Stadtv. Hirſch: Alſo die Herren werden wiſſen, was ich meine. Ich wollte damit nur beweiſen, daß ſie im Grunde genommen gleiche Brüder gleiche Kappen ſind, daß dieſer ganze Streit nichts weiter iſt als ein perſönlicher Streit. 8 Meine Herren, es iſt dann noch eine Erklärung verlangt worden über den Begriff „Nebenregierung“, den ich in die Debatte geworfen hatte. Ich habe ſchon dem Herrn Oberbürgermeiſter zugerufen, daß ich ſelbſtverſtändlich nicht das damit meine, was er angedeutet hat. Wenn Vorlagen in Deputationen beraten werden, die ſpäter an das Plenum der Stadtverordnetenverſammlung kommen, ſo haben eben ſämtliche Mitglieder der Deputation, zu denen ge⸗ wöhnlich Vertreter aller Fraktionen gehören, davon Kenntnis. Das iſt es auch gar nicht, was ich ge⸗ meint habe; nein, es handelt ſich um Fragen, die überhaupt ſich gar nicht zu Vorlagen verdichten. Sehr oft wundert man ſich darüber, daß man über Dinge, die viel ſpäter erſt die Stadtverordneten⸗ verſammlung beſchäftigen, auch über perſönliche Fragen ſchon von anderer Seite privatim unterrichtet wird. Meine Herren, ich habe vorhin ſchon geſagt, daß man das Gefühl hat,, daß eine gewiſſe Nebenregierung bei uns herrſcht, und, meine Herren, dieſes Gefühl haben nicht nur ich und meine Freunde, ſondern dieſes Gefühl haben auch Herren von anderen Frak⸗ tionen, wie ſie in Privatgeſprächen oft ausgeſprochen 1 40 Es iſt nun einmal ſo, daß über gewiſſe ragen nicht vorher eine Beſprechung zwiſchen Ver⸗ tretern der Fraktionen oder im Plenum ſtattfindet, ſondern daß gewiſſe Fragen ſchon entſchieden ſind, bevor die Mehrheit der Stadtverordnetenverſammlung davon Kenntnis erlangt. Stadtu. Dr. Crüger: Meine Herren, das ſind ja allgemeine Behauptungen, denen nachzugehen und die nachzuprüfen wir gar nicht in der Lage ſind. Es müſſen uns beſtimmte Fälle derartiger „Neben⸗ regierung“ vorgeführt werden; dann können wir unter⸗ ſuchen, ob etwas und was an der Geſchichte iſt. Im übrigen habe ich feſtzuſtellen, daß in der Reihe der Jahre, die ich die Ehre habe, Mitglied der Verſammlung zu ſein, in all den Jahren zuſammen nicht ſoviel Politik getrieben iſt als in der heutigen Sitzung. Ich ſtelle aber ausdrücklich feſt, daß dieſe Politik nicht von der Liberalen Fraktion in Szene geſetzt iſt, ſondern von der rechten und linken Seite, — daß dieſe ihre politiſchen Geſinnungen ausgetauſcht haben. Ich möchte, daß noch ein Stündchen fortgefahren werde; (Heiterkeit.) ich kann auch Herrn Kollegen Hirſch die Verſicherung geben, daß da der tertius gaudens nicht auf der linken Seite ſitzt, ſondern ſich bei unſerer Fraktion befindet. Wenn z. B. Herr Kollege Stadthagen hier dieſes herrliche Bekenntnis abgibt, daß die Kon ſervativen eine liberale Weltanſchauung vertreten, ſo, muß ich ſagen, iſt dieſes Bekenntnis für uns von ſehr großem Wert. Etwas Beſſeres konnte uns überhaupt gar nicht zur Charakteriſierung Ihrer (zur Freien Vereinigung) poliſchen Richtung heute mit auf den Weg gegeben werden, und wenn die Anfrage des Herrn Kollegen Sachs hier weiter keinen Effekt gehabt hat, als daß dieſe Auffaſſung einmal feſtgeſtellt iſt von jener Seite aus, ſo, muß ich ſagen, war die Anfrage die Stunden wert, die wir auf die Angelegenheit verwendet haben. Dae 49 Meine Herren, Herr Kollege Hirſch hat nach 