Weiſe von Herrn Kollegen Hubatſch angegriffen worden bin, ſehe ich mich genötigt, meine Zurück⸗ haltung aufzugeben. In Gegenſatz zu Herrn Kollegen Hubatſch bin ich der Meinung, daß von einer Wahlbeeinfluſſung meinerſeits keine Rede ſein kann. Denn wenn ich in einem Privatgeſpräch einem Wähler meine An⸗ ſichten über verſchiedene Punkte darſtelle, ſo muß ich bei dem betreffenden Wähler doch ſo viel Selbſtändig⸗ keit und ſo viel eigene UIberzeugung vorausſetzen, daß er entweder meine Angaben bei IIberlegung für richtig findet oder nicht. Findet er ſie für richtig, ſo kann er danach wählen. Meint er nachher, daß er unrichtig getan hat, ſo iſt ein Angriff gegen mich und meine Handlungsweiſe nur dann zu verteidigen, wenn er der Überzeugung iſt und den Nachweis führen kann, daß ich meine Angaben und Anſichten mala fide ausgeſprochen habe. Daß ich meine An⸗ ſichten mala fide ausgeſprochen habe, für dieſe Be⸗ hauptung iſt keine Unterlage vorhanden. Ich habe allerdings Herrn Wolffenſtein als nationallikeral bezeichnet. (Aha! bei der Freien Vereinigung.) Wie ich dazu gekommen bin, habe ich dem betreffenden Herrn bereits brieflich mitgeteilt. Ich kann Ihnen verraten, daß nicht ich allein, ſondern eine ganze Reihe meiner Fraktionsgenoſſen ebenfalls der ehrlichen Überzeugung waren, daß Herr Wolffenſtein national liberal ſei. Ich habe aber nicht davon geſprochen, daß er der nationalliberale Kandidat iſt, wie es in dem Einſpruch des Herrn Jachmann heißt. Das wäre eine Behauptung geweſen, die ihren Widerfinn in ſich ſelber trägt. Denn gegenüber ſtanden fjich zwei Kandidaten: ein liberaler Kandidat und ein unpolitiſcher Kandidat; es gab kein n einzig und allein nationalliberalen Kandidaten. Ich habe in der Unterhaltung mit dem betreffenden Wähler ihm gegenüber keinen Zweifel gelaſſen, das beide Kandidaten nationalliberal ſind. Ich habe ſogar, woran der betreffende Wähler ſich erinnern muß, zur Motivierung dafür, daß ich gerade für den meiner Überzeugung nach nationalliberalen Herrn Wolffenſtein agitiere, geſagt, daß wir ihn als Architekten hochſchätzen, ihn deswegen in der Stadtverordnetenverſammlung ſehen wollen, und daß ich naturgemäß aus dem Grunde für Herrn Wolffenſtein, nicht für Herrn Liepmann agitiere, weil ſich Herr Wolffenſtein entſchloſſen hat, ſich unſerer Partei anzuſchließen, und jedes Mitglied einer Partei hat ſelbſtverſtändlich hat Beſtreben, ſür ſeine eigene Partei zu wirken, — worauf der be⸗ treffende Herr erwiderte: „Selbſtverſtändlich!“ Ich kann Ihnen weiter aus dem Gang der Unterhaltung erzählen, daß nicht die Zugehörigkeit des Herrn Wolffenſtein zur nationalliberalen Partei allein für den betreffenden Herrn ausſchlaggebend geweſen iſt, ſondern er hat geſagt, er wolle für Herrn Wolffenſtein nur unter der Voraueſetzung ſtimmen, daß er damit nicht für den Berliner Kommunal⸗ freiſinn ſtimme. Da habe ich geſagt: diejenigen Angaben, die wir in gegneriſchen Blättern immer noch zu hören bekommen, — noch am Vorabende der Wahl, — daß unſere Fraktion identiſch iſt mit dem Berliner Kommunalfreiſinn, trifft nicht zu. Ich glaube daher, daß der Einſpruch des Herrn Jachmann hinfällig iſt. Ferner wird davon geſprochen, daß ich eine größere Anzahl nationalliberaler Wähler in gleicher Weiſe beeinflußt hätie — das Wort „beeinflußt“ möchte ich meinerſeits in Anführungsſtriche ſetzen. Davon kann auch keine