—— 357 — nötig iſt. Ich glaube daher, daß es der Aufmerkſam⸗ keit der ſtädtiſchen Behörden bedarf, damit die Säug⸗ lingsfürſorgeſtellen das wirklich werden, was wir damals bei ihrer Gründung beabſichtigt hatten. Es iſt ja richtig, daß die Sache damals ein bischen be⸗ ſchleunigt eingerichtet worden iſt und daß es viel⸗ leicht beſſer geweſen wäre, noch ein Jahr zu warten. Der Magiſtrat hat ſich aber von dem Gedanken leiten laſſen, daß die Sache reif iſt eingerichtet zu werden, und hat geſagt: wenn wir beſſere Erfahrungen machen, können wir ſpäter irgendwelche Mängel ab⸗ ſtellen. Ich glaube, wir haben ſchon einige Erfah⸗ rungen gemacht, die uns dringend zeigen, daß hier und da Abhilfe geſchafft werden muß. Ich will nicht beantragen, daß Sie eine weſentliche Anderung an den Vorſchlägen der Deputation vornehmen. Es iſt darin ſchon gezeigt worden, daß man manches anders haben will. Ich will nur am Schluſſe noch auf eine Sache hindeuten, die ich gern in die Vor⸗ ſchläge der Deputation hineinhaben möchte. Weil mit der Einrichtung zu ſchnell vorgegangen iſt, deshalb kommt es wohl auch, daß faſt alle die⸗ jenigen, die mit den Säuglingsfürſorgeſtellen zu tun haben, keine rechte Freude daran haben: die Arzte der Säuglingsfürſorgeſtellen ſind mit der ihnen zu⸗ gewieſenen Stellung der Ernährungstherapeuten, als Berater der Mütter für die richtige Ernährung der Kinder, nicht zufrieden. Sie haben von Herrn Stadtv. Vogel ſchon gehört, daß der Wunſch beſteht, an die Säuglingsfürſorgeſtellen feſte Betten angegliedert zu ſehen, daß die Arzte meinen, die Krankenhausbehand⸗ lung genüge nicht, es genüge nicht, daß die Mütter darüber beraten werden, wie ſie die Säuglinge zu ernähren hätten, ſondern es müſſen die Säuglinge noch in beſonderen Abteilungen behandelt werden können. Es iſt auch hier und da in den Fürſorge⸗ ſtellen aus dieſem Grunde eine Behandlung der Säuglinge, zunächſt magendarmkranker, dann auch anders erkrankter geſchehen, die m. E. nicht ganz be⸗ rechtigt iſt, und zwar weſentlich aus hugieniſchen Gründen. Es hat ſich ferner herausgeſtellt — und das iſt ein weiterer Grund der Unzufriedenheit —, daß allmählich eine ganze Reihe von Müttern, bis zu 48 % bei einer Fürſorgeſtelle, weggeblieben ſind. Nach einer genauen Statiſtik, die von der einen Fürſorgeſtelle geführt worden iſt, ſind achtmal 16 Säuglinge vorgeſtellt worden, dann ſinkt die Zahl: neummal ſind 5 Säuglinge, und unter achtmal ſind mehr als 16 vorgeſtellt worden. Sie ſehen, daß auch den Müttern die Sache nicht ſehr ange⸗ nehm iſt; es iſt ihnen nicht angenehm, des Sonn⸗ tags die Milch holen zu ſollen, wo ſie vielleicht etwas anderes vorhaben. Jedenfalls hat ſich herausgeſtellt, daß Sonntags ſehr viel weniger Milch abgeholt worden iſt. Es liegt alſo nicht daran, daß die Mütter Wochentags etwa auf Arbeit gehen und keine Zeit haben, ſondern daß ſie Sonntags ſich wahr⸗ ſcheinlich etwas anderes vorgenommen haben. Auch die Pflegerinnen klagen darüber, daß die Milch, die einwandfrei den Säuglingen geliefert wird, nachher in den Haushaltungen doch nicht ſo ver⸗ wendet würde, wie es zweckmäßig iſt, daß die Kinder tatſächlich nicht die Milch bekommen, wie ſie von den Fürſorgeſtellen abgegeben wird; ſie ſteht in den Haushaltungen herum, wird ſchlecht zugedeckt und iſt nachher, wenn ſie die Säuglinge genießen ſollen, verdorben. Es ſind zweifellos Mißſtände in der Beziehung vorhanden, die wohl nach der einen oder andern Richtung abgeſtellt werden