——— 842 — 20. Dezember die Stadtverordnetenverſammlung ziem⸗ lich einſtimmig beſchloſſen hat, den Arbeitern und Be⸗ amten, welche ein Geyalt bis zu 3000 ℳ haben, eine Teuerungszulage zu gewähren. Wenn auch von Not⸗ ſtand durchaus nicht geſprochen werden ſoll, ſo ſind doch Teuerungsverhältniſſe vorhanden, und die ſind vom Magiſtrat in keiner Weiſe beſtritten worden. Er führte ſelbſt am Schluſſe ſeiner Begründung am 20. Dezember aus, daß, wenn die Verhältniſſe im Frübjahr 1906 noch ebenſo liegen, er dann vielleicht gewillt wäre, eine Anderung des Normaletats für die Arbeiter vorzunehmen. Meine Herren, der Herr Oberbürgermeiſter hat ja hier eingehend ausgeführt, daß die Verhältniſſe, die Fleiſchpreiſe uſw. noch ganz dieſelben ſind wie im November und Dezember. Ich behaupte ſogar, für Schweinefleiſch ſind die Preiſe noch geſtiegen, ſie ſind augenblicklich noch teurer als im Dezember, und wir werden es erleben, daß die Preiſe für Lebensmittel noch immer ſteigen werden. Ich halte die Begründung, die uns gegeben worden iſt, für eine ſehr unglückliche. Wenn die Sparkaſſe bei dieſer Gelegenheit ins Feld geführt worden iſt, wenn der Magiſtrat da eingehend nach⸗ geſehen hat, wie die Verhältniſſe liegen, ſo möchte ich dem gegenüberhalten, daß doch wohl bei einem Ar⸗ beiter, der ein Einkommen von täglich 3,50 ℳ, 4,50 ℳ oder 6 ℳ hat, gar keine Rede davon ſein kann, daß er ſpart. Die Sparer rekrutieren ſich aus anderen Kreiſen. Unſere Statiſtik weiſt nach: im Jahre 1901 waren Zenſiten, die ein Einkommen von 3000 ℳ bis 6000 ℳ hatten, 12 685 vorhanden, im Jahre 1902 dagegen 13 200, im Jahre 1903 13 781 und im Jahre 1904 14 392. Ferner gab es Zenſiten mit einem Einkommen von 6000 ℳ bis 9500 ℳi im Jahre 1901 5465, im Jahre 1904 6506; Zenſiten mit einem Einkommen von über 100 000 ℳ waren im Jahre 1901 99 und im Jahre 1904 450. Ich will garnicht beſtreiten, daß die im Dienſtverhältnis uſw. Stehenden auch zu den Sparern gehören. Des⸗ gleichen gehören dazu die Magiſtratebeamten, die vierteljährlich ihr Gehalt bekommen, und die es nach und nach wieder abholen, vielleicht im letzten Monat ſo viel auf der Sparkaſſe laſſen, daß das Buch be⸗ ſtehen bleibt, alſo bis auf die letzten paar Mark. Dieſe Begründung des Magiſtrats iſt meiner Meinung nach ein ganz unglücklicher Griff, auch in anderer Beziehung noch. Es wird verſchiedene Einwohner in Charlottenburg vor den Kopf ſtoßen, wenn ſie hören, daß der Magiſtrat ſo weit geht, die Verhältniſſe der Sparkaſſe zu revidieren Wir müſſen doch annehmen, daß nicht alle Leute darüber unterrichtet ſind, wie der Apparat funktioniert, wie die Sachen geleitet werden, ſondern eine große Anzahl von Leuten wird ſich ſagen: der Magiſtrat hat eingehend nachgeſehen und weiß ganz genau, daß ich Sparer bin und mein Nachbar auch. Dadurch werden uns unter Umſtänden ſehr viel Sparer verloren gehen. Ich hätte gewünſcht. der Magiſtrat hätte hier etwas anders verfahren, als erade die Sparkaſſe heranzuziehen, die meiner An⸗ 10 nach durchaus nicht hier herangezogen werden ann. Meine Herren, wir haben im Etatsausſchuß ſchon den Antrag geſtellt, eine Reviſion des Normal⸗ etats vorzunehmen. Das wurde abgelehnt. Es würde ſich heute erübrigen, wiederum einen Antrag zu ſtellen, der doch hier abgelehnt werden wird. Wir würden uns daher ebenſalls dem Antrage des Referenten, eine gemiſchte Deputation einzuſetzen, anſchließen. Ich möchte aber