29 dem Muſter berühmter konſervativer Flugblätter uns eine ganze Liſte vorgeführt, (Stadtv. Hirſch: Bloß einen Teil!) uns alle die Vorlagen angeführt, gegen die wir uns erklärt haben. Herr Kollege Hirſch ſcheint dabei vollkommen zu überſehen, daß uns von ihm, wenn wir auch Seite an Seite ſitzen, doch vieles trennt, daß wir doch nicht der ſozialdemokratiſchen Fraktion angehören. Wir haben doch deswegen, weil wir der liberalen Fraktion angehören, noch nicht die Verpflichtung, für alle ſozialdemo⸗ kratiſchen Anträge zu ſtimmen — z. B. ohne weiteres für Anträge betr. Minimallöhne, Maximal⸗ arbeitszeit. Nun iſt ſchon feſtgeſtellt worden, daß unſere „Freunde“ auf der linken oft zu finden ſind bei unſeren „Freunden“ auf der rechten Seite. Allerdings ſagen Sie: keine politiſchen Fragen, ſondern demo⸗ kratiſche Grundſätze ſind hier zur Anwendung gekommen. Für uns iſt aber die Stadtverordneten⸗ vorſteherwahl keine Perſonenfrage, ſondern es handelt ſich dabei um demokratiſche Grundſätze, um Rechte, die die Mehrheitspartei für ſich in Anſpruch nimmt. Wenn Sie alſo da einfach zur Minderheitspartei übergehen, ſo verſtoßen Sie gegen die demokratiſchen Grundſätze, die Sie ſonſt immer mit ſolcher Verve zu vertreten ſcheinen. Wir haben Sie auch bei anderen Fragen nicht an unſerer Seite geſehen, wir haben das lebhaft bedauert; und ſehr häufig iſt bei uns in der Fraktion davon die Rede geweſen: die Herren der ſozialdemokratiſchen Fraktion ſind immer an der Seite der Freien Vereinigung, die ſcheinen überhaupt ſtets gegen die Liberalen arbeiten zu wollen. (Stadtv. Hirſch: Sehr richtig!) Und die Arbeiter ſind wieder ausgeſpielt! In 48 Stunden haben wir Reichstagswahl; da ſollen die Liberalen wieder einmal ſchlecht gemacht werden. Aber, wie ich häufig ſchon Ihnen entgegengehalten habe: ich kann mir nicht denken, wenn Sie einen Arbeiter unter vier Augen vornehmen und ihm klar machen wollen, daß er von dem Magiſtrat und der Stadtverordnetenverſammlung in ſeinen Rechten verletzt wird, — ſo glaubt er Ihnen ſelbſt nicht! Im übrigen haben Sie ſelbſt das Sündenregiſter mit ſo freundlichem Geſicht vorgetragen, Herr Kollege Hirſch, daß ich mehr oder weniger die Empfindung gehabt habe — nehmen Sie es mir nicht übel —: es hat ſich um einen mehr oder weniger guten Scherz gehandelt. Der Herr Vorſteher hat in einer allgemeinen Bemerkung Stellung genommen und geſagt, daß ſein Standpunkt durchaus korrekt geweſen iſt. Ich habe, offen geſtanden, vom Standpunkt des Herrn Vor⸗ ſtehers aus eine andere Erklärung gar nicht erwartet; ich kann mir nicht denken, daß der Herr Vorſteher uns ſagen wird: ich gebe zu, ich hätte damals anders handeln ſollen. Aber ich glaube, daß man in den einzelnen Fällen eben ſcharf unterſcheiden G34 zwiſchen dem Vorſteher und dem Führer ſeiner Frakt ion, und das, worauf ich hinauswollte, war, feſtzuſtellen, daß unter Umſtänden, wenn eben der Führer der Fraktion ſich nicht eine ganz außerordentliche Reſerve auferlegt, er dann ſehr leicht mit ſich ſelbſt als Vorſteher in gewiſſen Widerſpruch kommt. Was das beſagt, weiß ein jeder. Daß der Herr Vorſteher die Klage nicht ſelbſt bearbeiten will, verdenke ich ihm keinen Augenblick. Ich habe im übrigen die Sache hier auch nur zur Sprache gebracht, weil nach meinem Dafürhalten in