können. Ferner find nicht recht zufrieden mit den Für⸗ ſorgeſtellen die Milchhändler denn die Lieferung der Milch iſt einer Berliner Firma übertragen. Sie meinen, ſie könnten das ebenſogut wie die Berliner Firma. — Die Arzte ſind nicht recht zufrieden, weil dieſe Säuglingsfürſorgeſtellen nicht nur Beratungs⸗ ſtellen für die Ernährung der Säuglinge ſind, ſondern ſich langſam zu Polikliniken auswachſen. Meine Herren, ich habe beſonders Bedenken in Bezug auf die Milch. Es iſt geſagt worden, die Abgabe einwandfreier Säuglingsmilch mit 16 Pf. das Liter ſei eine weſentliche Aufgabe der Fürſorge⸗ ſtellen. Meine Herren, ich habe mir den Preiskurant von Bolle angeſehen, der die Milch liefert, und da ergeben ſich folgende Preiſe: Kindermilch aus eigener Kuhhaltung 50 Pf, gewöhnliche Kindermilch 40 Pf., keimfreie Milch 35 Pf., Vollmilch 20 Pf. und Voll⸗ milch in Flaſchen 22 Pf. Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß die von den Säuglingsſtellen gelieferte Milch Vollmilch in Flaſchen für 22 Pf. iſt, die von den Säuglingsſtellen für 16 Pf. abgegeben wird. Dieſe Milch iſt paſteuriſiert, aber ſie entſpricht entſchieden nicht den Anforderungen, die man an eine einwandsfreie Sanitätsmilch ſtellen muß. Es iſt in den roten Plakaten, die überall in der Stadt verteilt worden ſind, ausdrücklich geſagt, daß dieſe Milch einwandfrei iſt. Von dem Augenblick an, wo ſie paſteuriſiert iſt, dauert es 36 Stunden, bis ſie zur Verwendung gelangt, und das kann man als unge⸗ fährlich betrachten. Sehr zweifelhaft aber iſt es, ob ſie einwandfrei von den Kühen gewonnen wird. Die Milch kann ſich in der Zwiſchenzeit ſehr wohl ver⸗ ändern, und die giftigen Stoffe, die ſich in der Mich bilden, werden durch die Paſteuriſierung auch nicht unwirkſam gemacht, es wird nur die weitere Zer⸗ ſetzung verhindert. Es hat auch inſofern etwas Be⸗ denkliches, als über dieſe Vollmilch eine Polizei⸗ verordnung aus dem Jahre 1899 eriſtiert, worin befondere Erforderniſſe enthalten ſind, die an eine Säuglingsmilch geſtellt werden. Es wird da ver⸗ langt, daß die Kuhſtälle einwandfrei betrieben werden, es befinden ſich beſondere Vorſchriften darüber. Man findet eine längere Verordnung mit einigen 12 Para⸗ graphen, worin ſteht: Als „Kindermilch“« „Säuglingsmilch“, „Sanitätsmilch“ oder mit ähnlichen Namen, durch welche der Glaube erweckt wird, die Milch ſei in geſundheitlicher Beziehung der Vollmilch vorzuziehen, darf nur Vollmilch be⸗ zeichnet werden, welche unmittelbar nach dem Melken bis auf 10 Grad Celſius abgekühlt iſt und ſich in einem Zuſtande befindet, daß ſie das Abkochen oder die Alkoholprobe aushält, und von Milchkühen genommen iſt, welche hinſichtlich ihres Geſundheitszuſtandes und ihrer Pflege den Anforderungen in § 10 genügen. In § 10 befindet ſich eine große Reihe von Vor⸗ ſchriften, wie die Kühe gehalten werden ſollen. Ich glaube nicht, daß die Milch, die Bolle für 22 Pf. liefert, dieſen Vorſchriften genügt, denn ſonſt würde er ſie wahrſcheinlich ſelber als Säuglingsmilch be⸗ zeichnen. Wenn eine derartige Milch unſererſeits als einwandfreie Säuglingsmilch abgegeben werden ſollte, ſo bedürfte das dringend der Abhilfe; denn ga Milch iſt nicht eine einwandfreie Säuglings⸗ milch. Ich möchte ferner erwähnen, daß es m. E. auch in hygieniſcher Beziehung durchaus nicht ein⸗ wandfrei iſt, wenn die Säuglinge, die zur Fürſorge⸗ ſtelle kommen, zugleich behandelt werden. Es ſind eine ganze Reihe von Säuglingen magendarmkrank.