— 8 — (Die Beratung wird geſchloſſen. Die Verſamm⸗ lung überweiſt nach dem Antrage des Petitions⸗ ausſchuſſes die Petition IV an den Magiſtrat zur Berückſichtigung.) Vorſteher Kaufmann: Es iſt folgende An⸗ frage eingegangen: Die Unterzeichneten fragen den Magiſtrat, was er zu tun gedenkt, um der bereits be⸗ ſtehenden und immer ſtärker werdenden Arbeitsloſigkeit und ihren unheilvollen Folgen für die Bevölkerung Charlottenburgs ent⸗ gegenzutreten. Unterzeichnet von Herrn Kollegen Borchardt und einer genügenden Anzahl von Kollegen. Ich frage den Magiſtrat, ob und wann er die Anfrage beantworten will. Oberbürgermeiſter Schuſtehrus: die Sache wie üblich zu behandeln. Ich bitte, Vorſteher Kaufmann: fahren. Es iſt ferner ein Antrag eingegangen: Stadtverordnetenverſammlung wolle ſchließen: der Magiſtrat wird erſucht, ſich ball dmög⸗ liſch ſt mit dem Eiſenbahnfiskus in Ver⸗ bindung zu ſetzen behufs Einrichtung einer Unfallſtation im Bahnhofsge bäude (Stuttgarter Platz) oder in un mittel⸗ barer Nähe desſelben. Unterzeichnet von Herrn Kollegen Bollmann und der genügenden Anzahl von Kollegen. Ich werde den Antrag auf die Tagesordnung der nächſten Sitzung ſetzen. Ich will gleich hinzufügen, daß ich auf die Tages ordnung der nächſten Sitzung auch die Wahl eines Stadtverordneten⸗Vorſteher⸗Stellvertreters ſetzen werde, welcher Poſten ja nun vakant geworden iſt. Ich werde ſo ver⸗ be⸗ Punkt 11 der Tagesordnung: Anfrage der Stadtv. Dr. Röthig und Gen. betr. Schulferien. — Druckſache 485. Die Anfrage lautet: Die Unterzeichneten fragen den Magiſtrat, was er zu tun gedenkt, um der drohenden Ferienverkürzung der Charlottenburger Ge⸗ meindeſchulen entgegenzutreten. Frageſteller Stadtv. Dr. Röthig: Meine Herren, durch Verfügung der Königlichen Regierung vom 18. Juli d. I. wird beſtimmt, daß vom Jahre 1908 an bei der Feſtſetzung der Volksſchulferien die jährliche Geſamtdauer von 70 Tagen nicht über⸗ ſchritten werden darf, und zwar auch dort, wo mit der ſtrikten Durchführung dieſer Regierungsver⸗ fügung eine Kürzung ſchon beſtehender längerer Ferien verbunden iſt. Dieſe Regierungsanordnung ſtützt ſich auf die beiden, noch von Herrn Miniſter von Studt gegebenen Erlaſſe vom 19. März 1904 und vom 22. Juni 1907. Da nun die Ferien in den hieſigen Volksſchulen im laufenden Schuljahre 84 Tage betragen, ſo würde die Durchführung der erwähnten Regierungsverfügung für Charlottenburg einen Ferienverluſt von 14 Tagen bedeuten. Fragen wir uns nun nach den Gründen dieſer in hygieniſcher und ſozialer Beziehung gleich ein⸗ ſchneidenden Regierungsverfügung, ſo ſcheint das Beſtreben vorzuliegen, in den drei großen Bildungs⸗ kreiſen Preußens: in den Kreiſen der Hochſchulen, der höheren Lehranſtalten und der Volksſchulen jeweils die Ferien einheitlich zu regeln. Was nun die Ferien ſpeziell der Volksſchulen anbetrifft, ſo ſollen ſich durch ſtatiſtiſche Erhebungen örtliche Unterſchiede zwiſchen ungefähr 53 und 81 Tagen haben feſtſtellen laſſen, ſo daß man als Durchſchnitts⸗ mittel für die generelle Regelung auf 70 Tage gekommen iſt. Einer ſolchen generellen Regelung ſtehen meines Erachtens vom hygieniſchen Standpunkte aus Be⸗ denken entgegen, Bedenken, denen z. B. Herr Geheimer Medizinalrat Profeſſor Dr Eulenburg die folgenden Worte leiht: „daß die Ferienfrage nicht ſchematiſierend auf dem Wege einer öden Gleichmacherei gelöſt werden kann“, daß „vielmehr dabei eine ſorgſame Berückſichtigung der regionären und klimatiſchen Verhältniſſe, der ſozialen und wirtſchaftlichen beſonderen Daſeinsbedin⸗ gungen“ nötig iſt. Um ſo beachtenswerter aber wird die ganze Frage und erfordert meiner Meinung nach eine um ſo beſtimmtere Stellungnahme aller in Betracht kommenden Faktoren, wenn mit derſelben eine Verkürzung ſchon beſtehender Ferien verbunden iſt. Eine Schmälerung der Feriendauer bedeutet eine Schädigung der für Lehrende und Lernende gleich notwendigen Erholungszeit. Mens sana in corpore sano — wie oft wird nicht gerade in der jetzigen Zeit dieſes Wort zitiert! Wie oft wird nicht darauf hingewieſen, daß als Gegengewicht gegen die geiſtige Inanſpruchnahme der Jugend die Pflege des Körpers, die Pflege der Leibesübungen und der ausgiebige Aufenthalt in friſcher Luft notwendig iſt. Ein großer Teil der Beſtrebungen, die wir auf dem Gebiete der Schulhygiene verfolgen, iſt denn ja auch der Durchführung dieſer Forderung ge⸗ widmet. Hygieniker, Arzte, Pädagogen, ſie alle haben es als durchaus notwendig anerkannt, in der Gewährung der Ferien die Möglichkeit zu geben „den normalen Zuſtand in der Geſundheit der Kinder wieder herzuſtellen und das Kind wohl auch einen Vorrat an Kraft ſammeln zu laſſen“. Dem⸗ entſprechend ſollte man meines Erachtens nicht an eine Verkürzung, ſondern viel eher an eine Ver⸗ längerung der Ferien denken. So haben denn auch auf dem internationalen Hygienekongreß hier in Berlin als jährliche Mindeſtdauer der Ferien die beiden Referenten Herr Regierungsrat Dr L. Burger⸗ ſtein in Wien 84 und Herr Geheimrat Profeſſor Dr Eulenburg in Berlin 80 bis 90 Tage gefordert. Man ſieht, die Regierungsverfügung mit ihren 70 Tagen bleibt weit hinter der Mindeſtforderung der Hygiene zurück. Und wenn man vielleicht auch für den einen oder anderen Ort auf dem Lande eine jährliche Feriendauer von 70 Tagen für aus⸗ reichend anſehen könnte, ſo kann das doch nimmer⸗ mehr für die Großſtadt mit ihrem Haſten und Jagen, mit ihrem für Schüler und Lehrer gleich auf⸗ reibendem Leben der Fall ſein. Man denke doch nur an die ungünſtigen Ernährungsverhältniſſe der Großſtadt, an denen ein Teil der ärmeren Bevöl⸗ kerung leidet, man denke an die ungünſtigen Woh⸗ nungsverhältniſſe, man denke daran, daß das Großſtadtkind ſeine freie Zeit meiſt auf den Höfen Vergl. „Die Woche“. 1907. Nr. 43. S. 1875.