—— 362 — da etwas zu ſchnell in die Sache hineingegangen; wenn wir noch ein Jahr gewartet hätten, würden wir über die Bedenken, die heute geltend gemacht worden ſind, vielleicht ſchon hinweggekommen ſein. Meine Herren, das glaube ich ganz gewiß nicht. Auf dieſem Gebiete kann man meiner Anſicht nach durch eine akademiſche Erörterung garnicht vorwärts kommen, ſondern nur durch die Erfahrung. Die Erfahrung wird uns auf die Geſichtspunkte hinweiſen, auf die wir für die Zutunft Gewicht zu legen haben, und an der Hand dieſer Erfahrungen werden wir — ich erwarte das ganz zuverſichtlich — auch die Be⸗ denken, die heute noch beſtehen, beſeitigen können. Die zweite Frage betrifft die Stellung der Arzte⸗ ſchaft den Säuglingsfürſorgeſtellen gegenüber und die Tätigkeit, die den Arzten der Säuglingsfürſorge⸗ ſtellen den Kindern gegenüber zugewieſen werden ſoll. Meine Herren, ich muß ſagen, daß ich durch die Eingabe, die die Charlottenburger Arzteſchaft an Magiſtrat und Stadtverordnetenverſammlung ge⸗ richtet hat, in hohem Maße befriedigt worden bin, daß ich ſie mit großer Genugtuung geleſen habe. Nachdem mir gerüchtweiſe zu Ohren gekommen, war, welche ungeheure Erregung angeblich in der Arzte⸗ ſchaft Charlottenburgs obwalten ſollte, bin ich ſehr angenehm enttäuſcht worden Allerdings iſt das in der Petition geſtellte Verlangen wahrſcheinlich nicht zu erfüllen, daß die Arzte der Säuglings⸗ fürſorgeſtellen ſich jeder behandelnden Tätigkeit enthalten ſollen. Das werden die Herren auch ein⸗ ſehen, dazu ſind ſie ſelbſt viel zu ſehr praktiſch. Meine Herren, wie die Inſtitution der Schulärzte, wo auch immer die Frage aufgeworfen wurde: ja, wie ſoll der Schularzt ſeine Tätigkeit auffaſſen, wenn er nicht behandeln darf — wie ſich dieſe Inſtitution ſehr ſchön entwickelt hat und, ich glaube, auch unter der Arzteſchaft, entgegen den Ausführungen des Herrn Stadtv. Vogel, meiner Anſicht nach heute keine Gegner mehr hat, ſo bin ich feſt davon überzeugt, wird auch die Inſtitution der Säuglingsfürſorgeſtellen in einer Weiſe umgrenzt und ausgeſtaltet werden können, daß der dieſer neuen Einrichtung gegenüber jetzt erhobene Widerſpruch allmählich verſchwinden wird. Meine Herren, die Säuglingsfürſorgeſtelle iſt ja auch nichts weiter als Prophylare, wie jede Hygiene Prophylare iſt. Wir wir aus den ärztlichen Kreiſen die allein maßgebenden Berater für die Hygiene haben, und wie wir immer auf allen Gebieten der Hygiene mit den Arzten arbeiten, ſo bin ich auch feſt davon über⸗ zeugt, werden wir auch in Zukunft in dieſer Sache mit den Charlottenburger Arzten arbeiten können. Die wichtigſte und ſchwierigſte Frage ſcheint mir die Frage des Verhaltens der Fürſorgeſtellen dem Publikum gegenüber zu ſein. Ob es wünſchenswert iſt, daß auch die bemittelten Kreiſe von den Für⸗ ſorgeſtellen Gebrauch machen, vor allen Dingen der ſog. Mittelſtand, oder ob man die Fürſorgeſtellen lediglich als Inſtitution für die arme Bevölkerung hinſtellen ſoll, iſt eine ſchon viel diskutierte Frage, und dieſe Frage wird noch viel brennender werden, wenn wir dazu gelangen, die Milch den höheren An⸗ forderungen des Herrn Stadtv. Dr. Bauer ent⸗ ſprechend zu einem höheren Preiſe zu liefern. Selbſt⸗ verſtändlich wird dann die Zahl derjenigen Beſucher der Fürſorgeſtellen, die wirklich den hohen Preis bezahlen können, dadurch zurückgehen. Diejenigen natürlich, die mit Armenſchein die Milch bisher ſchon unentgeltlich bezogen