hier daran den Wunſch knüpfen, daß es damit nicht ſo geht wie mit der Depu⸗ tation, die wir am 11. Oktober zur Beratung von Maßnahmen gegen die Fleiſchteuerung eingeſetzt haben, die bis jetzt noch keine Sitzung gehalten hat. Ich möchte den Magiſtrat bitten, wenn wir heute eine aemiſchte Deputation wählen, daß nicht in ahnlicher Weiſe verfahren wird. Im übrigen befremdet es mich, daß der Magiſtrat ſich ſo ſehr gegen dieſe Teuerungs⸗ zulage wendet. Bei der Jubiläumsfeier ſind wir gar nicht gefragt worden wegen der 45 000 ℳ, wenn ich nicht irre; die wurden einfach ausgegeben, und nach⸗ her hieß es: Vogel, friß oder ſtirb, (Heiterkeit) das Geld iſt verausgabt, und Ihr habt es zu ge⸗ genehmigen. Hier, meine ich, könnte der Magiſtrat auch mal erwas tun, um den Frieden unter ſeinen Beamten wieder herzuſtellen. Denn das wird doch wohl jedem einleuchten, daß eine große Unzufrieden⸗ heit darüber herrſcht, daß in Berlin und in den ganzen Vororten, wo noch billige Wohnungsverhältniſſe uſw. teilweiſe Platz greifen, die Teuerungszulage bewilligt worden iſt, hier in Charlottenburg aber nicht. Ich hege den Wunſch, daß in der gemiſchten Deputation noch etwas erreicht werden wird, um die Beamten zufrieden zu ſtellen. Stadtv. Dr. Spiegel: Meine Herren, es erſcheint mir doch notwendig, etwas näher zu begründen, weshalb wir die Einſetzung einer gemiſchten Deputation wünſchen. Aus der bisherigen Debatte geht hervor, daß die Auffaſſungen ſehr verſchieden ſind, und daß die Auffaſſung des Magiſtrats nicht ſo überzeugend begründet worden iſt, daß wir von vornherein auf Gegenäußerungen verzichten müſſen. Der Herr Oberbürgermeiſter ſtellt ſich auf den Standpunkt, eine Teuerungszulage nur dann als berechtigt anzuerkennen, wenn ein Notſtand vorliegt. Meine Herren, der Begriff Notſtand iſt, wie alle derartigen Begriffe, ein relativer. Ich ſetze voraus, daß der Herr Oberbürgermeiſter einen Notſtand nicht erſt dann anerkennen wird, wenn ihm eines Tages ein paar verhungerte Arbeiter in ſein Sprech⸗ zimmer gebracht werden. (Heiterkeit.) Ein gewiſſer Notſtand iſt meiner Anſicht nach vor⸗ handen, wenn die Menſchen nicht mehr in der Lage ſind, die Lebenshaltung zu führen, auf die ſie nach Lage der Dinge Anſpruch haben, und an die ſie ge⸗ wöhnt ſind. An eine ſolche Lebenshaltung paſſen wir doch unſern Normaletat, die Löhne und Ge⸗ hälter an, damit ſie den zur Zeit beſtehenden ſozialen Verhältniſſen ungefähr entſprechen. Nun ſagt der Herr Oberbürgermeiſter: wir ſind darin ſo reichlich vorgegangen, daß auch die jährlichen Schwankungen recht wohl dabei berückſichtigt ſind und ertragen werden können. Gewiß, meine Herren, die jährlichen Schwankungen, die in der Natur der Dinge liegen, die ſich vorübergehend einmal ergeben können, aber doch nicht die Schwankungen, die ſich derartig feſtſetzen, wie das der Herr Oberbürger⸗ meiſter von der Lebensmittelteuerung ſelbſt anerkannt hat! Hier liegt ein gewiſſer Notſtand vor, ein Not⸗ ſtand inſofern, als in der Tat unſere Arbeiter und niedrig beſoldeten Beamten nicht mehr in der bis⸗ herigen Weiſe leben können. Wenn der Herr Ober⸗ bürgermeiſter für dieſe Behauptung einen zahlen⸗ mäßigen Beweis wünſcht, ſo will ich ihm den Weg angeben, auf dem er ſich einen ſolchen recht leicht beſchaffen kann: er braucht nur bei den Fleiſcher⸗ meiſtern nachzufragen, bei denen unſere Arbeiter⸗ bevölkerung ihren Bedarf zu decken pflegt, und er