—— 60 ——— gegen die angeführten Mißſtände etwas tun will, ſcheidet einen großen Teil meiner Freunde und mich von ihm, ſondern die Anſicht darüber, ob das in Ausſicht genommene Mittel richtig iſt. Und da bin ich allerdings der Meinung, die ich nach alledem, was heute ſchon geſagt worden iſt, und bei der vor⸗ gerückten Stunde nicht noch ausführlicher begründen möchte, daß dieſes Mittel in der Tat untauglich und daß es überhaupt — ich ſtimme darin mit meinem Freunde Meyer überein — im höchſten Grade be⸗ denklich iſt, derartige geſunde Beſtrebungen mit finanziellen Motiven zu verquicken, auch wenn die⸗ Verquickung eine nur äußerliche iſt. Ich bekenne mich alſo als Gegner der Vorlage im ganzen und in manchen Einzelheiten, die ich, wie geſagt, aus verſchiedenen Gründen jetzt nicht mehr anführen will. Aber, meine Herren, ich möchte Sie doch bitten, daß wir unter allen Um⸗ ſtänden die Vorlage an einen Ausſchuß verweiſen. (Bravo!) Das ſind wir — darin ſtimme ich dem Herrn Ober⸗ bürgermeiſter zu — einer ehrlichen Arbeit des Magiſtrats durchaus ſchuldig. Wir müſſen auch an⸗ erkennen, daß die Erſchließung neuer Einnahme⸗ quellen zur Fortführung der großen Aufgaben, die uns gegenwärtig noch obliegen, durchaus erwünſcht iſt, und wir dürfen aus dieſem Grunde den Magi⸗ ſtrat nicht vor den Kopf ſtoßen, indem wir eine in dieſer Richtung ſich bewegende Vorlage von ihm ſozuſagen unbeſehen von der Hand weiſen. Die Ausſchußberatung iſt auch deswegen nötig, weil der erſte Herr Redner aus der Verſammlung die recht⸗ lichen Grundlagen der Vorlage bezweifelt hat und weil ich es unter allen Umſtänden für nötig halte, in der Ausſchußberatung über dieſe Frage Klarheit zu ſchaffen. Ich bitte Sie daher, meine Herren, auch wenn Sie mit mir Gegner der Vorlage ſind — die Anhänger der Vorlage natürlich erſt recht —, die Ausſchußberatung zu beſchließen. (Bravo!) (Ein von dem Stadtv. Dr Penzig einge⸗ brachter Schlußantrag wird hierauf angenommen). Berichterſtatter Stadtv. Dzialvszynski (Schluß⸗ wort): Meine Herren, ich ſtehe ſeit 22 Jahren in der juriſtiſchen Praxis und habe Gelegenheit, die pathologiſchen Erſcheinungen unſeres Geſellſchafts⸗ lebens täglich zu beobachten. Wenn ich unglückliche Ehen ſehe, wenn ich in den Strafkammern tätig bin, wenn ich in die Gefängniſſe, in die Irrenan⸗ ſtalten und Krankenhäuſer gehe: überall, meine Herren, der Alkoholismus! Nun ſagt der Kollege Hirſch, der Alkoholismus iſt nicht immer die Urſache der wirtſchaftlichen Not. Ich bin ganz ſeiner Meinung: nicht immer, aber außerordentlich häufig, und ich glaube, meine Herren, daß mancher von Ihnen von ſeiner negierenden Haltung zurück⸗ kommen würde, wenn er die Ausführungen einer Autorität wie des Herrn Stadtrats Samter, welcher, wie ich hoffe, im Ausſchuß erſcheinen wird, hören wird, daß die Belaſtung unſeres Etats, das Elend, das durch den Alkoholismus hervorgerufen wird, ein unſägliches iſt und daß Generationen durch den Alkoholismus geradezu vergiftet werden. Nun, meine Herren, iſt aus zwei Geſichts⸗ punkten bezweifelt worden, daß die Vorlage ein geeignetes Mittel zur Einſchränkung dieſer gefähr⸗ lichen Volkskrankheit ſein wird. Von der einen Seite iſt geſagt worden, vom liberalen Standpunkt aus ſei eine derartige Vorlage nicht zu billigen, weil ſie etwas Zünftleriſches