59 Genuß, ſondern ein übermäßiger, ein ſchädlicher für den Körper des einzelnen ſowie eine Er⸗ ſcheinung, deren Folgen ungemein nachträglich für das allgemeine Wohl ſind. Ja, wo fängt nun aber die Grenze des Mißbrauchs, des übermäßigen Genuſſes an? Dieſe Grenze werden Sie niemals feſtſetzen können, und darin kann mich auch der Herr Oberbürgermeiſter nicht irre machen, durch die Forderung irgend welcher beſtimmten Abgaben, ſondern dieſe Grenze werden Sie nur ziehen können durch Aufklärung des einzelnen, dadurch, daß der Arbeiter über den ſtarken Alkoholgenuß und ſeine Schädlichkeit aufgeklärt wird. Wenn Sie die Begründung des Herrn Ober⸗ bürgermeiſters annehmen, daß durch dieſe Steuer die Schankſtätten eingeſchränkt werden ſollen, dann kommt es doch in letzter Linie darauf hinaus, daß Sie dem Winkelſchank Tür und Tor öffnen. — Es heißt auch, gegen Glücksſpiele, gegen weibliche Bedienung uſw. müſſe Front gemacht werden, und der Herr Referent hat es uns ja übel genommen, als wir bei dieſer Stelle ſeiner Ausführungen etwas lächelten. Nun, wir haben uns erlaubt zu lächeln, weil aus den ganzen Ausführungen des Herrn Referenten ſowohl wie des Herrn Ober⸗ bürgermeiſters immer die Auffaſſung heraus⸗ leuchtete, in erſter Linie ſolle der Alkoholmiß⸗ brauch in den Arbeiterkreiſen bekämpft werden. Meine Herren, das iſt ein ganz einſeitiger Stand⸗ punkt. Wenn Sie wirklich nur gegen die Arbeiter und gegen den Alkoholmißbrauch durch dieſe vor⸗ gehen wollen, dann iſt das durchaus verfehlt; denn dadurch werden Sie das Übel nicht an der Wurzel faſſen können. Wenn Sie wirklich objektiv in dem Kampfe gegen den Alkoholmißbrauch vor⸗ gehen wollen, dann führen Sie auch ſtrengere Maßregeln gegen die Weinkneipen ein. (Zuruf: Wollen wir ja auch!) — Ja, ich weiß nicht, ob das in der Vorlage einbegriffen iſt? (Zuruf: Steht ja drin!) In der Vorlage ſteht nichts davon. Der Herr Referent und der Herr Oberbürgermeiſter in erſter Linie redeten nur immer von der durch dieſe Vorlage zu erreichenden Bekämpfung des Alkoholmißbrauchs in den Lokalen, in welchen vor allen Dingen Arbeiter verkehren. Es iſt weder in der ſchriftlichen noch in der mündlichen Be⸗ gründung nur ein Wort enthalten oder gefallen, das auch auf die Übelſtände in Weinkneipen Bezug genommen hätte. (Zurufe) Vorſteher Kaufmann: Ich bitte, keine 3wie⸗ geſpräche zu halten, und bitte den Herrn Redner, hierher zu ſprechen. (Stadtv. Zietſch: Ja, das liegt an den Herren, ich kann nicht lauter ſchreien.) Ich habe Ihnen keinen Vorwurf gemacht. Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Aus allem dieſen erhellt doch unbedingt, daß man nur die Kneipen niederer Gattung treffen will. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß gerade ſolche turbulenten, recht an⸗ ſtößigen Szenen, von denen hier mit Entrüſtung ge⸗ ſprochen wurde, ſich auch vielfach in den Weinkneipen abſpielen. Die Arbeiter haben gar nicht das Geld dazu, um gewiſſe Weinkneipen beſuchen und dort die zumeiſt echt koſtſpieligen Orgien mitfeiern zu können. Der Herr Oberbürgermeiſter ſprach dann da⸗ von, daß man im Intereſſe der Sittlichkeit und auch im Intereſſe der Geſundheit und des Seelenheils