—— 321 Herren, die ihre Unterſchrift unſeren Kandidaten gegeben haben, dazu, gegen unſere Kandidaten zu ſtimmen? (Sehr richtig! bei den Liberalen.) Iſt da irgend ein Einfluß geübt worden auf die betreffenden Herren? (Sehr gut! bei den Liberalen.) Alſo ſo einfach, daß eine Erklärung geſucht werden müßte für die Abgabe der Unterſchrift, ſo einfach liegt die ganze Saché nicht. Nun, meine Herren, das Auftreten des Herrn Kollegen Röthig! Wenn Herr Kollege Röthig mala ſide ſeine Behauptung aufgeſtellt, Herrn Wolffenſtein als nationalliberal bezeichnet hätte, obwohl er wußte, daß er es nicht iſt, ſo würde das eine Agitation ſein, die ein jeder von uns auf das allerſchärfſte miß⸗ billigt. So hat die Sache aber nicht gelegen; ich komme darauf noch zurück. Aber nehmen wir ein⸗ mal an, ſie hätte ſo gelegen, ſo würde nach der ganzen Praris unſeres Oberverwaltungsgerichts auch nicht der leiſeſte Zweifel darüber beſtehen können, daß dieſe vielleicht noch ſo verwerfliche Agitation niemals eine ſolche iſt, die die Stadtverordneten⸗ verſammlung berechtigen könnte, die vollzogene Wahl als ungültig zu bezeichnen. Nehmen Sie, meine Herren, irgend ein anderes Beiſpiel an: es wird von einer Seite ein Dr. Soundſo aufgeſtellt als Kandidat, und mala ſide wird von einem Agitator einem Wähler geſagt: es iſt ein ganz hervorragender Hygieniker, den können wir ausgezeichnet brauchen, — während der Agitator ganz genau weiß: er iſt Doktor der Philoſophie, er iſt Mädchenſchullehrer und verſteht von Hygiene gar nichts. Nehmen wir dieſen Fall der abſolut verwerflichen Agitation, ſo würde das Oberverwaltungsgericht ſagen: das iſt ein Wähler der erſten Abteilung, der ſein Wahlrecht ausübt, man kann von dem wohl verlangen, daß er ſich über den Mann erkundigt. Nun hat Herr Kollege Hubatſch den Proteſt be⸗ nutzt, auf die Anſchauungen der Freien Vereinigung überhaupt einzugehen, und die Vorwürfe, die da gegen eines unſerer Mitglieder erhoben worden ſind, waren doch auch gegen andere von uns gemünzt. Da will ich doch mal Herrn Kollegen Hubatſch einen der Proteſte vorlegen und ihn bitten, ſich den recht zu überlegen. Er hat mir zu denken gegeben, und es wäre ſehr gut möglich geweſen, auf Grund dieſes Proteſtes den Spieß vollſtändig umzukehren. Ich meine den 7. Proteſt, der vom Herrn Malermeiſter Draganski unterzeichnet iſt. In dieſem Proteſt leſe ich ungefähr am Ende der Seite: Die Herren — die alſo angeblich beeinflußt worden ſind durch den Aufruf — haben auch am Wahltage ihre Stimme nicht für die freiſinnigen Herren Thieme, Lemm und Paetel, ſondern für die Kandidaten der Freien Vereinigung uſw. abgegeben. Wie kommt der Verfaſſer dieſes Proteſtes dazu, von den „freiſinnigen“ Herren Paetel, Thieme und Lemm zu ſprechen, von den drei Herren, von denen zwei organi⸗ ſierte Mitglieder der nationalliberalen Partei ſind! (Hört, hört! bei den Liberalen.) Iſt da nicht vielleicht durch die ganze Agitation der Anſchein erweckt worden, als wäre unſere Liberale Fraktion die nächſte Alliierte des Berliner Kommunal⸗ freiſinns? Iſt da nicht in der Preſſe oder ſonſtwo den Leuten geſagt worden: das iſt die freiſinnige Volkspartei, die hier auf den Bänken ſitzt? (Bravo! bei den Liberalen.) Iſt da nicht bei den Gegnern auch eine Auffaſſung verbreitet worden, die der Wahrheit nicht entſpricht, und die Kollege Hubatſch ſo gut kennt wie irgend ein anderer, über unſere