——— 439 —— Das ſind alles keine Wahlbeeinfluſſungen im Sinne des Wahlprüfungsausſchuſſes! Das werden auch keine Wahlbeeinfluſſungen im Sinne der Stadt⸗ verordnetenmehrheit ſein! Denn dieſe Wahlbeein⸗ flufſungen ſind ja der Mehrheit zugute gekommen Meiner Meinung nach müßten alle dieſe Stimmen für ungültig erklärt werden; denn ſie ſind nicht aus freiem Ermeſſen abgegeben worden, ſondern es iſt ein Einfluß auf die Wähler ausgeübt worden. Aller⸗ dings kann man nicht in jedem einzelnen Falle feſt⸗ ſtellen, ob der betreffende Wähler ſich tätſächlich hat beeinfluſſen laſſen, oder ob er nicht von vornherein entſchloſſen geweſen war, doch für den Gegner der Sozialdemokratie zu ſtimmen. Das würde ſich nur dann ermöglichen laſſen, wenn wir in der Lage wären, die einzelnen Wähler eidlich zu vernehmen; dazu aber haben wir kein Recht. Meine Herren, in dem Bericht des Wahlprüfungs⸗ ausſchuſſes iſt geſagt worden, daß ja für die bürger⸗ lichen Parteien eine beträchtliche Anzahl von Stimmen mehr abgegeben worden ſei als für die Sozialdemokratie, und daß ſelbſt, wenn man alle die Stimmen der Beamten abzieht, doch noch eine Mehrheit für die bürgerlichen Kandidaten herauskommt. Das ſtimmt nicht ganz. Ich habe hier beiſpielsweiſe eine Aufſtellung über das Reſultat der Wahl im 2. Bezirk. Im 2. Bezirk betrug die Differenz zwiſchen den ſozialdemokratiſchen Stimmen und der Summe der bürgerlichen Stimmen bei der Hauptwahl 158; bei der Stichwahl hatte der bürgerliche Kandidat 164 Stimmen mehr als die ſozialdemokratiſchen. Die Zahl der abhängigen Wähler in unſerem Sinne beträgt in dieſem Bezirk 1054: von dieſen haben 293 überhaupt nicht gewählt; am 6. und 23. November, alſo bei der Hauptwahl und der Stichwahl, haben 497 gewählt, und die Zahl derjenigen, die in der Hauptwahl von ihrem Stimm⸗ recht nicht Gebrauch gemacht haben, wohl aber in der Stichwahl und zwar in ihrer überwältigenden Mehrheit für die bürgerlichen Kandidaten geſtimmt haben, beläuft ſich auf nicht weniger als 205. Sie ſehen alſo, daß die Wahlbeeinfluſſungen tatſächlich einen ganz ungeheuren Erfolg gehabt haben. Und im Innern Ihres Herzens ſind Sie alle ja auch davon überzengt, daß in der Hauptſache dadurch, daß man die ganzen kleinen Beamten — Sie werden ſagen: mobil gemacht hat, wir ſagen: beeinflußt hat, und zwar in einem ungeſetzlichen Sinne beeinflußt hat, ihre Stimme abzugeben, — daß nur davon die Erfolge der bürgerlichen Parteien herrühren. Meine Herren, wenn Sie aber ganz davon ab⸗ ſehen, wenn Sie davon abſehen, feſtzuſtellen, wie es das Oberwaltungsgericht verlangt, inwiefern die Wahl⸗ beeinfluſſungen tatſächlich ihren Zweck erreicht haben, und inwiefern dadurch das Reſultat ein anderes ge⸗ worden iſt, als es ſonſt geweſen wäre, ſo müßten Sie doch meiner Meinung nach und nach der Anfſicht meiner Freunde dazu kommen, die fünf von mir genannten Wahlen für ungiltig zu erklären, und zwar wegen des Flugblattes, das von einer Reihe von Stadt⸗ verordneten an die Herren Magiſtratsbeamten erlaſſen iſt. Ich werde mir geſtatten, dieſes Flugblatt vorzuleſen: An die Herren Magiſtratsbeamten Charlottenburgs. Die „Deutſche Mittelſtandsvereinigung“ wendet ſich in einem aus Anlaß der bevorſtehen⸗ den Stadtverordnetenwahlen erlaſſenen Flugblatt auch an die Beamten, als deren Schutzgeiſt