der Kinder der Gaſtwirte gegen; die, Gaſtwirt⸗ ſchaften mit einer Konzeſſionsſteuer vorgehen müſſe. Wir geben ohne weiteres zu, daß von manchen Gaſtwirten derartige Sünden gegen ihre Familien⸗ angehörigen begangen werden, die gewiß von niemand gutgeheißen werden können. Wenn man aber glaubt, daß an dieſen Zuſtänden im Gaſtwirts⸗ gewerbe, daß die Kinder Zeugen turbulenter Szenen ſein können, daß ſie in ihren Schularbeiten geſtört, in ihrer ſeeliſchen Reinheit Schaden leiden und in der körperlichen Entwicklung gehemmt werden durch die Konzeſſionsſteuer etwas gebeſſert werden, könnte, dann iſt man gründlich im Irrtum. Übrigens ſind im Verhältnis zu den Zuſtänden vor 10 Jahren die Verhältniſſe in den Kneipen, gerade auch in den kleinen Gaſtwirtſchaften, weſentlich beſſer ge⸗ worden, und dieſe ſtarken allgemeinen übertreiben⸗ den Schlüſſe, die der Herr Oberbürgermeiſter aus einzelnen Fällen gefolgert hat, können durchaus nicht zur Begründung der Notwendigkeit einer ſolchen Vorlage ins Feld geführt werden. Wenn aber der Herr Oberbürgermeiſter — und mit ihm der Magiſtrat und ein Teil der Stadt⸗ verordneten — ſich durchaus ſozialpolitiſch be⸗ tätigen, wenn ſie mit feſtem Willen das leibliche und das ſeeliſche Wohl bedrängter Kinder erſtreben wollen, wenn ſie wirklich der Meinung ſind, daß jeder mißbräuchlichen Ausnutzung und ſittlichen Ge⸗ fährdung der Kinder entgegengetreten werden müſſe, dann bitte ich Sie: treten Sie doch in erſter Linie den ſchweren Folgen und erſchreckenden Be⸗ gleiterſcheinungen der übermäßigen Heimarbeit entgegen, die ſich auch hier in Charlottenburg immer mehr geltend macht. Da werden Sie ein reiches Feld ſozialer Betätigung finden! Und der Kreis jener, denen Sie helfen können, wird ein erheblich größerer ſein als hier, wo doch nur einzelne Gaſtwirtskinder in Frage kommen könnten. Aus allen dieſen Gründen ſind wir gegen die Vorlage. Mein Freund Hirſch hat Ihnen ſchon ausgeführt: wir ſind prinzipiell dagegen, und wir werden ſelbſt gegen die Ausſchußberatung ſtimmen. Wir ſind dagegen, weil wir die Vorlage in ihrem ganzen Weſen für ungerecht und unzweckmäßig halten, und weil wir ihre Begründung für äußerſt unzulänglich anſehen. (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Dr. Spiegel: Meine Herren, ich weiß nicht, warum ſich der Herr Vorredner immer ſo apoſtrophierend an die Verſammlung gewandt und dieſer ihre angeblichen Sünden vorgehalten hat, nachdem er aus dem Gange der Debatte doch ent⸗ nehmen mußte, daß weitaus die Mehrheit der Ver⸗ ſammlung in der vorliegenden Frage ähnlichen An⸗ ſchauungen huldigt wie er. Ich weiß auch nicht, warum der Herr Vorredner Beſtrebungen des Magiſtrats, die er an ſich als berechtigt anerkennen muß, lediglich deshalb entgegentritt, weil der Magi⸗ ſtrat nicht auf anderen Gebieten, z. B. in der Haus⸗ arbeit, zuerſt vorgegangen wäre. Das kann ich als Gegengrund nicht anerkennen. Ich ſtimme viel⸗ mehr dem Magiſtrat zu, daß vieles, was er zur Be⸗ gründung der gegenwärtigen Vorlage anführt, ſo⸗ weit es ethiſche und hygieniſche Geſichtspunkte angeht, an ſich durchaus berechtigt und erſtrebens⸗ wert iſt. Meine Herren, nicht, daß der Magiſtrat