— 94 — zuſchußkaſſe in entſprechender Weiſe ausgeſtaltet, und es hat dieſer Weg in Belgien ſo viel Beifall gefunden, daß heute dort bereits in neun von den zehn belgiſchen Städten mit über 50 000 Einwohnern dieſes Genter Syſtem angenommen iſt, und in dieſen neun Städten werden ſtädtiſche Gelder als Zuſchuß⸗ gelder für die Arbeitslofenunterſtützungen gezahlt. Aber auch wenn wir nicht auf das Ausland ſehen, wenn wir lediglich bei uns in Deutſchland bleiben, kann der Charlottenburger Magiſtrat immer⸗ hin ſchon Vorbilder finden. Ich will nur auf die Stadt⸗ Kölniſche Arbeitsloſenverſicherungskaſſe ver⸗ weiſen, eine Kaſſe, die dort ins Leben gerufen iſt nicht aus öffentlichen Geldern, ſondern aus privater Initiative, die aber von der Stadt einen Zuſchuß erhält. Noch im Mai vorigen Jahres hat die Kölniſche Stadtvertremung beſchloſſen, dieſer Kaſſe einen Zuſchuß von 20 600 ℳ zu gewähren und außerdem aufzukommen für diejenigen Ausgaben, die etwa 100 000 ℳ überſchreiten. Sie ſehen, meine Herren, daß vollkommen un⸗ bebaules Land nicht vor uns liegt, ſondern daß der Magiſtrat ſehr wohl in der Lage iſt, Beiſpiele in gewiſſen Städten zu finden, in denen in der ge⸗ dachten Richtung vorgegangen iſt. Wir, meine Herren, haben es für an der Zeit gehalten, daß nach zweijährigem fortgeſetzten Zählen der Arbeitsloſen nun auch energiſch die Frage ventiliert wird: In welcher Weiſe ſollen die Arbeitsloſen unterſtützt werden? Deswegen haben wir an den Magiſtrat unſere Anfrage gerichtet, und wir hoffen, eine Autwort zu erhalten, die uns erwarten läßt, daß Charlottenburg auf dieſem Gebiete der ſozialen Für⸗ ſorge vorbildlich voranſchreiten will. Stadtrat Dr. Jaſtrow: Meine Herren, die An⸗ frage der Herren Stadtv. Dr. Borchardt und Ge⸗ noſſen, die den Gegenſtand dieſes Punktes der Tagesordnung bildet, lautet: Was gedenkt der Magiſtrat zu tun, um die ſeit nunmehr zwei Jahren vorgenommenen Arbeitsloſenzählungen fruchtbar für die er⸗ mittelten Arbeitsloſen zu geſtalten: Die Anfrage betrifft eine ſpezifiſch Char⸗ lottenburger Einrichtung. In der Begründung iſt Herr Stadtv. Dr. Borchardt in ſehr weitem Um⸗ fange auf das allgemeine Problem der Arbeits⸗ loſenfürſorge und ſeinen Zuſammenhang mit der gegenwärtigen Struktur der bürgerlichen Geſellſchaft eingegangen. Ich will nicht behaupten, daß dies nicht zur Sache gehöre, und ich will es auch meiner⸗ ſeits nicht ohne weiteres ablehnen, auf dieſe all⸗ gemeine Frage, ſoweit es möglich iſt, auch im Namen des Magiſtrats einzugehen. Aber ich glaube. in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich die Reihenfolge umkehre: wenn ich nicht zunächſt auf das allgemeine Problem der Arbeitsloſenverſicherung eingehe und dann auch einiges über Charlottenburg ſage, ſondern wenn ich mit dem, was uns allen ja am meiſten beſchäftigt, uns am nächſten liegt und den Gegen⸗ ſtand dieſer Anfrage bildet, beginne. (Sehr richtig!) Es iſt Jegt, was der Magiſtrat zu tun ge⸗ denke, um die Arbeitsloſenzählungen fruchtbar zu eſtalten. Dieſe Frage iſt in gewiſſer Weiſe eine uggeſtivfrage, und die Suggeſtivfragen waren z. B. Verbrechern ſchon durch die humane iminalordnung Friedrichs des Großen verboten: (Heiterkeit.) es ſoll keiner in einer Weiſe gefragt werden, die die Hälfte der Antwort ſchon vorausſetzt. Dieſe Frage ſetzt gewiſſermaßen voraus, daß irgend etwas ge⸗ ſchehen müſſe, (Stadtv. Dr. Borchardt: Sehr richtig!) und daß man ſich nur darüber auszuſprechen habe, was geſchehen müſſe. (Stadtv.