Punkt 3 der Tagesordnung: Vorlage betr. Verſtärkung der Etatsnummer Sonderetat 1 Ord. 3—11e für 1905. Druckſache 61. (Die Beratung wird eröffnet und geſchloſſen. Die Verſammlung beſchließt nach dem Antrage des Magiſtrats, wie folgt: Zur Verſtärkung des Etatsanſatzes vom Ordinarium des Sonderetats Nr. 1 Kanaliſation — Abſchnitt 3 Nr. 110 werden 250 ℳm aus laufenden Mitteln des Kanali⸗ ſationsetats bewilligt.) Punkt 4 der Tagesordnung: Vorlage betr. Ausbildung von Feuerwehr⸗ perſonal im Fahren mit Automobilfahrzeugen. — Druckſache 62. (Die Beratung wird eröffnet und geſchloſſen. Die Verſammlung beſchließt nach dem Antrage des Magiſtrats, wie folgt: Für die Ausbildung der Feuerwehroffiziere und einiger Feuerwehrmannſchaften im Fahren mit Automobilfahrzeugen werden die Koſten in Höhe von 561 ℳ aus laufenden Mitteln bewilligt). Punkt 5 der Tagesordnung: Anfrage der Stadtv. Dr. Borchardt und Gen. betr. Arbeitsloſenzählungen. — Druck⸗ ſache 63. Die Anfrage lautet: Was gedenkt der Magiſtrat zu tun, um die ſeit nunmehr zwei Jahren vorgenommenen Arbeitsloſenzählungen fruchtbar für die er⸗ mittelten Arbeitsloſen zu geſtalten? Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren, die Frage der Arbeitsloſenfürſorge iſt wohl eine der aller⸗ wichtigſten Fragen, welche die bürgerliche Geſellſchaft überhaupt zu löſen bat. Solange man ſich, ich möchte ſagen, dem Wahn oder der Illuſion hingeben konnte und auch hingab, daß eine Arbeitsloſigkeit in normaler Weiſe nur dann und wann einmal jemanden treffe, daß jemand unverſchuldet arbeitslos werden könne nur in Ausnahmefällen, daß normal der Zuftand der Geſellſchaft ſei, daß eigentlich jeder zwar nicht von dem ihm zuſtehenden Rechte, ein reicher Mann zu werden durch ſeine Tätigkeit, Gebrauch mache, daß aber doch jeder mindeſtens inſoweit für ſich ſelbſt ſorgen könne, daß er durch ſeine Arbeit ſein einiger⸗ maßen behagliches Einkommen habe und ſogar auch noch für ſein Alter etwas zurücklegen könne, — ſolange konnte ein Problem der Arbeitsloſenfrage und der Arbeitsloſenfürſorge überhaupt nicht auftauchen, und es iſt ja dieſer Wahn oder dieſe Anſchauung ſo recht eigentlich bürgerliche Weltanſchauung. Gewiß hat man immer zugegeben und zugeben müſſen, daß Aus⸗ nahmen vorkommen, daß auch ohne eigenes Ver⸗ ſchulden ein außerordentlich fleißiger Mann doch ſehr lange arbeitslos werden könne und außerordentlich zurückkommen könne in ſeinen allgemeinen Verhält⸗ niſſen, ſodaß die Gemeinſchaft für ihn eintreten müſſe. Aber derartige Ausnahmefälle würden natür⸗ lich niemals ein ſyſtematiſches Eingreifen der Ge⸗ 50 ſellſchaft begründen können, ſie würden überwieſen werden und wurden überwieſen der Charitas, der all⸗ gemeinen Nächſtenliebe, die ja denn auch ſchlecht und recht für die vom Unglück Verfolgten, die etwa durch Krankheit, durch Krankheit in der Familie in ihren wirtſchaftlichen Verhältniſſen zurückkamen, einge⸗ treten iſt. Aber, meine Herren, mit der fortſchreitenden induſtriellen Entwickelung entwickelte ſich mehr und mehr ein Zuſtand, in welcher