—— 285 —— nicht etwa aus ſachlichen Gründen, beantragt der Ausſchuß Übergang zur Tagesordnung. Stadtv. Vogel: Meine Herren, ich möchte Sie doch bitten, nicht Übergang zur Tagesordnung über dieſe Petition zu beſchließen. Die größeren Schäden, die die Kinder der Unehelichen — um dieſe handelt es ſich hier wohl in erſter Linie — erleiden, ſind Ihnen betannt: es iſt bei ihnen größere Sterblichkeit zu konſtatieren, und ſogar ſchon vor der Geburt leiden ſie Schäden; infolgedeſſen iſt die Zahl der Totgeburten bei den unehelichen Kindern bedeutend größer als bei den ehelichen. Nach dem Statiſtiſchen Fahrbuch für die Stadt Berlin vom Jahre 1904, das der verſtorbene Dr. Hirſchberg herausgegeben hat, betrug die Zahl der Totgeborenen bei den Ehe⸗ lichen von 1895 bis 1903 32,0, 31,9, 32,2, 32,7, 31,7 pro Mille, bei den Unehelichen dagegen 50,1, 50,1, 54,9, 48,5, 53,7, 54,3 pro Mille. Sie ſehen, die Zahlen ſind ganz bedeutend größer. Ganz in demſelben Verhältnis ſteht die Sterblichkeitsziffer der Neugeborenen bei den Unehelichen und bei den Ehelichen; erſtere iſt bedeutend größer als letztere — ich will Sie nicht auch noch mit den Zahlen auf⸗ halten —; ja das Verhältnis iſt eigentlich noch etwas kraſſer. Der Herr Berichterſtatter hat darauf hingewieſen, daß die Stadt ſo vorzügliche Einrichtungen zum Schutze dieſer Kinder und dieſer Mütter hat. Ich will die Einrichtungen nicht verkleinern; aber ich möchte doch darauf hinweiſen, daß ſie mit IIbel⸗ ſtänden behaftet ſind. Sogar in dem letzten Bericht der Armenderwaltung heißt es, daß von der Be⸗ ſtimmung, daß an die Mütter ſchon vor der Geburt eine Hinterlegung der Koſten der Entbindung und der Wochenkoſten erfolgen kann, immer wenig Ge⸗ brauch gemacht wird. Ja, fragt man ſich, was nützt das alles, wenn die Beſtimmung beſteht, und es wird kein Gebrauch davon gemacht? Das Be⸗ dürfnis liegt jedenfalls vor; das wird nicht beſtritten. Das muß doch ſeinen Grund, ſeinen Haken haben! Das iſt mit ſehr vielen Beſtimmungen ſo. Die Gewerbeſchutzbeſtimmungen ſehen ja ſehr viel vor, auch für weibliche Arbeiter, und doch müſſen wir es erfahren, daß fortwährend Verſtöße dagegen begangen werden, und daß ſich ſehr wenige von den Arbeite⸗ rinnen dagegen wehren. Es iſt darauf aufmerkſam gemacht worden, daß der Gewerbeaufficht weibliche Kräfte beigegeben werden ſollen; davon hat man eine lange Zeit nichts wiſſen wollen; aber in der letzten Zeit hat man doch weibliche Aſſiſtenten für die Gewerbeaufſicht angeſtellt, in Groß⸗Berlin 3. B. drei und in anderen Orten auch, überall, in Baden, Sachſen, Bayern, Rheinland uſw., obgleich das von vielen Unternehmern nicht gern geſehen wird, und ſeitdem muß man ſagen, daß die Berichte der Ge⸗ werberäte über die Tätigkeit dieſer weiblichen Auf⸗ ſichtsbeamten außerordentlich günſtig ſind. Das iſt unbeſtritten. Wir ſtellen ja auch in der Armen⸗ und in der Waiſenfürforge weibliche Perſonen mit an, weil ſie ſo tüchtig ſind. Sehen Sie, der Grund liegt darin: eine Frau ſieht