259 —— in allen ihren mehr oder minder häßlichen Luftdurchzug ſtattfinden kann: der Raum für die Erſcheinungen vor die Aungen kommen, im aegebenen Falle auch ein takwolles Wort des Tadels finden, ſie aber auch immer beurteilen können unter Berückſichtigung der geſamten Lebenslage der Leute. Er muß namentlich auch gegenüber einer unzweckmäßigen oder geſund⸗ heitswidrigen Benutzung der Wohnung be⸗ lehrend und beratend wirken. Die Unterhaltung mit den Leuten muß in freundſchaftlich⸗wohl⸗ wollender Weiſe geführt werden, damit in ihnen das Gefühl befeſtigt wird, daß der Wohnungs⸗ inſpektor nur in ihrem eigenſten Intereſſe kommt und ihnen ein wohlwollender Berater ſein will. Ein Wohnungsinſpektor, der ſich etwa nur mit dem Zollſtock und Notizbuch in der Hand lediglich auf eine Unterſuchung der Wonnung beſchränkt und etwaige Anſtände in geſchäfts⸗ mäßiger Weiſe zur Geltung bringt, oder gar unter Anwendung ſchneidigen Polizeitons ſeines Amtes waltet, hat ſeine Aufgabe nicht richtig erfaßt und kann der Sache ſelbſt unter Um⸗ ſtänden nur ſchaden. Es iſt erwünſcht und bei perſönlichen Unterredungen mit den Herren auch ſtets erſtrebt worden, daß die Wohnungs⸗ inſpektoren ihre Tätigkeit immer mehr und mehr in dieſer Richtung zu beeinfluſſen ſuchen.) Aber, meine Herren, auch wenn dies geſchieht, auch wenn die Wohnungsinſpektoren in dieſer Weiſe verfahren — und das geſchieht doch vielfach — ſo wird ihre Wirkſamkeit doch immer nur eine ſehr beſchränkte bleiben, wenn die von ihnen für nötig erachteten Anderungen nicht ausgeführt werden können, die zum Teil oft nicht unbedeutende Koſten verurſachen. Das haben die Gemeindebeamten in England erkannt und auch danach gehandelt, wo auch die Wohnungsinſpektion den Anlaß dazu gab. Aus dieſem Grunde haben ſeinerzeit meine Freunde für die Bewilligung der Koſten der Reiſe der Herren Bürgermeiſter und Vorſteher nach England geſtimmt; wir haben eben gehofft, daß ſie, wenn fie ſich dort von den Zuſtänden im Wohnungsweſen überzeugen, auch bereit ſein würden, hier für ähnliche Einrichtungen zu wirken. Man iſt ja in England ganz anders vorgegangen als hier; man hat nicht gezaudert, wenn es ſich um ganze Stadtviertel handelte, die ſchlechte Wohnungen hatten, die ganzen alten Baracken an⸗ zukaufen und niederzureißen und neue, geſunde Wohnungen zu bauen. Allerdings hat das oft ſehr bedeutende Koſten verurſacht. Nach Brouardel, der Ihnen wohl auch bekannt iſt, dem leider vor kurzem verſtorbenen franzöſiſchen Hygieniker, hat England in den 20 Jahren von 1850 bis 1870 für öffentliche Geſundheitspflege ungefähr 15 Millionen ausgegeben, in den 15 Jahren von 1875, nachdem die Public health act beſchloſſen war, bis 1890 über 3 Milliarden Mark. Aber 1891 verliert England durch die Tuber⸗ luloſe auf eine Million Einwohner nur 1300 Menſchen, Preußen dagegen in derſelben Zeit 2194 Menſchen auf eine Million Einwohner. Inbetreff der Säuglings⸗ ſterblichkeit iſt es ungefähr dasſelbe Verhältnis. Ich glaube, das iſt nichts Erfreuliches. Wie geſagt, in den engliſchen Wohnungen wird in ganz bedeutend höherem Maße ein größeres Quantum von Luft und Licht und Reinlichkeit verlangt; Wohnungen, die geſchloſſene Rückwände haben, werden