Rede ſein; denn ich bin nicht 329 —— bei einer größeren Anzahl nationalliberaler Wähler geweſen. Nun habe ich allerdings in der Privatunter⸗ haltung mit dem Herrn geſagt, daß meiner Meinung nach zu der Fraktion „Freie Vereinigung“ Konſer⸗ vative, Nationalliberale und antiſemitiſche Elemente gehörten. Das habe ich geſagt, und dieſe Anſicht hat ſich mir gebildet ſelbſtverſtändlich nicht aus per⸗ ſönlichem Verlehr mit Ihnen — dazu gehöre ich der Stadtverordnetenverſammlung allerdings viel zu geringe Zeit an —, aber ich habe dieſe Uberzeugung mir gebildet aus dem vorliegenden Material der ver⸗ gangenen Wahlen, und ich kann Ihnen den Vorwurf nicht erſparen, daß, wenn Sie ſich jetzt dagegen ſo ſehr wehren, Sie die Geſchichte Ihrer Fraktion nicht ganz genau kennen. Im November 1905 z. B. unterſtützt die Deutſche Mittelſtandsvereinigung (Orts⸗ gruppe Charlottenburg), die gemeinſam mit dem konſervativen Bürgerverein den Wahlkampf führt, durch Flugblatt die Kandidaturen Stein und Platz, indem ſie verzichtet, in II“ gegen Stein und in 1II1s gegen Platz eigene Kandidaturen aufzuſtellen, und ihre Wähler auffordert, für Stein und Platz ein⸗ zutreten. Dieſes Flugblatt wird in der Staatsbürger⸗ zeitung vom 1. November 1905 wörtlich abgedruckt, und in dieſer Nummer ſowohl wie in der vom 5. November und in einer früheren vom 18. Oktober werden die Beſtrebungen der Mittelſtandsvereinigung und die von ihrer Ortsgruppe Charlottenburg empfohlenen Kandidaten warm von der Staatsbürgerzeitung unter⸗ ſtützt. Daß in der deutſchen Mittelſtandsbewegung antiſemitiſche Tendenzen herrſchen, geht aus einer Verſammlung der Ortsgruppe Charlottenburg des Deutſchen Volksbundes im Oktober 1905 hervor, wo in einem Vortrag von Hans von Moſch über „Juden⸗ tum und Mittelſtandsbewegung“ unter lebhaftem Beifall in zum Teil kraſſer Weiſe ausgeführt wird, daß die Mittelſtandsbewegung ſich freihalten müſſe von jüdiſchen Elementen. Auch in dieſer von antiſemitiſchem Geiſte erfüllten Verſammlung werden die von der Mittelſtandsvereinigung aufgeſtellten und unterſtützten Kandidaten den Wählern warm empfohlen. (Hört, hört! bei den Liberalen.) Die Kandidaten Stein und Platz waren alſo 1905 die Männer des Vertrauens der Mittelſtandsver⸗ einigung und der Staatsbürgerzeitung! Ja, Herr Platz in ſolcher Weiſe, daß die Mittelſtandsver⸗ einigung nur gegen Otto einen ſpeziellen Gegen⸗ kandidaten in Herrn Profeſſor Vogel in III“ auf⸗ ſtellte Gehen wir weiter zurück, ſo wird im Jahre 1901 in I1II: aufgeführt als unpolitiſcher Kandidat ein Herr May, der im Wahlkampf nach den Zeitungs⸗ notizen als „antiſemitiſch⸗ konſervativ⸗ agrariſch“ charakteriſiert wird. Ferner gehörte zu den Un⸗ politiſchen 1901 das Vorſtandsmitglied des konſer⸗ vativen Bürgervereins Herr Oberſtleutnant Knaack, der 1899 der Kandidat der vereinigten Konſervativen und Unpolitiſchen in II1 war. Außerdem iſt 1897 ein Herr Fränken Kandidat der vereinigten Konſer⸗ vativen und Unpolitiſchen im 4. Wahlbezirk der III. Abteilung. Dieſe Männer waren die Vertrauens⸗ männer des konſervativen Bürgervereins und zugleich die Kandidaten der Unpolitiſchen! 1897 und 1899 geht der Bürgerverein mit den Unpolitiſchen zu⸗ ſammen, teils durch gemeinſame Kandidaturen, teils dadurch, daß er, worauf im Wahlkampf 1899 hingewieſen wird, durch Fluablatt die unpo⸗ litiſchen Kandidaten, z. B. Callam, Roſtock und Koch