—— 138 gründung unſeres Antrages auf einige Erörterungen über die Wahlkreiseinteilung für die Wahlen zum preußiſchen Abgeordnetenhauſe beſchränken. Die Wahlkreiseinteilung iſt geſetzlich feſtgelegt. Sie beruht bei den alten preußiſchen Provinzen auf der Volkszählung vom Jahre 1858 und für die neuen preußiſchen Provinzen auf der vom Jahre 1867. Es iſt für je 50000 Einwohner ein Abgeordneter ge⸗ ſchaffen, und dementſprechend ſind die Wahlkreiſe in jenen beiden Jahren eingeteilt. Seit jener Zeit hat eine gewaltige Verſchiebung der Bevölkerung ſtattge⸗ funden. Berlin, welches damals noch nicht 9 Million Einwohner hatte, infolgedeſſen mit 9 Abgeordneten ſich begnügen mußte, iſt inzwiſchen auf mehr als 2 Millionen Einwohner angewachſen, die Einwohner⸗ ſchaft von Charlottenburg hat ſich mehr als verzehn⸗ facht, und ſo iſt das Verhältnis in allen größeren Städten. Auf dem Lande iſt die Bevöllerung ſtehen geblieben, zum Teil zurückgegangen, in den Städten aber iſt ſie gewachſen. Infolgedeſſen ſind, da in⸗ zwiſchen eine Anderung der Wahllreiſe nicht einge⸗ treten iſt, ganz ungeheuerliche Ungerechtigkeiten ent⸗ ſtanden. Es exiſtieren z. B. 95 Wahlkreiſe in Preußen, welche weniger als je 60 000 Einwohner haben; dieſe ſtellen 158 Abgeordnete. Andererſeits exiſtieren 36 Wahlkreiſe mit erheblich mehr als je 100 000 Ein⸗ wohnern; dieſe ſtellen nur 64 Abgeordnete. Dieſe Ungerecktigkeit in der Vertretung im preußiſchen Landtage hat den liberalen Parteien des Landtages wiederholt Veranlaſſung gegeben, Ande⸗ rungsanträge einzureichen. Im Jahre 1900 iſt ein ſolcher Antrag eingegangen, im Jahre 1901, im Jahre 1902. Aber dieſe Anträge wurden nicht an⸗ genommen. Man predigte tauben Ohren. Die Agrarier, welche die Majorität im Abgeordnetenhauſe haben, ſind zwar unerſättlich im Nehmen, ſie ver⸗ ſuchen, bei jeder Gelegenheit Vorteil auf Koſten der Städter zu erlangen; aber wenn es ſich darum han⸗ delt, der ſtädtiſchen Bevölkerung Gerechtigkeit zuteil werden zu laſſen, dann ſind die Agrarier dafür nicht zu haben. Jetzt endlich hat die Regierung dem Drängen der öffentlichen Meinung inſoweit nachgegeben, daß ſie ſich entſchloſſen hat, eine Wahlrechtsnovelle ein⸗ zureichen — ein ganz elendes Flickwerk, welches niemand befriedigt. Unter andern iſt der Stadt Charlottenburg ein Abgeordneter zugewieſen. Wenn man die Zahl von 433 Abgeordneten auf die gegen⸗ wärtige Bevölkerung Preußens verteilt, dann wurde auf je 86 000 Einwohner ein Abgeordneter kommen. Bei dieſer Zahl würde Charlottenburg beinahe das Recht haben, drei Abgeordnete zu verlangen; es würde Charlottenburg drei Abgeordnete für je etwa 80 000 Einwohner wählen. Aber mindeſtens iſt Charlottenburg in der Lage, zwei Abgeordnete zu beanſpruchen. Gründe, welche dafür ſprechen ſollten, daß der Stadt Charlottenburg nicht wenigſtens zwei Abgeord⸗ nete zugewieſen werden, eriſtieren nicht. Gründe exiſtieren nicht, warum die oſtpreußiſchen und die pommerſchen Bauern mehr Rechte haben ſollen als die Charlottenburger Bürgerſchaft. Wenn man die Steuerleiſtungen, die bei dem Klaſſenwahlrecht eine Rolle ſpielen, berückſichtigt, ſo muß man ſagen: Charlottenburg, welches jetzt einen Abgeordneten be⸗ kommen ſoll, leiſtet mehr zur Alimentierung des preußiſchen Staates als die ganze Provinz Oſt⸗ preußen, hat aber bisher nicht einen einzigen