viel beſſer in die Ver⸗ hältniſſe einer anderen Frau hinein als ein Mann. Deshalb möchten wir Sie erſuchen, über dieſe Petition nicht zur Tagesordnung überzugehen, ſondern ſie dem Magiſtrat zur Berückſichtigung zu über⸗ weiſen. Es kann ja doch gar nichts ſchaden, wenn mit den Frauen unterhandelt wird, meinetwegen nichts auszuſetzen. eine gemiſchte Deputation ernannt und auch eine Anzahl Frauen hinzugezogen wird; es kann doch nur eventuell von Nutzen ſein, wenn ein ſolcher Verſuch gemacht wird. Und daß es notwendig iſt, das wird niemand beſtreiten können. Alſo wir beantragen, dieſe Petition dem Magiſtrat zur Berückſichtigung zu überweiſen, und bitten Sie, ſich dieſem Antrage anzuſchließen. (Die Beratung wird geſchloſſen.) Berichterſtatter Stadtu. Dr. Penzig (Schlußwort): Meine Herren, es würde ſich wahrſcheinlich außer⸗ ordentlich wenig ändern, (Stadtv. Vogel: Abwarten!) ob wir dieſe Petition dem Magiſtrat zur Berück⸗ ſichtigung als Material überweiſen, oder ob wir zur Tagesordnung übergehen. Was Herr Kollege Vogel vorgetragen hat, iſt zweifellos richtig: die Säuglings⸗ ſterblichkeit iſt bei den Unehelichen bedeutend ſtärker als bei den Ehelichen. Das ſind aber Verhältnifſe, die wir, wie ich fürchte, für Charlottenburg nicht werden ündern können; da liegen doch Gründe vor, die viel tiefer gehen. Der Herr Vorredner hat anerkannt, daß an den beſtehenden Einrichtungen nicht viel auszuſetzen iſt. Im Ausſchuß iſt das auch geſagt worden. Es iſt uns ja auch weiter bekannt, daß die Mitwirkung der Frauen nach Möglichkeit herangezogen wird. Es liegt ja auch auf der Hand, daß man gerade auf dieſem Gebiete die Frau ganz und gar nicht aus⸗ ſchließen kann und auch wirklich nicht ausſchließt. Alſo ich ſebe keinen rechten Grund ein, warum wir dem Magiſtrat hier gewiſſermaßen eine Art von Mißtrauensvotum geben ſollten, indem wir ihn bitten, die Petition zu berückſichtigen, als ob er bisher noch gar nichts getan hätte. Tatſächlich iſt die Sache im Fluſſe, wir werden in dieſer Beziehung weiter ſchreiten, und ich habe gar keinen Grund, den Antrag des Petitionsausſchuſſes nicht zu befürworten. Stadtv. Bogel (perſönliche Bemerkung): Ver⸗ ehrte Herren, Herr Stadtv. Dr. Penzig hat mich mißverſtanden, wenn er meinte, ich hätte an den Einrichtungen, die wir hier in Charlottenburg haben, Das iſt durchaus nicht der Fall; Sie ſind ja ganz ſie ſind ſehr verbeſſerungswürdig. Iut, — — (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Roſenberg (unterbrechend): Das iſt nicht mehr perſönlich. Stadtv. Vogel (fortfahrend): Ja, das iſt meine perſönliche Meinung! (Heiterkeit. — Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Roſenberg (unterbrechend): Perſönliche Meinungen über die Sache können Sie nicht in einer perſönlichen Bemerkung vortragen. (Die Verſammlung lehnt den Antrag des Stadtv. Vogel, die Petition IY dem Magiſtrat zur Berück⸗ ſichtigung zu überweiſen, ab und geht nach dem Antrage des Aueſchuſſes über die Petition zur Tagesordnung über.)