— 257 Stadtv. Hirſch: Meine Herren. ich muß zu⸗ nächſt Herrn Kollegen Dr. Spiegel ein Wort erwidern. Herr Kollege Dr. Spiegel fing ſeine Rede mit den Worten an: „Im Gegenſatz zu Herrn Kollegen Hirſch betone ich, daß der Magiftrat nach beſtem Wiſſen und Gewiſſen geurteilt hat.“ Das habe ich nicht be⸗ ſtritten; im Gegenteil, ich habe mich ausdrücklich be⸗ müht, nachzuweiſen, daß der Magiſtrat gar nicht an⸗ ders handeln konnte, weil bekanntlich kein Menſch aus ſeiner Haut heraus kann. (Heiterkeit.) Was aber der Herr Kollege Dr. Spiegel mit ſeinen letzten Ausführungen bezweckte, war mir nicht recht klar. Er ſagte, es wäre nicht ſicher, ob nicht auch bereits im Monat Mai, zu der Zeit, wo die Ausſperrung erfolgte, eine genügende Anzahl von Arbeitswilligen vorhanden war. Ich weiß nicht, 0b er damit vielleicht gemeint hat, daß die Unternehmer mit Streikbrechern weiter arbeiten ſollten. Ich hoffe das nicht. Es war wohl nur ein lapsus linguae. (Heiterkeit bei den Liberalen) In einem Punkte befindet ſich Herr Kollege Dr. Spiegel in einem Irrtum, nämlich bezüglich des Tarifs. Er hat das bereits ſelbſt richtig geſtellt. Der Tarif war tatſächlich am 1. April abgelaufen. Die Verhandlung vor dem Einigungsamt fand erſt im Laufe des Monats April ſtatt. Es war aber ver⸗ einbart, daß der Tarif auch über den 1. April hinaus ſo lange weitergehen ſoll, bis er von einer der beiden Parteien gekündigt wird. Die Arbeiter hatten den Tarif nicht gekündigt; ſie haben ſich dem Beſchluſſe des Einigungsamts nicht gefügt. Der Zuſtand wäre alſo nun der geweſen, daß der Tarif, der bis zum 1. Aprif 1907 in Gültigkeit war, noch weiter lief, wenn nicht die Arbeitgeber ihn gekündigt hätten. Die Arbeit⸗ geber haben gleichzeitig mit der Kündigung des Tarifs die Ausſperrung ſämtlicher Arbeiter des Baugewerbes ausgeſprochen, und zwar handelt es ſich — ich betone das, damit nicht etwa der Anſchein erweckt wird, als ob hier eine Parteiſache in Frage käme — nicht nur um ſozialdemokratiſche Arbeiter, nicht nur um die Arbeiter, die in den freien Gewerkſchaften organifiert ſind, ſondern auch um ſolche, die in der chriſtlichen Gewerkſchaft organifiert ſind. Die Organi⸗ ſationen des Baugewerbes hatten ja gemeinſam dieſen Tarif abgeſchloſſen. Eine Parteifrage kommt hier alſo nicht in Betracht. Die Arbeitgeber haben, wie geſagt, die Arbeiter ausgeſperrt und nur ſo viele Ar⸗ beiter beibehalten, wie zur Ausübung der dringenſten Arbeiten notwendig war; für die Bauten, die unbe⸗ dingt fertiggeſtellt werden mußten, behielten ſie die Arbeiter bei. Nun iſt es ja ganz ſelbſtverſtändlich, daß die Arbeiter auf dieſe Herausforderung der Unternehmer antworteten. Sie wären ja töricht, wenn ſie für einen Unternehmer einen Ban fertig machen wollten — für einen Unternehmer, der auf allen ſeinen andern Bauten ihre Genoſſen ausſperrt. Das wird man doch von den Arbeitern nicht ver⸗ langen. Infolgedeſſen haben ſie auch auf den Bauten, die von Unternehmern hergeſtellt wurden, die auf ihren andern Bauten die Arbeiter ausgeſperrt haben, beſchloſſen, nicht weiterzuarbeiten. Erſt ſpäter ſind dann die Arbeiter zum Angriff übergegangen, erſt da haben ſie beſchloſſen, die Ausſperrung der Unter⸗ nehmer mit einem Streik zu beantworten. (Widerſpruch des Stadtv. de Gruyter.) Das iſt der wirkliche Hergang der Dinge. 