9 Perſonen mit der Begründung, daß ſie infolge der Arbeitsloſigkeit in die Lage gekommen ſind, die Armenverwaltung in Anſpruch nehmen zu müſſen. Wenn alſo abgeſehen wird von den ſittlichen Ver⸗ pflichtungen, welche die Kommune ihren Arbeitern gegenüber hat, ſo iſt es dieſe Verwirrung, in welche der Armenetat durch die große Arbeitsloſigkeit gerät, die den Kommunen zunächſt nahelegen kann und einzelnen Kommunen auch bereits nahegelegt hat, organiſche Einrichtungen zur Abhilfe der größten Not infolge der Arbeitsloſigkeit zu treffen, die von der Armenverwaltung vollkommen ge⸗ ſondert und getrennt ſind. Ich habe ſchon bei früheren Gelegenheiten darauf hingewieſen, daß die Arbeiter mangels des Eintretens der Inſtanzen im Reich, im Staat und leider auch in der Kommune ſelbſt die Hand ans Werk gelegt und ihrerſeits ſelbſtändig eine Arbeitsloſenverſicherung ins Leben gerufen haben. Wenn ich vorhin Zahlen anführte, die von den Berliner Arbeiterorganiſationen über die Arbeitsloſigkeit ermittelt worden ſind, ſo fügte ich ja ſchon hinzu, daß dieſe Ermittiung für die meiſten Organiſationen deswegen ſich beſonders einfach geſtaltet, weil dieſe Organiſationen eine regelmäßige Arbeitsloſenunterſtützung gewähren. Die Summen, welche die Organiſationen für dieſe Unterſtützung aufbringen, ſind nicht gering. In Deutſchland haben die freien gewerkſchaftlichen Organiſationen der Arbeiter in den 15 Jahren von 1891 bis 1905 16,7 Millionen, alſo faſt 17 Milli⸗ onen für dieſen 3weck aufgebracht. Daneben finden wir die Hirſch⸗Dunckerſchen Organiſationen, dic chriſtlichen Organiſationen, die allerdings in entſprechend beſcheidenerem Umfange, ihrem eige⸗ nen Umfange entſprechend, ebenfalls Koſten für Arbeitsloſenverſicherung aufbringen. Die Arbeiter⸗ organiſationen haben dieſe Unterſtützung, dieſe Arbeitsloſenfürſorge ins Leben gerufen aus einer inneren Notwendigkeit heraus, und ſie haben damit außerordentliche Laſten, welche die Allgemeinheit zu tragen hätte, der Allgemeinheit abgenommen. Daraus darf aber nicht die Folgerung gezogen werden, daß nun etwa die Allgemeinheit ſich auf den Standpuntt ſtellen könnte, zu ſagen: wir wollen den Arbeitern, die bisher dieſe Laſten in ſo erheblichem Maße aufgebracht haben, dieſe Aufgabe auch ferner überlaſſen; ſondern vielmehr müßten die zutreffenden Inſtanzen anerkennen, daß hier eine Aufgabe vorliegt, der die Arbeiter ſich unter⸗ zogen haben, obwohl ſie eigentlich gelöſt werden ſollte von der Allgemeinheit. Meine Herren, nicht überall hat man ſich dieſer Forderung ſo vollſtändig entzogen wie bei uns in Preußen, wie bei uns in Deutſchland. Ganz entzieht man ſich ja der Forderung auch bei uns in Deutſchland nicht: Erhebungen werden im Reichs⸗ amt des Innern dauernd angeſtellt, und die Frage bleibt zum mindeſten im Zuſtande der Erwägung, ſie wird nicht beiſeite gelegt. In anderen Ländern iſt man damit ſchneller und weiter vorgegangen. In Dänemark iſt Anfang März v. I. eine Geſetz⸗ entwurf im dortigen Parlament angenommen worden, der einen Fonds von 240 000 Kr. feſtlegt, um den Arbeitsloſenkaſſen der Arbeiter eine Unter⸗ ſtützung bis zu einem Drittel ihrer Ausgaben zu gewähren, und im April v. I. iſt dieſer Entwurf auch in der anderen Kammer angenommen und Geſetz geworden. In Norwegen hat ebenfalls ein