dr. Gund⸗ lach und ſeinem Buche etwas von ſtarkem Tempera⸗ ment? Es iſt Laodicea, um mit der Bibel zu ſprechen, es iſt nicht warm, es iſt nicht kalt, es iſt lau. Wenn man ein ſolches Urteil, wie ich, über dieſes Buch fällt, wenn man vor allen Dingen ver⸗ mißt, daß die ſoziale, die Wirtſchaftsgeſchichte Char⸗ lottenburgs genügend behandelt iſt — ich erinnere nur an die Bodenpreisentwickelung, die Charlotten⸗ burg genommen hat, an den Handel mit Grund⸗ ſtücken, der gerade für Charlottenburg ſo außer⸗ ordentlich charatteriſtiſch iſt; nicht mit einem Worte ſind die Unterſuchungen des zu früh verſtorbenen Dr. Voigt über die Gegend am Kurfürſtendamm herangezogen — ich ſage: wenn ich alles das in Betracht ziehe, ſo komme ich zu dem Schluſſe: wir haben die Arbeit eines außerordentlich fleißigen Mannes vor uns, deſſen Begabung aber nicht ſo weit reicht, daß man ſein Werk als eine tüchtige wiſſenſchaftliche Arbeit bezeichnen könnte. Wir haben eine Arbeit vor uns, die 3. 3. 0 2 richtig bewertet worden iſt von Magiſtrat und Stadtverordneten⸗ verſammlung, als die Honorierung bemeſſen wurde nach den Grundſätzen, wonach ein Oberlehrer bezahlt wird. Meine Herren, ich will über die Oberlehrer nichts Böſes ſagen; ich habe in meinem eigenen Leben manchem Oberlehrer manches zu verdanken gehabt. (Heiterkeit.) Aber der Oberlehrer im allgemeinen ſtellt doch einen beſtimmten Typus im Geiſtesleben der Nation dar: es iſt eine gewiſſe Trockenheit in ihm verkörpert, eine gewiſſe Nüchternheit. Dies alles drückt ſich auch in dem Buche des Herrn Dr. Gundlach aus. Deswegen, meine ich, brauchen wir dem Herrn Dr. Gundlach dieſe 4000 Mk. nicht bewilligen „in