an ſich habe. Aber, meine Herren, es gibt eben Gewerbe, die im Intereſſe der Allgemeinheit eingeſchränkt werden müſſen. Auch der Gifthandel iſt nicht unbeſchränkt erlaubt, und es gibt kein Land in der Welt, wo nicht der Alkoholis⸗ mus in irgend einer Weiſe beſchränkt wäre, weil er eben ein Handel mit einem Produkt iſt, das geeignet iſt, große Übelſtände hervorzurufen. Die Ein⸗ ſchränkung gerade dieſes Gewerbes hat mit liberaler Geſinnung meiner Meinung nach abſolut nichts zu tun. 3 Sodann hat Kollege Liſſauer die Vorlage bedauert als einen Schritt auf dem ſogenannten ſozialpolitiſchen Wege, und in Ubereinſtimmung mit dieſem Gegner hat Kollege Hirſch ſie bekämpft. Ja, meine Herren, wir treiben eben in Charlottenburg Sozialpolitik, und wir ſind zum Glück auf dieſem Gebiete in hervorragender Weiſe geradezu vor⸗ bildlich vorgegangen. Es iſt hohe Zeit, daß wir auch auf dem Gebiete der Bekämpfung des Alkoholismus energiſche Maßregeln ergreifen. Ich weiß ſehr wohl, meine Herren, daß die Parteigenoſſen des Herrn Kollegen Hirſch ſich zum Teil der Bekämpfung des Alkoholismus nur in einer ſehr zurückhaltenden Weiſe widmen. Aber ich weiß auch, daß zahlreiche Kreiſe in dieſer Partei ſich mehr und mehr auf den Standpunkt ſtellen, daß die Partei in dieſer Hinſicht ſich doch nicht auf der Höhe der Situation befindet. (Lachen bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, ich habe in dieſen Tagen mit mehreren führenden Sozialdemokraten geſprochen; es handelt ſich nicht um Mitglieder dieſer Verſamm⸗ lung. Dieſe Perſönlichkeiten erklärten mir ganz offen, daß diejenige Inſtanz, welche eine Bekämp⸗ fung des Alkoholismus bei den Arbeitern nicht auf⸗ kommen laſſe, der Parteibuditer ſei, der ja nicht bloß bei den Sozialdemokraten eine große Rolle ſpielt. (Zuruf bei den Sozialdemokraten.) Nun, meine Herren, iſt geſagt worden, die Steuer würde nicht beizutreiben ſein. Aber ich bin der Meinung, die Steuer wird beitreibbar ſein, und es werden geeignete Mittel dafür durchaus gefunden werden können. In Königsberg z. B. hat man ein derartiges Mittel gefunden für den Fall, daß die Beitreibung auf dem gewöhnlichen Wege nicht zu einem Reſultat führen ſollte. Sodann iſt hier noch hervorgehoben worden, daß bisher nur etwa 10 oder 12 Städte in Preußen die Steuer eingeführt haben. Aber die Möglichkeit der Einführung der Steuer iſt ja überhaupt eine ſehr kurze. Wir wollen uns ein⸗ mal übers Jahr wieder ſprechen: ich bin überzeugt, es wird gar nicht lange dauern, daß gerade dieſe Steuer, weil ſie geeignet iſt, den Alkoholismus ein⸗ zuſchränken, in einer großen Anzahl von preußiſchen Städten eingeführt ſein wird. Auf eine Seite der Sache iſt in der Diskuſſion bisher noch gar nicht eingegangen worden, nämlich darauf, daß die Konkurrenz der Schankwirte das Borgſyſtem in außerordentlicher Weiſe begünſtigt. Um Kunden heranzuziehen, ſehen ſich die Schank⸗ wirte genötigt, zu borgen, und gerade dieſes Borg⸗ ſyſtem iſt für die Arbeiterklaſſe verderblich. Ein großer Teil des Lohnes geht meines Ermeſſens da⸗ durch in die Brüche, daß den Arbeitern infolge der großen Konkurrenz der Alkohol dargeliehen wird. Das iſt meiner Meinung nach noch viel verderblicher als die übrigen Momente, die in der Vorlage ange⸗ führt werden. Durch die Beſchränkung der Schank⸗