—— 240 —— Bürgermeiſter Matting: Meine Herren, ich glaube, daß die Gründe, die ich mitzuteilen in der Lage bin, die Situation vollſtändig klären werden. Vorweg⸗ ſchicken möchte ich, daß die Entziehung der Ge⸗ nehmigung, die vor vielen Jahren geaeben iſt, nicht durch den Magiſtrat, ſondern durch die Shuldeputation in Ausübung der ihr von den ſtädtiſchen Körper⸗ ſchaften vor einigen Jahren eingeräumten Voll⸗ machten erfolgt iſt. Ein Irrtum iſt es zweifellos — ich glaube, darüber hätie der Stadtv. Dr. Borchard kaum im Zweifel ſein können —, daß die Entziehung nur deshald erfolgt ſei, weil der Verein aus Arbeitern beſteht; denn wenn man dieſe Bedenken hätte haben können, ſo hätte man ſie wahrſcheinlich zur Geltung gebracht, als es ſich um die Erteilung der Erlaubnis handelte, die vor einer längeren Reihe von Jahren anſtandslos erfolgt iſt, ohne daß auch nur mit einem Worte an dieſen Umſtande Anfioß genommen worden wäre. In der Zwiſchenzeit ſind aber allerdings ſehr weſentliche neue Tatſachen zur amtlichen Kenntnis der Schuldeputation gebracht worden, und zwar ſchon im Herbſte vorigen Jahres. Die Schuldeputation hat trotzdem geglaubt, vier nicht von ihrem Rechte Gebrauch machen zu ſollen, den ſofortigen Widerruf auszuſprechen, ſondern hat den Verein in dem Ge⸗ nuſſe der ihm erteilten Erlaubnis bis zum 1. April dieſes Jahres belaſſen und hat erſt bei Ablauf dieſer Friſt die Erlaubnis nicht erneuert. Es iſt der Schuldeputation amtlich mitgeteilt worden, daß aus Anlaß der Einziehung einiaer Mit⸗ glieder dieſes Vereins zum militäriſchen Dienſ am 6. Oktober 1906 im Volkshauſe ein ſogenanntes Rekrutenabſchiedslied geſungen worden iſt, welches von antimilitariſtiſchen und ſozialdemokratiſchen Ten⸗ denzen ſtrotzt. Wenn Sie das Lied, das ich nicht vorleſen möchte, aber das ich hier zur Kenntnis aus⸗ lege, geleſen haben werden, wird es Ihnen allerdings vielleicht ſo gehen, wie auch der Schuldeputation, daß Sie fragen werden: hätte dieſes Gedicht in ſeiner plumpen Form und dem kaum ernſt zu nehmenden Inhalt nicht eigentlich humoriſtiſch abgetan werden können, oder aber liegen die Verhältniſſe wirklich ſo, daß man dagegen ernſthaft einzuſchreiten hat? Die Schuldeputation hat ſich nach längerer Erwägung auf den letzteren Standpunkt geſtellt. Es macht zwar, wie geſagt, dieſes Gedicht keinen ernſthaften Eindruck, aber es zengt jedenfalls von dem Geiſte, der in der „Freien Turnerſchaft“ gezüchtet wird, wenn er auch hier nicht gerade in beſonders ernſthafter Weiſe zum Aue druck gelangt. Die Schuldeputation hat infolge⸗ deſſen, auch im Sinne der Auffichtsinſtanzen, die fich ja ein Aufſichtsrecht über die Vergebung der ſtädtiſchen Schulraume vorbehalten haben, zu handeln geglaubt, wenn ſie dieſem Vereine die Genehmigung zur Be⸗ nutzung der Turnhallen nicht wieder erteilte. — Ich möchte den Herrn Stadtverordnetenvorſteher bitten, das Gedicht auf den Tiſch des Hauſes legen zu dürfen. (Auf Antrag des Stadtv. Dr. Borchardt erfolgt die Beſprechung des Gegenſtandes der Anfrage.) Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren, der Herr Bürgermeiſter begann ſeine Entgegnung auf die An⸗ frage damit, daß nicht der Magiſtrat, ſondern die Schuldeputation die Erlaubnis zur Benutzung der Turnhallen dieſem Vereine entzogen habe. er ſcnen vielleicht damit andeuten zu wollen, daß die Schul⸗ deputation nicht dem Magiſtrat allein unterſtehe, wie er ja nachher auch noch ausführte, daß die Schuldeputation im Sinne der Aufſichtsbehörde zu handeln geglaubt hat, die ſich die Entſcheidung über die Vergebung ſtädtiſcher Turnhallen, inſoweit ſie zu Volksſchulen gehören, vorbehalten habe. Ich wurde wurde dabei ſehr lebhaft an ein Scherzwort erinnert, daß ich dieſer Tage in irgendeinem Witzblatte an⸗ läßlich des Beſuches der engliſchen Journaliſten ge⸗ leſen habe. Einer der engliſchen Journaliſten ſoll einen deutſchen Kollegen gefragt haben. was denn eigentlich das hier ſoviel gebrauchte Wort „Selbſt⸗ verwaltung“ bedeute. Der deutſche Kollege ant⸗ wortete: Wenn eine Stadt ihren Lehrern 20 Mark Zulage bewilligt, dann fragt ſie beim Bezirksausſchuß an, ob er das erlaubt, und wenn er es nicht erlaubt, dann darf ſie bei Herrn von Studt dagegen Rekurs einlegen, und wenn der Herr von Studt dieſen Rekurs zurückwe iſt, ſo iſt das eben Selbſtverwaltung. (Heiterkeit.) Charakteriſtiſch aber iſt in dieſer Antwort und in dieſer Andeutung, daß die Charlottenburger Schul⸗ deputation geglaubt hat, im Sinne dieſer Aufſichts⸗ behörde zu handeln, alſo irgendwelchen Anweiſungen, die von dort etwa kommen könnten, zuvorzukommen und ſelbſt deutlich zu dokumentieren, daß ſie auch vollkommen davon überzeugt iſt, daß, wie der Aus⸗ druck des Herrn Bürgermeiſters lautete, einem Ver⸗ eine, in welchem ein gewiſſer Geiſt gezüchtet werde — er deutete ihn ja weiter nicht an —, die Be⸗ nutzung ſtädtiſcher Turnhallen nicht zu geſtatten iſt. Meine Herren, der Herr Bürgermeiſter führte aus, daß dieſer Turnverein ein Rekruten⸗-Abſchieds⸗ feſt am 6. Oktober 1906 im Volkshauſe gefeiert habe, und daß da ein Lied geſungen worden ſei. Ich kenne das Lied nicht, (Zurufe) — allerdings, ich kenne es nicht; ich werde freilich nachher Veranlaſſung nehmen, dies hoch⸗ und ſtaats⸗ gefährliche Lied auch durchzuleſen. Ich will nun einmal von vornherein annehmen, daß in der Tat an manchen Stellen dieſes Liedes eine Tendenz zum Ausdruck kommt, die nicht als eine ſogenannte patriotiſche bezeichnet werden kann. Was hat, frage ich, das mit der Benutzung der ſtädtiſchen Turnhallen zu tun? Es wird doch wohl von der Schuldeputation und vom Magiſtrat nicht verlangt werden, daß die⸗ jenigen Vereine, welche die ſtädtiſchen Turnhallen zum Turnen benutzen wollen, irgend ein Examen über ihr Wohlverhalten in bezug auf politiſche Ge⸗ ſinnung ablegen oder irgendeine Garantie dafür geben, daß ſie ſich an politiſchen und ſonſtigen Be⸗ ſtrebungen, die denen der maßgebenden und herr⸗ ſchenden Kreiſe nicht genehm ſind, ihnen entgegen⸗ geſetzt ſind, nicht beteiligen, und daß ſonſt ſolche Vereine die Turnhallen nicht bekommen ſollen Wir ſollten doch im Gegenteil meinen, daß der Magiſtrat Turnbeſtrebungen unter der Jugend, auch unter der Arbeiterjugend, genau ſo zu ſördern beſtrebt ſein muß wie Turnbeſtrebungen anderer Kreiſe. Würde es ſich um einen Mißbrauch der Turnhallen handeln, würde es ſich darum handeln, daß in den Turnhallen beim Turnen ſogenannte ſtaatsgefährliche Lieder ge⸗ ſungen werden, ſo könnte man vielleicht dieſen Stand⸗ punkt verſtehen. Aber dadurch, daß der Magiſtrat hier durch den Mund des Herrn Bürgermeiſters zu erkennen gibt, daß die Entziehung der Turnhallen lediglich aus dem Grunde erfolgt iſt, weil außerhalb der Turnhallen Mitglieder dieſes Vereins ſich in antipatriotiſchem Sinne betätigt haben ſollen —, dadurch gibt der Magiſtrat zu erkennen, daß er über dieſe Turnhallen verfügen, daß er ſie vergeben will