53 4 werden, dann iſt es ja nicht verwunderlich, daß den Arbeitern die Luſt am Mitarbeiten erlahmt. Die Deputation für den Arbeitsnachweis hat ſich denn auch aus der Erkenntnis heraus, daß ge⸗ rabe die beiden letzten Zählungen, nicht nur die allerletzte, ſondern auch ſchon die Zählung im Juli, deren genaue Zahl ich im Moment nicht hier habe, daß gerade aus dieſen beiden Zählungen mit hervor⸗ gehe, daß die Art der Zählung nicht geeignet ſei, ein ganz zutreffendes Bild zu geben, und in der Deputation iſt in verſchiedener Weiſe darüber beraten worden, wie man die Zählungen zuverläſſiger ge⸗ ſtalten könne. Aber, meine Herren, ſoviel ich weiß, iſt der einzige Weg, der einen Erſolg für größere Zuverläſfigkeit dieſer Art der Zählung verſprechen kann, dort in der Deputation nicht angeregt worden, nämlich der Weg, für die ermittelten Arbeits⸗ loſen in irgend einer Weiſe etwas zu tun. Nun ſind wir, meine Herren, der Meinung, daß der Magiſtrat in der Tat ſeinerzeit die Abficht hatte, auf die Arbeitsloſenzählungen in abſehbarer Zeit nun auch in irgend einer Weiſe eine Arbeits⸗ loſenfürſorge, eine Ardeitsloſenunterſtützung eintreten zu laſſen, und deswegen haben wir es für not⸗ wendig gehalten, nachdem die Zählungen nunmehr zwei Jahre beſtehen, dieſe Frage an den Magiſtrat zu richten. Man könnte uns entgegenhalten: es iſt leicht fragen, namentlich wenn man ſelbſt eine Antwort auf die Frage nicht weiß. Viel fruchtbarer wäre es doch, Vorſchläge zu machen, als lediglich Fragen zu ſtellen. Aber, meine Herren, wir waren der Meinung, daß es doch wohl angebrachter ſei, ehe wir mit beſtimmten Anträgen an die Verſammlung herantreten in dieſer Richtung, zu hören, wie der 1 1. 42. ſich den weiteren Verlauf dieſer Dinge enkt. Vollkommen unbetretenes Gebiet betritt ja der Magiſtrat, wenn er in eine nähere Erörterung der Frage, was er tun will, eintritt, nicht. Tatſächlich iſt ja auf dem Gebiete der Arbeitsloſenfürſorge manches bereits geſchehen. In allererſter Linie ſind da zu nennen die Leiſtungen der Arbeiter ſelbſt. Die Arbeiter ſind ſehr wohl von der Richtigkeit des Sprichwortes überzeugt, daß ſie ſich ſelbſt helfen müſſen, wenn ſie nicht verlaſſen ſein wollen, daß mit dem bloßen Abwarten deſſen, was von oben her ge⸗ ſchieht, eben garnichts getan ſei, daß nur demjenigen geholfen wird, der ſelbſt Hand mit ans Werk legt, und ſo haben die Arbeiter ſeit mehreren Jahrzehnten in ihren Organiſationen Arbeitsloſenunterſtützungen bereits ins Leben gerufen. Ich will Sie nicht auf⸗ halten mit allzu vielen Zahlen, ich will nur ganz wenige Ihnen anführen. Im Jahre 1894 haben die Arbeiterorganiſationen an Arbeitsloſenunterſtützung beinahe eine viertel Million ℳ gezahlt. Wohlgemerkt: an Arbeitsloſen⸗ unterſtützung, ausgenommen Krankenunterſtützung, ausgenommen Invalidenunterſtützung und Unfall⸗ unterſtützung! Die Arbeiter haben dieſe Unterſtützung gezahlt rein infolge von Arbeitslofigkeit, nicht infolge von Krankheit, ſondern an ganz geſunde Leute, und auch nicht infolge von Streiks. Streikunterſtützung ſteht immer noch auf einem andern Brett; ſie iſt ja auch eine Arbeitsloſenunterſtützung. Auch der ſtreikende Arbeiter, der ausgeſperite Arbeiter iſt ein geſunder, arbeitsfähiger, arbeitswilliger und doch arbeitsloſer Mann. Man könnte ſehr wohl die Streikunterſtützung hinzuzählen; aber von der ſehe ich ganz ab. Ebenſo iſt es mit der ſogenannten