Abge⸗ ordneten geſtellt. Dieſer Grund kann nicht maß⸗ gebend ſein. Neuerdings hat auch insbeſondere auf ſeiten der nationalliberalen Partei der Grundſatz, daß auch die höhere Bildung ein höheres Wahlrecht gewähren ſoll, eine Rolle geſpielt. Aber auch in dieſer Beziehung nehmen die oſtpreußiſchen und die pommerſchen Bauern doch gewiß keine höhere Stellung ein als die Charlottenburger Bürger. Es eriſtiert kein Grund, weswegen Charlotten⸗ burg zurückgeſetzt wird, weswegen die großen Städte zurückgeſetzt ſind. Deswegen haben wir geglaubt, den Antrag einreicken zu ſollen. Wir ſind uns klar darüber, meine Herren, daß dieſer Antrag vielleicht keine praktiſche Bedeutung haben wird. Es iſt möglich, wahrſcheinlich ſogar, daß die Herren im Abgeordnetenhauſe dieſen Antrag ablehnen. Aber das ſchadet nichts. Wir ſind uns ja alle klar darüber, daß die jetzige Wahlrechtsvor⸗ lage nicht das Ende der preußiſchen Wahlreform iſt, ſondern der allererſte Anfang derſelben; dieſer Antrag iſt mindeſtens ein Axthieb von den vielen Axthieben, die gegen dieſes morſche Wahlrechtsgebäude geführt ſind und geführt werden müſſen. Freilich können wir nicht darauf rechnen, daß die Herren Abgeord⸗ neten für Charlottenburg, die Herren Ring und Hammer, im Abgeordnetenhauſe für den Antrag ein⸗ treten werden. (Zurufe.) Der eine iſt beſchäftigt mit der Aufrechterhaltung der Fleiſchteuerung und mit der Erhaltung der ge⸗ fährdeten Milchzentrale, und Herr Hammer iſt be⸗ ſchäftigt mit der Bekämpfung der Warenhäuſer. Dieſe Herren haben keine Zeit, das Intereſſe Char⸗ lottenburgs im Abgeordnetenhauſe zu vertreten. (Erneute Zurufe: Ring iſt ja längſt nicht mehr Abgeordneter! — Feliſch!) — Nun alſo Feliſch; dieſer wird auch nicht für das Intereſſe Charlottenburgs eintreten. Ich glaube aber, daß es in der Bürgerſchaft Charlottenburgs mit großer Frende begrüßt werden würde, wenn der Herr Vertreter Charlomtenburgs im Herrenhauſe Veran⸗ laſſung nehmen würde, für die Rechte Charlottenburgs in dieſer Körperſchaft einzutreten. Ich gebe mich weiter der Hoffnung hin, daß auch in den Stadt⸗ verordnetenverſammlungen anderer Städte — ich nenne Cöln. Breslau, Stettin, Frankfurt a. M. — wo die Verhältniſſe ähnlich liegen wie in Charlotten⸗ burg, Anträge dieſer Art nicht mehr von der Tages⸗ ordnung verſchwinden werden. Dieſer Antrag wird, auch wenn wir diesmal keinen Erfolg haben, im nächſten Jahre wiederkehren, und nicht eher von der Tagesordnung dieſer Stadtverordnetenverſammlung verſchwinden, bis wir einen Erfolg haben werden. Es iſt dieſes Thema auch ein außerordentlich dankenswertes Thema für den Preußiſchen Städte⸗ tag. Die Städtetage haben bis jetzt keine allzu großen Erfolge gehabt. Aber darüber ſind wir ja alle einig, daß dieſer Zuſammenſchluß der Städte notwendig iſt. Wenn irgend ein Gegenſtand für die Tagesordnung fruchtbar und geeignet ſein kann, einen Mörtel abzugeben für den Zuſammenſchluß der preußiſchen Städte, ſo iſt es die Wahlrechtsfrage, und der Magiſtrat von Charlottenburg würde ſich den Dank der Bürgerſckaft verdienen, wenn er auch dieſe Frage auf die Tagesordnung der Städtetage demnächſt ſetzen würde. Es fragt ſich nun, in welcher Weiſe dieſer An⸗ trag behandelt werden ſoll. Ich denke mir, wenn wir ihn angenommen haben, würde es ſich empfehlen, wenn der Magiſtrat — ich glaube der Magiſtrat