—— 241 — nur an ſolche Leute, die in bezug auf ihr ſonſtiges Wohlverhalten irgendeine Gewähr geben. Wir meinen, meine Herren — und ich wende mich da namentlich zu den Herren Liberalen —, daß auch Sie einen ſolchen Standpunkt ganz entſchieden zurückweiſen und verurteilen müßten; gerade, wenn ſie liberal und demokratiſch ſein wollen, müſſen Sie auch mit dazu beitragen, daß jedem Vereine, habe er eine politiſche Geſinnung, welche er wolle, die ſtädtiſchen Einrichtungen zur Verfügung geſtellt werden, ganz gleich, ob er ſeiner ſonſtigen Geſinnung an anderen Orten einen mehr paſſenden oder mehr unpaſſenden Ausdruck gibt. Es kommt noch hinzu, was das Verfahren um ſo unerhörter macht, daß dem betreffenden Vereine, wie ich ſchon vorhin ausführte, ein Grund gar nicht mitgeteilt worden iſt. Es wird geſagt: es iſt der Schuldeputation amtlich zur Kenntnis gebracht, daß dort Lieder geſungen ſind, die einen Geiſt erkennen laſſen, der der Schuldeputation und nach ihrer Mut⸗ maßung auch ihrer vorgeſetzten Auffichtsbehörde nicht genehm, nicht geeignet erſcheint. Ja, meine Herren, das erinnert doch an die ſchlimmſten Formen der Kabinettsjuſtiz, wenn man deswegen, weil amtlich etwas zur Kenntnis gebracht wird, jemand das, wor⸗ auf er ein wohlerworbenes Recht hat, entzieht — und ich bin in der Tat der Meinung, daß ein Char⸗ lottenburger Turnvein ein wohlerworbenes Recht auch auf die Benutzung ſtädtiſcher Turnhallen hat. Das allermindeſte, was man verlangen kann und verlangen muß, iſt doch, daß den Betreffenden der Grund mitgeteilt wird. Dann würde es ſich viel⸗ leicht auch herausgeſtellt haben, daß an dieſem ge⸗ fährlichen Liede, das am 6. Oktober 1906 geſungen worden iſt, durchaus nicht etwas ſo Schlimmes war, daß vor allen Dingen vielleicht die Leiter dieſes Turnvereins dafür nicht verantwortlich zu machen ſind. Wie geſagt, ich weiß von dieſem Feſte und dieſem Liede nichts. Aber ich kann mir ſehr wohl denken, daß bei einem Rekruten-Abſchiedsfeſt, wo zwar nicht der Sekt in Strömen fließt, wo aber doch in anderer Form oft zuweilen mehr des Alkohols genoſſen wird, als man vielleicht für wünſchenswert hält, einige, ſpeziell jüngere Leute in einer ſolchen Alkoholſtimmung mancherlei tun, ſagen und ſingen, was vielleicht von ernſthaften Leuten ſehr ſtark ge⸗ mißbilligt wird. Sollte es ſich um etwas derartiges handeln, ſo wäre es doch unerhört, aus einem der⸗ artigen Verhalten junger Leute, das immerhin be⸗ greiflich und entſchuldbar iſt, einen Grund zur Ent⸗ ziehung der ſtädtiſchen Anſtalten für einen im weſent⸗ lichen doch ſonſt aus ernſten Leuten beſtehenden Verein herzunehmen. Uns kann daher dieſe Antwort in keiner Weiſe befriedigen. und ich gebe der Hoffnung Ausdruck, daß auch von anderen Seiten hier im Hauſe deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß das Verhalten dee Magiſtrats in der Mehrheit dieſer Verſammlung auf Billigung nicht zu rechnen hat. Wenn das der Fall iſt, ſo gebe ich mich der Hoffnung hin — zwar nicht, daß dieſe Maßregel rückgängig gemacht wird; denn wenn die Schuldeputation im Sinne ihrer vor⸗ geſetzten Aufſichtsbehörde glaubt handeln zu müſſen, vielleicht, um etwaigen drohenden Konflikten aus dem Wege zu gehen, dann wird ſie wohl dieſe Maßregel nicht rückgängig machen — wohl aber gebe ich mich