—.— 83232 — Ja, meine Herren, iſt das nicht ein Beweis dafür, daß eine Nolage nicht beſteyl? Würden die Droſchken⸗ kutſcher, wenn eine allgemeine Notlage beſtände, auf dieſe große Summe, die ſie erwerben konnten, ver⸗ zichtet haben? Ein anderes Ereignis, meine Herren, das ganz in unſerer Nähe am vorgeſtrigen Tage paſſiert iſt, wirft gleichfalls ein ſehr grelles Licht auf die Sitnation. Die Maurer bei unſerm Schillertheater⸗ bau erhalten einen Lohnbetrag von 75 Pf. die Stunde. Als voraeſtern der Maurermeiſter, der den Vertnag über rechizeirige Lieferung des Bauwerks abgeſ t loſſen hat, einigen unfleißigen Arbeitern, die ihre Pflicht nicht taten, den Arbeitsvertnag aufkündigte und ſie gehen ließ, ſchloſſen ſich ſämtliche der organiſierten Arbeitervereinigung angehörenden Arbeiter zuſammen und legten die Arbeit nieder. Meine Herren, iſt das ein Beweis, daß ein Notſtand beſteht? Ich muß ſagen: das erinnert doch ſchon mehr an Übermut. (Zuruf bei der freien Vereinigung: So iſt es!) Wenn Menſchen, die 75 Pf. die Stunde verdienen, ihre Arbeit aus dem Grunde niederlegen, weil anderen daſelbſt, weil ſie ihrer vertraglichen Verpflichtung nich! nachkommen, rechimäßig von dem anderen Vertrags⸗ kontrahenten gekündigt wird, wenn das eine ſo große Anzahl von Arbeitern ſich leiſten können, ſo geht daraus klar hervor, daß die Teuerung der Lebens⸗ mittel jedenfalls zu keinem Noiſtand geführt hat. (Zuruf des Stadiv. Hirſch: Hat garnichis damit zu tun) Würde ein Notſtand vorhanden ſein, dann würden die Arbeiter in ihrem eigenen und im Intereſſe ihrer Familien nicht zu dem Schritte gekommen ſein, ihre Arbeit niederzulegen. (Siadtv. Hirſch: Doch!) Aber weiter, meine Herren. wenn wir die Löhne unſerer Arbener erhönen wollen, ſo können wir das nicht machen, ohne Rückücht auf die Indunrie zu nehmen, von der wir unſere Steuern erhebn. Wir leben nicht in unſerer Verwalmung in einer abge⸗ ſchlofſenen Welt, ſondern wir ſtohen mitt n im Welt⸗ markt und find in unſerer Stenerkraft abgängig von unſeren Gewerbetreiben en und Induſtriellen. Wii haben mit Sorgfalt darauf zu achten, daß wir bei der Erhöhung der Lohne unſerer Arveiter der Induſtrie keinen Schaden tun; denn wenn wir die Induſtrie ſchädigen, dann ſchädigen wir uns im letzten Grunde ſelbſt. Das iſt übrigens ein Grundſatz, meine Herren, den die Stadwerordnetenverſammlung von Charlotten⸗ burg mehrfach ausdrücklich als richtig anerkannt hat. (Stadiv. Kaufmann: Gewiß, beim Normaletat, nicht bei der Teuerung!) Ich habe mir nun eine Zuſammenſtellung machen laſſen über die Löhne, die die Induſtrie heute zahlt, und die wir zahlen. Zu dieſem Zwecke habe ich den Durchſchnutstagelohn zuſammenſt llen laſſen, der für die verſchiedenen Berufe, welche der Charlottenvu ger Allgemeinen Ortskrankenkaſſe ang hören, feſtgeſetzt iſt, und gleichzeitig den ebenſo ausgemittelten Durch⸗ ſchnitt der Tagelöhne, der auf unſere Arbeiter ent⸗ fällt. Auf unſere Arbeiter entfällt ein durchſchnitt⸗ licher Tagelonn von 3.70 ℳ — ein durchſchnittlicher, meine Herren! Ich erinnere daran, daß es nicht der wirkliche iſt, daß er unter dem wirklichen ſteht. Es kommen da die jüngeren Arbeiter hinzu und die Frauen, die ja niedrigere Löhne bekommen als die durchſchnittlichen. Alſo der durchſchnittliche Tage⸗ lohn iſt bei uns 3,70 ℳ. Dieſer durchſchninliche Tagelohn wird in der Induſtrie nur in vier Fällen um ein geringes überſtiegen. Er ſteht