2 — Sitzung der Stadtverordnetenverſammlung einer der Herren gemeint: nun, wenn wirklich dieſe ganz unglaubliche Anſicht von der Behörde vertreten werden ſoll, dann müßte ja tatſächlich jedes Mitglied der Schuldeputation — nicht bloß die künftigen, ſondern auch die vorhandenen Mitglieder — auf Herz und Nieren geprüft werden, wie es denn zum Religionsunterricht ſtehe. Es ſcheint das geradezu undenkbar, und doch ergibt es ſich mit Naturnot⸗ wendigkeit aus dem Beſcheide des Kultusminiſters. Meine Herren, ich möchte bei dieſer Gelegenheit — es wird das vielleicht von einer gewiſſen Be⸗ deutung auch für die Behörden ſein, die mit der Angelegenheit ſich noch weiter zu befaſſen haben werden, oder die einmal wieder in die Lage kommen könnten, zu der Frage Stellung zu nehmen — ich möchte meine Anſicht dahin äußern, daß, ſoweit mir die Verhältniſſe bekannt ſind, der Standpunkt des Herrn Kollegen Dr. Penzig durchaus kein vereinzelter iſt, daß es nicht etwa nur ein Stand⸗ punkt iſt, der von den Diſſidenten eingenommen wird, ſondern ein Standpunkt, der zumteil auch ſogar von den poſitiv religiöſen Leuten eingenommen wird, ein Standpunkt, der mit der Religion an und für ſich eigentlich gar nichts zu tun hat. Ich kann mir ſehr wohl denken, daß eine Religionsgeſellſchaft großen Wert darauf legt, die Religion aus der Volks⸗ ſchule herauszubekommen und ſie allein nur durch die Religionsgeſellſchaft lehren zu laſſen, und ich kann mir auf der andern Seite ſehr wohl vorſtellen, daß ein durch und durch liberal denkender Menſch ganz entſchieden dagegen proteſtiert, daß der Religions⸗ unterricht aus der Volksſchule genommen und durch einen anderen Unterricht erſetzt werde, weil er ſich ſagt: ſolange dieſer Unterricht in der Schule ſelbſt erteilt wird, beſteht eine gewiſſe Kontrolle darüber ſeitens der betreffenden Organe, Schuldeputation, Kommune, und welche Organiſationen ſonſt hierbei in Betracht kommen. Noch ein anderes iſt zu berückfichtigen. Der Miniſter ſagt in ſeinem Beſcheide nicht etwa rundweg, daß es ſich hier um den Religionsunterricht handelt, und deswegen, weil der vorgeſchlagene Kandidat anderer Meinung iſt, könne er nicht beſtätigt werden, ſondern er ſagt: der Religionsunterricht iſt einer der Hauptgegenſtände, die für die Volksſchule in Betracht kommen, und weil der Kollege Dr. Penzig der Meinung iſt, daß einer dieſer Hauptgegen⸗ ſtände nicht in die Volksſchule gehört, deswegen kann er nicht Mitglied der Schuldeputation ſein. Meine Herren, es wird dringend notwendig ſein, daß ſich der Miniſter nun einmal darüber äußert, welche Hauptgegenſtände des Unterrichts in der Volks⸗ ſchule ſonſt noch in Frage kommen; denn wir werden bei zukünftigen Wahlen, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß der betreffende Kandidat für die Schuldeputation nicht die Beſtätigung erlangt, ganz genau wiſſen müſſen, wie er ſich zu den verſchiedenen Hauptgegenſtänden, die in der Volksſchule gelehrt werden, ſtellt! So wenigſtens der Sinn des Beſcheides des Miniſters. Der Miniſter ſagt ja nicht etwa: es iſt der Religionsunterricht der Hauptgegenſtand des Unterrichts und deshalb uſw. — ſondern: der Religionsunterricht iſt einer der Hauptgegenſtände. Implicite liegt eben in dem Beſcheide des Miniſters, daß alle diejenigen, die der Meinung ſind, daß die Hauptgegenſtände — das heißt die nach Anſicht des Miniſters ſolche ſind — in der Schule anders geſtaltet