ähnlicher Entwurf bereits im vorigen Jahre (Jeſetzes⸗ kraft erlangt. Aber wir können ja hier nicht einen unmittelbaren Einfluß auf die Geſetzgebung ausüben und müſſen uns eben damit begnügen, daß wir als Kommune eine ähnliche Einrichtung für die Arbeits⸗ loſen unſerer Kommune treffen. Auch auf dieſem Gebiete betreten wir nicht etwa ein unbekanntes Feld, eine völlige terra incognita. Auch auf dem (GGebiete der kommunalen Arbeitsloſenfürſorge iſt bereits mancherlei in der Welt außerhalb Deutſch⸗ lands geſchehen. Es ſind verſchiedene Formen der Fürſorge ins Leben gerufen worden. Ich nehme an, daß der Magiſtrat, zum wenigſten die Abteilung des Magiſtrats, der der Arbeitsnachweis unterſtellt iſt, und die die Verhältniſſe auf dem Arbeitsmarkt eingehend verfolgt, mit dieſen Dingen auch wohl vertraut und bekannt iſt. Ich kann ferner wohl annehmen, daß die meiſten der Herren Kollegen ſich mit den Dingen etwas beſchäftigt haben, und daß ihnen die Tatſachen bekannt ſind. Anderſeits aber werden gerade bei der Neukonſtituierung der Verſammlung wohl auch manche Herren unter uns ſein, denen dieſe Dinge etwas ferner liegen, und dieſe Herren möchte ich deshalb auf ein kleines Büchlein von Fräulein Dr Fanny Imle hinweiſen über „Kritiſches und Poſitives zur Frage der Arbeiterfürſorge“ — ein Büchlein, das vor zirka drei Vierteljahren erſchienen iſt, und worin in einer anſchaulichen Weiſe alles das dargeſtellt iſt, was zur Zeit des Erſcheinens des Buches auf dem Gebiete der Arbeitsloſenfürſorge geſchehen war, ſpeziell auch der kommunalen Arbeitsloſenfürſorge. Er⸗ innern will ich in dieſem Zuſammenhange lediglich an diejenigen Einrichtungen, die in Belgien nach dem Vorgange der Stadt Gent getroffen worden ſind, welche zuerſt den Arbeiterorganiſationen einen Fonds in einer beſtimmten Höhe zur Verfügung ſtellte, aus welchem den arbeitsloſen Arbeitern der Organiſation ein Zuſchuß zu der gewerkſchaftlichen Arbeitsloſenverſicherung gezahlt werden ſollte und gezahlt wurde. Dieſer Fonds beſteht noch heute und hat ſich nach dem Urteil aller derer, die ſich mit der Frage beſchäftigt haben, und die in Gent an die Frage der Weiterbeſchaffung dieſer Mittel herangetreten ſind — die Sache wurde im vorigen Jahre akut, es wurde damals beraten, ob der Fonds zu einem dauernden geſtaltet werden ſollte —, voll⸗ kommen bewährt und iſt zu einem dauernden ge⸗ macht worden. Aber, meine Herren, ich brauche Sie gar nicht auf alles das hinzuweiſen, was in dieſer Richtung im Auslande geſchehen iſt. Auch bei uns in Deutſch⸗ land haben wir, allerdings außerhalb unſeres engen Berliner Gebietes, Kommunen, welche in ähnlicher Richtung vorgegangen ſind. In Leipzig und in Köln iſt eine Verſicherungskaſſe gegen die Arbeitsloſigkeit der Arbeiter geſchaffen worden, welche ſeitens der Kommune einen Zuſchuß erhält. In München trägt man ſich ebenfalls mit der Idee einer ſolchen Einrichtung, und am 1. Januar v. I. iſt in Straßburg eine Einrichtung ins Leben ge⸗ treten, zunächſt für ein Jahr, die ſich in derſelben Richtung bewegt. Am 27. Dezember 1906 wurde in Straßburg vom Magiſtrat und der Stadtver⸗ ordnetenverſammlung beſchloſſen, einen Fonds von 5000 ℳ den gewerkſchaftlichen Organiſationen der Arbeiter als Beihilfe zu ihrer Arbeitsloſenfürſorge zur Verfügung zu ſtellen. (Zuruf.)