der Hoffnung hin, daß dieſem Verein dann, wenn er darum einkommt, eine andere ſtädtiſche Turnhalle, die der Schuldeputation nicht unterſteht, die alſo auch 14 mit der Schulaufſichtsbehörde gar nichts zu tun hat, zur Verfügung geſtellt wird. Allerdings wird das nur dann der Fall ſein, wenn auch aus den andern Gruppen dieſer Verſammlung deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß das Verhalten des Magiſtrats hier nicht auf Billigung zählen kann. Stadtv. Dr. Spiegel: Meine Herren! Meine Freunde haben zu dieſer Frage nicht in einer beſonderen Beratung Stellung nehmen können, weil uns die Gründe des Schrittes der Schuldeputation unbekannt waren. Nachdem wir dieſe Gründe heute gehört haben, ſtehe ich nicht an, in meinem und derjenigen Freunde Namen, mit denen ich jetzt noch Rückſprache nehmen konnte, mich auf ungefähr den⸗ ſelben Standpunkt zu ſtellen, den Herr Kollege Dr. Borchardt hier präzifiert hat. (Hört, hört! bei der Freien Vereinigung.) Wir haben das inkriminierte Gedicht oder Lied geleſen und keiner von uns hat darin etwas ſo ungemein Staatsgefährliches finden können, beſonders wenn wir berückſichtigen, daß dieſes Lied bei einer Feſtlichkeit geſungen wurde, wo man die Worte nicht auf die Goldwage zu legen pflegt, wo in andern Vereinen ab und zu auch mal ein Lied geſungen wird, das z. B. vor den Regeln der ſtrengen Sitt⸗ lichkeit nicht beſtehen kann. Wir haben uns aber ferner der Anſicht nicht verſchließen können, daß die Stadt oder die Schuldeputation bei Vergebung ihrer Turnhallen ſich eigentlich nur darum zu kümmern hat, was in dieſen Turnhallen ſeitens der Beſucher geſchieht, (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) und nicht die Beſucher auf Herz und Nieren zu prüfen hat, wie ſie ſich außerhalb der Turnhallen verhalten. Wir ſtehen durchaus auf dem Standpunkt, daß die Vergebung unſerer Gebäude an Vereine und dergleichen nicht nach ihrer politiſchen und ſonſtigen Geſinnung erfolgen darf, (Stadtv. Dr. v. Liszt: Sehr richtig!) und dasjenige, was in dem vorliegenden Liede zu bemängeln iſt, iſt ſchließlich doch nur ein Ausfluß der politiſchen Geſinnung, die einzelne Mitglieder des betreffenden Vereins, vielleicht auch alle Mitglieder dieſes Vereins haben. Er iſt ein recht ungeſchickter Ausfluß, meiner Anſicht nach auch ein wenig geſchmack⸗ voller. Aber das alles kann diejenigen nicht inter⸗ eſſieren, die über die Benutzung der Turnhallen zu beſtimmen haben. Im Namen derjenigen Freunde, mit denen ich Rückſprache nehmen konnte, ſpreche ich daher aus⸗ drücklich das Bedauern aus, daß die Schuldeputation — übrigens wie ich gehört habe, durchaus nicht einſtimmig — die Benutzung der Turnhallen dem Verein aus dem angeführten Grunde entzogen hat. (Bravo! bei den Sozialdemokraten und Liberalen.) Vorſteher Roſenberg: Das Wort iſt nicht weiter verlangt. Wir verlaſſen dieſen Gegenſtand und kommen nun zu Punkt 9 der Tagesordnung zurück, den ich vorhin verſehentlich übergangen hatte: Mitteilungen betr. außerordentliche und ordentliche Prüfung der ſtädtiſchen Kaſſen in den Monaten April und Mai d. I. Der Berichterſtatter, Herr Stadtv. Frantz, fehlt. Er hat mir aber mitgeteilt, daß er Anſtände bei der Prüfung der Akten der ſtädtiſchen Kaſſen nicht gefunden habe, und bittet, von der Mitteilung des