—— 380 — Aber noch eins: auch alle die ſozialen Gründe, die einſt für die Gleichlegung der Volksſchulferien mit denen der höheren Lehranſtalten ins Feld geführt worden ſind, ſprechen meines Erachtens in gleicher Weiſe gegen die jetzt mit der Durch⸗ führung des Miniſterialerlaſſes verbundene Ferien⸗ verkürzung in den Städten. Werden doch dadurch die Ungleichheiten der verſchiedenen Ferienarten — da nämlich der Miniſterialerlaß die Mittelſchulen und die höheren Schulen ausdrücklich ausnimmt und die aus ihr ſich ergebenden ſo oft geſchilderten ſozialen Mißſtände wieder von neuem, wenn auch in anderer Weiſe, herbeigeführt! Ich glaube alſo, daß nicht nur eine Reihe gewichtiger hygieniſcher und pädagogiſcher, ſondern auch eine ganze Reihe gewichtiger ſozialer Gründe mindeſtens für eine Beibehaltung der Feriendauer in den Städten, ſo wie ſie jetzt beſteht, ſpricht, und daß alle Einwände, die gegen die Gewährung einer längeren Feriendauer in den Städten ins Feld geführt worden ſind, ſich bei näherer Prüfung als nicht ſtichhaltig erweiſen. Sehen wir uns nun aber den Erlaß des Herrn Miniſters von 1904 daraufhin an, wie ſich nach ihm die Dauer der einzelnen Ferien verhalten ſoll, ſo ſehen wir: Oſtern 12 Tage, Weihnachten 10 Tage, Pfingſten 6 Tage und Sommer⸗ und Herbſt⸗ ferien zuſammen 42 Tage. Greifen wir die Oſter⸗ und Weihnachtsferien heraus, und vergleichen wir damit die Zeiten, welche der Hygieniker für die gleichen Ferien von ſeinem Standpunkt aus fordert; ſo fordert z. B. Eulenburg in ſeinem Referate für Weihnachten 3 Wochen, für Oſtern 1¼ Wochen, das heißt dem Miniſterialerlaß gegenüber bei den Weihnachtsferien eine Erhöhung um 11 Tage. Dies erſcheint auch vollkommen berechtigt, wenn man bedenkt, daß die Weihnachtsferien zwiſchen den beiden längſten Schulabſchnitten liegen. Zum mindeſten dürfte aber keine Kürzung der jetzt beſtehenden Feriendauer von 16Tagen auf 10 Tage, wie es der Miniſterialerlaß vorſieht, eintreten. Denn aus Privatmitteilungen habe ich erſehen, daß bei der ungemein aufreibenden Lehrtätigkeit innerhalb einer Großſtadt die jetzt beſtehenden Weihnachts⸗ und Oſterferien zur Erhaltung der Geſundheit für Lehrer und Lehrerinnen kaum ausreichen, ihre Kürzung alſo eine erhebliche Schädigung bedeuten würde. Auch die Lehrkräfte, die ich bisher weniger in den Kreis meiner Er⸗ örterungen gezogen habe, haben ein Recht, ſich gegen die geplante Verkürzung der Ferien zu wen⸗ den. Iſt doch die Lehrtätigkeit in der Stadt, be⸗ ſonders in der Großſtadt, ſo außerordentlich auf⸗ reibend und anſtrengend, und iſt es doch zum Wohle der Volfsſchule ſo unbedingt nötig, daß die Lehr⸗ kräfte ſich mit ungeſchmälerten Kräften nicht nur dem Unterricht, ſondern auch ihrer eigenen Weiter⸗ bildung widmen können, daß man, meine ich, auch aus dierem Grunde ſeine Stimme gegen die geplante Ferienverkürzung in den Städten erheben muß. Ich ſtimme daher ebenſo wie Herr Profeſſor Eulenburg mit Herrn Profeſſor Wychgram über⸗ ein, „wenn er es für billig erklärt, in den großen Städten mit Rückſicht auf die hier obwaltende ſtärkere Nervenerregung und Nervenabſpannung etwas mehr Ferien zu gewähren.