Stellung, die dahin geht, daß uns jeder liberal denkende Mann herzlich will⸗ kommen iſt, der ſich zum Liberalismus bekennt, und daß wir gar nicht fragen: iſt er nationalliberal, oder gehört er zur Freiſinnigen Volkspartei oder zur Freiſinnigen Vereinigung? Von einer Reihe von Herren, die ſeit Jahren mit uns zuſammen arbeiten, weiß ich heute noch nicht, ob ſie zu dieſer oder jener Gruppe gehören. (Sehr richtig! bei den Liberalen.) Meine Herren, dieſe Agitation iſt zweifellos nicht ſchön; mag ſie von der einen Seite oder von der anderen Seite kommen, wir werden nach den Wahlen bei ruhiger Uberlegung dieſe Agitation für unſchön erklären. Aber gänzlich etwas anderes iſt es, ob auf Grund einer ſolchen Agitation, ſelbſt wenn ſie vor⸗ gekommen ſein ſollte — ich beſtreite das —, ob auf Grundlage einer ſolchen Agitation wir zur Ungültig⸗ keitserklärung einer ſolchen Wahl kommen können. Ich ſtimme alſo in dieſem Punkte mit dem Herrn Berichterſtatter durchaus überein. Nun, meine Herren, verzeihen Sie: ich muß Sie jetzt mit einigen juriſtiſchen Auseinanderſetzungen beläſtigen, die ſich auf den Antrag e des Ausſchuſſes beziehen, alſo auf die Wahl Thieme. Wie Sie wiſſen, iſt im Ausſchuß mit vier gegen vier Stimmen durch Stichentſcheid des Vorſttzenden die Ungültigkeit ausgeſprochen worden. Wir halten an unſerer Über⸗ zeugung feſt, daß die Wahl gültig iſt, und zwar möchte ich für meine Perſon gleich hervorheben: ich bin, je mehr ich mir die Sache überlegt habe, um ſo mehr zu der Anſicht gekommen, daß das Vorgehen des Wahlvorſitzenden, unſeres Kollegen Gredy, durchaus korrekt geweſen iſt, und daß Thieme rite gewählt iſt. Ich bin allerdings zuerſt ſtutzig ge⸗ worden, als ich den Proteſt unſeres Kollegen Jachmann las und hier die Worte ſtanden: es iſt Herr Mar Thieme mit 77 Stimmen als gewählt proklamiert worden. Da taucht ja ſelbſtverſtändlich der Gedanke auf, daß hier zweifellos irgend ein Fehler drin ſtecken muß: entweder iſt Thieme ge⸗ wählt — dann hat er mehr als 77 Stimmen gehabt —, oder er hat 77 Stimmen gehabt, und dann iſt er nicht gewählt. Es iſt nun tatſächlich eine unrichtige Behauptung, wie aus dem Wahl⸗ protokoll erſichtlich iſt, daß in dieſer Weiſe proklamiert worden ſei, ſondern in vollkommen korrekter Weiſe hat der Wahlvorſteher zunächſt angegeben, wieviel Stimmen auf den Betreffenden entfallen ſind: für die Wahlperiode 1902/07 ſind 77 Stimmen, für die Wahlperiode 1904/9 6 Stimmen uſw. abgegeben, und dann wurde erklärt: es iſt mithin Thieme als gewählt anzuſehen. Das iſt eine durchaus korrekte Proklamierung geweſen. Es iſt das Stimmverhältnis nicht angegeben worden bei der Proklamierung ſelber. Nun möchte ich aber einmal annehmen, es würde in der Weiſe proklamiert worden ſein, es hätte der Wahlvorſteher geſagt: Thieme iſt mit 77 Stimmen gewählt. Dann würde dieſe Begründung der Prokla⸗ mierung ohne rechtliche Bedeutung ſein. Erzellen Jebens ſagt in ſeinem Kommentar, und zwar ſic beziehend auf eine Entſcheidung des Oberverwaltungs⸗ gerichtshofes: es iſt angemeſſen, daß in der Be⸗ kanntmachung des Wahlvorſtehers die Zahl der im ganzen abgegebenen und diejenige der auf die Ge⸗ wählten abgegebenen Stimmen angegeben werde. Es iſt „angemeſſen“, daß ſie angegeben werde, d. h. es iſt nicht notwendig; und wenn es nicht notwendig iſt, dann iſt eine unrichtige Angabe der Stimmen irrelevant, es iſt ein Superfluum, das hinzugeſetzt