4 (Erneuter Widerſpruch.) — Bitte, berichtigen Sie mich! Herr Kollege de Gruyter wird wahrſcheinlich eine andere Darſtellung geben. Ich werde dann noch einmal das Wort nehmen müſſen. Herr Bürgermeiſter Matting hat dann beſtritten, daß der Magiſtrat ſich in den wirtſchaftlichen Kampf hineingemiſcht hat. In Wirklichkeit haben aber doch ſeine ganzen Ausführungen bewieſen, daß der Magiſtrat von vornherein Stellung zugunſten der Arbeitgeber genommen hat. Meine Herren, das läßt ſich nicht aus der Welt ſchaffen. Wenn der Magiſtrat erklärt, daß eine Situation geſchaffen iſt, die zum mindeſten eine frappante Ahnlichkeit mit force majeure hat, ſo heißt das eben: wir nehmen Stellung zugunſten der Arbeitgeber, wir entbinden ſie von der vertrag⸗ lich eingegangenen Verpflichtung. Das iſt gar nichts anderes, als eine Einmiſchung zugunſten der einen Partei. Herr Bürgermeiſter Matting meinte, ich hätte verlangt, daß der Magiſtrat ſelbſt prüfe und fich über das Einigungsamt ſtelle. Meine Herren, das habe ich nicht verlangt. Ich habe lediglich verlangt, daß der Magiſtrat die Unternehmer auffordert, die Verpflichtung, die ſie eingegangen, nun auch einzu⸗ halten. Ich habe kein Wort davon geſagt, daß etwa der Magiſtrat eine Nachprüfung des Beſchluſſes des Einigungsamtes eintreten laſſen ſoll. Herr Bürger⸗ meiſter Matting behauptet, ich wäre derjenige, der in den wirtſchaftlichen Kampf zugunſten der Arbeit⸗ nehmer eintreten will. Nein, meine Herren, das iſt nicht der Fall. Glauben Sie denn wirklich, daß, wenn wir die Arbeitgeber verpflichten, die zwei oder drei Bauten, die ſie in Charlotlenburg auszuführen haben, nun auch zu der feſtgeſetzten Friſt fertigzu⸗ ſtellen, das ein Eingriff in den wirtſchaftlichen Kampf zugunſten der Arbeitnehmer iſt? (Stadtv. Holz: Natürlich, aber ſehr!) — Nein, das iſt kein Eingriff zugunſten der Arbeit⸗ nehmer, ſondern das iſt nur die Forderung, daß die Arbeitgeber ihrer Verpflichtung nachkommen. (Stadtv. Holz: Das iſt doch ein Eingreifen!) — Nein, es iſt kein Eingreifen! Wenn ich verlange, daß die Arbeitgeber ihre Pflicht erfüllen, dann ſoll es ein Eingreiſen ſein; wenn aber der Magiſtrat ſagt: ihr Arbeitgeber ſeid ganz unſchuldig, die böſen Arbeitnehmer wollen nicht arbeiten — was ja in Wirklichkeit nicht ſtimmt, weil es ſich um eine Aus⸗ ſperrung handelt —, ſo iſt das nach Ihrer Meinung kein Eingreifen?! Ja, meine Herrſchaften, die Logik verſtehe ich allerdings nicht. In Wirklichkeit hat der Magiftrat einſeitig zugunſten der Arbeitgeber Stellung genommen. Das läßt ſich nicht beſtreiten. Wie ge⸗ geſagt, wer noch nicht davon durch die Erklärung des Herrn Stadtbaurats überzeugt war, dem werden hoffentlich die Ausführungen des Herrn. Bürger⸗ meiſters die Augen darüber geöffnet haben, daß es ſich tatſächlich ſo verhält, wie ich es ausgeführt habe. Bürgermeiſter Matting: Nur noch zwei Worte, zunächſt dem Herrn Stadtv. Hirſch gegenüber. Herr Stadtv. Hirſch handelt nach dem Grundſatz: wer nicht für mich iſt, der iſt wider mich, oder: wer nicht wider die Arbeitgeber iſt, der iſt für die Arbeitgeber. Darüber läßt ſich gar nicht ſtreiten. Darüber werden wir uns nicht auseinanderſetzen können. Die Arbeit⸗ geber würden natürlich mit demſelben Recht ſagen können, wir nähmen die Partei der Arbeitnehmer, wenn wir uns der Auffaſſung des Herrn Stadtv. Hirſch anſchlöſſen. Ich betone noch einmal: wir haben jedenjalls den Spruch des Einigungsamtes