haben, werden ſie auch in Zu⸗ kunft unentgeltlich erhalten. Aber wie das Gros, das in der Mitte liegt, behandelt werden ſoll, wie man da Recherchen wird anſtellen müſſen, und ob man da immer das Richtige treffen wird, das iſt eine ſchwierige Frage. Ich möchte gerade auf dieſem Gebiete dem Herrn Stadtv. Dr. Bauer entgegenhalten, daß ich die Tätig⸗ keit der Vereine für unentvehrlich halte, ſchon aus dem Geſichtspunkt heraus, daß wir ſonſt ſofort wieder in das armenrechtliche Gebiet kommen. (Sehr richtig!) Wenn wir die Sache als eine rein ſtädtiſche Inſti⸗ tution anſehen, ſo iſt in jedem Liter Milch, das wir billiger liefern, als es uns koſtet, mehr oder weniger eine Armenunterſtützung oder wenigſtens eine Unter⸗ ſtützung zu erkennen, und dann würden wir auf die⸗ ſelben Schwierigkeiten ſtoßen, denen wir begegnet ſind bei der von Herrn Dr. Zepler angeregten Frage hinſichtlich der Unterſtützung von ſchwangeren und ſtillenden Müttern. Ich hoffe aber, daß wir auch über dieſe Schwierigkeit himwegkommen werden, vor allen Dingen gerade dadurch, daß wir auf dieſem Gebiete den Vereinen möglichſt freie Hand laſſen. Die Verantwortung dafür, daß mit dem Geld, das wir den Vereinen zur Verfügung ſtellen, wirtſchaft⸗ lich gearbeitet wird, daß die Milch an die richtigen Leute zu angemeſſenen Preiſen gelangt, werden wir den Vereinen überlaſſen müſſen, ähnlich z. B. wie wir dem Verein gegen Verarmung die Summe von 20 oder 30000 ℳ jährlich zur Verfügung ſtellen als Ergänzung der öffentlichen Armenpflege, die wir durch unſere Armendirektion ausüben. Auch da fehlt, wenn wir ſo ſagen wollen, jede Kontrolle, was mit dem Gelde geſchieht. Aber wir geben uns dem be⸗ rechtigten Vertrauen hin, daß mit unſerem Gelde ordnungsmäßig gewirtſchaftet wird. Ich glaube, das wird die Löſung ſein, die wir hier werden finden müſſen. Nun, Meine Herren, hat Herr Stadtv. Vogel noch einen erheblichen Mangel in unſerer Vorlage darin zu erkennen geglaubt, daß wir nicht auf die von den Fürſorgeſtellenärzten angeregte Frage der ſog. Säuglingsſtation, der Krankenſtation für Säug⸗ linge eingegangen ſind. Meine Herren, zunächſt war das garnicht die Aufgabe der Vorlage, die uns be⸗ ſchäftigt. Dieſe Vorlage hat das ganz eng begrenzte Gebiet und nichts weiter, als Ihre Zuſtimmung zu erbitten, daß wir die Milchabgabe noch um ein halbes Jahr zunächſt ausdennen. Die Frage der Säuglings⸗ krankenpflege — eine Frage, die, wie Ihnen bekannt iſt, den Magiſtrat ſchon ſeit vielen Jahren beſchäftigt hat — iſt in der Tat ſo intrikat und ſchwierig, auch ſinanziell außerordentlich ſchwerwiegend, daß bisher leider noch nicht die richtige Löſung gefunden werden konnte. Ich glaube auch nicht, daß es gut ſein wird, der Deputation, die jetzt mit dem ſachgemäßen Aus⸗ ban der Säuglingsfürſorgeſtellen vollauf beſchäftigt iſt eine ſo weit ausſchauende Frage zu übertragen. Wenn Sie, wie ich allerdings annehme, ſelbſt die Initiative erareifen wollen und nicht das Vertrauen in den Magiſtrat haben, daß er die Sache, wie ich entwickelt habe, wie bisher weiter ſorgfältig behandeln wird, ſo würde Herrn Stadtv. Vogel nichts anderes übrig bleiben, als die Angelegenheit zum Gegenſtand eines beſonderen Antrages zu machen und den auch zur beſondern Behandlung zu bringen. Ich möchte jeden⸗ falls bitten, die Sache mit dieſer Frage nicht zu ver⸗ quicken; wenigſtens in dieſem Augenblick paßt ſie meiner Anſicht nach in den Rahmen der Diskuſſion nicht hinein.