Ganz gewiß teile ich den Standpunkt des Herrn Kollegen Hirſch inſofern, daß ich die erzählten Ammenmärchen nicht glaube, und es iſt ein ganz ungeheuerliches, juriſtiſch ungeheuerliches Verlangen von dem Herrn Oberbürgermeiſter, ſich hierher zu ſtellen und zu ſagen: Ich behaupte das, und wenn ihr das bezweifelt, dann beweiſt mir mal, daß es nicht vorgekommen iſt! Dann würde man allerdings, wenn man Recht zu ſprechen hätte, ſehr bequem und einfach Recht ſprechen können, wenn man etwas behauptet und von dem, der die Behauptung nicht glauben will, den Gegenbeweis erwartet, daß es überhaupt nicht vorgekommen iſt. Zunächſt liegen hier in der Tat Behauptungen des Herrn Ober⸗ bürgermeiſters vor, die er von einer beſtimmten Seite bekommen hat. Es iſt uns auch verſichert worden, daß Anklagen, daß Strafanzeigen ergangen ſind; es wird alſo zu einer gerichtlichen Klarſtellung der Fälle jedenfalls noch kommen, und der Herr Oberbürgermeiſter wird Gelegenheit haben, zu zeigen, ob er dann loyal gegenüber den Perſonen verfährt, die er hier beſchuldigt hat. Jedenfalls aber ändert das nichts an der Tatſache, daß es ein juriſtiſch ganz ungeheuerliches Verlangen iſt, daß wir, Herr Kollege Hirſch oder ich, etwa den Beweis liefern ſollen, daß etwas nicht vorgekommen iſt. Beweiſe kann man dafür liefern, daß etwas vorgekommen iſt, und wenn man behauptet, daß etwas vorgekommen iſt, iſt man auch den Beweis dafür ſchuldig. „Wenn übrigens vrußerungen des Mißfallens, Außerungen der Erregung vorgekommen ſind — frei⸗ lich nicht Dinge, die zum Totſchlag führen — ſo iſt das nur außcrordemlich begreiflich. Denn für einen organiſterten Arbeiter gibt es gar nicts ſchlimmeres als Streikbruch oder den Kollegen in den Rücken zu fallen, als einzutreten an einer Arbeitsſtelle, wo eine Ausſperrung verbängt iſt. Wer das tut, handelt vom Standpunkt des organiſterten Arbeiters aus infam, und wenn organiſterte Arbeiter darüber in eine ſtarke Erregung geraten und dieſer in einer Weiſe Ausdruck geben, wie es eben unge⸗ bildeten Leuten eigen iſt, ſo kann man ſich darüber in keiner Weiſe wundern und kann nicht ſofort Zeter und Mordio über jede harte Außerung ſchreien, ja auch nicht gleich Zerer und Mordio darüber ſchreien, wenn wirklich mal ein Schlag vorgekommen iſt. (Zuruf vom Magiſtrat: Aber Totſchlag!) — Toiſchlag kommt nur vor bei den Arbeitewilligen; die haben ja auch geäußert: wir Arbeitswilligen können ruhig einen totſchlagen. Wir haben es ja auch erlebt, daß ein ſolcher Totſchläger nicht gefunden worden iſt, oder vielmehr, daß er in das Ausland verſchwinden konnte! Der Herr Oberbürgermeiſter ſchien mit einem gewiſſen Behagen die orthographiſchen Fehler in dem Briefe des Herrn Gebert mit vorzuleſen, dadurch vielleicht andeutend, daß der Mann doch eigentlich gar nicht berufen ſei, in derartigen Angelegenheiten ſich an die Direktion zu wenden. Nun, wenn der Mann nicht orthographiſch richtig ſchreiben kann, ſo iſt das noch keine Sache, die an ſich gegen den Mann ſpricht. Es iſt bedauerlich, daß in unſerer Volks⸗ ſchule nicht mehr geleiſtet wird — es iſt das kein Hieb auf unſere Charlottenburger Volksſchule, ich glaube auch nicht, daß Herr Gebert durch die Char⸗ lottenburger Volksſchule gegangen iſt; es iſt das nur eine Illuſtration des allgemeinen Bildungs⸗ ganges bei uns in Preußen und dafür, was auf der preußiſchen Volksſchule gelernt wird. Aber unabhängig davon ſind