““ Als Vertreter der Stadt Charlottenburg haben wir die Pflicht, auf alle die Bedenken hinzuweiſen, Rr. 43. S. 1875. Vergl. „Die Woche.“ 1907. die der ſtrikten Durchführung des Miniſterialerlaſſes, wie für die Städte überhaupt, ſo auch für Char⸗ lottenburg entgegenſtehen. Ihnen allen iſt bekannt, wie große Anſtrengungen und Aufwendungen wir im allgemeinen hygieniſchen Intereſſe, im Intereſſe der Geſundheit unſerer Volksſchuljugend machen. So haben wir z. B. im Etat für 1907 für die Schulärzte. 20 700 12 für die Jugendſpiele ... 13 900 „ für zwei Waldſchulen. 47 200 „ für orthopädiſche Kurſe. 3 800 „ für den Schwimmunterricht 670 „ für Ferienwanderungen 500 „ ausgeworfen und als zweiten Teilbetrag zur Er⸗ richtung eines Spielplatzes die einmalige Ausgabe von 10 000 ℳ vorgeſehen. Dazu kommt, daß wir den Ferienkolonien eine Unterſtützung von 24 750 gewähren, daß wir in der Höhe von 9000 ℳ. für die Gewährung von Frühſtück und eventuell Mittagbrot für die Kinder der ärmeren Bevölkerung ſorgen, daß wir gemeinnützigen Vereinen auf dem Gebiete der Schulgeſundheitspflege, z. B. dem Kindererholungsheim 500 ℳ und dem Verein für Kinderausflüge 600 ℳ bewilligen. Meine Herren, wenn Sie alle dieſe Summen zuſammenzählen, ſo kommt eine ganz erkleckliche Summe heraus, die wir aufwenden, weil wir überzeugt ſind, daß wir, ſoviel es an uns liegt, uns bemühen müſſen, den Schädigungen auf dem Gebiete der Schulgeſund⸗ heitspflege, an denen ein Teil der ärmeren Be⸗ völkerung krankt, entgegenzuſteuern. Deswegen, meine ich, haben wir nicht nur das Recht, ſondern auch als Vertreter von Charlottenburg die ernſte Pflicht, dafür zu ſorgen, daß die Aufmerkſamkeit auf die Bedenken hingelenkt wird, die der mit der Durchführung des Miniſterialerlaſſes verbundenen Schädigung der Volksſchule entgegenſtehen. Des⸗ wegen haben meine Freunde und ich an den Magi⸗ ſtrat die in der Tagesordnung enthaltene Anfrage gerichtet, was er zu tun gedenkt, um der den Charlottenburger Gemeindeſchulen drohenden Ferienverkürzung entgegenzutreten. (Bravo!) Stadtſchulrat Dr. Neufert: Meine Herren, der Magiſtrat und die Schuldeputation haben ſeit einer Reihe von Jahren ſich bemüht, dahin zu wirken, daß die Ferien der Gemeindeſchulen ebenſo bemeſſen ſind wie die der höheren Schulen, und es war uns eine Freude, vor einigen Jahren dieſes Ziel zu erreichen. Nach unſerer Meinung hat ſich dieſe neue Einrichtung gut bewährt, und wir haben daher keine Veranlaſſung, eine Anderung herbei⸗ zuwünſchen. Bei den früheren Verhandlungen des Magi⸗ ſtrats trat freilich die Gleichlegung der Sommer⸗ ferien in den Vordergrund. Daran ſoll jetzt nichts geändert werden; nur die Weihnachts⸗ und die Oſterferien ſollen verkürzt werden. Ich glaube, auch dazu iſt nicht genügende Veranlaſſung vor⸗ handen. In der langen Zeit von den Michaelis⸗ bis zu den Pfingſtferien, alſo von Anfang Oktober bis Ende Mai, finden ſich nur zwei kurze Erholungs⸗ pauſen: das ſind eben die auf 14 Tage berechneten Weihnachtsferien und die ebenſo langen Oſter⸗ ferien. Wenn in der unwirtlichſten Jahreszeit das Weihnachtsfeſt naht, ſo ſind die Kinder einer Er⸗ holung bedürftig. In dieſer Zeit drängen ſich die Schulſtunden möglichſt auf die lichtſtärkſten Stunden des Tages zuſammen, und dennoch müſſen viele