ſie ſich aufzuſpielen verſucht. Dieſen Verheißungen iſt ebenſo wenig Wert beizulegen, als den Ver⸗ lockungen der Sozialdemokratie. Eine Partei, die die Wahrung der Intereſſen des Mittel⸗ ſtandes auf ihre Fahne ſchreibt und ſich dabei in den Dienſt der Konſervativen ſtellt, iſt nicht mehr ernſt zu nehmen, denn ſie leiſtet denjenigen Leuten Handlangerdienſte, die ſowohl Fleiſchnot, als die im allgemeinen vertenerte Lebenshaltung durch ihre agriſchen Beſtrebungen verſchuldet haben. Wir hegen zu dem geſunden Sinn der ſtädtiſchen Beamten ſoviel Vertrauen, daß ſie ſowohl anerkennen, was die liberale Vertretung unſerer Stadt im allgemeinen für die ſoziale Hebung der Minderbemittelten getan hat, als auch, daß ſie insbeſondere bemüht geweſen iſt, die Stellung der ſtädtiſchen Beamlen nach Mög⸗ lichkeit zu fördern. Wir erlauben uns daher, an die Herren Beamten das dringende — fettgedruckt! — Erſuchen zu richten, ſich ihrerſeits auch ihrer Bürger⸗ pflichten bewußt zu ſein und unter keinen Umſtänden — wieder fettgedruckt! — durch Stimmenthaltung die Erfolge der Sozial⸗ demokratie zu unterſtützen. Indem wir auf beifolgendem Summzettel die Namen der liberalerſeits aufgeſtellten Kan⸗ didaten zur Kenntnis bringen, geben wir an⸗ heim, für dieſelben zu ſtimmen. Es folgen die Unterſchriften, darunter: Braune, Stadtverordneter; Dr. Frentzel, Stadtverordneter; Kaufmann, Stadtverordneter; v. Liszt, Stadtver⸗ ordneter; Marcus, Stadtverordneter; Dr. Penzig, Stadtwerordneier; Ruß, Stadtverodneter; Dr. Spiegel, Stadtverordneter; Dr. de Gruyter, Stadtverordneter; Münch, Stadtverordneter. Selbſtverſtändlich haben die Stadtverordneten ohne weiteres das Recht, Wahlaufrufe zu erlaſſen, ſoviel ſie wollen; dies Recht wird ihnen von keinem Menſchen auf der Welt beſtritten werden können. Es fragt ſich nur, ob ſie das Recht haben, an die Herren Magiſtratsbeamten derjenigen Stadt, in der ſie ihre Funklionen als Stadtverordnete ausüben, einen Wahlaufruf zu erlaſſen und unter dieſem Auf⸗ ruf ihren Namen und ihren Charakter als Stadt⸗ verordnete zu ſetzen. Die Herren von der liberalen Fraktion — es handelt fich lediglich um Liberale, die ihren Namen daruntergeſetzt haben —, werden ja ſagen, daß ſie das Recht dazu haben. Aber aus den Vorverhandlungen — ich bin darüber unterrichtet —, ſteht feſt, daß auch bei Ihnen Bedenken darüber laut geworden ſind, ob man die Bezeichnung „Stadtver⸗ ordneter“ unter den Aufruf ſetzen ſollte, und eine ganze Reihe von Kollegen, die Ihrer Fraktion ange⸗ hören, haben mir erklärt, daß ſie das Vorgehen ihrer Kollegen nicht billigen, wenn ſie auch einen geſetzlichen Grund zur Anfechtung der Wahl darin nicht erblicken. (Stadtv. Dr. v. Liszt: Eben!) Ja, meine Herren, das iſt der Unterſchied zwiſchen uns: wir erblicken darin einen geſetzlichen Grund zur Anfechtung der Wahl, und wenn Sie konſequent wären, dann müßten Sie es auch. Sie haben vor⸗ hin durch den Mund des Herrn Kollegen Dr. Frentzel erfreulicherweiſe erklären laſſen, daß Sie in der Warnung eines Vorgeſetzten an die Arbeiter vor dem Beſuch einer Verſammlung eine Beeinträchtigung des Koalitionsrechtes erblicken. Sie müßten nun auch konſequenterweiſe ſagen, daß Sie in dem dringenden Erſuchen an die Beamten ſeitens einer Anzahl von Stadtverordneten (Zuruf: Nicht Vorgeſetztenl)