Veränderung in der Lage des Arbeitsmarktes vor ſich geht, ob die Zahl der Arbeitsloſen bedeutend größer iſt, als ſie ſonſt zu ſein pflegt, ſo nützt uns eine Arbeitsloſenzählung in Zeiten der Not über⸗ haupt nichts; denn der dann ermittelten Zahl können wir ja gar nicht anſehen, was ſie bedeutet, wenn wir ſie nicht mit Ziffern aus ruhigen Zeiten ver⸗ gleichen können. Man muß alſo, welches Syſtem man auch annehme, häufige Zählungen vornehmen. Nun ſcheint heute ja unter den Statiſtikern, die ſich damit beſchäftigt haben, das eine feſtzuſtehen: eine korrekte Zählung der Arbeitsloſen allein iſt überhaupt nicht möglich. Denn feſtzuſtellen, wer arbeitslos iſt, a feſtzuſtellen, wer ein „Arbeiter“ iſt und wer nicht, iſt ſo ſchwierig, das hat ſo viele Zweifel im Gefolge, (ſehr richtig!) daß es nur ein einziges Mittel gibt, um hier zur Korrektheit zu gelangen, nämlich alle Menſchen zu zählen und bei jedem einzelnen zu bemerken, ob er ein Arbeiter iſt, und ob er arbeitslos iſt. (Sehr richtig!) Alſo nur, wenn man die Kontrolle des Gegen⸗ teils hat, wenn man auch die Zahl der Nichtarbeiter und die Zahl der Beſchäftigten hat, nur dann kann man ſagen: die Aufnahme der Arbeiter und die Aufnahme der Arbeitsloſen iſt korrekt. Oder mit anderen Worten: wer eine ſtatiſtiſch unanfechtbare Arbeitsloſenzählung haben will, der muß dazu eine Volkszählung veranſtalten (oder wenigſtens eine ſo⸗ genannte Perſonenſtandsaufnahme). Damit iſt der ſtatiſtiſch korrekten Methode das Urteil geſprochen. Denn es iſt eben nicht möglich, ſoviele Volkszählungen oder ſoviele Perſonenſtandsaufnahmen zu machen, daß man ausreichend häufiges fortlaufendes Material erhalten könnte. Wir müſſen alſo, wenn wir an dem Erfordernis feſthalten, daß wir häufig zählen und häufiges ver⸗ gleichbares Zahlenmaterial bekommen müſſen, zu einem anderen Mittel greifen. Es iſt gar nicht erforderlich für die Beurteilung der Lage des Arbeits⸗ marktes, die wirkliche Zahl der Arbeitsloſen zu wiſſen, ſondern es iſt nur erforderlich, die Ver⸗ änderungen dieſer Ziffer zu wiſſen. Wir müſſen wiſſen, ob die Zahl der Arbeitsloſen zu⸗ oder ab⸗ genommen hat, ob ſie größer oder kleiner geworden iſt. Danach können wir uns ein Urteil bilden, auch wenn die ermittelten Zahlen gar nicht mit der Zahl der Arbeitsloſen identiſch ſind. Mit anderen Worten: Wir wollen nur Symptome der Zu⸗ und Ab⸗ nahme kennen lernen. Da haben wir uns an das Syſtem angeſchloſſen, das in Stuttgart befolgt worden iſt, und das man zum Unterſchiede von den Arbeitsloſen zählungen ſtrengeren Stils etwa Arbeits⸗ loſenmeldungen nennen könnte. Man macht be⸗ kannt: jeder Arbeitsloſe kann ſich beim Magiſtrat melden, um gezählt zu werden; man ſtellt auch Karten zur Verfügung, die von den Arbeitern ſelbſt unter ihre Kameraden verteilt werden können, und wenn die Karten an das ſtatiſtiſche Amt zurück⸗ kommen, ſo werden ſie gezählt. Sind viel Arbeits⸗ loſe da, ſo werden ſich auch verhältnismäßig viele melden; find wenig Arbeitsloſe da, ſo werden ſich natürlich wenige melden. Niemand wird glauben. daß die Zahl der gemeldeten mit der Zahl der wirk⸗ lich vorhandenen Arbeitsloſen identiſch ſei; denn es melden ſich natürlich nicht alle. Aber je nachdem dieſe Zahl ſehr ſtark zunimmt oder ſehr ſtark ab⸗ nimmt, wird man auf Veränderungen in der Lage des Arbeitsmarktes ſchließen können. Dieſe Ver⸗ änderungen werden vielleicht in einer gewiſſen Ver⸗ 55. —— zerrung hervortreten. Wenn z. B. eine große Not übers Land kommt, ſo wird die Zahl viel größer und ſchneller anſchwellen, als der vorhandenen Not entſpricht; umgekehrt, wenn gute Zeiten ſind, ſo wird ſich ſelbſt von den wenigen vorhandenen Arbeitsloſen wahrſcheinlich noch ein noch geringerer Teil melden. Niemand wird glauben, daß der Grad genau wieder⸗ gegeben ſei; aber ein gewiſſer Anhalt iſt dafür vorhanden. Aus dieſen Gründen hat ſich nach ſehr umfang⸗ reichen Debatten in der Deputation für den Arbeits⸗ nachweis, in denen auch der gegenteilige Standpunkt ausgiebig zur Erörterung gelangt iſt, zuerſt die De⸗ putation — und zwar einſtimmig — und nachher auch der Magiſtrat dahin ſchlüſſig gemacht, die Arbeits⸗ loſenaufnahmen zu veranſtalten, obgleich wir von vornherein wußten, daß wir damit nicht die Zahl der Arbeitsloſen, ſondern nur die Veränderungen dieſer Zahl ſtatiſtiſch einigermaßen beleuchten, und zwar dachten wir uns: wenn wir auf dieſe Art ſehen, wieviel Arbeitsloſe in ruhigen Zeiten vorhan⸗ den ſind, ſo werden wir ja bei einem etwaigen An⸗ ſchwellen der Zahl ſchon früh ein gewiſſes Warnungs⸗ ſignal haben. Wir ſind alſo der Meinung geweſen, daß dieſe Aufnahmen etwa den Dienſt leiſteten wie eine Wetterwarte, und daß ſie als Sturmſignale allenfalls benutzt werden können. Herr Stadtv. Dr. Borchardt hat Ihnen bereits die Geſchichte dieſer Arbeitsloſenaufnahmen kurz dargelegt. Es haben 6 Aufnahmen ſtattgefunden, je 3 in jedem der beiden Jahre 1904 und 1905. Als die erſte Arbeitsloſenaufnahme im Februar 1904 ſtattgefunden und 350 gemeldete Arbeitsloſe ergeben hatte, ſagte man ſich allgemein — den Veranſtaltern war dies nichts Neues, aber denen. die die Ziffer hörten, war das etwas Neues —: das ſind ja natürlich nicht alle Arbeitsloſe, und man ſollte darauf ansgehen, bis an die wirkliche Ziffer näher heran⸗ zugehen. / Ein durchaus berechtigtes Beſtreben! Denn wenn dieſe Aufnahmen ſtattfinden, ſo ſollen die Be⸗ teiligten beſtrebt ſein, möglichſt viele zu ſolchen Mel⸗ dungen zu veranlaſſen. Und da ſagte man ſich: dieſes Syſtem, obgleich es immer unvollkommen bleiben wird, iſt gleichwohl einer Verbeſſerung inner⸗ halb des Rahmens ſeiner Unvollkommenheit fähig. Man braucht ſich nicht damit zu begnügen, wie man es bei dieſer Aufnahme getan hatte, Urnen aufzu⸗ ſtellen, in welche die Albeitsloſen ihre Zählkarten einwerfen konnten, ſondern man kann ſich auch mit freiwilligen Helfern in Verbindung ſetzen, die in die Häuſer gehen und die Formulare verteilen in weite⸗ rem Umfange, als dies bei der erſten Aufnahme geſchehen konnte. Das iſt auch von der zweiten Aufnahme an erfolgt. 12 Ich will Ihnen nun dieſe 6 Ziffern in einer ein klein wenig anderen Art geben, indem ich bei jedem der drei Monate die beiden Jahre neben einander ſtelle: Februar 350 und 583, Juli 247 und 146, November 485 und 72. Es hat alſo nur das erſte Mal eine Vermeh⸗ rung ſtattgefunden, wo eben jene ſtarke Verbeſſerung in der Art der Aufnahme noch eine Rolle ſpielte, wo alſo die Vergleichbarkeit noch nicht vorhanden war. Bei den beiden anderen Ziffern im Juli und November iſt im Jahre 1905 jedesmal weniger ge⸗ zählt worden als im Jahre 1904. Und wenngleich wir nun nicht etwa der Meinung find, daß die Ar⸗ beitsloſigkeit im November im Verhältnis von 485: 72