nämlich beim Holz⸗ und Schnitzſtoffgewerbe auf 3.90 ℳ, iſt alſo gegenüber unſerm Satz um 20 Pf. höher, im Bau⸗ gewerbe auf 4 ℳ, alſo 30 Pr. höher, im Verkehrs⸗ gewerbe auf 3,90 ℳ., alſo 20 Pf. höher. Alle üb igen Gewerbe zahlen weniger als die Stadt: die Landwirtſchaft 2,80; Gärtnerei 2,80; Induſtrie der Sieine und Erze 3,60; Metallverarbeitung 3,60 ℳ — ein Gererbe, das hohe Löhne zahlt! —, Maſchinen, Juſtrumente, Apparate 3,50 ℳ; chemiſche Induſtrie 3,30 ; Leuchtſtoffe, Felte, Ole 3,70 ℳ,; Textilin⸗ duſtrie 3,00 ℳ; Papierinduſtrie 3,00 ℳs;, Leder 3,20 ℳ; Nahrunge⸗ und Genußmittel 2,90 ℳ,; Kleidung 2,30 ℳ; Reinigung 2,40 ℳ,; polygraphiſche Gewerbe 2,90 ℳ, künſtleriſche Betriebe für gewerb⸗ liche Zwecke 2,60 ℳ,; Handelsgewerbe 2,70 ℳ,; Ver⸗ ſicherung 3,60 ℳ; verſchiedene Gewerbe 3,00 ℳ. Sie ſehen alſo, meine Herren, daß wir mit unſerem Satze von 3,70 ℳ uns mit unter denjenigen befinden, die die öchſten Löhne zahlen. Auch wenn wir die Löhne, die wir tatſächlich zahlen, an ſich allein, losgelöſt von den übrigen be⸗ trachten, ſo werden Sie mir zugeben, daß ſie nicht niedrig ſind. Wir zahlen bei Beginn der Arbeit den gerinaſten Satz. Nach fünfjährigem Beſtehen des Arbeitsverhältniſſes erhönt ſich der Lohnſatz, und nach zehnjährigem Beſteyen erhöht er ſich nochmals. Wir zahlen nämlich an Arbeiter ohne handwerksmäßige Vorbildung zu Beginn der Arbeit 3,60 ℳ, nach fünf Jahren 4,10 ℳ, nach zehn Jahren 4,60 ℳ An handwerksmäßig vorgebildete Arbeiter zahlen wir bei Beginn 4 ℳ , nach fünf Jahren 4,50 ℳes, nach zehn Jahren 5 ℳ, an Aufſeher bei Beginn 4,60, nach fünf Jahren 5,20, nach zehn Jahren 5,80 ℳs; an Mannſchaften der F uerwehr bei Beginn 4 ℳ, nach funf Jahren 4,50 ℳ, nach zehn Jahren 5 ℳ,; an Oberfeuerwehrmänner bei Beginn 5 ℳ, nach fünf Jahren 5,80 ℳ, nach zeyn Jahren 6,40 ℳ,; an Overmaſchiniſten bei Beginn 5,80 ℳs, nach fünf Jahren 6,70 ℳ, und nach zehn Jayren 7,70 Sie werden mir zugeven, daß das keine Löhne ſind, die nicht eine vorübergehende Teuerung von 50 ℳ pro Jahr eriragen köunen. Meine Herren, auch dieſe Zahlen beſtätigen, daß ein Notſtand bei der vorhandenen Teuerung der L bensminel nicht vorliegt. Wir können nun nicht ganz nach freiem Willen über dieſe Löyne, die die Induſtie zahlt, hinausgehen. Wenn die Stadtwerwaltung das tun wollte, ſo wurde ſie die Induſtrie zwingen, ihr zu folgen. Gewiß, die Macht würden wir, glaube ich, haben. Aber, meine Herren, was würde die Folge ſein? Die Induſtcie, die veute ſchon bei den Handelsverträgen, die am 1. März eingetreten ſind, in eine ſehr ſchwierige Lage beim Wetibewerb mit dem Auelande, (Stadtv. Hirſch: Na, na!) würde dann bald nicht mehr konkurrenzfähig ſein. Es iſt durchaus notwendig, daß unſere inländiſche Induſtrie konkurrenzfähig bleibt. Geht die Induſtrie zurück, dann, meine Herren, gehen auch wir zurück, weil unſere Steuern zurückgehen. Wir werden dann nicht mehr in der Lage ſern, ſelbſt diejenigen Löhne zu zahlen, die wir heute zahlen. Das iſt ein circulus vitiosus, den zu vermeiden wir beſtrebt ſein müſſen. Meine Herren, ich beſtreite nun aber, daß es den Arbeitern über haupt ſchlecht geht. Den Arbeitern geht es, Gott ſei Dank, bei dem Stande der heutigen Wirtſchaftsordnung gut. (Sehr richtig! bei der Freien Vereinigung.) Für die Arbeiter wird jetzt ſeit Jahrzehnten von allen Seiten in hervorragendem Maße geſorgt: auf dem Gebiete der Geſetzgebung, bezüglich der Steigerung