werden müſſen, ſich zu Mitgliedern der Schuldeputation nicht eignen! Und ich frage dann weiter: wenn 38 wirklich der Beſcheid des Miniſters aufrecht erhalten werden ſoll, wo ſoll denn eigentlich die Reform in der Volksſchule bleiben, gerade auf dem Gebiete der Hauptgegenſtände, die in der Volksſchule gelehrt werden? (Sehr richtig!) Da möchte ich nun als meine perſönliche Anſicht ausſprechen, und ich möchte dieſe Gelegenheit nicht vorübergehen laſſen, ohne dies ausdrücklich zum Ausdruck zu bringen — ich bin feſt überzeugt, daß ich im Sinne auch einer ganzen Anzahl Kollegen hier in der Stadtverordnetenverſammlung ſpreche — daß, wenn einer der Hauptgegenſtän de in der Volksſchule reformbedürftig iſt, es dann gerade der Religionsunterricht iſt. (Sehr richtig! Bravo!) Meine Herren, der, der da eine gründliche Reform vornehmen will, iſt dann alſo nicht befähigt, Mitglied der Schuldeputation zu ſein? — Nachdem ich hier z. B. dieſe Erklärung abgegeben habe, müßte der Kultusminiſter, wenn Sie mich in die Schul⸗ deputation wählen, ſagen: der Mann iſt nicht geeignet, Mitglied der Schuldeputation zu ſein, denn er würde jetzt nicht mehr dafür Sorge tragen, daß die Schüler in der Volksſchule in Gottesfurcht, und was ſonſt noch in jenem Erlaß von 1898 ſteht, erzogen werden. Meine Herren, es wäre ganz intereſſant, wenn der Miniſter dazu einmal rundweg Stellung nehmen möchte, ob denn wirklich ein ethiſcher Unterricht in dem Sinne, wie ihn der Kollege Dr. Penzig erteilt haben will, nicht auch die Schüler in der Volks⸗ ſchule gerade nach jener Richtung hin ausbildet, die der Kultusminiſter in der Verfügung vom Jahre 1898 als die Norm aufgeſtellt hat. Man ſteht hier in der Tat vor einem vollkommenen Rätſel. Ich bin ſogar der Meinung, daß dieſer Beſcheid des Miniſters ſich mit jener Verfügung von 1898 im Widerſpruch befindet, (ſehr richtig!) jener Verfügung, in der der Miniſter die Grundſätze aufgeſtellt hat, die bei der Prüfung der Männer, die in die Schuldeputationen geſchickt werden, maß⸗ gebend ſein ſollen. Nun haben wir ja leider keinen Rechtsweg, den wir beſchreiten können, um einen Richterſpruch darüber herbeizuführen, was hier Rechtens iſt. Wir können uns nur darauf beſchränken, wie wir es damals ſchon wenigſtens zum Teil ausgeſprochen haben, zu erklären: wir können nicht anerkennen, daß jene Ver⸗ fügung von 1898 zu Recht beſteht, nicht anerkennen, daß über haupt die Beſtätigung der Behörden zu Recht beſteht, nicht aner⸗ kennen insbeſondere, daß die Nichtbe ſtätigung des Kollegen Dr. Penzig zu Recht erfolgt iſt. Wir ſehen jetzt, wohin die Konſequenzen führen. Wir ſtehen ſchließlich gegenüber einer vollſtändigen Willkür des Miniſters bei der Beſtätigung der Schuldeputationsmitglieder. Bei jeder einzigen Wahl in die Schuldeputation müſſen wir Gefahr laufen, daß der Miniſter neue Grundſätze aufſtellt. Und, meine Herren, wohin ſoll das denn ſchließlich führen?! Es würde vielleicht nahe liegen, auch hier wieder von der Selbſtverwaltung zu ſprechen. Aber wenn es ſich um das Kultusminiſterium handelt, dann, glaube ich, iſt es vollſtändig überflüſſig, noch von einer Abbröckelung der Selbſtverwaltung zu reden. Denn wir ſind ja im Laufe der Jahre ſo daran gewöhnt, daß jeder Miniſter, wenn er ſich auch ab und zu einmal bei Feſtreden als begeiſterten Anhänger der Selbſtverwaltung preiſt und ſogar als Miniſter des Geiſtes ſich aufſpielt, doch ſtets e ifrig