die Arbeitsloſigkeit breiter Schichten der Bevölkerung eigentlich die Regel wurde. Je weiter die Entwickelung fortſchritt, um ſo weniger konnte man die Augen dieſem Zu⸗ ſtande verſchließen, daß Arbeitsloſigkeit ſelbſt ziemlich großer Schichten von Leuten, die durchaus arbeits⸗ willig waren, durchaus arbeitsfähig waren, eigentlich die Regel wurde, daß ein erheblicher Bruchteil der Benölkerung es nicht ermöglichen konnte, durch ſeiner Hände Arbeit ſeinen Lebensunterhalt zu erwerben, wenigſtens in längeren oder kürzeren Perioden nicht. Und das war eine Erſcheinung, die derartig ernſt iſt, daß ſie die Augen aller, die ſich mit öffentlichen Dingen beſchäftigen, die im öffentlichen Leben ſtehen, auf ſich ziehen mußte. Anfang der 90 er Jahre hatten wir ja eine ganz beſonders ſtarke und akute Arbeitslofigkeit, bei welcher nicht nur wenige Bruchteile, ſondern außer⸗ ordentlich zahlreiche Schichten der Arbeiterbevölkerung der Arbeislofigkeit verfielen, und es iſt damals gerade auf Grund der Arbeitslofigkeit im Anfang der 90 er Jahre dann vom Reiche aus eine ganz allgemeine Arbeitsloſenzählung über das ganze Reich veranſtaltet worden, im Jahre 1895, und zwar, um den Unter⸗ ſchied der Arbeitsloſigkeit im Sommer und im Winter feſtzuſtellen, eine Arbeisloſenzählung ſowohl im Juni als im Dezember, und es ergab ſich, daß die Zahl der Arbeitsloſen im Reiche im Juni faſt 300 000, im Dezember über 770 000 war, die mit ihren An⸗ gehörigen zuſammen über ⅝ Million reſp. im Winter faſt 1¼ Millionen der Bevölkerung, das war von der ganzen Bevölkerung ,99 reſp. 2,82 %, aus⸗ machten. Dieſe Zählung ergab für Charlottenburg noch etwas ungünſtigere Reſultate als für das ge⸗ ſamte Reich. In Charlotienburg hatten wir 1424 reſp. 2962 Arbeitsloſe, zu denen 1395 reſp. 3282 Angehörige kamen, ſodaß unter dieſer Arbeits⸗ loſigkeit in Charlottenburg zu leiden hatten 2,27 reſp. 4,72 % der Bevölkerung, und es war das Jahr 1895, in dem dieſe Zählung vorgenommen wurde, nicht etwa ein beſonders ungünſtiges Jahr, ſondern es konnte in wirtſchaftlicher Beziehung durch⸗ aus als normales Jahr gelten; trotzdem war auch in dieſem Jahre ein ſo erheblicher Teil der Bevölkerung arbeitslos. Sie werden ſich erinnern, daß wenige Jahre ſpäter eine außerordentlich ſtarke und akute Arbeitsloſigkeit ausbrach, und daß infolgedeſſen die Arbeiterſchaft von Groß⸗Berlin ſich veranlaßt ſah, eine Zählung der Arbeitsloſen in ganz Groß⸗Berlin vorzunehmen. Dieſe Zählung, die am 1. Februar 1902 vorgenommen wurde, ergab für Charlottenburg 2664 Arbeitsloſe mit 2242 Kindern unter 14 Jahren, das waren zuſammen 2,51 % der Bevölkerung, ein Reſultat, das relativ genommen, für Charlottenburg etwas günſtiger war als im allgemeinen für das ge⸗ ſamte Groß⸗Berlin, aber immerhin ein Reſultat, das an ſich betrachtet eine außerordentlich ſtarke Arbeits⸗ lofigkeit und außerordentlich ſtarke Not infolge dieſer Arbeitsloſigkeit meines Erachtens erkennen läßt. Gerade die große Arbeitsloſigkeit, die in jener Zeit herrſchte, rückte das Problem der Arbeitsloſenfürſorge