Gemaßregeltenunterſtützung; denn auch derjenige Arbeiter, der nach einem Streik als ſogenannter Rädelsführer auf die Straße geworfen wird, auch derjenige Arbeiter, der ſeinem Arbeitgeber gegenüber oder auch einmal einem Oberbürgermeiſter gegenüber, wie jüngſt in Breslau, ein freies Wort ſagt und deswegen auf die Straße fliegt, auch der iſt ja ein arbeitsfähiger, geſunder Mann; aber ſeine Unter⸗ ſtützung zählt unter die Gemaßregeltenunterſtützung und iſt nicht unter die Arbeitsloſenunterſtützung ein⸗ begriffen. Alſo die ganz reine Arbeitsloſenunterſtützung betrug damals faſt ⅛ Million %.. Sie iſt im Jahre 1900 angewachſen auf ⅝ Million, im Jahre 1901 auf 1¼ Millionen, im Jahre 1902 wurden etwas über 1⅛ Millionen ℳ von den Arbeitern für dieſe Unterſtützung aufgebracht, ebenſo in dem folgenden Jahre, und auch im Jahre 1904. Dieſe Zahlen geben übrigens noch nicht die geſamte Leiſtung, welche die deutſchen Arbeiter zur Durch⸗ bringung ihrer Arbeitsloſen anwenden, es ſind nur diejenigen, welche in den freien Gewerkſchaften organifiert ſind. Daneben ſind ja zu erwähnen auch die über hunderttauſend Arbeiter, die in den Hirſch⸗ Dunckerſchen Gewerkſchaften organiſiert find. Da finden Sie im Jahre 1904 ebenſo einen Poſten von ¼ Million ℳ, den ich allerdings nicht getrennt ſehe in Arbeitsloſenunterſtützung und Unterſtützung bei Streiks und Ausſperrungen; da ſind in dieſem Poſten dieſe drei Sorten Unterſtützungen zuſammen⸗ begriffen. Und erenſo würden dazu gehören die Unter⸗ ſtützungen, welche die andern Arbeiterorganiſationen, die chriſtlichen Arbeiterorganiſationen, für ihre Mit⸗ glieder mit aufbringen. Sie ſehen alſo, die Arbeiter haben ſich durch dieſen Ausbau der Arbeitsloſenunterſtützung als ein außerordentlich ſtaatserhaltendes Element erwieſen. Die bürgerliche Geſellſchaft hätte tatſächlich bereits zuſammenbrechen müſſen, wenn nicht die Arbeiter aus ſich heraus dieſe außerordentlich ſchwere Laſt aufgebracht hätten, um die Arbeitsloſen über Waſſer zu hallen, damit allerdings auch den Beſtand der bürgerlichen Geſellſchaft für eine weitere Zeit zu garantieren. Nun könnte man ja vielleicht die Schluß⸗ folgerung ziehen: Nun, wenn die Arbeiter freiwillig bereits ſolche Leiſtungen auf ſich genommen haben, dann möge man ihnen ja auch in Zukunft das über⸗ laſſen, und möge ſie darauf verweiſen, daß ſie eben auch noch mehr zu leiſten haben. Meine Herren, ein ſolcher Vorſchlag, glaube ich, wäre nicht richtig, weder logiſch richtig, noch politiſch richtig, ſondern im Gegenteil ſollte man gerade daraus, daß die Arbeiter ſelbſt ſo große Laſten auf ſich genommen haben, die Veranlaſſung nehmen, ihnen die Laſten zu erleichtern und zur weiteren Durchführung der Arbeitsloſenunterſtützung aus beizutragen, und wenn der öffentlichen Mitteln Charlottenburger Magiſtrat derartige Wege beſchreiten will, ſo betritt er, wie ich ſchon vorhin ſagte, keines⸗ wegs vollkommen unbetretenes Gebiet. In Belgien z. B. hat zuerſt die Stadt Gent damit angefangen, den Arbeiterorganiſationen öffent⸗ liche Gelder zur Verfügung zu ſtellen als einen Zu⸗ ſchuß zu der von den Organiſationen eingeführten Arbeiteloſenunterſtützung, und damit auch un⸗ organiſierte Arbeiter, welche den Arbeiterorganiſationen nicht angehören, des Vorteils einer Arbeitsloſen⸗ unterſtützung teilhaftig werden können, hat die Stadt Gent das Statut dieſer Arbeitsloſenunterſtützungs⸗