nicht geduldet; es wird durchaus verlangt, daß ein ) Reichsarbeitsblatt, 4. Jahrg. S. 135. Schlafzimmer muß bedeutend größer fein. (Zuruf vom Magiſtratstiſch.) Ja, ſagt der Herr Bürgermeiſter, das mag ſein; aber für Wohnräume werden 400 engliſche Kubikfuß für den Erwachſenen verlangt, das ſind 11½ ebm; 200 engliſche Kubikfuß für Kinder! Das wird hier wohl nicht verlangt. (Zuruf vom Magiſtratstiſch.) Ich kann ja nicht auf alle die Beſtimmungen in England eingehen, die weiter vorſchreiben, daß die Wohnungen jährlich friſch getüncht, täglich zweimal gelüftet und täglich gereinigt werden müſſen. Das iſt durchaus vorgeſchrieben in England; hier kümmert ſich kein Menſch darum, und das iſt ſehr ſchlimm. Es wäre eine Aufgabe der Wohnungsinſpektoren, dafür zu ſorgen, und ehe wir die nicht haben, wird es bei uns auch nicht anders. Deshalb bitte ich, den Antrag anzunehmen. Vorſteher Roſenberg: Herr Stadv. Vogel, ich glaube in Ihrem Sinne zu handeln, wenn ich an⸗ nehme, daß der Antrag, den Sie ſtellen wollen, folgendermaßen lautet: Der Magiſtrat wird erſucht, der Stadtverord⸗ netenverſammlung eine Vorlage betr. Einfüh⸗ rung einer Wohnungsinſpektion durch für dieſe Tätigkeit vorgebildete Techniker und Hygieniker zu machen. Nicht wahr, damit ſind Sie einverſtanden? (Zuſtimmung des Stadtv. Vogel.) Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: Meine Herren, ich kann mit den theoretiſchen Ausführungen des Herrn Vorredners perſönlich mich ziemlich einver⸗ ſtanden erklären. Ich beklage namentlich mit ihm die ungeheuer großen Schäden, die infolge der ge⸗ ſundheitsſchädlichen Beſchaffenheit der Wohnungen, ihrer Überfüllung, des Schlafſtellenunweſens ſchädi⸗ gend auf die körperliche und ſittliche Kraft des Volkes, verheerend auf den Stand unſeres Volkes wirken, und ich erkenne an, daß wir mit aller Ener⸗ gie dahin ſtreben müſſen, dieſe ſchädliche Seite un⸗ ſeres Wohnens zu beſeitigen. Aber, meine Herren, eine andere Frage iſt es, wie man praktiſch dieſe ſchwierige Frage löſt. Die Wohnungsinſpektion kann und muß ſich nach den Erfahrungen, die wir bisher gemacht haben, und nach den Forderungen, die wir an ſie ſtellen müſſen, in der Hauptſache gegen drei Punkte richten, die ich vorhin ſchon erwähnte: gegen die Geſundheitsſchäd⸗ lichkeit der Wohnungen, gegen die Uberfüllung der Wohnungen und gegen das Schlafſtellenunweſen. Was den erſten Punkt anbetrifft, ſo iſt zweifel⸗ los auch in einzelnen Häuſern unſerer alten Stadt von einer Geſundheitsſchädlichkeit der Wohnungen zu ſprechen. Aber die Dinge liegen bei uns, wie ſich von ſelbſt ergibt, nicht ſo ſchlimm wie in alten Städten, in denen ſeit Jahrhunderten derartige Häuſer ſtehen, die aufgebaut ſind zu einer Zeit. wo keine Baupolizeiordnung exiſtierte und keine bau⸗ polizeiliche Aufſicht. In unſeren neueren Stadtteilen werden ſelten Wohnungen vorhanden ſein, die wirk⸗ lich als geſundheitsſchädlich zu betrachten ſind. Aber die beiden anderen Punkte, die Überfüllung der Wohnungen und dann vor allen Dingen das furchtbare Schlafſtellenunweſen, das ſo entſetzliche Folgen zeitigt, eriſtieren auch in unſerer Stadt und werden zu bekämpfen ſein. Man kann beides aber nur dann bekämpfen, wenn man ſchon Sorge ge⸗