dieſe Beamten der Arbeiter⸗ 225 — ſchaft durchaus tüchtige und fähige Leute, auch wenn ſie nicht richtig orthographiſch ſchreiben. Auch das Betonen des Umſtandes, daß dieſer Herr Gebert ja doch eben davon lebe, von den Arbeitern bezahlt ſei, ſchien mir recht wenig ange⸗ bracht ſeitens eines Mannes, der doch eben auch von Verwaltungsgeſchäften lebt und in etwas beſſerer Weiſe lebt. Wenn der Herr Oberbürgermeiſter auch nur eine Ahnung davon hätte, was für ein Maß von Aufopferung, von unbezahlter Arbeitsleiſtung gerade dieſe bezahlten Gewerkſchaftsbeamten leiſten, wenn er nur den hundertſten Teil von dem wüßte, was dort an Arbeit geleiſtet wird — ich glaube, er hätte dieſe Bemerkung ſich erſpart. Soviel alſo zu den Dingen, die hier eigentlich gar nicht zur Diskuſſion ſtehen ſollten, und die ich auch, wenn ich etwa der erſte Redner geweſen wäre, wenn ich die Interpellation zu beantworten gehabt hätte, auch vom Standpunkt des Magiſtrats aus nicht vorgebracht hätte. (Sehr richtig!) Ich wende mich jetzt zu der Interpellation ſelbſt und zu der Antwort, die der Herr Oberbürger⸗ meiſter gegeben hat. Der Herr Oberbürgermeiſter ſang uns ein Lied von den ſchönen Lohnverhältniſſen der Arbeiter, und wie zufrieden die Arbeiter wären. Ja, glaubt denn der Herr Oberbürgermeiſter, daß dieſe zufriedenen Arbeiter eine Lohnaufbeſſerung zurückgewieſen hätten? Es geſchieht auch in anderen Stellungen, daß man, wenn man 12000 oder 15000 ℳ Gehalt hat und durch irgendwelche Um⸗ ſtände, die ſeitens eines Dritten hineingebracht werden, eine Gehaltsaufbeſſerung von einigen Tauſend Mark bekommt, ſie nicht zurückweiſt, obwohl man nicht zu den Hetzern und unruhigen Elementen ge⸗ hört. Ich glaube alſo auch nicht, daß dieſe Arbeiter eine Lohnaufbeſſerung, wenn ſie ihnen bewilligt worden wäre, etwa mit der Begründung zurück⸗ gewieſen hätten: da wir ja ſchon ſo reichlich bezahlt werden, daß wir vollkommen zufrieden ſind. Dieſe Frage, ob die Löhne ausreichend waren oder nicht, und ob die Löhne ausreichend ſind oder nicht, ſteht hier nicht zur Diskuſſion, und die wage ich auch gar nicht zu entſcheiden, weil ich über die Lohnver⸗ hältniſſe in dem Transportgewerbe viel zu wenig unterrichtet bin, weil ich viel zu wenig davon weiß, was für ein Lohn dieſer Arbeit im allgemeinen ent⸗ ſpricht. Ich entnehme nur dem Umſtande, daß für ähnliche Arbeit in Berlin 39,50 ℳ gezahlt werden, für die hier 37,50 ℳ oder mit Anrechnung des Kranken⸗ und Invaliditätsgeldes 38,50 ℳ gezahlt wird, die Vermutung, daß dieſe Löhne doch nicht gar ſo außerordentlich hoch ſind. Der Herr Oberbürgermeiſter ſagt nun allerdings: die Leute waren ja zufrieden und ſind nur durch die Drohung, daß ſie mit Knüppeln verhanen werden ſollen, veranlaßt worden, nicht mitanzutreten. Ja, wie iſt mir denn? Ich habe in den Ausführungen des Herrn Oberbürgermeiſters gehört, daß 120 Arbeiter in dem Betriebe waren und von dieſen 75 unter⸗ ſchrieben haben, daß ſie weiter arbeiten wollten, das heißt alſo, daß 45 fehlten. 45 alſo war die Höchſt⸗ zahl dieſer böſen Hetzer, die mit Knüppeln die andern verhauen wollten, und von dieſen 45 wurde in der Verſammlung den 75 Arbeitern geſagt: wenn ihr nicht mitmacht, ſollt ihr mal ſehen! Herr Ober⸗ bürgermeiſter, wenn Sie ſich das ruhig überlegen, werden Sie das in der Form doch wohl nicht für wirklich annehmen. Dieſe 75 würden, wenn ihnen die 45 in der Weiſe in der Verſammlung gekommen