„Dr. Borchardt: Sehr richtig!) Wir werden aber logiſcherweiſe dieſe Frage wohl in zwei Teile zerlegen müſſen, und wir werden uns wohl auch über den erſten Teil ausſprechen müſſen. Zu dieſem Zwecke wird es am beſten ſein, wenn ich, wie es ja auch der Herr Frageſteller in ſeiner Be⸗ gründung getan hat, ein wenig auf die Vorge⸗ ſchichte der gegenwärtigen Charlottenburger Arbeits⸗ loſenaufnahmen eingehe. Nachdem wir in Charlottenburg — wie im Reiche überhaupt — von 1895 bis 1899 eine Zeit beſtändigen wirtſchaftlichen Aufſchwunges gehabt hatten, machten ſich im Jahre 1899 die erſten Warnungszeichen eines wirtſchaftlichen Niederganges geltend, die auch in Charlottenburg in einer zunehmenden Arbeitsloſigkeit zutage traten. Damals ſind die Anzeichen der ver⸗ änderten Lage auf dem Charlottenburger Arbeits⸗ markte auch Gegenſtand der Verhandlungen in der Stadtverordnetenverſammlung geweſen, und der Magiſtrat hat erklärt, daß es ihm nicht entgangen ſei, daß auf-dem Arbeitsmarkt ſich eine Anderung vollzogen habe; daß dieſe underung zwar noch nicht den Umfang erreicht habe, um große, weitgehende Maßregeln erforderlich zu machen; daß er aber im kleinen bereits angefangen habe, dafür zu ſorgen, daß ein größerer Teil der Arbeiter Beſchäftigung erhalte. Damals kamen wir nach umfaſſenden Er⸗ wägungen aller vorhandenen Mittel zu dem Er⸗ gebnis, daß man beim Eintritt einer etwas größeren Arbeitsloſigkeit zunächſt einmal ſuchen müſſe, die Arbeiten, die in einiger Zeit ohnehin ſtattfinden müßten, nach Möglichkeit in die Zeit der Arbeits⸗ loſigkeit zu legen. Der Magiſtrat kam ſo zu einem Syſtem der Arbeitsverfrühung; und noch während wir in der Anwendung dieſes Syſtems begriffen waren, trat dann eine allmähliche, ſehr langſame, aber immerhin unverkennbare Beſſerung der Lage auf dem Arbeitsmarkte ein. Der Magiſtrat Charlottenburg iſt aber bei den damals gemachten Erfahrungen nicht ohne weiteres ſtehen geblieben, ſondern es iſt ins Auge gefaßt worden, auch gegenüber zukünftigen Fällen gerüſtet zu ſein. Die Stadtgemeinde Charlottenburg iſt die erſte geweſen, in der aus der beſtändigen Verfolgung der Lage des Arbeitsmarktes ein Dezernat gebildet wurde, und dieſes Dezernat iſt durch Verfügung des Herrn Oberbürgermeiſters dem jedesmaligen Dezer⸗ nenten für den Arbeitsnachweis übertragen worden. Er hat die Aufgabe, ſich eine Symptomatik über die Lage des Arbeitsmarktes zu bilden, er hat dem Magiſtrat in gewiſſen Zwiſchenräumen Bericht zu er⸗ ſtatten über die Lage des Arbeitsmarktes, damit der Magiſtrat nicht erſt dann in die Lage kommt, an die Sache zu denken, wenn etwa die Not ſehr groß iſt, ſondern damit wir ganz langſam und allmählich etwaigen Veränderungen in der Lage des Arbeits⸗ marktes folgen können, ſoweit dies bei der, wie ja auch der Herr Frageſteller anerkannt hat, äußerſt ſchwierigen Natur dieſes Problems möglich iſt. Eines der Hilfsmittel, die dem Dezernenten dazu dienen ſollen, ſich einen Uberblick über die Lage des Charlottenburger Arbeitsmarktes zu bilden, iſt nun auch die Arbeitsloſenaufnahme. Wir ſagten uns: wenn wir erfahren wollen, ob eine bedeutende